„Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern ihre Chefs.“ Diesen Satz habe ich in den letzten Jahren mehr als einmal gehört. Tatsächlich ist es so, dass die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeitsstelle zwar nicht ausschließlich, aber doch maßgeblich von den Führungsqualitäten der Unternehmensleitung abhängt.
Gute Leitungspersonen schaffen eine Atmosphäre, in der Menschen sich gerne engagieren und gegenseitiges Vertrauen herrscht. Sie geben nicht nur den Ton an, wenn es um die Ziele des Unternehmens geht, sondern bestimmen grundsätzlich den Ton des gegenseitigen Umgangs. Und zwar sowohl zwischen Mitarbeitenden und Chefs wie auch innerhalb des Teams.
Deshalb ist es für jeden, der Menschen an irgendeiner Stelle führt, hilfreich, sich mit guten Leitungsprinzipien auseinanderzusetzen. Diese brauchst du nicht nur, wenn du in deiner Firma eine Führungsposition innehast. Schon wenn du eine kleine Projektgruppe leitest oder in deiner Gemeinde die Verantwortung für eine Kleingruppe oder einen Arbeitskreis übernimmst, hilft es dir, einen guten Führungsstil zu trainieren.
Empathisch führen – wieso überhaupt?
Es gibt viele Verhaltensweisen, die gute Führung ausmachen, und eine Unmenge an Büchern zu dem Thema. Eher neu ist dagegen der Gedanke, Leitung mit Empathie zu verbinden. Hierbei geht es darum, die Teammitglieder bewusst in ihrem ganzen Menschsein wahrzunehmen und nicht nur in ihrer Rolle oder Aufgabe.
Skeptiker mögen einwenden, dass dies den Fokus weg von der eigentlichen Arbeit lenkt. Schließlich geht es selbst in einem ehrenamtlichen Team darum, dass gewisse Aufgaben erledigt werden. Im Job geht es um die Herstellung oder Auslieferung von Waren. In der Gemeinde wollen Gottesdienste und Kinderstunden vorbereitet werden. Was hat damit die persönliche Befindlichkeit des Einzelnen zu tun? Sehr wenig und doch alles.
Wo Menschen sich in ihrem ganzen Menschsein wahrgenommen fühlen, steigt ihre Bereitschaft, sich zu engagieren.
Auch ist es hilfreich, frühzeitig zu erkennen, wenn jemand aus der Gruppe sich aus privaten Gründen weniger als üblich einbringen kann. Und nicht zuletzt erkennst du als Führungskraft schneller, ob eine Person mit ihren Fähigkeiten am richtigen Platz ist oder anderswo besser hinpasst.
All das spart Unternehmen Zeit und Geld und reduziert berufliche Konflikte. Auch in Ehrenämtern – wie etwa einer Gemeinde – mindert es zwischenmenschliche Spannungen. Deshalb lohnt es sich für alle, die Verantwortung tragen, nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Herz zu führen.
Empathische Führung – ein christliches Prinzip
Doch wie geht das? Was sind die Grundprinzipien empathischer Leitung? Lunia Hara führt in ihrem Buch „Empathische Führung – Wie wir die Arbeitswelt mit Mitgefühl revolutionieren“ vier Säulen empathischer Führung auf. Diese sind Menschlichkeit, Selbstreflexion, Offenheit und Feedback als Ausdruck von Fürsorge.
Als ich in das Buch hineinlas, wurde mir klar, dass schon Jesus diese Prinzipien vorlebte. Und das, obwohl er seinen Jüngern gegenüber nie von „empathischer Führung“ sprach. Trotzdem war sein ganzes Verhalten gegenüber anderen Menschen immer von Mitgefühl geprägt. Seine Nachfolgerinnen und Nachfolger forderte er regelmäßig dazu auf, seinem Vorbild zu folgen.
Die beiden höchsten Gebote, die er seinen damaligen Zuhörern in einer Rede mitgab, lauteten: „‚Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand!‘ Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Aber gleich wichtig ist ein zweites: ‚Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!‘ In diesen beiden Geboten ist alles zusammengefasst, was das Gesetz und die Propheten fordern“ (Matthäus 22,39).
Wenn wir uns also mit empathischer Führung beschäftigen, ist dies nicht nur moderner Schnickschnack, sondern fußt auf biblischen Leitungsprinzipien. Im Folgenden werde ich die vier Säulen empathischer Führung erläutern und Bezüge zur Bibel ziehen.
1. Menschlichkeit
Menschlichkeit ist das erste Prinzip empathischer Führung und scheint auf den ersten Blick einfach. Die meisten Leiter werden von sich sagen, dass sie ihre Mitarbeitenden menschlich behandeln. Sie meinen damit aber oft nur ein Mindestmaß an Freundlichkeit und Höflichkeit.
