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© Brooke Cagle / unsplash.com

02.02.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Eine Portion Glück, bitte!

Leid ist unvermeidlich! Glück aber auch, sagt Psychiater Manfred Lütz.


„Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen“, so beginnt ein bekanntes Geburtstagslied. Doch was genau versteht man unter Glück? Und viel wichtiger – wie werde ich glücklich? Diese Fragen stellen sich viele Menschen. Auch Psychiater und Autor Manfred Lütz hat sich mit der Frage nach dem Glück auseinandergesetzt. In seinem Buch „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden – Eine Psychologie des Gelingens“ stellt er heraus, dass Glück und Sinn eng zusammenhängen. Im Interview erklärt er, wieso sein Buch eigentlich kein Ratgeber ist und dass Glück sehr individuell aussehen kann.


ERF: Sie haben ein Buch zum Thema Glück geschrieben. Wie glücklich fühlen Sie sich gerade?

Manfred Lütz: Ich weiß nicht, wie glücklich ich im Moment bin. Ich glaube auch, dass jemand, der sich dauernd darüber Gedanken macht, ob er glücklich ist, nicht besonders glücklich ist. Der Philosoph Platon hat gesagt: Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit. Und Leute, die dauernd übers Glück reden, sind meistens unglücklich. Wenn man wirklich glücklich ist, ist Glück kein Thema. In dem Moment, in dem man zutiefst glücklich ist, denkt man nicht über das Glück nach.
 

Autor Manfred Lütz im Interview mit ERF Medien (Foto: ERF Medien)

ERF: Ihr Buch trägt den herausfordernden Titel „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“. Viele Menschen glauben aber, dass Glück etwas ist, für das man etwas tun muss. Liegt hier schon der Denkfehler?

Manfred Lütz: Mein Buch ist eigentlich ein Anti-Ratgeber gegen diese Glücksratgeber, in denen der Autor beschreibt, wie er selbst glücklich wurde, und die die Leser traurig zurücklassen, weil sie eben nicht der Autor sind. Die Vorstellung vom produzierbaren Glück ist im Grunde genommen Schwachsinn. Am sichersten kann man Glücksgefühle mit Heroin produzieren. Das hat aber unangenehme Nebenwirkungen. Insgesamt steht Glück, das man sich selbst produziert, immer in der Gefahr, einem geraubt zu werden.

Deswegen sind für solche Ego-Glück-Leute Flüchtlinge eher beängstigend. Aber ich sage bei Vorträgen im Osten Deutschlands häufig: Unser Dorf im Rheinland ist glücklicher, seit wir Flüchtlinge haben. Denn viele Menschen, die für sich allein gelebt haben, helfen jetzt anderen Menschen. Dadurch hat man mehr Kommunikation im Dorf. Glück hat etwas damit zu tun, dass man einen Sinn im Leben sieht. Wenn man einen Sinn in dem sieht, was man tut, macht das glücklich.
 

Passen Leid und Glück zusammen?

ERF: Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von dem Unterschied zwischen einem gelingenden und einem erfolgreichen Leben. Wo liegt der Unterschied zwischen Gelingen und Erfolg?

Manfred Lütz: Als meine beiden Töchter die Pubertät beendet haben, haben wir ein großes Fest gefeiert und viele Freunde eingeladen. Auf dieser Feier habe ich zu meinen Töchtern gesagt: „Ihr seid tolle Töchter. Ich wünsche euch viel Glück im Leben, aber keinen Erfolg. Erfolg braucht man im Leben nicht zu haben.“ Ich denke nämlich, man soll die Fähigkeiten, die Gott einem gegeben hat, fleißig einsetzen. Ob man damit dann Erfolg hat, hängt von vielen Zufällen ab. Das ist nicht so wichtig.

Der erfolgreichste russische Herrscher aller Zeiten war Joseph Stalin, aber man wird sein Leben nicht für ein gelungenes Leben halten. Der erfolgloseste Maler aller Zeiten war Vincent van Gogh. Seine Bilder waren unverkäuflich, aber das war doch trotzdem ein gelungenes Künstlerleben. Wer aber immer auf Erfolg setzt und sich mit anderen vergleicht, wird unglücklich.
 

ERF: Sie nennen Vincent van Gogh als Beispiel für ein gelungenes Künstlerleben. Dennoch kann man darüber spekulieren, wie glücklich der Maler war, denn er litt teilweise unter starken Depressionen. Sind Glück und Leiden nicht Widersprüche?

Manfred Lütz: Ich habe mit Vincent van Gogh nicht gesprochen, aber ich nehme an, dass er durchaus Momente des Glücks erlebt hat, während er seine Gemälde malte. Für ein Buch habe ich mit dem Ausschwitzüberlebenden Jehuda Bacon gesprochen, der von Ausschwitz Bilder gemalt hat, die in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte in Israel, aufgehängt sind. Er sagte, dass man im Leiden ‒ auch in dem schrecklichen Leiden des KZ ‒ Sinn und Humanität erleben kann, zumindest für Momente. Wenn das jemand sagt, der die Hölle von Ausschwitz überlebt hat, ist das sehr berührend.
 

Der christliche Glaube macht nicht glücklich, aber schenkt Lebenssinn

ERF: Würden Sie sagen, dass man manchmal erst durch Leid merkt, dass man glücklich ist?

Manfred Lütz: Nein, das wäre zu schlicht. Mein Titel „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ ist zum einen ironisch gegen diese ganzen Glücksratgeber gerichtet. Zum anderen will ich damit darauf hinweisen, dass die Grenzsituationen menschlicher Existenz unvermeidlich sind. Leiden, Schuld, Kampf und Tod sind unvermeidlich. Wenn man weiß, wie man in diesen unvermeidlichen Situationen glücklich sein kann, kann man unvermeidlich glücklich werden. Aber das geht nur, wenn man einen tiefen Sinn im Leben erlebt. Wenn man besorgt ist, dass alle angesammelten Glücksgefühle schon beim nächsten Leid ins Nichts fallen, kann man heute schon nicht glücklich sein. Man kann also nur glücklich sein, wenn man die Gewissheit hat, dass selbst in Grenzsituationen, selbst in Leid, in Schuld und Tod noch irgendein Sinn sein kann. Wenn man das nicht glaubt, kann man nicht tief und gelassen glücklich sein.
 

ERF: Der Gedanke, im Leiden Sinn zu erleben, ist ein zutiefst christlicher. Christen glauben an einen Gott, der seine Macht im Leiden und Sterben erweist. Doch wie kann man diesen Gedanken an jemanden vermitteln, der nicht an Gott oder ein ewiges Leben glaubt?

Manfred Lütz: Jehuda Bacon ist kein Christ, sondern Jude. Und wenn jemand, der in Ausschwitz war, sagt „Man kann im Leiden Sinn erleben“, ist das etwas, was man stehenlassen muss. Das heißt aber nicht, dass das ein religiöser Sinn sein muss. Es gibt viele Menschen außerhalb der Kirche, die sich selbst nicht für christlich halten, die aber sozusagen aus der Plausibilität des Christentums heraus leben. Und ich glaube, dass die auch eine Ahnung von Glück haben.
 

ERF: Trotzdem bietet der christliche Glaube auf die Fragen nach Schuld, Leid und Tod Antworten. Glauben Sie, dass Christen generell glücklichere Menschen sind, weil sie diese Punkte für sich geklärt wissen?

Manfred Lütz: C.S. Lewis hat einmal gesagt, er sei nicht Christ geworden, um glücklich zu werden. Das würde eine Flasche Portwein viel besser besorgen. Man wird also nicht Christ, um in diesem Leben glücklich zu sein. Es gibt immer wieder Meldungen in Kirchenzeitungen, dass amerikanische Studien ergeben haben, man würde älter, wenn man betet, als wenn man nicht betet. Das ist natürlich Quatsch. Wenn Sie Christ sind, haben Sie in Laos, in Vietnam oder in China im Zweifel ein kürzeres und leidvolleres Leben. Es ist eine lächerliche Vorstellung, eine Religion nach dem Glück zu bewerten, das sie in diesem Leben produziert. Jesus ist sicherlich auch nicht glücklich gewesen am Kreuz, aber er hat etwas Sinnvolles getan. Er hat die Welt und die Menschen erlöst.
 

Glücksmomente mit den Augen festhalten statt mit der Kamera

ERF: Sie sprechen in Ihrem Buch auch davon, dass Glück aus unwiederholbaren Augenblicken besteht, die man nicht festhalten kann. Was meinen Sie damit, dass man Glück nicht festhalten kann?

Manfred Lütz: Man hat oft eine falsche Vorstellung davon, das Glück festzuhalten. Man kann Glück in einem Foto nicht wirklich festhalten. Aber man kann Momente erleben, die Ewigkeitscharakter haben, weil man zum Beispiel tief ergriffen ist von der Liebe zu einem Menschen, von einem Musikstück oder einem Kunstwerk. Das sprengt dann die Zeit, in der man das erlebt. In solchen Momenten ahnt man, was Ewigkeit ist. Als Christ glaubt man ja auch nicht an das unendliche Leben, das im Himmel einfach genauso weitergeht wie hier, sondern wir glauben an ein ewiges Leben, das die Zeit sprengt.
 

ERF: Sie haben gerade gesagt, man könne Glück nicht mit einem Foto festhalten, aber kann es nicht auch helfen, Glückserinnerungen zu sammeln, um den Alltag glücklicher zu gestalten?

Manfred Lütz: Wenn Ihnen das hilft, hilft es Ihnen. Das kann ich nicht beurteilen. Und natürlich können Fotos anregend sein. Aber es gibt Menschen, die fotografieren sich fast zu Tode, um Glücksmomente festzuhalten und leben gar nicht mehr. Ich habe das selbst erlebt. Nach dem Abitur habe ich eine neunwöchige Reise durch die Mittelmeergegend gemacht und danach einige Wochen gebraucht, um meine Dias zu sortieren. Da habe ich mich gefragt: Was machst du hier eigentlich? Erst lebst du und dann bildest du das Leben ab. Da habe ich das Fotografieren eingestellt. Und ich sage auch meinen Kindern manchmal: Man muss mit den Augen fotografieren, also mit den Augen einen Moment festhalten und sich klar machen: Dieser Moment ist unwiederholbar. Wenn man das tief in die Seele eindringen lässt, ist das manchmal besser als die Kamera zu zücken.
 

ERF: Ich habe Sie am Anfang des Gesprächs gefragt, wie glücklich Sie sind. Dabei sind wir darauf gekommen, dass Glück und Sinn zusammenhängen. Was gibt Ihrem Leben persönlich Sinn?

Manfred Lütz: Ich bin katholischer Christ und bekenne mich zum Christentum. Ich versuche mein Leben verantwortlich zu führen und meine Berufstätigkeit gut zu machen. Das heißt in meinem Fall: Menschen therapeutisch zu helfen und Menschen zu unterstützen, die anderen Menschen therapeutisch helfen. Und ich versuche in der Familie meine Pflichten zu tun und allgemein die Fähigkeiten, die ich habe, gut einzusetzen und damit etwas Sinnvolles zu machen.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Maria /

Er klingt alles so schön gut, biblisch und bodenbeständig was Herr Dr. Lütz von sich gibt. Vielleicht werde ich mal reinschnuppern.

Sigrid T. /

Mich hat das Interview neugierig gemacht.
Der Autor scheint sein Fachwissen und seinen Glauben mit gesundem Menschenverstand zu verbinden. Nach amazon Bewertungen gehe grundsätzlich nicht. Ich schaue mir gerne die Gliederung und die Leitsätze eines Buches an, ehe ich es kaufe.

Jutta /

Ich werde dieses Buch bestimmt nicht lesen, da ich mit dem, was der Herr so von sich gibt, nichts anfangen kann!

Klaus D. /

Hallo,
aufgrund der schlechten Bewertungen des genannten Buches wäre es sinnvoller gewesen einen Autoren zu befragen, der ein gut bewertetes Buch zum Thema Glück geschrieben hat.
Grüße

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