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© Toa Heftiba / unsplash.com

22.08.2017 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Ute Buth

Weibliche Sexualität: ein Geschenk Gottes

Ärztin Ute Buth erklärt, wie Frauen Sex erleben und wie sie ihn genießen können.

Dr. med. Ute Buth ist Fachärztin für Frauenheilunde und Geburtshilfe. In einem Artikel für das Weiße Kreuz hat sich die Ärztin mit dem Thema der weiblichen Sexualität auseinandergesetzt. Wir haben den Text in zwei Service-Artikel aufgeteilt. Im ersten Artikel erklärt sie aus der Sicht einer Ärztin, wie wunderbar Gott die Sexualität der Frau geschaffen hat und gibt praktische Tipps, um gemeinsam als Paar die weibliche Sexualität zu entdecken.

Weibliche Sexualität — ein Tabuthema 

Dr. med Ute Buth Dr. med Ute Buth (Foto: Sven Lorenz, Essen)
Dr. med Ute Buth (Foto: Sven Lorenz, Essen)

In der Gesellschaft spielt weibliche Sexualität bisher eher eine untergeordnete und doch zunehmend relevantere Rolle. Kulturell gesehen war Sexualität bis in die 60er Jahre ein großes Tabu-Thema. Über Sex sprach man nicht, über weibliche Sexualität schon gar nicht. Infolgedessen begegnen mir heute noch viele Frauen, die nicht aufgeklärt wurden: Meist gehören sie zur heutigen Groß- und Urgroßelterngeneration. Sie wiederum taten sich, schwer damit, nun plötzlich ihre Kinder aufzuklären.

Dies führte dazu, dass auch ein Teil der heutigen Elterngeneration nicht oder nur wenig aufgeklärt wurde. Diese wiederum haben ihre Not mit dem Aufklären der eigenen Kinder… und so ist die Negativspirale noch lange nicht gestoppt.

Infolgedessen ranken sich weiterhin viele Mythen und Halbwahrheiten rund um die weibliche Sexualität. Sie machen es Frauen schwer, den der Sexualität innewohnenden Schatz überhaupt zu heben. Stattdessen bewegen sie sich auf unübersichtlichem Terrain. Wie könnte man auch sein Wissen überprüfen, wenn man gelernt hat: „Über Sex spricht man nicht!“?

Wir sind als sexuelle Wesen geschaffen!

Um die eigene Geschichte in den Kontext dessen, was Sie heute lesen, einordnen zu können, ist es wichtig zu verstehen, wo sexuelle Lerngeschichte beginnt und wie sie sich entwickelt:

Menschliche Geschlechtlichkeit beginnt mit der Existenz des eigenen Selbst und ist keineswegs ausschließlich abhängig von einem Partner. Einfacher gesagt, bedeutet dies: auch Singles haben eine Sexualität – selbst wenn sie diese Sexualität mit niemanden leben. Das heranwachsende Baby erlebt schon im Bauch seiner Mutter, dass es andere Menschen gibt. Diese Menschen haben Gefühle, es kann in Kontakt mit ihnen „treten“. Das Baby nimmt nach und nach seine Sinnesorgane in Betrieb. Bereits das sind wichtige Elemente die ein Fundament bilden für spätere partnerschaftliche Sexualität.

In seiner weiteren Entwicklung speichert das Kind vieles über Sexualität ab, was es an Sachinformationen erhält: Werbung, schöne und unschöne Gefühle, aber auch Meinungen – von anderen und solche, die es sich selbst gebildet hat. Kein Mensch hat exakt die gleiche sexuelle Lerngeschichte wie irgendein anderer. Ob ich Sexualität als etwas Schönes, zu mir gehörendes betrachten kann, hängt also von vielen Faktoren ab, sicherlich auch davon, was ich im Kontext von Frau sein und Sexualität gelernt habe.

Ob ich Sexualität als etwas Schönes, zu mir gehörendes betrachten kann, hängt also von vielen Faktoren ab, sicherlich auch davon, was ich im Kontext von Frau sein und Sexualität gelernt habe. – Dr. med. Ute Buth

Männer sind anders, Frauen auch

Die Geschlechtsorgane von Mann und Frau weisen in ihrer Funktion gewisse Parallelen auf. Beide sind dazu da, Lustgefühle zu erleben und miteinander eins zu werden. Doch die Art des Aufbaus ist sehr unterschiedlich. Der Penis ist beschaffen, um in die Scheide aktiv eingeführt zu werden. Viele Geschlechtsorgane des Mannes liegen außen gut sichtbar an seinem Körper.