„Menschlichkeit geht jedoch über das Miteinander im Büro hinaus“, schreibt Lunia Hara. Damit meint sie, dass wahre Menschlichkeit mehr umfasst als ein nettes Arbeitsklima, gute Arbeitsschutzgesetze oder flexible Arbeitszeitmodelle. Echte Menschlichkeit zeigt sich darin, dass Führungskräfte sich Zeit nehmen, ihrem Team zuzuhören – und zwar nicht nur, wenn es brennt.
Es zeigt sich darin, dass ich erstmal zuhöre und Anteil nehme, wenn ein Teammitglied mit einem Problem zu mir kommt. Und dass wir erst danach besprechen, welche Auswirkungen das auf seine oder ihre Aufgaben hat. Ein gemeinsames Gebet für die erkrankte Mutter oder das Kind mit den Schulproblemen vermittelt mehr Anteilnahme, als Arbeitsaufgaben zügig umzuverteilen.
Auch Jesus hat das vorgelebt. Er hat sich Zeit für Menschen genommen. Als es einmal spät wird, schickt er die Leute nicht nach Hause, wie es die Jünger vorschlagen. Stattdessen tut er ein Wunder und gibt den Menschen zu essen (vgl. Matthäus 14,13-21). Nach Predigt und Heilungen sieht er sich auch für ihr leibliches Wohl verantwortlich. Dabei war der Tag auch für ihn lang und anstrengend.
Genau das macht einen guten Leiter aus. Er fühlt sich nicht nur verantwortlich für sein Kerngeschäft, sondern auch für die Menschen, die ihm anvertraut sind.
Diese Menschen hat er im Blick. Und wenn Extrameilen zu gehen sind, zieht der Chef oder die Chefin ganz natürlich mit.
Menschlichkeit umfasst im globalen Kontext sogar noch mehr. Wirtschaftliches Handeln ist dann menschlich, wenn es die Probleme im Blick hat, die durch globale Ungerechtigkeit entstehen. Statt Ausbeutung und Umweltzerstörung zu vermehren, suchen empathisch agierende Unternehmenschefs nach nachhaltigen Lösungen, die nicht nur der eigenen Gewinnmaximierung dienen.
Hara ist bewusst: „Wir werden nicht alle Probleme lösen können.“ Für sie macht die eigene Haltung den entscheidenden Unterschied. Menschlichkeit in der Arbeitswelt sieht sie als „Prozess, der nie abgeschlossen ist.“ Doch statt resigniert aufzugeben, erhofft sie sich von Führungskräften den Mut, in Zukunft „bessere Probleme zu schaffen“.
2. Selbstreflexion
Wer bin ich und was ist mir wichtig? Diese Frage stellen sich viele Führungskräfte nicht oder erst sehr spät in ihrer beruflichen Laufbahn. Dabei haben der eigene Charakter und die eigenen Werte großen Einfluss auf den Führungsstil. Was ich für richtig halte, bestimmt unbewusst mein Handeln – und zwar unabhängig davon, ob ich Schrauben verkaufe oder Brötchen backe.
Genauso prägen mich mein Kommunikationsstil, mein persönliches Sicherheitsbedürfnis und meine eigenen Erfahrungen mit Macht und äußerem Druck. Wenn dies unreflektiert in meinen Leitungsstil einfließt, führt das dazu, dass es möglicherweise immer wieder Knatsch mit bestimmten Teammitgliedern gibt. Oft, ohne dass ich benennen kann, woran das liegt.
Kenne ich aber als Führungskraft meine Werte, schafft das Klarheit – für mich und andere. Dann leitet mich nicht mehr ein diffuses Bauchgefühl, sondern ich kann für meine Werte einstehen und sie klar ins Team kommunizieren. Auch merke ich dann, ob ich in meinem Unternehmen am richtigen Platz bin oder mich für meine Führungsrolle verbiegen muss.
Eventuell wird mir aber auch bewusst, dass ich manche Werte von anderen übernommen habe, die nicht mehr zu mir passen und mich in meiner Leitungsfunktion behindern. Dann kann ich diese mutig loslassen.
Ebenso wichtig ist es, meine Stärken und Schwächen zu kennen. Das Wissen um meine Stärken hilft mir, diese in meiner Position einzusetzen und weiter auszubauen. Wo ich Schwächen bei mir sehe, kann ich mir Unterstützung von anderen Teammitgliedern holen. Auch als Chef oder Chefin muss ich nicht alles können oder wissen.
