Navigation überspringen
© Ana Tavares / unsplash.com

23.08.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 11 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Kreativität braucht Stille

Davon ist Autorin Eva Maria Nielsen überzeugt. Daher bietet sie Stille Tage mit Schreibimpulsen an.


Ich möchte Autorin werden. Diesen Wunsch hatte Eva Maria Nielsen schon früh in ihrem Leben. Doch es hat Jahrzehnte gedauert, bis sie diesen Traum aktiv verfolgt hat. Heute ist sie unter anderem Autorencoach für andere Schreibanfänger. Und sie gibt als Theologin sogenannte Stille Tage im Kloster – mit und ohne Schreibimpulse. Denn Schreiben und Stille hängt für Eva Maria Nielsen eng zusammen. Wir haben mit ihr über beide Themen gesprochen.

 

ERF: Du arbeitest als Autorin, Lektorin und Autorencoach. Da gehört Kreativität quasi zum Arbeitsalltag. Was bedeutet Kreativität für dich?

Eva Maria Nielsen: Für mich hat Kreativität ganz viel damit zu tun, dass ich Christ bin und Anteil habe an der Schöpferkraft Gottes. In meinen Augen ist der größte Kreative in dieser Welt Gott. Da darf ich dran teilhaben, weil ich seinen Atem in mir habe.

Kreativität hat verschiedene Facetten: Sie ist Gestaltungskraft, Erfindergeist und individuelles Ausdrucksmittel. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas „Kreativität“ haben wir mit Menschen gesprochen, die kreativ arbeiten und mit ihnen über Inspiration, Fleißarbeit und Selbstverwirklichung gesprochen.

In meinem Alltag erlebe ich, dass ich mich durch Kreativität entspannen kann und Ruhe finde. Und ich erlebe Freude, dass ich damit auch etwas im Leben von anderen Menschen bewirken kann. In meinen Büchern schaffe ich Welten und Figuren, die Menschen berühren. Ich glaube, dieses „Kreativ-Sein-Können“ ist etwas, das uns Menschen vorbehalten ist. Ein Stück Gottebenbildlichkeit.
 

Schreiben und Stille als roter Faden im Leben

ERF: Du sagst, dass du Gott als kreativ erlebst und Gott uns seine Kreativität schenkt. Wo siehst du im Alltag Gottes Kreativität?

Eva Maria Nielsen: Eigentlich überall. Zum Beispiel in der Natur, da finde ich vieles, was faszinierend ist und ich als Mensch nicht verstehe. Aber wenn ich tiefer eintauche, erkenne ich, wie wunderbar alles geschaffen ist, wie wunderbar alles aufeinander aufbaut. Das fasziniert mich.

In meinem eigenen Leben erlebe ich, dass Gott mich immer wieder anstupst, wenn ich das brauche. Wenn ich spüre, dass ich den Kontakt zu ihm verliere und mich anderes einholt. Was mich zum Beispiel immer wieder herausfordert, ist diese neue digitale Welt. Mit all den Eindrücken – visuell und auditiv. Das zieht mich oft weg von meinen inneren Quellen. Und da erlebe ich Gottes Kreativität, dass er dann immer wieder Wege sucht, um mit mir in Kontakt zu kommen.
 

ERF: Du bist Autorin. Wie kam es dazu?

Autorin Eva Maria Nielsen
Eva Maria Nielsen lebt mit Mann und Sohn in Kopenhagen. Sie ist ausgebildete Theologin und gehört zur Teresianischen Karmel Gemeinde in Birkenwerder.
Als Autorin schreibt sie Kinderbücher und Romane, unterstützt als Geschichtenhebamme angehende Autorinnen und Autoren mit Coaching und Lektorat und ist Teil des Teams vom Bookerfly Club. (Copyright: Anette Hansen)

Eva Maria Nielsen: Ich habe als junges Mädchen immer gedacht: Ich muss Autorin werden. Aber meine Eltern haben nicht viel gelesen und sie haben das auch nicht gefördert. Denn eine künstlerische Tätigkeit gibt kein regelmäßiges Einkommen. Ich habe gehört: „Mach das bloß nicht.“ Da habe ich mich dann ihren Wünschen gefügt und eine Ausbildung gemacht. Erst studiert und gearbeitet, und beim Schreiben kam immer das Leben dazwischen.

