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© Manu Theobald

25.08.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Sarah-Melissa Loewen

Fingerzeig auf das Besondere

Die Illustratorin Astrid Shemilt will mit ihren Werken Schönheit erlebbar machen.

Es ist die Sehnsucht nach dem Schönen, die Astrid Shemilt motiviert. Sie hat einen Blick für die auf den ersten Blick eher unscheinbaren Dinge von verborgener Schönheit. Genau das möchte sie mit ihren feinen, lockeren Zeichnungen visuell erlebbar machen. Im Interview gibt die Künstlerin Einblick in ihre Arbeit. Sie erzählt, wo sie die nötige Inspiration findet und wie sie in ihrer Kreativität Gott nahekommt.
 

ERF: Deine Berufsbezeichnung umfasst sowohl Grafikdesign als auch Illustration. Wie kam es dazu?

Astrid Shemilt: Mein Interesse für alles Visuelle, für Kunst und für das eigene kreative Schaffen war irgendwie schon immer da. Allerdings war in Deutschland das Studienangebot im Bereich Illustration recht schmal. Deswegen habe ich vorerst angefangen Kommunikationsdesign zu studieren, mein Diplom darin gemacht und zunächst im Bereich Grafikdesign gearbeitet. Über die Jahre schlummerte aber der Wunsch in mir, mehr in Richtung Illustration zu gehen.

Kreativität hat verschiedene Facetten: Sie ist Gestaltungskraft, Erfindergeist und individuelles Ausdrucksmittel. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas haben wir mit Menschen gesprochen, die kreativ arbeiten und mit ihnen über Inspiration, Fleißarbeit und Selbstverwirklichung gesprochen.

2016 ergab sich dann ein Projekt: Ich wurde angefragt, ob ich auch Illustrationen anbiete. Zwar hatte ich das bisher nicht als Dienstleistung in petto, habe das Projekt aber trotzdem angenommen. Und das hat so viel Spaß gemacht, dass ich das vertiefen wollte. Ich bin dann auf eine Uni in England gestoßen und habe von 2017 bis 2019 den Master in Illustration gemacht – eine tolle Erfahrung, die mir sehr viel Freude gemacht hat.
 

ERF: Illustration und Grafikdesign – was ist da genau der Unterschied?

Astrid Shemilt: Natürlich überschneiden sich die Bereiche, aber der Denkansatz, der Kundenauftrag und die Umsetzung unterscheiden sich. Ein Grafikdesigner kümmert sich in der Regel um die visuelle Gestaltung von grafischen Kommunikationsmitteln in Print und im digitalen Bereich. Er entwirft zum Beispiel das Gestaltungsraster eines Magazins, das Layout einer Online-Kampagne oder eine Webpräsenz. Er entscheidet über die Schriftart, Farbgebung und welche grafischen Elemente sich am besten für einen Text oder Produkt eignen.

Illustrationen beleuchten eher, also illuminieren, und heben etwas hervor. Da arbeitet man viel mehr mit dem eigenen, persönlichen Strich. Wenn man zum Beispiel für einen Artikel eine Illustration braucht, entweder zur Überschrift oder kleinere Illustrationen für den Text, könnte das Briefing vom Kunden so aussehen, dass er vorgibt, welche inhaltlichen Aspekte hervorgehoben werden sollen.

Es könnte aber auch heißen: Lesen Sie sich den Text einmal durch. Was fällt Ihnen dazu ein? Beleuchten Sie die Dinge, die im Text nicht explizit vorkommen, die aber letztlich der Aussage des Textes entsprechen. Mit Illustrationen kann man also etwas zum Ausdruck bringen, was man mit einem Foto nicht schaffen könnte.

Illustrationen machen Worte sichtbar

ERF: Funktioniert eine Illustration oder ein Bild für dich als Ausdrucksmittel besser als Worte?

Astrid Shemilt: Ich finde, das geht Hand in Hand. Ein Bild spricht anders als Worte. Bilder haben eine eigene Sprache. Es gibt diesen Ausdruck, „ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Das stimmt, aber trotzdem denke ich, dass Sprache manchmal mehr auslösen kann als ein einzelnes Bild.

Ich glaube, dass dieser Satz aus der Bibel „Am Anfang war das Wort“ auch für den visuellen Bereich gilt. Für die Illustration sind einzelne Worte oder Begriffe wie Trigger, aus denen Bilder entstehen. Aber die Grundlage ist Sprache, es braucht das Wort.
 

ERF: Was ist der Mehrwert einer Illustration? Wie reichert eine Illustration einen Text an?

Astrid Shemilt: Das kommt auf den Kontext an. Ganz allgemein macht eine Illustration einen Text schneller zugänglich. Jeder Mensch erschließt sich die Welt auf seine eigene Weise. Den einen spricht dabei das Visuelle direkter an und lädt daraufhin zum Lesen ein, den anderen das Wort. Wobei man einen Text auch zuerst als visuelles Bild erfasst.

