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© Marcos Paulo Prado / unsplash.com

24.09.2020 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Micaela Kassen

„Nein, ich will das allein machen!“

7 Tipps, wie man als Eltern bei einem Trotzanfall reagieren kann.

„Nein, ich will die Jacke nicht anziehen!“, „Nein, ich will aus dem lila Becher trinken!“, „Nein, nein, nein, ich will das allein machen!“ – wegen einer Kleinigkeit quengelt und schreit das Kind. Es fängt an zu stampfen und schmeißt sich auf den Boden. Für Eltern können solche Reaktionen unglaublich anstrengend sein, doch solche Szenen sind normal, wenn man ein Kind in der berühmt-berüchtigten Trotzphase hat.

Was ist die Trotzphase?

Die Trotzphase bei einem Kind beginnt Ende des 2. Lebensjahres. Bei den meisten Kindern geht sie mit dem 4. Lebensjahr wieder zurück, aber sie kann auch länger andauern. Aus der Entwicklungspsychologie weiß man, dass die emotionale Entwicklung von Kindern größtenteils in den ersten sechs Jahren stattfindet.

Kinder wollen sich in der Trotzphase ablösen und selbstständig werden und lernen in dieser Zeit, den eigenen Willen durchzusetzen, aber auch ihre Gefühle zu kontrollieren und zu regulieren. Diese Phase ist also für die emotionale Gesundheit des Kindes sehr wichtig! Wutanfälle und Tränenausbrüche sind daher normale Reaktionen, die Eltern allerdings den letzten Nerv rauben können.
 

Hier kommen 7 Tipps, wie man als Eltern bei einem Trotzanfall reagieren kann.

1) Eigene Emotionen regulieren

Wenn Kinder Wutanfälle haben, ist bei Eltern Selbstkontrolle angesagt. Ich kann meine negativen Gefühle regulieren, indem ich mich daran erinnere: „Mein Kind meint es nicht böse. Es ist wahrscheinlich selbst gerade überfordert und es geht ihm auch nicht gut dabei.“ Auch wenn es sich anders anfühlt: Trotzreaktionen drücken aus, dass mein Kind sich bei mir wohl fühlt und sich deswegen traut, Emotionen zu zeigen und Grenzen auszutesten.

Meine positiven Gefühle kann ich steigern, wenn ich daran denke, dass ich froh sein kann, dass mein Kind sich nur mit solch kleinen Problemen herumschlagen muss. Nicht zuletzt hilft auch eine Prise Humor, wenn der Filius oder die Prinzessin einen halben Weltuntergang inszenieren, weil die Farbe der Socken gerade nicht in ihr Klamottenkonzept passt.

2) Keine (verbale) Gewalt!

Eltern fühlen sich bei Trotzanfällen oft hilflos und überfordert und können deswegen auch sehr laut werden. Verbale Aggression wie Schreien ist jedoch kein hilfreiches Erziehungsmittel. Schließlich vermittle ich damit meinem Kind, dass verbale Gewalt eine normale Reaktion auf Konflikte ist – obwohl ich gerade das unterbinden möchte!

Wenn Kinder ihre Gefühle nicht im Griff haben, ist es vielmehr wichtig, dass Eltern ihnen ein Vorbild darin sind. Wenn ich stattdessen mein Kind anbrülle, kann es dazu führen, dass es vielleicht aus Angst ruhig wird, aber es lernt nicht, seine Gefühle selbst zu regulieren.

Mit Emotionsregulation ist die Fähigkeit gemeint, die eigenen Emotionen zu verstehen und ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Um es an einem Beispiel konkret zu machen: Ein Kind muss lernen, mit der Enttäuschung zurecht zu kommen, dass es den Schokoriegel an der Supermarktkasse nicht einfach haben kann. Es spürt in dem Moment Wut und Traurigkeit, allerdings fehlen dem Kind noch die Werkzeuge, den negativen Gefühlen etwas entgegenzusetzen, wie z.B. das Wissen, dass Zuhause andere leckere Dinge warten. Diese Werkzeuge gilt es, in der Trotzphase zu lernen.