Ich war auch zwei Jahre in einem Kloster, um die Stille zu leben, die tief in mir geklungen hat. Aber da habe ich gespürt: Ich muss hier wieder raus, weil das, was ich hier geschenkt bekommen habe, ist so kostbar, das will ich auch anderen geben. Dann kam ich nach Dänemark und es gab erstmal keine Möglichkeit, Menschen in die Stille zu führen.

Erst nach und nach hat sich gezeigt, dass beides – das Schreiben und die Stille – sich wie ein roter Faden in meinem Leben durchgezogen haben. Heute lebe ich vom Schreiben und Schreibcoaching und gebe Tage in der Stille in Dänemark und im Karmel in Birkenwerder.

Erst nach und nach hat sich gezeigt, dass beides – das Schreiben und die Stille – sich wie ein roter Faden in meinem Leben durchgezogen haben.

 

„Ich trage meinen Glauben überall hin mit“

ERF: Stille ist dir als Autorin für dein Schreiben wichtig, als Theologin führst du bei Stillen Tagen auch andere in die Stille. Nun hast du ein neues Angebot, das beides verbindet. Wie kam es dazu?

Eva Maria Nielsen: Das Schreiben ist schon von Kindheitstagen in meinem Leben. Und ich habe viele Jahre als Seelsorgerin im Krankenhaus gearbeitet. Das heißt, ich hatte immer wieder Kontakt zu Menschen, auch sehr oft zu gebrochenen Menschen.

Im tiefsten Inneren glaube ich, dass wir geheilt werden können, egal, was uns passiert ist. Ich habe das auch mehrmals erlebt, dass Menschen mit einer schlimmen Biografie auf der anderen Seite heil rausgekommen sind. Aber es ist kein leichter Weg. Es ist nicht so, wir beten ein bisschen und dann sind die Probleme geordnet, sondern es ist ein weiter, schwerer Weg, manchmal auch mit Therapie.

Aber Heilung ist möglich und ich habe selbst erfahren, dass ich sehr viel verarbeite von den Dingen, die mich umtreiben, wenn ich schreibe. Darin finde ich Kraft und sehe klarer, wo ich einen anderen Blickwinkel einnehmen sollte. Ich habe gespürt, dass das auch anderen Menschen helfen kann.
 

ERF: Du bietest diese Stillen Tage in einem Kloster an, aber dein Angebot richtet sich nicht spezifisch an Christen. Warum?

Eva Maria Nielsen: Mein Ziel ist nie, nur Christen zu erreichen. Das finde ich zu leicht. Das ist wie im eigenen Teich zu schwimmen. Wir haben etwas umsonst erhalten. Mir ist sehr bewusst, dass es vielen Menschen schwerfällt, Glauben zu thematisieren. Und dass es viele Vorurteile gibt, manchmal berechtigt, manchmal unberechtigt. Ich gehe sehr still mit meinem christlichen Glauben nach draußen, aber ich spüre immer wieder, dass Menschen das dennoch merken.

Ich denke, wir berühren Menschen mit unserer christlichen Botschaft am meisten, indem wir authentisch sind. Und indem wir anderen Raum lassen zum Atmen. Also nicht als Missionar kommen, der anderen etwas überstülpt, sondern als Mensch, der eine Meile mit ihnen mitgeht, der für sie da ist, für die Sachen, die sie brauchen. Aber auch da steht, wo er ist.

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich Christ bin. Wie eine Schnecke ihr Schneckenhaus trage ich meinen Glauben überall mit hin. Das ist keine Sonntagsangelegenheit. Aber ich will ihn auch niemandem überstülpen. Ich glaube, dass der christliche Glaube das Beste ist, was wir anderen Menschen geben können, sie aber oft nicht wissen, dass es ihnen guttun würde.

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich Christ bin. Wie eine Schnecke ihr Schneckenhaus trage ich meinen Glauben überall mit hin. Das ist keine Sonntagsangelegenheit.

 

Aus Herausforderungen Schätze bergen

ERF: Bei deinen Stillen Tagen mit Schreibimpulsen geht es spezifisch um biografisches Schreiben. Und zwar anhand des Modells der Heldenreise. Warum?

„Auf den Spuren deiner Heldenreise“ – Unter diesem Titel bietet Eva Maria Nielsen vom 28.08. bis 01.09. zum ersten Mal autobiografisches Schreiben in der Stille des Klosters Birkenwerder an. Für dieses Jahr sind alle Plätze schon ausgebucht. Nächstes Jahr findet das Seminar vom 02. - 06. September erneut statt. Der Unkostenbeitrag liegt bei 210 Euro inkl. Verpflegung.