Wichtig ist zudem ein verantwortlicher empathischer Umgang mit mir selbst. Wenn ich von mir selbst Überstunden verlange, obwohl eigentlich nichts mehr geht, oder körperliche Symptome übergehe, dient das weder mir noch meinem Führungsstil. Erstens schade ich mir damit selbst, zweitens lebe ich meinem Team selbstschädigendes Verhalten vor. Und drittens werde ich dünnhäutig und gegebenenfalls aggressiv.
Eine gute Selbstfürsorge wirkt sich immer auch gut auf meine Mitarbeitenden aus.
Jesus lebte auch dies vor. Immer wieder zog er sich zum Gebet zurück und das nicht nur für ein paar Minuten (vgl. Matthäus 14,23). In diesen Zeiten sammelte er Kraft und hörte, was Gott ihm zu sagen hatte. Für christliche Leiter kann die Stille Zeit ein guter Ankerpunkt sein, zur Ruhe zu kommen und sich selbst vor Gott zu reflektieren.
Anderen Leitenden helfen interaktive Reflexionen wie etwa in einer Supervision oder im Coaching besser. Wieder andere nehmen sich regelmäßig Auszeiten und gehen etwa für ein Wochenende ins Kloster. Probiere gerne aus, was dir zusagt und hilft.
3. Offenheit und Authentizität
Wir wünschen uns in Gruppen – und damit auch am Arbeitsplatz – eine offene Atmosphäre. Gleichzeitig fällt es vielen Menschen schwer, sich zu öffnen und den ersten Schritt zu machen. Wenn du eine Gruppe leitest – ob es eine Kleingruppe, ein Unternehmen oder ein Verein ist –, ist dies deine Aufgabe. Du bestimmst maßgeblich mit, wie offen euer Umgang miteinander ist.
Das klingt zunächst einmal nach einer großen Aufgabe und vielleicht auch nach einer Überforderung. Denn gerade, wenn du neu in deiner Leitungsrolle bist, willst du ja vor allem zeigen, dass du es fachlich draufhast. Offenheit kann da wie ein Bremsklotz wirken. Denn das würde ja auch bedeuten, Schwächen und Fehler zuzugeben und dich verletzlich zu machen.
Tatsächlich erfordert Offenheit erstmal Mut, aber Lunia Hara ist überzeugt, dass „dieser Mut (…) Offenheit und Vertrauen erst möglich“ macht. Denn durch deine Offenheit zeigst du deinem Team, dass sie dir vertrauen können. Du bist niemand, der mal so und mal anders ist, sondern du bist auch als Leitungsperson ganz du selbst. Das ermutigt auch deine Mitarbeitenden sie selbst zu sein.
Auch nimmst du so deinen Mitarbeitenden perfektionistische Ansprüche, die gute Arbeit behindern. Denn nur wenn jeder sich ehrlich äußern und auch mal Fehler machen kann, ist gute kreative Zusammenarbeit möglich.
Offenheit bedeutet nicht, alles mit deinem Team zu teilen, aber du baust künstliche Distanz ab.
Wenn du mies drauf bist, weil du dich am Morgen mit deinen Kindern gestritten hast, geht zwar das Thema des Streits dein Team nichts an. Dennoch kannst du sagen, dass du schlecht in den Tag gestartet bist.
Damit verhinderst du, dass deine Mitarbeitenden deine schlechte Laune auf sich beziehen oder analysieren. Hara benennt das so: „Eine gute Führungskraft versucht, kein Störfaktor zu sein.“ Denn, ob du es willst oder nicht, wenn privat was bei dir im Argen liegt, spürt das dein Team. Deine nonverbale Kommunikation kannst du nicht abschalten. Daher gehe offen damit um, wenn du mal nicht auf der Höhe bist, statt dein Team grübeln zu lassen.
Zur Offenheit gehört auch, Infos zu teilen, die andere von dir wissen müssen. Wenn du einen Termin verschwitzt hast, gehe nicht darüber hinweg oder tue so, als sei dies Aufgabe von jemand anderem gewesen. Stattdessen gestehe deinen Fehler ein, entschuldige dich und suche mit deinem Team nach Möglichkeiten, die Kuh wieder vom Eis zu kriegen.
Zögere auch nicht, unangenehme Nachrichten weiterzugeben, wie etwa die Anordnung von Überstunden oder den Abbau von Stellen. Irgendwann wirst du diese Information weitergeben müssen. Teile besonders schlechte Neuigkeiten so früh wie möglich mit und biete einen offenen Raum für Fragen und Sorgen. Auch damit schaffst du eine Atmosphäre der Offenheit.