Zwar kann ein Text auch für sich alleine stehen und wirken, aber eine Illustration oder ein Bild kann dem Text eine eigene visuelle Note geben, als Kommentar fungieren, eine emotionale Verbindung schaffen oder die Haltung der Autorin besonders hervorheben usw. und dadurch eine weitere Ebene oder einen Aspekt hinzufügen, die der Text allein für sich nicht hätte.

„Mein Glaube ist die Quelle, aus der ich schöpfe“

ERF: Da ist also viel Kreativität und Inspiration gefordert. Wie hoch ist dieser kreative Anteil und wie viel disziplinierte Fleißarbeit braucht es?

Astrid Shemilt: Die Inspiration an sich ist ja nicht die Arbeit. Ich habe eine Idee, ein Bauchgefühl und einfach Lust, etwas umzusetzen. Wenn es sich um einen Auftrag handelt, bei dem der Kunden schon ungefähre Vorstellungen hat, überlege ich, wie ich das so umsetzen kann, dass es ihm am Ende gefällt, oder wie ich die ursprüngliche Idee sogar noch toppen kann.

Das lässt sich gut vergleichen mit dem Kochen: Genauso wie Kochen mit dem Zusammentragen von guten Zutaten losgeht, beginne ich ein Projekt mit der Recherche nach guten visuellen Daten. Und während des Arbeitens kommen dann weitere Schübe der Inspiration. Ähnlich wie beim Abschmecken eines Gerichts entwickeln sich dann wieder neue Ideen und Verknüpfungen, wo ich noch etwas nachbessern oder verändern könnte. Das ist ein organischer Prozess. Am Ende ist das Projekt meistens ein bisschen anders, als ich es mir am Anfang vielleicht gedacht habe.

Gemessen am Faktor Zeit nimmt die tatsächliche Arbeit den größeren Anteil ein. Ich sage mal: 80 Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich damit, das umzusetzen, was ich vorher und auch während des Projekts im Kopf hatte.
 

ERF: Was ist deine Inspirationsquelle? Woher nimmst du deine Ideen?

Astrid Shemilt: Zunächst aus meinen Sinneserfahrungen: Was ich sehe, höre, fühle, schmecke, anfasse. Aus Erlebnissen, Reisen, Gesprächen mit Freunden, Bildern, Texten, Filmen. Manchmal stolpere ich über einen Satz, der so gut formuliert ist und etwas, was in mir vorgeht, exakt ausdrückt und widerspiegelt, wofür ich vorher nicht die Worte gefunden hätte. Ebenfalls ein großer Einfluss ist die japanische Ästhetik und das Zusammenspiel aus Tradition und Moderne darin.

Es ist eine Kombination aus vielen Faktoren. Vor allem aber ist mein Glaube die Quelle, aus der ich schöpfe. Aus der Beziehung zu Gott, in Dialog mit ihm zu stehen und aus den Verheißungen in seinem Wort schöpfe ich Kraft.

Das hilft, wenn die Ideen auf sich warten lassen

ERF: Hast du schon mal die Erfahrung gemacht, dass dir gar nichts einfallen wollte und du eine kreative Blockade hattest?

Astrid Shemilt: Ja total. Besonders stark war das in dieser Übergangsphase von Grafikdesign zu Illustration. Da fiel mir so gar nichts ein, weil es eine ganz andere Herangehensweise ist. Als Grafikdesigner versucht man, eine Lösung für den Kunden, für ein Produkt zu finden. Und als Illustrator versucht man etwas zu betonen, zu beleuchten, eine inhaltliche Verknüpfung zu schaffen, oder etwas zu erzählen.

Diese Umstellung führte zu einer totalen Blockade. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich anfangen sollte. Das war schon eine Herausforderung. Dazu habe ich vor einiger Zeit einen passenden Satz gelesen: „Mach doch einfach. – Aber ich habe Angst. – Ja, dann mach es halt mit Angst.“
 

ERF: Hat dir dieser Satz geholfen? Hast du das gemacht, einfach Augen zu und durch?

Astrid Shemilt: Ja, einfach anfangen und machen. Ich setze mir zum Beispiel ein Zeitlimit von 10 Minuten, und wenn es danach nur 5 Striche sind, es ist etwas. Außerdem habe ich die Projekte in kleine Schritte runtergebrochen und mich gefragt: Was kann ich jetzt umsetzen und was muss ich später angehen?

Ansonsten: schlafen, Pausen machen, frische Luft und Bewegung hilft immer. Und falls möglich, einfach mal einen Schritt zurücktreten und die Sache liegen lassen und sich mit etwas völlig anderem beschäftigen.

„Hinter dem Zeichnen steckt meine Sehnsucht nach dem Schönen“

ERF: Was fasziniert dich an deiner Arbeit? Was schätzt du an deinem Beruf?

Astrid Shemilt: Dass ich etwas ins Leben rufen und erschaffen kann, was es vorher so noch nicht gab und anderen Freude macht. Ich mag es gern, immer mal wieder etwas Neues auszuprobieren. Das ist mehr im Bereich der Illustration möglich, weil die Aufgaben freier, weniger anwendungsbezogen, abwechslungsreicher und künstlerischer sind als im Bereich Grafikdesign. Das empfinde ich eher als ein mir vertrautes Handwerk, das ich nach wie vor sehr schätze, und bei dem bestimmte Aufgaben aufgrund meiner Erfahrung einfach routiniert ablaufen. Ich finde die Kombination einfach toll, weil sich beides so gut ergänzt.

