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© Timo und Gella Scheven

18.08.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Sarah-Melissa Loewen

Mehr als Schönschrift

Die Kalligrafiekünstlerin Jeannette Mokosch ermutigt mit handgeschriebenen Worten.

Schreiben mit der Hand, das ist die große Leidenschaft von Jeannette Mokosch. Mit Tusche und Feder bringt sie Worte auf dem Papier zum Blühen. Sie ist eine gefragte Kalligrafin und Autorin von drei Büchern. Im Interview berichtet die Künstlerin von den stolperigen Anfängen ihrer beruflichen Laufbahn und wie sie heute mit ihren handgemachten Kunstwerken Menschen Ermutigung zusprechen möchte.

 

ERF: Als Kalligrafin zu arbeiten ist ein ungewöhnlicher Beruf. Wie kam es dazu?

Foto von Jeannette Mokosch
Kalligrafin Jeannette Mokosch mit einem ihrer Werke. (© Timo und Gella Scheven)

Jeannette Mokosch: Das war eigentlich nie geplant. Ich bin gelernte Altenpflegerin. Als junger Mensch hatte ich zwar schon immer künstlerische Interessen und überlegt, in die Werbebranche zu gehen, dachte dann aber, ich sei nicht gut genug. In dieser Zeit hatte ich ein Praktikum bei einem erfolgreichen Typographen gemacht und er hat mir erzählt, wie schwierig es ist, in der Werbebranche Fuß zu fassen.

10 Jahre später hatte ich dann einen Traum im Dämmerschlaf. Darin habe ich ein altes Schreibpult mit einer Gänsekeilfeder und einem Tintenfass gesehen, wie in einer mittelalterlichen Stube. Und ich habe ganz klar gewusst, hier geht es um diese Feder.

Dann hörte ich diesen Satz: „Kauf dir eine Feder und schreib wie die alten Dichter.“ Total verrückt! Dieser Traum hat mich aufgewühlt und nicht mehr losgelassen.

Also bin ich am nächsten Tag losgegangen und habe mir in einem Schreibwarenhandel eine Schreibfeder und Tusche gekauft. Dieser Moment war so anders als alles, was ich bisher in meinem Leben erlebt hatte. Und diese Feder hat dann so unglaublich viel möglich gemacht. Also das war echt nicht meine Idee, denn die war einfach zu gut!

Erste Schreibversuche

ERF: Wie hast du dieses alte Kunsthandwerk gelernt? Hast du dir alles selbst beigebracht?

Jeannette Mokosch: Heute kenne ich die besten Künstler in Deutschland, bei denen ich eine Ausbildung hätte durchlaufen können. Aber damals gab es dazu fast keine Informationen. Selbst in einem Grafikstudium hatte man Glück, wenn eine kleine Kalligrafie-Exkursion dabei war. Auch in den Volkshochschulkursen wurde nur Fraktur unterrichtet. Aber diese filigrane Spitzfederkalligrafie, die ich machen wollte, war total das Nischending, da gab es kein deutsches Buch dazu, das ich kannte.

Ich hatte also gar keine andere Möglichkeit das zu erlernen, außer es auszuprobieren und irgendwie nach vorne zu stolpern.


Meine Anfänge habe ich damals auf Instagram dokumentiert. Darüber bin ich heute noch froh, dass ich das einfach gemacht habe und nicht gedacht habe, dass ich zu schlecht sei. Ich hatte Lust auf die Feder, wollte besser werden und habe die Leute einfach mit auf meine Reise genommen. Bis heute habe ich nichts davon gelöscht. Wenn man die tausend Posts runterscrollt, sieht man diese stolperigen Anfänge. Ich bin einfach drangeblieben und nach und nach wurde ich besser. Zwei Jahre später kamen dann die ersten Anfragen für Logoentwürfe, oder Kunden fragten nach, ob ich einen Kurs geben würde. So ist daraus ein ganz aufregender Weg geworden.

Kreativität hat verschiedene Facetten: Sie ist Gestaltungskraft, Erfindergeist und individuelles Ausdrucksmittel. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas haben wir mit Menschen gesprochen, die kreativ arbeiten und mit ihnen über Inspiration, Fleißarbeit und Selbstverwirklichung gesprochen.

