Ein großer Stressfaktor im Alltag vieler Menschen ist die Arbeit. Doch das Leben beinhaltet noch so viel mehr. In dieser Vielschichtigkeit stellt sich zunehmend die Frage, wie Ausgewogenheit gelingen kann.
Katharina Heiser koordiniert als Developerin die Marketingarbeit im ERF. Sie erzählt von ihrem Balanceakt zwischen Überlastung und Selbstfürsorge.
ERF: Viele Menschen erleben, dass Arbeit und Privatleben zueinander in Konkurrenz stehen. Wie erlebst du das?
Katharina Heiser: Ich bin es gewöhnt, strukturiert, zielgerichtet und viel zu arbeiten. Ich liebe meinen Job und finde in vielen Bereichen Erfüllung darin.
Oft habe ich gelesen, dass ich darauf achten soll, dass mein Privatleben nicht zu kurz kommt, die Work-Life-Balance finden. Dabei ist für mich Balancieren eher anstrengend, es fühlt sich kippelig an.
Und ich balanciere ja nicht nur zwischen Job und Privatleben, denn da gibt es noch meinen Zweitberuf, Gemeinde, Care-Arbeit und ein Ehrenamt.
Diese Vielschichtigkeit im Leben kennen offenbar einige Menschen und so wurde ein neuer Begriff gefunden: Work-Life-Blending. Statt Balance zwischen zwei Polen zu suchen, wird einfach alles gemixt. Nach dem Motto „Die Mischung macht’s“. Das ist vielleicht zeitgemäß und irgendwie ganzheitlich gedacht, was jedoch bleibt ist die Frage nach Ausgewogenheit.
ERF: Gelingt dir eine solche ausgewogene Mischung?
Katharina Heiser: Für mich galt lange: Ich leiste, also bin ich. Ein Glaubenssatz, der in unserer Gesellschaft seit Generationen gilt. Meine eigene und die vorausgegangenen Generationen haben dieses Prinzip zementiert. Durch Leistung erhalten wir Anerkennung und Zugehörigkeit.
In diese Logik habe ich mich zunächst konsequent eingepasst und dadurch meine Identität vorrangig im Außen konstruiert. Bis ich nicht mehr konnte. Ein Burnout zwang mich, mir Zeit für mich und meine vernachlässigten Bedürfnisse zu nehmen. Rückblickend war die Erkrankung für mich der Start in ein bewussteres Leben.
ERF: Die jüngeren Generationen sind nicht mehr bereit, sich für den Job aufzuopfern, und fordern vom Arbeitgeber verstärkt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ein. Als Ausbilderin begleitest du junge Menschen ins Berufsleben. Wie erlebst du den Generationenwechsel?
Katharina Heiser: Ich finde es positiv, dass Selbst- und Fremdausbeutung nicht mehr die unreflektierte Norm sind. Die Gen Z legt Wert auf Me-Time (Zeit für sich), Mental Health (mentale Gesundheit), Detox-Zeiten (Engiftung), Sabbatical (berufliche Auszeiten) und Workation (mobiles Arbeiten an einem Urlaubsort).
Das hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Unternehmen müssen sich anpassen, wenn sie weiterhin attraktiv bleiben wollen. Flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Möglichkeiten und ein wertschätzendes Arbeitsumfeld sind längst keine Extras mehr, sondern Grundvoraussetzungen, um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten.
In diesen Entwicklungen liegen existenzielle Anfragen:
Welchen Wert hat meine Lebenszeit? Welches Menschenbild liegt Wirtschaft und Konsum zugrunde? Wer bin ich und was bin ich wert, wenn ich gerade nicht leiste?
Die Verhandlung solcher Fragestellungen ist unumgänglich und wichtiger Teil des Dialogs zwischen den Generationen.
ERF: Haben solche Fragen auch dich beschäftigt, als du ins Burnout geraten bist? Was hast du infolgedessen verändert?