Vor allem diese Schaffensphase fasziniert mich. Wenn ich eine bestimmte Vorstellung habe, in welche Richtung ein Projekt gehen könnte, ich aber noch nicht sicher weiß, wie die Idee am Ende rauskommen wird. Ob das Endergebnis meine eigenen Erwartungen erfüllt oder sogar genau das Gegenteil der anfänglichen Idee geworden ist.

Ich muss mich manchmal kneifen, weil ich so viel Freude an der Arbeit habe. Dass ich beruflich kreativ sein und meine Ideen umsetzen kann, das ist großartig.

ERF: Wie viel „Astrid“ erkennt man in deiner Arbeit? Wie stark kommt deine Persönlichkeit darin zum Ausdruck?

Astrid Shemilt: Ich bin noch dabei, das herauszufinden. Mein Zeichenstil tendiert eher zu einem lockeren Strich und weniger zu fotorealistischen Darstellungen. Ich bin ein Typ, der auch mal Fünfe gerade sein lässt, bin offen und neugierig auf Neues. Sicherlich spiegelt dieser lockere Stil mich am ehesten wider?

Hinter dem Zeichnen steckt auch meine Sehnsucht nach dem Schönen, meine Freude am Kreieren. Wie es gelingen kann, dass darin meine Werte zum Ausdruck kommen, ist etwas, was ich gerade noch herausfinde. Das müssen dann eher andere über mich und meine Arbeit sagen.

In der Selbstvergessenheit verbunden mit Gott

ERF: Inwiefern verbindet dich deine Arbeit mit Gott?

Astrid Shemilt: Ein langjähriger Freund hat mir vor vielen Jahren mal die Frage gestellt: Bei welchen Aktivitäten fühlst du dich Gott am nächsten? Das ist für mich vor allen Dingen beim Zeichnen und Malen der Fall. Dann merke ich, dass ich völlig im Moment und in der Tätigkeit an sich bin.

Ich glaube, jeder Mensch hat eine solche Sache, bei der er so versunken und „im flow“ ist, dass er die Zeit und sich selbst dabei ganz vergisst.

In dieser Selbstvergessenheit sehe ich ganz klar die Verbindung zu Gott. Und solche Momente empfinde ich als Geschenk, als reine Gnade, in der ich Gottes Liebe und Gegenwart besonders wahrnehme.

Für mich ist es ein Privileg, dass Gott uns Menschen befähigt und als Werkzeuge gebraucht. Und so sehe ich auch meine Arbeit und mein Leben, ein Leben in der Freude über Gottes Gegenwart. Deswegen bete ich um Gottes Führung und seinen Segen. Ich möchte Ideen und Aufträge so umsetzen, dass andere Menschen dadurch angesprochen und berührt werden, dass sie durch meine Arbeit Anteil an Gottes Segen haben.
 

ERF: Du siehst deine Arbeit also auch als ein Mittel, durch das Gott Menschen anrührt. Was möchtest du mit deinen Arbeiten bei den Menschen außerdem anstoßen?

Astrid Shemilt: Ich arbeite an der Schnittstelle von Design, Illustration und Kunst. Und speziell für die freien Arbeiten, die in die künstlerische Richtung gehen, wünsche ich mir, dass sie einfach Freude auslösen. Dass die Menschen ein positives Erleben damit haben und sagen: „Hey, das macht echt Laune, das gefällt mir richtig gut“.

Mein Anliegen ist es, dass meine Arbeiten ein Fingerzeig auf das Besondere, auf das Schöne sind und das visuell erlebbar machen. Im besten Fall ein Nachsinnen bewirken, das auf Gott den Schöpfer weist.
 

ERF: Was ist das schönste Kompliment, was man dir für deine Arbeit geben kann?

Astrid Shemilt: Auf einer Kunstmesse blieb eine Frau an meinem Stand stehen und hat ein Bild gekauft. Und dabei merkte ich, dass sie sich von diesem Bild richtig angesprochen fühlte. Das Bild war einfach so entstanden, weil ich Lust darauf und Freude daran hatte. Es hatte keinen anderen Zweck und musste keinem anderen gefallen. Aber dass das jemanden berührt und diese Frau einen eigenen Zugang dazu gefunden hat – das war für mich echt ein Kompliment. Denn geteilte Freude ist doppelte Freude!
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

 Sarah-Melissa Loewen

Sarah-Melissa Loewen

  |  Redakteurin

Sie hat Literatur- und Kulturwissenschaften studiert und war schon immer von guten Geschichten in Buch und Film begeistert. Doch sie findet, die besten Geschichten schreibt Gott im Leben von Menschen. Als Redakteurin erzählt sie diese inspirierenden Lebens- und Glaubensgeschichten. Sie lebt mit ihrem Mann in der schönsten Stadt am Rhein.

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