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© Andrew Neel / pexels.com

23.01.2025 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Ingo Marx

Hinter den Grenzen der Abgrund

Heiko Metz erzählt von seinem Burnout, dem Weg zurück ins Leben und davon, was er heute anders macht.

Er ist Theologe, Autor, Speaker, Coach, Chefredakteur und Familienvater. Allein aus dieser Liste wird klar: Heiko Metz ist ein vielbeschäftigter Mann. Das ist für ihn eigentlich kein Problem, denn er ist ein Macher-Typ. Gibt es ein Problem, findet er eine Lösung.

Aber, ob Macher oder nicht, auch Heiko Metz hat seine Grenzen. Das wird ihm schmerzlich und erst viel zu spät bewusst, als ihn ein schwerer Burnout aus dem Leben reißt. Die einfachsten Dinge wollen ihm nicht mehr gelingen. Über ein Jahr kämpft er sich in die Normalität und das Leben zurück.

Wie es überhaupt so weit kommen konnte, wie sich sein Burnout geäußert hat und wie er es geschafft hat, wieder belastbarer zu werden, das erzählt Heiko Metz im Interview.
 

ERF: Mit welchen Symptomen bist du anfangs zum Arzt gegangen?

Heiko Metz: Ich bin ehrlich: Zum Arzt zu gehen, war nie so mein Ding. Deshalb habe ich es erstmal eine ganze Weile hinausgezögert. Mein Burnout begann so, dass ich nur noch arbeiten und schlafen konnte. Aber das allein hat mich nicht zum Arzt gebracht – das habe ich ein paar Wochen durchgezogen.

Dann kamen starke Kopfschmerzen dazu, die mit Schmerzmitteln nicht mehr in den Griff zu bekommen waren. Auch das war noch nicht genug, um mich zum Handeln zu bringen.

Aber als ich dann nicht mehr schlafen konnte – gar nicht mehr, war Schluss.

Nach zwei oder drei Tagen ohne Schlaf habe ich gemerkt: Jetzt geht’s nicht mehr, und bin zu meiner Hausärztin gegangen.
 

ERF: Das stelle ich mir krass vor. Wie hat sich das angefühlt, ins Bett zu gehen und zu merken: Einschlafen geht nicht mehr?

Heiko Metz: Das war eine Erfahrung, die mich an meine Grenzen gebracht hat. In der ersten Nacht dachte ich noch: „Na gut, das passiert halt mal.“ Aber als es nicht besser wurde und ich spürte, wie meine Reaktionsfähigkeit nachließ, wie schnell ich gereizt war und wie wenig ich noch leisten konnte – sowohl bei der Arbeit als auch zu Hause –, bekam ich Panik. Ich lag wach und wusste einfach nicht, was mit mir los ist. Das war sehr beängstigend.
 

ERF: Dann sitzt du bei deiner Hausärztin. Was hat sie gesagt?

Heiko Metz: Sie war sehr behutsam, weil sie mich gut kannte. Sie meinte, sie würde mich erstmal für zwei Wochen krankschreiben. Aber ich war zu der Zeit noch komplett im Modus „Ich muss alles schaffen“ und habe gesagt: „Ne, zwei Wochen gehen nicht. Eine Woche nehme ich, weil es gerade echt nicht anders geht, aber mehr geht nicht.“

Sie hat dann nicht weiter diskutiert und mich für eine Woche krankgeschrieben. Nach zwei oder drei Tagen zu Hause, als der Druck von, „Ich muss funktionieren“, weg war, wurde mir klar, wie tief das Loch eigentlich ist, in dem ich stecke, und wie wenig ich wirklich noch konnte.

Da habe ich sie angerufen und gesagt: „Ich hätte dann doch gerne die zweite Woche.“ Sie hat am Telefon gelacht und gesagt: „Das habe ich mir gedacht. Ich habe schon auf Ihren Anruf gewartet.“ Ab diesem Moment war ich dann über ein Jahr krankgeschrieben.

Die volle Wucht des Burnouts

ERF: Wie hat sich dein Zustand in den nächsten Wochen weiterentwickelt?

Heiko Metz: Es wurde zunächst deutlich schlimmer. In den ersten zwei bis drei Monaten war kräftemäßig nicht viel mehr drin als Bett, Sofa, Toilette, Essen – und das alles mit großem Aufwand. Duschen war ein echter Kraftakt und hat mich für den Rest des Tages komplett ausgeknockt.

Was mich besonders getroffen hat, war, dass es mit meiner Konzentration vorbei war.

Eigentlich bin ich jemand, der sich gut fokussieren kann und schnell in Themen reinkommt. Aber in dieser Zeit konnte ich nicht mal zwei Sätze in einem Roman lesen, weil ich sie einfach nicht mehr verstanden habe.

Das hat mir wirklich Angst gemacht.

Dazu kam, dass ich kaum noch in der Lage war, über meinen Zustand zu reflektieren. Es war, als wäre mein Kopf voller Watte. Ich war zwar da, aber ich hatte keine richtige Verbindung mehr zu mir selbst oder zur Welt.
 

ERF: Welche Faktoren in deinem Leben haben dazu beigetragen, dass du an diesen Punkt gekommen bist?

Heiko Metz: Da gab es viele. Der Hauptfaktor war unsere Situation zu Hause. Wir haben zwei Söhne, unser jüngerer Sohn ist behindert. Er ist jetzt sieben Jahre alt. Die Unsicherheit, wie sich alles entwickeln wird und wie unser Leben aussehen kann, hat mich überfordert.