Bewahre ich als Elternteil in der Situation die Ruhe, vermittle ich damit: „Es fühlt sich zwar für dich gerade alles sehr schlimm an, aber du bist sicher.“  Wenn ich allerdings bei dem Gefühlsausbruch meines Kindes mitmache und anfange zu schreien, zeige ich damit: „Deinen Willen nicht sofort zu bekommen ist wirklich ein Grund, sich total aufzuregen!“

Wenn Kinder ihre Gefühle nicht im Griff haben, ist es vielmehr wichtig, dass Eltern ihnen ein Vorbild darin sind.

3) Keine Drohungen aussprechen

„Reiß dich zusammen, sonst…“, „Du kriegst Süßigkeitenverbot!“ oder „Heute bleibst du in deinem Zimmer, wenn du nicht aufhörst!“ – wie schnell bringt man solche Sätze über die Lippen? Drohungen sind keine gute Reaktion auf ein Kind, das gerade einen Trotzanfall hat.

Sie bringen nichts, sondern sorgen nur dafür, dass es dem Kind noch schlechter geht und es sich weiter aufregt. Drohungen führen dazu, dass die Situation weiter eskaliert, vor allem wenn sie aus heiterem Himmel kommen und möglicherweise völlig überzogen sind („Ich geh‘ nie wieder mit dir einkaufen!“).

Also sollte ich diese lassen. Es reicht, wenn ich ein klares „Nein“ ausspreche und eine kurze Begründung hinzufüge, warum das Kind nicht in diesem Moment seinen Willen bekommt – und dann heißt es: durchhalten und konsequent bleiben.

Dabei sollte ich nicht vergessen: Bei der Trotzphase geht es nicht um einen Machtkampf zwischen mir und meinem Kind. Als Erwachsener sitze ich immer am längeren Hebel, auch wenn es sich nicht so anfühlt, wenn die Dreijährige mitten auf der Familienfeier einen Aufstand inszeniert und alle Verwandten amüsiert bis mitleidig zuschauen.

4) Liebevoll Grenzen setzen

Das ist leichter gesagt als getan: Aufgebrachte Kinder zu beruhigen, ist herausfordernd und klappt oft auch gar nicht. Kein Wunder, schließlich ist Emotionsregulation einer der schwierigsten Lernaufgaben, die Kinder zu bewältigen haben.

Wenn mein Kind sich in eine Trotzreaktion hineingesteigert hat, kann ich erst einmal versuchen, geduldig mit meinem Kind zu sprechen. Manchmal jedoch bringen freundliche Worte, die ohnehin in der Situation oft sehr schwer zu finden sind, auch nichts. Gelegentlich kann es helfen, wenn ich anfange, dem Kind zuzuflüstern. Kinder werden manchmal ruhiger, wenn sie sich anstrengen müssen, zuzuhören.

Wenn es nicht klappt, dann sollte ich mein Kind nicht dazu zwingen, in dem Moment mit mir zu sprechen oder die Situation rational zu erfassen. Schließlich ist es seinen Emotionen in dem Moment ein Stück weit hilflos ausgeliefert, so dass rationale Impulse kaum verarbeitet werden können.

Manchmal braucht mein Kind (und ich auch) etwas Zeit zur Beruhigung, damit die Gefühle erst einmal abkühlen können. Vielleicht braucht es 10 Minuten allein in seinem Zimmer. Im Nachhinein kann ich versuchen, über die Situation zu reden.

Liebevoll zu reagieren meint übrigens nicht, dass ich meinem Kind keine Grenzen setzen soll oder dem Willen des Kindes nachgebe. Vor allem bei aggressivem Verhalten wie schlagen, schubsen oder nach Dingen grabschen, müssen die Grenzen klar sein. Schließlich ist das auch ein Teil des Lernprozesses: „Wenn mich mein kleiner Bruder nervt, darf ich frustriert sein – ich darf ihn allerdings nicht treten.“  Dass mein Kind Grenzen kennenlernt, sorgt für dessen gute Entwicklung.

