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© Jelleke Vanooteghem / unsplash.com

29.04.2020 / Erlebnisbericht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Katrin Faludi

In den Sand gesetzt

5 Wochen Shutdown mit Kindern. Ein mieser Tag. Und ein wunderbarer Haufen Dreck.

Was für ein mieser Nachmittag. Es ist die sechste Woche im Homeoffice mit zwei kleinen Kindern. Heute hängen wir alle besonders durch. Nach der Arbeit habe ich lustlos für die Kinder gekocht. Die Stimmung bei Tisch ist wie die Hühnerbrühe auf den Tellern: trüb. Der Sechsjährige mosert herum, weil er in der Buchstabensuppe keine Kleinbuchstaben findet, und sortiert sämtliche Achten heraus, bis 88.888.888 Zahlennudeln fettig auf dem Tischset glänzen.

Die Sonne lacht durchs Fenster. Ich blinzle träge zurück. Wird Zeit, dass wir rausgehen. Uns gegen den Budenkoller anbewegen. Für heute habe ich mir extra ein kleines Spiel für unseren Spaziergang überlegt. Damit wir bei schönem Wetter nicht nur in unserem Hof herumlungern und die Nachbarn mit Bobbycars und Überschwemmungen aus dem Gartenschlauch nerven. Doch als ich den Kindern das Spiel vorschlage, kommt nur ein lustloses: „Nööö!“

Wenn der Geduldsfaden reißt...

Das ist nichts Neues. Das ist fast immer so, wenn ich etwas vorschlage. Einerseits langweilen sich die Kinder, andererseits aber sind sie auch schwer für Aktivitäten zu gewinnen. Auf Dauer ist das echt frustrierend. Fünf Wochen lang habe ich meinen Geduldsfaden mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen festgehalten, wenn es wieder hieß: „Nööö!“. „Reg‘ dich nicht auf, das alles geht vorbei, das schaffen wir schon“, habe ich mir (immer wieder) gesagt.

Die ersten Wochen haben die beiden wirklich super mitgemacht. Wenn ich vormittags arbeiten musste, haben sie oft über weite Strecken friedlich und fröhlich miteinander gespielt. Sie haben den Kindergarten nicht vermisst und sich über die viele freie Zeit gefreut. Ich konnte ziemlich entspannt arbeiten und war froh, noch kein Schulkind „homebeschoolen“ zu müssen. Doch mittlerweile nutzt sich alles ab. Die Kinder wissen nichts mehr mit sich anzufangen, sind traurig, weil sie nicht mit anderen Kindern spielen dürfen, und reagieren oft träge auf die Versuche von uns Eltern, Abwechslung in den eingeschränkten Alltag zu bringen. „Nööö!“

Und dann passiert es. Mein Geduldsfaden reißt. Die Wut kocht über, ich blaffe die Kinder an, sage Dinge, für die ich mich sofort schäme, und schließe damit, dass ich mir gar nichts mehr für sie ausdenken würde und sie meinetwegen mit ihrer Langeweile versauern sollen. Dramatisch knalle ich die Schlafzimmertür hinter mir zu und schmolle. Natürlich weiß ich ganz genau, dass das falsch ist. Dass ich die Kontrolle verloren habe. Aber der Groll frisst sich immer tiefer in mich hinein. Ich will gerade wütend sein. Ich will gemeine Sachen sagen. Besser, ich ziehe mich zurück!

Ich fühle mich erschöpft. Erdrückt von meinen eigenen Ansprüchen und den Schuldgefühlen gegenüber meinen Kindern. Die können nichts dafür, dass ich mich mal wieder nicht im Griff habe. Beten wäre jetzt vermutlich genau das Richtige. Gründlich auftanken bei Gott. Aber dafür langt’s bei mir gerade nicht. Alles, was ich zustande bringe ist: „Gott, ich kann nicht. Mir reicht’s. Hilf mir.“ Aber auch danach fühle ich mich nicht besser.

Beten wäre jetzt vermutlich genau das Richtige. Gründlich auftanken bei Gott. Aber dafür langt’s bei mir gerade nicht.

Ein Dreckloch wird ein Ort für neue Abenteuer

Nach einer Dreiviertelstunde komme ich – noch immer geladen – aus dem Schlafzimmer und befehle den Kindern knapp, ihre Schuhe anzuziehen. Wir gehen spazieren. „Darf ich meine Schaufel mitnehmen?“, fragt die Dreijährige. Ich wundere mich. Sonst schleppt sie nie irgendwelches Sandspielzeug auf unsere Spaziergänge mit. „Von mir aus“, brumme ich.

Sehr einsilbig (ich) beziehungsweise kleinlaut (die Kinder) machen wir uns auf den Weg. Ziellos trotten wir durch unsere Siedlung, vorbei am gesperrten Spielplatz, wo ein paar Jugendliche abhängen. Wir schlagen einen schmalen Weg zwischen Bahnlinie und Schrebergärten ein. Außer einem Abhang mit struppigem Gebüsch und dem Gleisbett gibt es nichts zu sehen. Eine S-Bahn rauscht vorbei. Plötzlich ruft mein Sohn: „Guck mal da, ein Sandkasten!“ Er zeigt auf eine Sandkuhle am Wegrand, die eine Art Wendehammer vor der Einfahrt zu einem Schrebergarten bildet. Plumps, sitzen die beiden mitten drin, Staub wirbelt auf. Zögernd setze ich mich in den groben, sonnenwarmen Sand.