Hinzu kam mein gewohnter Modus: Verantwortung übernehmen, eine Lösung finden, loslegen. Das hat auf diese Situation nicht gepasst, weil es kein Problem war, das man einfach lösen konnte.

Es ist eine Herausforderung, die bleibt, und die oft sogar anstrengender wird. Mein Ansatz „Ich stecke da Kraft rein und dann wird’s besser“ hat hier nicht funktioniert.

Auf dem Weg zurück ins Leben

ERF: Wie war es für dich, dir einzugestehen, dass du am Ende deiner Kraft bist?

Heiko Metz: Extrem schwer.

Mein Selbstwert war lange davon abhängig, was ich schaffe. Mir einzugestehen, dass ich gerade gar nichts mehr kann, war ein harter Prozess.

Gleichzeitig habe ich mich gefragt: Was bedeutet das jetzt? Was wäre ein gesunder Umgang mit dieser Situation? Wie kann ich auf Dauer mit unserem Leben und seinen Herausforderungen klarkommen, ohne wieder an diesen Punkt zu gelangen?

Ich habe mittlerweile einen Teil der Antwort gefunden oder geschenkt bekommen, aber ich bin noch nicht am Ziel.
 

ERF: Was hast du über dich und deine Grenzen gelernt?

Heiko Metz: Ich habe gemerkt, dass ich kaum Zugang zu meinen Gefühlen hatte – den Gefühlen, die mir eigentlich meine Grenzen aufzeigen würden. Diese Emotionen hatte ich so weit weggedrückt, dass sie gar nicht mehr sichtbar waren.

Diesen Zugang wiederzufinden und ernst zu nehmen, wenn ich merke „Hier ist eine Grenze“, war ein wichtiger Teil des Prozesses. Reha und Therapie haben mir dabei sehr geholfen.

Heute achte ich mehr darauf, welche Herausforderungen ich angehe und wo ich Pausen brauche. Wenn ich das tue, merke ich, dass Energie zurückkommt und ich wieder mehr leisten kann. Aber es ist schwer, weil es gegen eine Verhaltensweise geht, die ich über 40 Jahre lang eingeübt habe.

Gott ist dabei

ERF: Welche Rolle spielte der Glaube in dieser Zeit?

Heiko Metz: Am Anfang war es sehr herausfordernd, weil mein „Übliches“ Glaubensleben – Bibel lesen, beten, in Gottesdienste gehen – nicht mehr funktioniert hat. Diese Wege waren wie abgeschnitten.

Doch ich habe gelernt, dass Gott das alles gar nicht braucht. Er ist trotzdem da.

Ich durfte lernen, Gottes Gegenwart einfach wahrzunehmen und sie mit meinem Herzen zu spüren, ohne dass ich dafür etwas leisten muss.

Das war eine total entlastende Erkenntnis. Zu merken, dass es reicht, einfach zu sein, dass Gott mich trotzdem liebt und mit mir durch diese schwere Zeit geht, hat mir unglaublich geholfen.
 

ERF: Hat sich dein Gottesbild durch diese Zeit verändert?

Heiko Metz: Ja, auf jeden Fall. Mein Zugang zu Gott ist emotionaler und vielleicht auch mystischer geworden. Ich habe viel intensiver erfahren, was es bedeutet, dass ich wertvoll und liebenswert bin, einfach weil Gott es so will.

Früher hätte ich das predigen oder erklären können. Zu spüren, dass ich wirklich wichtig und wertvoll bin, fernab von allem, was ich bringen kann – einfach, weil Gott mich liebhat und er mit mir unterwegs ist, hat mein Bild von einem gnädigen und liebevollen Gott noch einmal erweitert.

Den Weg im Gehen finden

ERF: Wo stehst du heute auf deinem Weg zurück ins Leben?

Heiko Metz: Es ist sehr tagesformabhängig. Momentan arbeite ich fünf Stunden am Tag, was gerade so geht – solange zu Hause nicht viel schiefläuft. Eine Vollzeitstelle plus Familienleben kann ich mir aktuell nicht vorstellen.

Vielleicht wird es am Ende auf eine 80-Prozent-Stelle hinauslaufen. Früher hätte mich das total geschreckt, aber heute kann ich mir das gut vorstellen.

Ich habe das Gefühl, dass ich Fortschritte mache und dass es am Ende gut werden wird.

ERF: Wie definierst du dich heute, nachdem Leistung so lange ein zentraler Teil deines Selbstwertes war?

Heiko Metz: Das ist noch ein Prozess. Gerade jetzt, wo ich wieder arbeite, kommen alte Muster automatisch wieder hoch. Wie ich damit auf Dauer umgehen kann, das finde ich noch sehr spannend. Aber ich habe gelernt, dass mich nicht nur meine Leistung definiert.

Meine Familie und Freunde geben mir die Rückmeldung: „Es ist okay. Was du tust, reicht.“ Das zu hören und anzunehmen, tut mir gut. Ich versuche, diese Perspektive immer mehr in meinen Alltag zu integrieren. Gott sagt das Gleiche – ich darf einfach sein. Und das ist genug.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch und deine Offenheit!

 

Autor/-in

Ingo Marx

  |  Unit Lead ERF Jess

Ingo Marx leitet das Team von ERF Jess und ist als Moderator des ERF Jess Talkwerks zu sehen. Vor seiner Zeit beim ERF hat in Bonn Politikwissenschaften studiert, für eine Kölner Tageszeitung und eine TV-Produktionsfirma gearbeitet. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

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Jutta /

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