Eva Maria Nielsen: Normalerweise gebe ich einfach nur stille Exerzitien im Kloster. Aber viele Menschen wollen ihre Biografie aufschreiben. Ich wurde schon oft gefragt: „Wie kann ich meine Biografie schreiben?“ Und dann kommt die Frage: „Soll ich einfach anfangen bei meiner Geburt und beim heutigen Zeitpunkt enden?“

So würde ich Biografie nicht schreiben, sondern raten: „Schau auf bestimmte Perioden in deinem Leben, in denen du eine Transformation erlebt hast.“ Genau darum geht es bei der Heldenreise: Ich werde durch etwas herausgerissen aus meinem gewohnten Leben, mache mich auf den Weg, wachse an Herausforderungen und finde am Ende einen Schatz.
 

ERF: Kannst du dazu ein Beispiel geben?

Eva Maria Nielsen: Ich habe mehrere Fehlgeburten gehabt, das war wahnsinnig schwer. Da war dieser Schock: „Mein Gebet wird nicht erhört. Meine Welt zerbricht.“ Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt. Ich hatte mir vorgestellt, ich feiere Taufe und irgendwann kommt das Kind in die Schule. Ich habe gespürt: Mein Kosmos zerbricht in Chaos. Ich habe mich total verletzt und verraten gefühlt.

Aber am Ende habe ich darin – so blöd das klingt – auch ein Geschenk gefunden. Zum einen, dass ich weiß, dass ich Kinder habe, die auf mich warten, und durch meine Erfahrung Verständnis habe für andere Menschen, die diesen Weg gehen müssen. Auch den Schmerz der Väter habe ich durch den Schmerz meines Mannes besser verstanden.

Zum anderen hat es mich gelehrt: Gott ist an meiner Seite. Auch in schweren Zeiten, wenn ich es nicht merke. Aber ich kann ihn nicht festnageln. Ich kann nicht sagen: Er hätte dieses Kind retten sollen, weil ich gläubig bin. Das waren die Gedanken, die mir damals durch den Kopf gingen, und auch unermessliche Wut, warum Gott sowas zulässt.

Bei der Heldenreise geht es auch darum, dass ein Mensch herausgefordert wird und verschiedene Etappen durchläuft. Wir sehen es am Anfang nicht, aber es gibt diese Etappen. Sich dieser Etappen bewusst zu werden, gestärkt daraus hervorzugehen und am Ende stolz zu sein auf die Stärke, die ich entwickelt habe – darum geht es.

Es gibt oft etwas Gutes, was bereits in unserer Kindheit grundgelegt wurde, und später wieder auftaucht. Es gibt immer einen roten Faden in unserem Leben, wir sehen ihn meist nur nicht. Das ist eine tief berührende, heilsame und mutmachende Erfahrung, wenn ich entdecke: Diese Reise, auf der ich war, hat einen Sinn. Auch wenn ich das vorher nicht gesehen habe. Dafür ist die Stille eines Klosters genau der richtige Rahmen.

Es gibt immer einen roten Faden in unserem Leben, wir sehen ihn meist nur nicht.

 

Kreativität braucht Stille

ERF: Dir ist in deinem Leben das Schreiben und die Stille wichtig. Für mich stellt sich da die Frage: Gehört das nicht sogar zusammen? Man sagt ja oft, Schreiben sei eine einsame Tätigkeit.

Eva Maria Nielsen: Schreiben hat viel mit Stille zu tun. Die besten Autoren sind die, die sich in andere Menschen reindenken können, auch in Menschen, die ganz anders leben als sie selbst. Sie versuchen, authentisch die Gefühle, die Gedanken und die Welt anderer einzufangen, und dazu braucht es Stille.

Stille hilft mir als Autorin zu lauschen, wie ich ein Thema weitergeben kann. Dass ich einfach der Geschichte lausche, wenn ich merke, dass da eine Geschichte in mir wohnt, die erzählt werden will.

 

Es gibt beim Schreiben diese zwei Aspekte von Stille. Einmal empathisch zu sein, um sich in die Figuren reinzudenken und eben auch die Welt um sich zu erleben, also zu spüren, wie Menschen ihr Leben deuten und leben wollen. Wenn ich das kann, kann ich das auch in meine Figuren und meine Geschichten transportieren. Das ist für mich authentische Literatur, die dem Leser Weite gibt, anderen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen und einen weiteren Blick auf die Welt zu bekommen.