Spannend ist auch der Zeitpunkt, zu dem Gott diesen Prozess in meinem Leben angefangen hat. 2015 startete in Deutschland ein unglaublicher Boom rund um das Thema Handlettering. Dadurch hat meine Kunst auf einmal Präsenz bekommen. Da war ich schon seit zwei Jahren am Lernen und Üben, wie das mit der Kalligrafie funktioniert. Ich hätte auf diesen Zug aufspringen können und mehr mit Faserstiften und anderen Schreibgeräten oder Farben experimentieren können, aber ich bin der Feder und meiner Schriftart treu geblieben. Ich war immer in dieses alte Handwerk verliebt.

Der Wert von handgeschriebenen Worten

ERF: Was ist das Besondere am Handgeschriebenen? Was fasziniert dich daran?

Jeannette Mokosch: Handgeschriebenes wird nicht weggeschmissen. Die Leute heben es auf und hängen es zum Beispiel an den Kühlschrank. Schöne handgeschriebene Texte haben einen besonderen Wert und eine unglaubliche Kraft. Ich bin Gott so dankbar, dass er mir dieses Werkzeug gegeben hat, mit dem man die Menschen erreichen kann.

Ich sage immer, ich bin wie eine Verpackungskünstlerin und habe ein besonderes Geschenkpapier an die Hand bekommen. Das ist meine Feder. Und damit kann ich gute Inhalte schön verpacken, dass die Menschen sie gerne entgegennehmen.

Denn wenn man gute Worte nicht gut platziert, kommen sie gar nicht erst beim Empfänger an. Social Media zum Beispiel ist so schnelllebig. Ein Post verschwindet so schnell und kann nicht so ins Herz sinken wie Worte, die auf Papier geschrieben sind.

Ich war erst vor kurzem wieder unterwegs bei der Eröffnung eines exklusiven Stores auf Sylt und hatte dort den Auftrag, Grußkarten zu gestallten. Man sollte meinen, die Leute, die dort einkaufen, haben schon alles gesehen und können sich alles kaufen. Aber dann kommen sie an meinen Tisch, wo sie jemanden mit einer Grußkarte beschenken können – und dann fangen die Augen der Kunden an zu leuchten! So verrückt, denn es ist ja eigentlich nur ein Stift und ein Stück Papier.

Aber das Teuerste, was wir geben und schenken können, ist Zeit. Keiner hat heute mehr Zeit sich hinzusetzen und eine Grußkarte zu gestalten. 


Es ist viel einfacher, Geld oder einen Gutschein in einen Umschlag zu stecken. Und Kalligrafie ist so unglaublich langsam! Die Feder ist wirklich die Schnecke unter allen Schreibgeräten. Dieses Investment spüren die Menschen. Das ist der wahre Luxus.

Zwischen Kunst und Handwerk 

ERF: Wird deine Kreativität davon beeinflusst, dass du die Kalligrafie zu deinem Beruf gemacht hast? Hat sich dadurch etwas verändert?

Jeannette Mokosch: Ich bin heute im Zentrum meiner Berufung und tue etwas, das mich erfüllt und andere Menschen bereichert. Aber ich spüre, dass da eine kreative Lücke klafft. Es gibt natürlich diesen kreativen Anteil an meiner Arbeit, aber der ist definitiv klein. Man stellt sich einen Künstlerberuf unglaublich romantisch vor, aber die Realität ist, dass ich die meiste Zeit damit beschäftigt bin, Vorgespräche zu führen, Steuerangelegenheiten zu erledigen, Produkte in den Onlineshop zu setzen und Events vorzubereiten. Außerdem bin ich Mama von einem Kleinkind, da ist häufig wenig Raum für Kreativität.

Ich vertraue darauf, dass die Zeit für Kreativität wieder kommt. In dieser Phase habe festgestellt, dass ich ein kreatives Hobby für mich brauche, das nichts mit dem Schreiben zu tun hat. Etwas, wofür ich keine Bewertung bekomme, was ich niemandem zeigen muss, sondern das ich nur aus reiner Freude mache. Da überlege ich gerade, was für mich passen könnte.
 

ERF: Da klingt schon an, dass dein Job disziplinierte Arbeit erfordert. Wie viel Platz hat Inspiration da noch?