Die Geschlechtsorgane der Frau liegen überwiegend in ihrem Körperinneren und sind eher passiv konstruiert. Denn die Scheide nimmt den Penis auf. Sie hat jedoch die Möglichkeit, über die Beckenbodenmuskulatur aktiv am Geschehen teilzunehmen. In jedem Fall gelangt der Penis beim Einführen in die Scheide in den Körperinnenraum der Frau. Dies erfordert ein gewisses Maß an Sicherheit und Vertrauen. Viele Frauen können sich daher nur schwer auf den Sex einlassen, wenn die Beziehung zu ihrem Partner gestört ist.

Die unterschiedliche Anordnung der Geschlechtsorgane führt dazu, dass sich Jungen in der Kindheit meist intensiver mit ihrem Geschlecht(steil) auseinander setzten. Mädchen hingegen entdecken ihre Geschlechtsorgane oft eher zufällig. So ist der Kitzler für viele Mädchen und manche Frauen nicht selbstverständlich bekannt.

Ein explizites Lustorgan

Dr. med. Ute Buth leitet mit Ehemann Peter das Team. F – Seminar „Sexualität in der Ehe“ und arbeitet als Fachärztin und Fachberaterin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe für das Weiße Kreuz Deutschland e.V. In ihrer Beratungsstelle ist sie in den Bereichen Sexualberatung, Sexualaufklärung, unerfüllter Kinderwunsch, vorgeburtliche Diagnostik und Empfängnisregelung tätig. Außerdem hat sie das Aufklärungskonzept „Sexualaufklärung – Aufgabe und Chance©“ entwickelt. 

Der Kitzler ist ein Organ, das einzig und allein der weiblichen Lust vorbehalten ist. Hier treffen viele Tausend Nervenfasern aufeinander. Nach außen sichtbar ist nur die Spitze des Eisbergs. In der Tiefe gibt es weitere Ausläufer, die bis zu 9cm lang sind.  Bei der Erregung füllen sich hier Schwellkörper.

Viele Frauen berichten, dass sie den sichtbaren Teil des Kitzlers (wo die inneren Schamlippen zusammentreffen) zwar als lustvoll, jedoch auch als schnell überreizt oder gar schmerzvoll empfinden. Meist ist eine runde Stimulation dieses Bereichs am angenehmsten. Körpereigenes oder auch erworbenes Gleitgel ist für das Lustempfinden in diesem Bereich sehr wichtig. Ist die empfindliche Schleimhaut zu trocken, wird sie rasch überreizt und schmerzhaft.

Der weibliche Höhepunkt und die erotische Landkarte

Der Kitzler ist meist am Orgasmus-Erleben der Frau beteiligt. Frauen erreichen den Höhepunkt auf verschiedene Art und Weise:  durch Reizen des Kitzlers, durch Stimulation der Brustwarzen und durch den Penis-Scheide Verkehr oder die Kombination dieser Stimuli unter Einfluss des Botenstoffs Oxytozin. Dieser Botenstoff, den man auch als „Bindungshormon“ bezeichnet, hat vielfältige Wirkungen.

Das Oxytozin führt zum rhythmischen Zusammenziehen der Gebärmutter. Weil die Klitoris (der Kitzler) so weite Ausläufer in die Tiefe hat, ist er auch am Höhepunkt durch den Penis–Scheide–Verkehr mitbeteiligt. Das Erleben des Höhepunkts in der Sexualität hat sehr viel damit zu tun, die sexuelle Lust zu genießen und die Kontrolle loszulassen. Wie bei anderen unwillkürlichen Körpervorgängen, kann eine Frau sich nicht zum Orgasmus zwingen. Genauso wenig kann sie sich befehlen, zu niesen.

Das Erleben des Höhepunkts in der Sexualität hat sehr viel damit zu tun, die sexuelle Lust zu genießen und die Kontrolle loszulassen. – Dr. med. Ute Buth

Wesentlich trägt zum Erreichen des Höhepunkts das Sich Entspannen und Fallenlassen in der Sexualität bei. Anstrengungen, Druck und Zwang, zum Höhepunkt kommen zu müssen, können das ganze System kontraproduktiv lahmlegen. Plötzlich klappt einfach gar nichts mehr! Stattdessen ist es schön, wenn beide Partner gemeinsam unterwegs sind, wenn es ihnen gelingt, ihre sexuelle Lerngeschichte gemeinsam Stück für Stück zu erweitern – Land einzunehmen, ein neues Streckennetz in der Landkarte der Erfahrungen anzulegen statt immer monoton auf dem gleichen Stück hin und her zu fahren.

Achten Sie auch darauf, dass erotisch lustvolle Bereiche am Körper der Frau wechseln können, sowohl an der gleichen Frau und auch zeitlich. Mit der Folge, dass das, was gestern schön war, heute nicht mehr schön sein muss. Aber vielleicht morgen wieder. Daher ist der verbale Austausch, das sich Rückmeldung Geben, so wichtig.

Im Rhythmus der Botenstoffe

Frauen erleben während der geschlechtsreifen Zeit, einen von Botenstoffen gesteuerten zweiphasigen Regelzyklus. Durchschnittlich alle 28 Tage setzt für 3-7 Tage die Regelblutung ein. Das nicht benötigte Ei-Bett, die Gebärmutterschleimhaut, wird zum großen Teil abgestoßen. Nun steigt im Blut der Frau der Östrogenspiegel. Dieses Hormon bereitet eine Schwangerschaft in jeglicher Hinsicht vor: Das Ei-Bett wird aufgebaut, der Eisprung vorbereitet und schließlich nach etwa 14 Tagen am Ende der Zyklus-Phase 1 ausgelöst.

Aber um schwanger zu werden, braucht es auch einen Partner – und Sex. Also macht das Östrogen auch Lust auf Sex. Etwa in Zyklusmitte herum erfolgt der Eisprung. Nun übernimmt Gestagen, das Schutzhormon einer möglichen Schwangerschaft die Kontrolle über den Zyklus, Phase 2 beginnt.

Vom Grundgefühl haben viele Frauen in dieser Zeit weniger Lust auf Sex, eigentlich auch ganz logisch, denn wenn eine Schwangerschaft eingetreten wäre, müsste ja theoretisch zumindest kein Sex mehr zu diesem Zwecke erfolgen. In dieser Zeit ist die Stimmung der Frau nicht immer die beste, sie ist reizbar. Phase 2 endet mit dem Einsetzen der Regelblutung oder bleibt bestehen – dann ist die Frau schwanger!

Doch Achtung: Sex dient eben nicht nur allein der Fortpflanzung. Es gibt genug Frauen, die dennoch Lust auf Sex haben können, auch wenn ihre Hormone gerade anders ticken – und umgekehrt ist der günstigste Hormonspiegel noch lange kein Freifahrtschein, wenn andere Dinge gerade die Lust vergehen lassen. Festzuhalten ist jedoch, dass Frauen unter diesem Zyklusgeschehen ein stetiges Auf und Ab ihrer Hormone mitmachen, ob sie wollen oder nicht.

Sexuelle Erregungskurven

Obwohl es beim Geschlechtsverkehr um das Eins-Werden geht, sind Mann und Frau in Bezug auf die sexuellen Erregungskurven absolut nicht deckungsgleich. Von ihrer biologischen Anlage her sind Männer meist schnell erregbar, kommen eher zügig zum Höhepunkt. Danach können viele auch umgehend wieder entspannen und an etwas anderes denken.

Frauen hingegen brauchen häufig ein längeres Vorspiel, um überhaupt erregt zu sein. Wenn sie den Höhepunkt erreicht haben, lässt ihre Erregung deutlich langsamer nach. Viele Frauen sind sogar in der Lage, multiple Höhepunkte hintereinander zu erleben, bei manchen stellt sich das Gefühl der Befriedigung sogar erst ein, wenn sich mehrere Orgasmen in ihrer Wirkung aufsummiert haben.

Eine sogenannte ‚Refraktärphase‘ wie beim Mann (Erholungsphase nach dem Höhepunkt, bis wieder eine Erregung aufgebaut werden kann), gibt es bei der Frau nicht. Andererseits bedeutet das aber auch nicht, dass Frauen ihre theoretischen Möglichkeiten auch jedes Mal so ausleben wollen – nicht alles was geht, muss auch immer ausgeschöpft werden!

Und schlussendlich heißt das nicht, dass Frauen nicht einen sogenannten Quickie genießen können. Physiologie – körperliche Grundbeschaffenheiten sind eben nicht alles. Genauso wie Männer Vorlieben für ‚sexuellen Ausdauersport‘ entwickeln können.

Manchmal kann es hilfreich sein, aufgrund dieser Beschreibung einmal Ihre individuelle Erregungskurve in einer typischen sexuellen Begegnung aufzumalen. Wer von Ihnen beiden war schneller erregt? Wann kam wer zum Höhepunkt? Gab es überhaupt einen solchen? Wenn es Ihnen dann gelingt, als Paar darüber ins Gespräch zu kommen, können Sie dafür sorgen, dass Ihre Sexualität in den verschiedenen Lebensphasen spannend und erfüllt bleibt.

Im zweiten Artikel „Weibliche Sexualität — in verschiedenen Lebensphasen“ geht Dr. Ute Buth auf die verschiedenen Lebensphasen ein und wie die Sexualität sich z.B. durch eine Schwangerschaft oder die Wechseljahre verändern kann.

 


Dieser Artikel ist erstmals in der Weißes Kreuz Zeitschrift „Die Frau“ (Heft Nr. 59 3/2014) erschienen.

 

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