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© Joe Ei / unsplash.com

21.04.2022 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Regina König

Mit Waffen – Frieden schaffen?

Evangelische Kirchen im Zwiespalt.

 

Seit fast zwei Monaten tobt der Krieg in der Ukraine - er fordert Menschenleben, zerstört Städte und Dörfer, treibt Millionen in die Flucht. Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Russland verstärkt seinen Angriff mit der Großoffensive im Osten der Ukraine.

Während das Leid mit jedem Tag zunimmt, diskutiert Deutschland weiter über die Art und Weise von Waffenlieferungen – nicht nur auf Regierungsebene. Auch innerhalb der evangelischen Kirchen wird das Thema heiß diskutiert, und das sehr grundsätzlich. „Frieden schaffen – mit oder ohne Waffen?“ Über die unterschiedlichen Standpunkte führender evangelischer Theologinnen und Theologen spricht Regina König mit Andreas Odrich von der ERF-Aktuell-Redaktion.


ERF: Regina, wie ist das Stimmungsbild innerhalb der evangelischen Kirchen zum Thema „Waffenlieferungen an die Ukraine“?

Regina König: Vom Pazifismus bis zur Realpolitik, es ist alles dabei. Beginnen wir mit der wohl prominentesten Protestantin, mit Margot Käßmann. Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende bekleidet zwar kein Amt mehr in ihrer Kirche, sie ist frühpensioniert, aber, wie wir alle wissen, immer noch sehr präsent in der Öffentlichkeit. Sie nennt sich selbst ´Pazifistin´.

Mitte April sprach sie sich in der „Bild am Sonntag“ klar gegen Waffenlieferungen aus. Dennoch sei ihr bewusst, dass sie so ihre Hände nicht in Unschuld waschen könne. „Auch dadurch können Menschen sterben,“ so Käßmann. Auch die Rüstungsinvestitionen in Deutschland lehnt sie ab: „Die Kirchen sollten jetzt mahnen, dass wir Gespräche brauchen.“ Gegenüber NDR-Info sagte Käßmann, die größte Gefahr sei im Moment, "dass dieser Konflikt so eskaliert, dass Nato-Staaten tatsächlich Kriegspartei werden", dann könnten auch Atomwaffen eingesetzt werden.

Margot Käßmann: „Ich bin Pazifistin“

ERF: Steht Margot Käßmann mit ihrer pazifistischen Haltung allein in der ev. Kirche?

Regina König: Nein, auch der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Friedrich Kramer, ist überzeugt: „Wir können jetzt nur Frieden schaffen ohne Waffen,“ das sagte er Mitte April im ARD-Morgenmagazin. Auf längere Sicht erscheine es ihm viel sinnvoller, Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine auszugeben als für Rüstungswaffen. Das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine stellte er nicht in Frage. Dabei räumte Kramer ein, dass man sich in jedem Fall schuldig mache: „Wenn du keine Waffen lieferst, unterlässt du Hilfeleistung. Wenn du lieferst, lieferst du direkt Waffen zum Töten“, so der EKD-Friedensbeauftragte.

EKD-Friedensbeauftragter Kramer: „Wir machen uns in jedem Fall schuldig“

ERF: Anders sieht das allerdings die Ratsvorsitzende der EKD, Annette Kurschus.

Regina König: Ja, sie spricht sich für Waffenlieferungen aus. „Frieden schaffen ohne Waffen scheitert derzeit an einem Aggressor, der sich an keine internationalen Regeln hält“, sagte die Theologin dem Bremer „Weser-Kurier“. Die Menschen in der Ukraine, deren Häuser und Städte zerbombt würden, bräuchten Hilfe, um sich zu verteidigen – auch Waffen.

Es wäre zynisch, aus einer relativ gesicherten Position heraus den Menschen in der Ukraine in ihrer unmittelbaren Bedrohung zum Verzicht auf Waffen zu raten. Sie mahnte eine Weiterentwicklung der evangelischen Friedensethik an. Zugleich betonte sie: „Wir können keine weiße Weste behalten“.
 

ERF: Für Waffenlieferungen hat sich auch die Präses der EKD-Synode ausgesprochen, Anna-Nicole Heinrich, unter den durchweg älteren Kirchenvertreterinnen und Vertretern eine junge Stimme.

Regina König: Sie sagte im DLF vor Ostern, es gäbe in der Friedensethik „keine perfekte Antwort“. Jedoch: das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine sei unbestritten und damit seien auch Waffenlieferungen gerechtfertigt.

EKD-Ratsvorsitzende: Ev. Friedensethik muss weiterentwickelt werden.

ERF: Also, innerhalb der evangelischen Kirche gibt es unter den Leitenden unterschiedliche Auffassungen zum Thema „Waffenlieferungen an die Ukraine“. Wie äußern sich denn Vertreter der Freikirchen?

Regina König: Sie finden nicht so deutliche Worte, äußern sich vorsichtiger. So erinnert die Vereinigung Ev. Freikirchen lediglich an die Theologische Orientierungshilfe zur Friedensethik, die sie im Jahr 2015 herausgebracht hat.

Darin heißt es: „Um Menschen zu schützen, die unmittelbar von Gewalt bedroht sind, kann es notwendig sein, staatliche Gewalt einzusetzen. …. Der Einsatz von staatlichen Machtmitteln darf nicht egoistischen Motiven folgen und soll immer einem höheren Ziel unterstellt sein, nämlich Frieden, Ausgleich, Integration und Versöhnung.“ Hier wird also das Recht auf Selbstverteidigung umschrieben.


ERF: Auch die Synode der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität hat ein Wort zum Krieg in der Ukraine verabschiedet.

Regina König: Das fällt eindeutig pazifistisch aus. Dort ist zu lesen: „Als Synode glauben und bekennen wir, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll. Er ist kein Mittel, um Konflikte zu lösen, sondern stürzt unzählige Menschen in Not und Verderben.“ Die Herrnhuter Brüderunität erinnert vielmehr an die Wirkung des gewaltlosen Widerstands während der Friedlichen Revolution 1989: „Wir halten an dieser Hoffnung fest, die uns in den Jahren des Kalten Krieges so wichtig geworden ist, dass Frieden letztlich nur ohne Waffen zu schaffen ist,“ so wörtlich.
 

ERF: Frieden schaffen in der Ukraine – mit oder ohne Waffen? Innerhalb der evangelischen Kirchen gibt es dazu sehr unterschiedliche Meinungen. Vielen Dank, Regina, für deinen Überblick.
 

 Regina König

Regina König

  |  Redakteurin

Für ERF Plus in Mitteldeutschland unterwegs. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.

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Kommentare (1)

Christa L.-S. /

Meine Meinung zur "Friedlichen Revolution 1989"
Auch ich fand es großartig und war darüber erfreut, dass in den Jahren des "Kalten Krieges" es so wichtig geworden ist, " dass Frieden letztlich nur mehr

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