Jeannette Mokosch: Vor allem in stillen Momenten, in denen ich in der Bibel lese und mit Gott meinen Kaffee trinke, werde ich inspiriert. Da schenkt mir Gott zum Beispiel einen liebevollen oder kreativen Gedanken. Aber auch wenn ich mitten in einem Prozess drin bin, gibt es schöne kreative Momente, die ich sehr genieße.

Aber um eine Arbeit zu vollenden, Termine einzuhalten und nebenbei das abenteuerliche Mamadasein zu stemmen, braucht es viel Disziplin. Ich würde sagen 95 Prozent Disziplin und 5 Prozent Muße. Für Inspiration brauche ich die Stille, anders würde es gar nicht gehen im vollen Alltag.
 

ERF: Auf einer Skala, auf der links außen das Handwerk und rechts außen die Kunst steht, wo würdest du dich mit deiner Kalligrafie verorten?

Jeannette Mokosch: Ich glaube, Kalligrafie ist viel mehr Handwerk, als die Menschen denken. Denn es ist anders als z.B. bei der Malerei, wo man eine sehr genaue Beobachtungsgabe braucht. Ein Motiv zu sehen und es dann zu malen, dieser Übertrag ist sehr komplex. Für das Schreiben brauche ich vor allem das richtige Schreibgerät und eine routinierte Technik, die sich über Jahre ausbauen muss.

Wenn ich mit meiner Hand zwanzigmal einen Kreis male, ist das wie eine Sportübung. Die Muskeln merken sich die Bewegung und können sie dann wieder erzeugen. Wenn man die Buchstaben dann tausendmal abpaust, ist die Hand in der Bewegung drin und schreibt fast wie von selbst. Beim normalen Schreiben ist das ja auch so, man denkt nicht mehr darüber nach, wie man schreibt. Also Schönschreiben ist eigentlich wie ein Training und für jeden geeignet, der die Ausdauer dafür mitbringt.

Beruf mit persönlicher Note

ERF: Die Handschrift ist ja ein ganz individuelles Merkmal von Menschen. Wie kommt neben diesem technischen Aspekt deine Persönlichkeit in der Kalligrafie zum Ausdruck?

Jeannette Mokosch: Mir ist sehr schnell bewusst geworden, dass ich mich mit der Kalligraphie nicht in eine enge Schublade pressen möchte. Ich habe zwar Elemente aus der klassischen Englischen Schreibschrift übernommen, bin aber ziemlich schnell ins moderne Schreiben übergegangen. Das heißt, meine Schwünge sind freier und es ist lockerer gesetzt.

Ich kann viel von mir in meinen Schreibstil übertragen, zum Beispiel durch die Farbe der Tusche oder die Auswahl der Papiere. Ich arbeite auch viel mit Gestaltungselementen wie echten Blumen oder meinem alten Küchentisch als Bilduntergrund. Die Leute sagen oft, dass sie dadurch meine Schriftstücke sofort erkennen.

Ein weiterer Aspekt meiner Markenidentität ist die Auswahl der Texte. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Texte ermutigend sind, den Leser in eine gute Stimmung versetzen oder zum Träumen anregen. Da fahre ich seit Jahren eine klare Linie und breche nicht nach links oder rechts aus.
 

ERF: Gleichzeitig setzt du aber Aufträge für Kunden um, die bestimmte Vorstellungen haben. Erlebst du in dieser Hinsicht eine Spannung?

Jeannette Mokosch: Ich habe das Glück, dass ich Kunden habe, die zu mir passen. Ich musste selten einen Auftrag ablehnen, weil ich gemerkt habe, das passt nicht. Die Kunden, die meine Webseite besuchen, wissen, auf was sie sich einlassen und welche Qualität sie erwarten können.

Aber selbst bei den schönsten Projekten und den besten Kunden merke ich manchmal eine gewisse Diskrepanz. Zum Beispiel, wenn ich mal einen schlechten Tag habe, zu Hause alles drunter und drüber geht oder meine Hand nicht so kann, wie ich mir das vorgestellt habe. Dadurch kann auch das schönste Projekt mal mühevoll werden.

Aber ich erwarte gar nicht, dass mich meine Projekte zu hundert Prozent glücklich machen, und ich suche meine Erfüllung nicht nur im Beruf. 