Der zweite Aspekt für mich als Autorin bedeutet, zu lauschen, was sich in mir regt. Und allen Gefühlen Raum zu geben, sowohl der Wut als auch der Freude oder dem Genuss, und das einzufangen. Das gelingt nur, wenn ich mir erlaube, in die Stille zu gehen. Denn sonst erlebe ich, dass die ganzen äußeren Eindrücke mich von diesen echten Gefühlen ablenken. Die sind dann so laut, dass ich nicht mehr höre, was sich in mir tut. Und wenn das passiert – und das passiert in meinem Leben oft –, habe ich das Gefühl, ich lebe nicht mehr, sondern ich werde gelebt.
 

ERF: Mein Eindruck ist: Erst Stille macht uns manchmal kreativ. Wie siehst du das?

Eva Maria Nielsen: Das glaube ich auch. Auch viele Teilnehmer der normalen Stillen Tage schreiben ihre Gedanken auf. Ich denke, wenn man bewusst ein paar Tage in die Stille geht, hat man oft ein Thema, das man mitnimmt – bewusst oder unbewusst. Und das arbeitet in einem.

Im Prinzip ist derjenige, der diese Tage leitet, gar nicht so wichtig. Vielleicht sagen wir etwas Kluges, vielleicht auch nicht, aber dieses Thema, was der Teilnehmer mitbringt, das arbeitet in ihm. Vielleicht gibt ein Wort von dem, was ich sage, einen Anstoß. Dieses eine Wort ist vielleicht nicht das literarisch schönste Wort oder der tiefste Gedanke, den ich hatte, aber es ist etwas, was an die Sehnsucht dieses Teilnehmers andockt.

Und ganz oft schreiben die Menschen diese Erkenntnisse auf. Dann können sie sie mitnehmen in den Alltag. Es ist ja so: Alles, was wir irgendwie festhalten, vertieft sich in uns. Es fällt uns leichter, das zu rekapitulieren, wenn wir nach Hause zurückkommen. Ich bitte manchmal die Teilnehmenden, einen Brief an sich selbst zu schreiben mit dem, was sie gelernt haben oder umsetzen wollen. Dann versiegeln sie den Brief und nach drei bis vier Monaten schicke ich ihnen diesen Brief als Reminder. Das ist eine sehr schöne Sache.
 

„Die Geschichten sind in uns“

ERF: Hast du einen Tipp für Menschen, die sich mehr Kreativität im Leben wünschen, aber nicht wissen, wie sie das angehen können?

Eva Maria Nielsen: Ich glaube, das größte Problem ist, dass wir oft ein zu großes Bild von Kreativität haben. Ich arbeite natürlich mehr mit Schriftstellern, aber da ist ganz oft dieser Druck: „Ich will das perfekt machen.“ Und beim Schreiben hat das viel mit unserem Schulsystem zu tun. Man hat Angst vor dem roten Stift. Aber ich glaube: Die Geschichten sind in uns, die erzählen sich selbst.

Ich würde mit Morgenseiten anfangen. Man stellt sich die Uhr auf zehn oder zwanzig Minuten und sagt sich: „Ich schreibe jetzt alles auf, was mir in den Kopf kommt, und nehme den Stift nicht aus der Hand.“ Dabei ist alles erlaubt. Oft öffnet das Schleusen und in diesem Wirrwarr aus Gedanken steckt eine Botschaft für den Tag.

So würde ich anfangen und wenn nichts Gutes dabei rauskommt, mir einfach sagen: „Das ist vielleicht nur, um meine verstopften Kanäle zu reinigen. Irgendwann wird das Wasser wieder fließen.“ Ich glaube, wenn ein kreativer Kanal verstopft ist, hat es ganz oft damit zu tun, dass wir heutzutage einfach zu schnell leben. Wir wollen zu viel in zu wenig Zeit. Und dann kommt die Seele nicht hinterher. Wir leben fast alle, ich inklusive, auf der Überholspur.

Wenn du dir Kreativität wünschst, gilt es einfach anzufangen. Wenn du malen willst, kauf dir Farben. Mach es und hör nicht auf die, die dir sagen, du machst das nicht gut genug.

Jeder fängt an und jeder wächst. Mit jedem Pinselstrich und jedem Wort, das wir schreiben. Ich bin sicher, dass etwas Schönes dabei herauskommt.

 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
 

Zum zweiten Interview mit Eva Maria Nielsen zum Thema Stille
 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren