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03.11.2020 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Karin Goll

Unterwegs mit den Lieblingsmenschen

Karin Goll über das Leben als Familie zwischen Idylle und totalem Chaos.

 

 

 

Es war ein Nachmittag in diesen etwas merkwürdigen Corona-Sommerferien. Das Wetter war herbstlich angehaucht und es machte sich im Hause Goll eine lustlose Langeweile breit. Da kam die rettende Idee: Wir hatten vor ein paar Jahren ein Monsterbild unserer Familie angefertigt, damals, als wir noch zu viert waren. Jeder durfte sich damals als Monster malen, es hatte Spaß gemacht. Das Bild brauchte ein Update.

Also haben wir die Wasserfarben ausgepackt und angefangen zu malen. Mit dem Strohhalm pusteten wir Wasserfarben-Kleckse übers Papier und gestalteten aus dem Gebilde die persönlichen Monster. Mir fiel schnell auf: Die Monster und wie wir sie malten, spiegelten unsere Persönlichkeiten wider. Einer arbeitet super vorsichtig, überlegt sich jeden Pinselstrich und jede Farbe ganz genau.

Beim anderen muss es schnell gehen: Zack, Farbe aufs Blatt, draufgepustet, Augen dazu – fertig. Eine ist nie zufrieden mit dem Ergebnis, möchte immer wieder ein neues Blatt und bekommt es doch nicht so hin, wie sie es sich vorgestellt hat. Am Ende waren da fünf kleine Monster, alle ganz unterschiedlich. Und doch gehören sie zusammen. So wie in unserer echten Familie. Auch hier ist jeder anders, jeder hat seine Begabungen, seine Vorlieben und seine Grenzen. Und doch bilden wir eine Einheit.

Statistik versus Realität

Das statistische Bild von Familie in Deutschland sieht in der Mehrheit so aus: Vater, Mutter und 1,6 Kinder. In der Werbung besteht die optimale Familie aus Vater, Mutter, Tochter und Sohn. Alle hübsch gekämmt, mit sauberen Klamotten und selbstverständlich guter Laune. Doch Familie ist so viel mehr als das. Manchmal gehören nicht nur ein oder zwei Kinder dazu, sondern deutlich mehr. Manchmal ist ein Elternteil alleinerziehend.

Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien oder Adoptivfamilien. Jede ist auf ihre Art einzigartig, jede bringt ihre eigenen Freuden und Schwierigkeiten mit sich.

Aber nicht jede Familie lässt sich in eine Schublade stecken. So kam zum Beispiel meine Tochter neulich aus der Schule und fragte mich, zu welcher Familienart wir denn gehören. Im Unterricht gab es verschiedene Familienformen zur Auswahl.

Nur: Sie wusste nicht, ob wir jetzt eine klassische Kleinfamilie oder doch eine Pflegefamilie sind. Sie selbst ist unser leibliches Kind, hat aber eine Pflegeschwester. Also sind wir eine Mischform. Mir ist das Label dabei nicht wichtig. Wir sind eine Familie und das bedeutet für mich: Wir gehören zusammen und wir sind füreinander da.

Das Deutsche Grundgesetz sieht in der Familie das ideale Umfeld, in dem Kinder groß werden können. Ohne sie hat ein Staat auf Dauer schlechte Karten. Deshalb sind Ehe und Familie besonders schützenswert. Auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist festgelegt:

Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.

Familie damals und in der Bibel

Früher war das gängige Modell die Großfamilie. Oft hat mehr als eine Generation unter einem Dach gewohnt, dazu noch Mägde oder Arbeiter. Viele dieser Großfamilien waren auch eine wirtschaftliche Einheit. Sie haben gemeinsam Landwirtschaft oder einen Handwerksbetrieb geführt. War der Vater Bauer, wurde auch der Sohn Bauer. War der Vater Schmied oder Bäcker, war die Laufbahn mindestens eines seiner Kinder ebenfalls schon vorgegeben.