Die Erfüllung suche ich tatsächlich bei Gott und meine Freude finde ich auch losgelöst von dem, was ich beruflich mache.


ERF: In deinen Kalligrafien schreibst du oft Bibeltexte. Inwiefern verbindest du deine Arbeit mit deinem Glauben?

Jeannette Mokosch: Ich habe früh gemerkt, dass ich meine Arbeit von meiner Gottesbeziehung gar nicht trennen kann und auch nicht will. Ich bin jeden Tag im Gespräch mit Gott und höre, was dran ist. Das ist das Allerwichtigste. Das befähigt mich gute Entscheidungen für meine Arbeit zu treffen.

Ich werde oft gefragt, ob ich keine Angst hätte, vor Kunden offen über meinen Glauben zu sprechen, ob diese dann nicht komisch schauen oder deswegen sogar einen Auftrag zurückziehen würden. Aber ich bin von Anfang an den Weg mit Gott gemeinsam gegangen und ich habe das Gefühl, sobald ich Gott aus meiner Arbeit raushalten würde, wäre auch seine Gunst und seine Führung weg.

Deswegen ist es für mich selbstverständlich, dass ich nur mit Gott gemeinsam weitergehe, und die Kunden, die damit nicht einverstanden sind, dürfen sich frei entscheiden.
 

Mit Feder und Tusche ermutigen

ERF: Was sollen deine Arbeiten bei den Menschen auslösen? Was wünschst du dir?

Jeannette Mokosch: Als erstes wünsche ich mir, Menschen mit einer guten Botschaft im Herzen zu berühren. Denn da draußen vor unserer Haustür, in der Welt und den Medien ist so ein unglaublicher Lärm, so viele Schwierigkeiten oder Dinge, die nicht gut sind und uns nicht zum Blühen bringen. Wenn ich es mit meinen Produkten schaffe, dass jemand kurz innehält, weil er über etwas Schönes, Tiefes oder Wahres stolpert, das ihn berührt, ist das ganz wunderbar.

Bei all dem habe ich eine größere Vision oder besser gesagt: eine größere Mission. 

Es geht mir nicht nur darum, ermutigende Worte weiterzugeben, sondern ich möchte einen Schritt weitergehen und Menschen zurüsten. 


Dass sie selbst mutig in der Welt stehen, Dinge sagen, die sie auf dem Herzen haben, positive Veränderungen bewirken und wiederum andere Menschen erreichen und dass sie für diesen Weg Werkzeuge an die Hand bekommen.
 

ERF: Was ist das schönste Kompliment, was man dir für deine Arbeiten geben kann?

Jeannette Mokosch: Wenn Menschen durch Krisen gehen, zum Beispiel lange im Krankenhaus sind, und dann sagen: „Ich habe dein Kärtchen gesehen und das hat mir Mut gemacht durchzuhalten“, das berührt mich am meisten. Wenn es nicht nur darum geht, dass meine Kalligrafiearbeit schön ist, sondern, wenn ich Menschen dadurch zu guten Entscheidungen bewege oder in gute Veränderungen hineinführe, das ist für mich das Schönste.

Beispielsweise hat mir eine Leserin geschrieben, dass sie das umgesetzt hat, was ich in meinem Buch „Dein blühendes Zuhause“ geschrieben habe und dass sich dadurch ihre Ehe und ihr Zuhause positiv verändert haben. Das ist natürlich ein Gänsehautmoment und ich weiß: Dafür hat sich meine Arbeit gelohnt, dafür möchte ich leben!
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
 

 Sarah-Melissa Loewen

Sarah-Melissa Loewen

  |  Redakteurin

Sie hat Literatur- und Kulturwissenschaften studiert und war schon immer von guten Geschichten in Buch und Film begeistert. Doch sie findet, die besten Geschichten schreibt Gott im Leben von Menschen. Als Redakteurin erzählt sie diese inspirierenden Lebens- und Glaubensgeschichten. Sie lebt mit ihrem Mann in der schönsten Stadt am Rhein.

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Kommentare (1)

Eva K. /

Ich hätte gerne mehr Infos dazu und ein paar Arbeiten gesehen und lieben herzlichen Dank in voraus..

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