Jesus hat übrigens sehr radikal Offenheit gelebt. Kurz vor seiner Verhaftung nahm er seine Jünger mit zum Gebet in den Garten Gethsemane und sagte zu ihnen: „Ich bin so bedrückt, ich bin mit meiner Kraft am Ende. Bleibt hier und wacht mit mir!“ (Matthäus 26,38). So viel Offenheit wirst du vielleicht nicht leben wollen. Wie weit du dich öffnest, liegt ganz in deinem Ermessen. Aber erinnere dich an diese Stelle, wenn dir Offenheit einmal schwerfällt.
Noch eines ist wichtig: Auch wenn du als Leitender Offenheit und Authentizität vorlebst, liegt es an jedem einzelnen Teammitglied, wie und ob sie dir darin folgen. In einer Gruppe – und ganz besonders einer Arbeitsgruppe – sollte niemand gezwungen werden, sich zu öffnen. Deine Verantwortung ist nicht, dass alle Teammitglieder Offenheit als Wert leben, sondern du schaffst nur einen sicheren Raum dafür, dass sie sich auch am Arbeitsplatz öffnen können.
4. Feedback als Ausdruck von Fürsorge
Es herrscht Einigkeit darüber, dass Feedback wichtig ist. Doch oft haftet dem Begriff eine gewisse Unsicherheit an. In manchen Teams wird es nur zu festen Zeiten gegeben – etwa im Jahresmitarbeitergespräch. In anderen Teams bedeutet es immer negative Kritik. Hier wird nur angesprochen, was nicht gut lief. Positive Ergebnisse werden als selbstverständlich hingenommen.
Beides schadet einer offenen Feedbackkultur. Denn Mitarbeitende können Rückmeldungen zu ihrer Arbeit am besten aufnehmen und umsetzen, wenn sie zeitnah gegeben werden. Niemandem ist geholfen, wenn du ein halbes Jahr später die Umsetzung einer bestimmten Aufgabe kritisierst. Im schlimmsten Fall wird dein Teammitglied sich hintergangen fühlen. Schließlich hat es sich ein halbes Jahr Mühe damit gegeben, nur um dann zu hören, dass du es eigentlich anders haben wolltest.
Auch falsche Freundlichkeit schadet einer guten Feedbackkultur. Natürlich solltest du Kritik wertschätzend äußern. Das heißt aber nicht, dass du um den heißen Brei herumreden und dabei erwarten kannst, dass der andere es versteht. Wenn ein Mitarbeiter immer zu spät kommt, sprich das an. Wenn eine Mitarbeiterin Kunden unfreundlich begegnet, ist auch hier ein Gespräch angesagt.
Oft hindert uns der Glaubenssatz „Ich muss immer nett sein“ daran, anderen ehrlich Feedback zu geben. Gerade in christlichen Kreisen ist das weit verbreitet.
Das greift besonders dann, wenn jemand etwas für den Herrn macht – und eventuell sogar ehrenamtlich macht. Doch oft beginnt dann hinter dem Rücken das Lästern. Kein sehr christliches Verhalten.
Als Leitungsperson hilfst du niemandem, wenn du ehrliche Kritik herunterschluckst. Tatsächlich schadest du dem anderen sogar. Denn du nimmst ihm indirekt die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Deshalb bezeichnet Lunia Hara Kritik als Ausdruck von Fürsorge. Dazu gehört übrigens auch, den oder die andere nach der Kritik nicht allein zu lassen, sondern Hilfe zur Veränderung anzubieten.
Auch hier ist Jesus übrigens ein super Vorbild. An etlichen Stellen im neuen Testament findet er sehr direkte Worte für das Fehlverhalten anderer. Gleichzeitig reicht er denen, die einsichtig sind, immer die Hand zur Veränderung.
Als einige Gesetzeslehrer eine Ehebrecherin vor ihn bringen und die damals übliche Strafe für Ehebruch fordern, erinnert er diese an ihre eigenen Fehler. Als sich dann alle bedröppelt zurückziehen, wendet er sich an die Frau und sagt: „Ich verurteile dich auch nicht. Du kannst gehen; aber tu diese Sünde nicht mehr!“ (Johannes 8,11). Eine solche Zugewandtheit nach Fehlverhalten tut uns auch im Arbeitskontext gut.
Daher sei freimütig mit Feedback und sieh es als Ausdruck von Fürsorge deinen Teammitgliedern gegenüber. Aber lass sie nicht allein, wenn es darum geht, es in Zukunft besser zu machen. Biete ihnen die Hand und hilf ihnen, Schritte der Veränderung zu gehen.
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