Neben vielen positiven Effekten wie gegenseitiger Unterstützung – gerade auch in der Kindererziehung oder bei der Pflege im Alter – sorgte dieses Modell nicht selten auch für Spannungen im Familiengefüge.

Diese Großfamilie ist oft auch das Bild, das die Bibel aufzeigt, wenn es um Familie geht. Jakob und seine zwölf Söhne von vier Frauen zum Beispiel. Die Bibel berichtet von vielen unterschiedlichen Familienverhältnissen und deren schwieriger Gemengelage. Polygamie und die daraus resultierende Eifersucht (1. Mose 30), ein Mann, der sich aus Versehen an seine Stieftochter ranmacht (1. Mose 38), Geschwisterrivalitäten und vieles mehr. Gott und der Bibel sind keine Abgründe unbekannt.

Allerdings ist Gottes Idee von Familie auch heute noch gut. Kurz gefasst bedeutet sie: Wenn zwei Menschen sich aufeinander verlassen können, entsteht eine Vertrauensbasis, auf der gesundes, freiheitliches Leben möglich ist. Wenn ich so sein kann, wie ich bin, gibt mir das die Grundlage, mich zu entwickeln und zu verändern. Als Partner und als Kind.

Eltern ehren – und den eigenen Weg finden

Wie kann ich nun mit dieser guten Idee von Familie umgehen? In der Bibel finden wir einige hilfreiche Hinweise. Allein drei der zehn Gebote beschäftigen sich mit dem Umgang in der Familie: Vater und Mutter ehren, nicht ehebrechen und nicht die Frau eines anderen Mannes begehren. (2. Mose 20). Dass uns das Leben in diesem engen Beziehungsgeflecht manchmal auch nicht leicht fallen würde, zeigen nicht nur die zehn Gebote. Schon früher, kurz nach dem Bericht über die Schöpfung, gibt Gott uns einen guten Tipp, wie Familie gelingen kann: „Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele.“ (1. Mose 2,24)

Wir sollen unsere Eltern ehren. Gleichzeitig ist es wichtig, eine eigene Familie zu gründen. Eigene Traditionen etablieren, einen eigenen Weg finden, wie „bei uns“ Sonntage, Weihnachten oder Geburtstage ablaufen. Da gibt es oft kein richtig oder falsch, eine junge Familie braucht sich nicht von der vorigen Generation reinreden zu lassen. Die Jungen dürfen ihren eigenen Weg finden. Die Weiterentwicklung der Erziehungsmethoden ist vielleicht für Oma und Opa nicht nachvollziehbar, aber mittlerweile ist zum Beispiel das Schlagen von Kindern gesetzlich verboten – und das ist gut so!

Gleichzeitig sind auch unsere Eltern Kinder ihrer Zeit. Was damals üblich war, ist heute vielleicht nicht mehr gängige Praxis. Und dennoch haben sie nach bestem Wissen und Gewissen ihre Kinder erzogen. Genau hier kommt für mich dieses Gebot ins Spiel: Ehre deinen Vater und deine Mutter. Es ist leicht, zu kritisieren und die Schuld für meine Macken in der falschen Erziehung zu suchen.

Aber auch meine Mama ist nachts aufgestanden, wenn es mir nicht gut ging. Auch sie hat sich Gedanken gemacht, wenn ich als Teenager zu spät nach Hause gekommen bin. Ja, unsere Eltern haben Dinge anders gemacht als wir es tun. Und unsere Kinder werden unsere Enkel einmal anders erziehen, als wir sie erzogen haben. Und das ist okay.

Abstand ist manchmal gut

Loslassen ist wichtig. Die Eltern zu ehren auch. Und in einer idealen Welt klappt beides richtig gut. Leider sieht es im Alltag oft anders aus. Es gibt junge Eltern, die sich von ihren Eltern missverstanden fühlen oder kontrolliert. Und es gibt Großeltern, die sich nach ihren Enkeln sehnen, sie öfter sehen wollen und – vielleicht aus Angst – manches gerne anders hätten.