Katrin Faludi mit Kindern beim Spielen im Freien (Foto: privat)
Katrin Faludi mit Kindern beim Spielen im Freien (Foto: privat)

Die Kleine buddelt mit ihrer Schaufel drauflos. Der Große sortiert Stöckchen. Ich schichte gelangweilt flache Steine zu kleinen Türmen auf. „Jetzt baue ich einen Vulkan!“, verkündet mein Sohn und formt einen Sandkegel. „Und die Türme, die du da baust, sind in Wahrheit alte Dschungel-Ruinen!“ Und schon sind wir mitten im Spiel. Gemeinsam bauen, graben, schichten und zupfen wir, während Spaziergänger und Radfahrer an uns vorbeiziehen und uns mitleidige Blicke zuwerfen. Doch wer genau hinsieht, kann beobachten, wie mitten im Dreck allmählich eine verwunschene Dschungelstadt entsteht: mit Steintürmen, Ruinen (von der Kleinen beharrlich als „Urinen“ bezeichnet), einem mächtigen Vulkankegel, glänzenden Bodenschätzen und Palmen aus Löwenzahnblättern. Die Bauwerke wachsen, das Grün wuchert, wir erzählen uns Geschichten aus der geheimen Dschungelwelt.

Wer genau hinsieht, kann beobachten, wie mitten im Dreck allmählich eine verwunschene Dschungelstadt entsteht: mit Steintürmen, Ruinen, einem mächtigen Vulkankegel, glänzenden Bodenschätzen und Palmen aus Löwenzahnblättern.

Da rollt ein zerbeulter Mercedes mit Anhänger aus dem Schrebergarten gegenüber. Ich dirigiere die Kinder aus dem Weg, damit der Wagen auf die Straße einschlagen kann. Der Fahrer bemüht sich, an der Sandkuhle vorbei zu lenken, um unsere Bauwerke nicht zu zerstören. Neben mir hält er an und kurbelt die Scheibe herunter. Ich bedanke mich für seine Umsicht und sage: „Was haben wir da nicht für einen tollen Sandkasten gefunden!“

Lächelnd erwidert der ältere Mann am Steuer: „Ja, aber wie traurig, dass die Kinder nicht auf den Spielplatz dürfen!“ Die beiden aber wirken im Moment alles andere als traurig. Eifrig staffieren sie ihre Türme und „Urinen“ aus und sind sich einig, dass dies der beste Sandkasten sei, in dem sie je gespielt hätten. Ein unbeachtetes Dreckloch am Straßenrand wird für sie zu einem Ort voller Abenteuer und Schätze.

Gott hat den Tag gerettet!

Am frühen Abend machen wir uns auf den Heimweg. Sonne auf den Wangen, Staub im Haar. Entspannt halte ich die Kinder an der Hand. Sie hüpfen neben mir auf und ab und plappern fröhlich vor sich hin. Wir reden über den verkorksten Anfang des Nachmittags und ich entschuldige mich für die gemeinen Dinge, die ich gesagt hatte. „Ach, weißt du, Mama“, sagt mein Sohn. „Manchmal bin ich wie du. Dann habe ich auch schlechte Laune und sage blöde Sachen.“ Mir zieht es das Herz zusammen, so abgeklärt und erwachsen klingt er plötzlich. „Und außerdem ist an allem das Virus schuld“, ergänzt seine Schwester ernsthaft. Ich staune über den Reim, den sich die Kinder schon selbst machen, bin ein bisschen traurig, stolz und glücklich zugleich.

Ich erzähle den Kindern, wie ich Gott gebeten habe, uns zu helfen, als ich so wütend war. Und dass es vielleicht kein Zufall war, dass wir ausgerechnet bei diesem ziellosen Spaziergang die Sandkuhle entdeckt haben. Vielleicht hat Gott unsere Schritte gerade auf diesen Weg gelenkt. Vielleicht hat er den Blick meines Sohnes auf diese staubige Stelle am Boden gerichtet, als wir daran vorbeikamen. Vielleicht hat er der Kleinen die Idee mit der Schaufel in den Kopf gepflanzt, bevor wir losgegangen waren.

Vielleicht hat Gott unsere Schritte gerade auf diesen Weg gelenkt. Vielleicht hat er den Blick meines Sohnes auf diese staubige Stelle am Boden gerichtet, als wir daran vorbeikamen. Vielleicht hat er der Kleinen die Idee mit der Schaufel in den Kopf gepflanzt, bevor wir losgegangen waren.

Wie auch immer. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass Gott uns den Tag gerettet hat. Ehrlich gesagt habe ich nach meinem „dahingerotzten“ Gebet nicht mit seinem Eingreifen gerechnet. Nach diesem erbärmlichen Gejammer. Aber während ich gerade im Begriff war, den Tag komplett in den Sand zu setzen, hat Gott einfach mal einen oben draufgesetzt – beziehungsweise uns alle zusammen mitten in einen Haufen Dreck. Und was für einen Dreck! Da soll mal einer sagen, Gott hätte keinen Humor.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (2)

Manuela B. /

Vielen Dank, Frau Faludi, dass Sie uns auf so ehrliche Weise in Ihren Alltag und Ihre Gefühlswelt blicken lassen. Ein Tag wie jeder andere, könnte man denken, doch mittendrin leuchtet etwas von mehr

Norbert D. /

In den Sand gesetzt von Katrin Faludi ist so total typisch für Gottes handeln im Alltag! Ganz große Klasse und vielen Dank Frau Faludi für diese authentischen Zeilen! Sowas liebe ich. Gott ist gut. - Allezeit!

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