Liebevoll zu reagieren meint übrigens nicht, dass ich meinem Kind keine Grenzen setzen soll oder dem Willen des Kindes nachgebe.

5) Dem Wunsch nach Eigenständigkeit begegnen

Allerdings muss nicht in jedem Fall die Antwort auf trotziges Verhalten „Nein“ lauten. In der Trotzphase zeigt ein Kind schließlich auch, dass es eigenständig handeln will. Ein Wutanfall kann mich daher auch mal zum Nachdenken bringen. Will mein Kind „etwas allein machen“, zum Beispiel sich selbst anziehen, kann es gerade richtig sein, dass ich ihm etwas zutraue und es machen lasse.

Will ich, dass mein Kind morgens einfach schnell fertig ist und helfe ihm grundsätzlich beim Anziehen, werde ich dessen Bedürfnis nach Autonomie nicht gerecht. In solchen Situationen ist es besser, ich plane mehr Zeit ein, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich selbst fertig zu machen.

Ich kann mir also merken: Wenn mein Kind trotzt, weil es etwas allein machen oder schaffen will, ist dies seinem gesunden Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Lernbereitschaft geschuldet. Ich kann also versuchen im Alltag mehr Möglichkeiten zu entdecken, in denen mein Kind Selbstwirksamkeitserfahrungen machen kann und das Gefühl bekommt, Einfluss zu haben. Ich darf auch mal nachgeben und meinem Kind erlauben, etwas Neues und Aufregendes auszuprobieren.

6) Das Kind ablenken

Trotzausbrüche kommen oft in den ungelegensten Momenten, vor allem, wenn man als Familie sowieso schon müde und gestresst ist. Wenn man spürt, dass sich ein Ausbruch anbahnt, kann man versuchen, die Aufmerksamkeit des Kindes bewusst auf etwas anderes zu lenken. „Guck mal, da fliegt eine Amsel!“, „Wollen wir mit deinem Polizeiauto spielen?“, „Guck mal, da ist eine Spinne!“ Bei manchen Kindern funktioniert es besser, bei anderen weniger. Doch in der Regel lassen sich gerade Kleinkinder noch gut ablenken.

7) Sich einfühlen

„Ich verstehe dich“, „Du möchtest dies und jenes haben, aber…“, „Ich weiß, wie das ist, wenn man etwas haben will und nicht haben kann. Ich würde auch am liebsten den ganzen Tag Schokolade essen, aber…“ – Aufmerksamkeit, Empathie und Mitgefühl ist das, was Kinder in einer Situation brauchen, in der sie sich selbst überfordert fühlen.

Damit sich mein Kind mit seinen Emotionen ernstgenommen fühlt, kann ich vielleicht in einem Satz dessen Gefühle zum Ausdruck bringen. Ich kann dann z.B. sagen: „Du bist traurig, weil…“ Das unterstützt darüber hinaus den Lernprozess des Kindes, die eigenen Emotionen zu verstehen.

Aufmerksamkeit, Empathie und Mitgefühl ist das, was Kinder in einer Situation brauchen, in der sie sich selbst überfordert fühlen.

Fazit:

Die Trotzphase ist die Phase, in der mein Kind das Autonomiebedürfnis entwickelt. Deswegen ist es wichtig, dass ich dem Bedürfnis nach Eigenständigkeit begegne. Wenn mein Kind trotzt, sollte ich als Elternteil vor allem versuchen, meinem Kind ein Vorbild darin zu sein, Emotionen zu kontrollieren.

Wenn mein Kind quengelt und schreit, sollte ich liebevoll auf es eingehen, d.h. es nicht anschreien oder Drohungen aussprechen, sondern mitfühlend sein. Manchmal kann es helfen, die Aufmerksamkeit meines Kindes auf etwas anderes zu lenken. Kinder, die nicht mit sich reden lassen, könnten erst Zeit allein gebrauchen, bevor man mit ihnen die Situation klären kann.
 

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Theologin, studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. 

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Kommentare (1)

Sonja K. /

Ein kurzes Gebet hilft auch oft weiter! (Beruhigt die Nerven und lenkt den Blick in die richtige Richtung.)

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