Manchmal hilft schon ein offenes Gespräch. Es gibt jedoch auch Familien, die zerstritten sind, wo die gegenseitige Wertschätzung fehlt. Dann kann Abstand, vielleicht sogar ein (zeitweiser) Kontaktabbruch nötig sein. Das muss aber nicht für immer so sein. Christen dürfen gerade dann auf die Kraft der Vergebung hoffen. Jesus ist für ausweglose Situationen auf diese Welt gekommen, um einen Ausweg zu schaffen. Das gilt auch für verfahrene Familiensituationen.

Das Ökosystem Familie

Für das zwischenmenschliche Miteinander ist die Familie ein wunderbares Übungsfeld. In diesem Sinn kann man Familie auch als „kleinste Gemeinde“ bezeichnen. Ein Ökosystem von Menschen, die miteinander unterwegs sind. Dabei machen sie Fehler, brechen Rekorde, erreichen Gipfel und durchqueren Täler. Wenn wir es innerhalb unserer Familie schaffen, „christlich“ – man könnte auch sagen: liebevoll – miteinander umzugehen, dann ist das ein gutes Vorbild und ein Übungsfeld für die christliche Gemeinde. Denn auch dort sind wir miteinander unterwegs. Auch dort kommen verschiedene Menschen zusammen und gehen gemeinsam ihren Weg mit Gott.

In dieser Unterschiedlichkeit ist es wichtig, in Gemeinde und Familie nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern andere und ihr Lebensmodell wertzuschätzen und zu akzeptieren. Wenn wir uns in dieser Haltung begegnen, können wir auf Augenhöhe füreinander da sein und uns auf dem Weg unterstützen.

Mein persönliches Übungsfeld

Wenn ich an die fünf Menschen in meiner kleinen Familie denke, dann wird mir klar: Familie ist für mich der Ort der ganz großen Gefühle. Niemand bringt mich so schnell auf 180 wie sie, aber mit niemand anderem möchte ich eine Quarantäne-Zeit erleben und mein Leben teilen. Mit allem, was dazugehört: lachen, streiten, die Chips so schnell essen, dass ich auch ein paar abbekomme, ein Monsterbild malen und mehr.

Gott hat uns dazu geschaffen, mit Menschen zusammenzuleben. Schon ganz am Anfang der Bibel heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. Natürlich tut es gut, auch mal ganz alleine zu sein. Ich genieße zum Beispiel die Spaziergänge mit dem Hund oder auch mal ein Wochenende ganz für mich, weit weg von Mann und Kindern. Mit diesem Abstand merke ich, was ich an meiner Familie habe. Und manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich diese schönen Momente dann doch gerne mit den Menschen teilen würde, die mir am nächsten sind.

Kein Zuckerschlecken, aber ein Segen

Nein, gemeinsam das Leben zu teilen ist nicht einfach. Und doch lohnt es sich, sogar die Macken zu schätzen, die uns ausmachen. Im Radio habe ich dazu einmal den Anruf einer Frau mitbekommen, die vor kurzem ihren Mann verloren hatte. Sie erzählte, dass sie am meisten seine Macken vermisste.

Das, worüber sie sich immer so geärgert hatte: Die herumliegenden Socken oder das Schnarchen in der Nacht. Das hat mich ins Nachdenken gebracht. Ich möchte meine Familie wertschätzen, sie nicht als Selbstverständlichkeit sehen. Ich will sie annehmen, jeden einzelnen mit seinen Begabungen und schönen Momenten. Und mit den manchmal so nervigen Macken. Denn bei allem Ärger und Stress ist meine Familie ein großes Geschenk und ein Segen Gottes.


Karin Goll ist Moderatorin und Redakteurin im ERF Pop. Zu Hause lebt sie mit ihren Lieblingsmenschen (Mann und drei Mädels) zwischen Familienidylle und totalem Chaos.


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Kommentare (1)

Gertrud-Linde W. /

danke für Ihre ermutigende Offenheit

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