Katharina Heiser: In der völligen Erschöpfung des Burnouts war ich nicht mehr in der Lage, mir derartige Fragen zu stellen, geschweige denn, zu beantworten. Das kam später. Jedoch habe ich damals entschieden, mich dem System und seinen Regeln nicht länger zu opfern.
Nein zu sagen ist ein sehr kraftvoller Akt. Zu wissen, was ich nicht mehr möchte, war ein wichtiger Wendepunkt. Ab da habe ich Verantwortung für mich und meine Gesundheit übernommen. Und gleichzeitig bin und bleibe ich weiterhin in das System eingebunden. Das ist herausfordernd.
Im Prozess der Neuordnung wurde ich mit unerwarteten Fragen konfrontiert: Bin ich es mir selbst wert, mich gut um mich zu kümmern? Wie komme ich in den achtsamen Kontakt zu mir selbst? Wie kann ich fürsorgliche und liebevolle Selbstwahrnehmung praktizieren? Wer und was tut mir gut?
Um tragfähige Antworten zu finden, musste ich ehrlich und geduldig mit mir selbst sein, Hilfe annehmen. Denn meine Muster sind stabil und mich zu verändern ist ein Prozess.
ERF: Was hat dir in diesem Prozess geholfen?
Katharina Heiser: In der akuten Erkrankungsphase halfen Therapie und ein unterstützendes Umfeld. Später habe ich Ausbildungen als Psychologische Beraterin, Business- und Sinn-Coach gemacht, die mir wertvolle Erkenntnisse und Kompetenzen im Umgang mit mir selbst und anderen gebracht haben.
In der Frage der Ausgeglichenheit von Leistung und Erholung gibt es keine pauschale Lösung. Das muss jeder Mensch für sich ausprobieren und seinen eigenen Weg finden.
Mir persönlich fällt es nach wie vor schwer, mich zu entspannen. Was mir dabei hilft sind körperliche Bewegung, Naturerleben, Gemeinschaft mit geliebten Menschen, Schönheit und Humor.
Die Bilder aus Lukas 12,22 ff. sind ein Anker für mich, sie erinnern mich an das Vertrauen auf Gottes Versorgung.
Außerdem habe ich gelernt, den Tod als wertvollen Ratgeber einzubeziehen. Meine eigene Endlichkeit setzt vieles in gesunde Relation.
ERF: Hast du das Gefühl, dass Arbeit und Freizeit in deinem Leben heute ausgewogen sind?
Katharina Heiser: Ich habe festgestellt, dass Ausgewogenheit nicht unbedingt bedeutet, dass alles im Leben gleichmäßig verteilt sein muss. Das Leben verläuft in Phasen und in jeder dieser Phasen können sich Prioritäten und Bedürfnisse ändern. Wichtig ist, ab und zu innezuhalten und zu schauen, ob Kurs und Gangart noch passen.
Ausgeglichenheit und Balance sind keine feststehenden Größen, die wir einmal erreichen und dann behalten. Deshalb stelle ich mir immer öfter bewusst die Frage: „Was brauche ich gerade?“
Entscheidend ist, den Mut und das Zutrauen aufzubringen, mich, falls nötig, zu korrigieren. Ich empfinde es als Privileg, heute Menschen in ihren Prozessen des Aufbaus von Selbstwahrnehmung und -wirksamkeit zu unterstützen.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Danke für diese ehrliche Antwort und Offenheit. Ich freue mich immer wenn Frau Heiser am Monatsanfang neues vom ERF vorstellt. Das ist so authentisch und man spürt, dass sie ihre Arbeit liebt. DANKE !!!
Ich bin eine gewöhnliche Frau, jedoch mit vielen Gaben ausgestattet. Jedoch machen mir solche "Super-Power-Frauen" auch immer etwas Angst, nämlich in der Weise, wenn sie als leuchtendes Beispiel … mehrdargestellt werden. Nicht jede/r hat die gleiche Kraft. Ich tue was in meiner Macht steht und komme an so eine Powerfrau bei weitem nicht heran. Dennoch bin ich zufrieden und freue mich, was ich TROTZdem leisten kann. Gott misst mit anderem Maß.