20.11.2025 / Interview
Kein Bock mehr auf Menschen
In stressigen Zeiten fallen Freundschaften oft hinten runter. Wie lebt man gute Beziehungen trotz Stress?
Kennst du das auch? In stressigen Zeiten kapselst du dich von anderen ab, obwohl du eigentlich gerade jetzt deine Freunde brauchst. Aber es bleibt einfach keine Zeit für ein Telefonat, keine Energie für ein Treffen und so wirst du immer einsamer.
Warum ist das so und wie schaffst du es, auch in stressigen Zeiten gute Beziehungen zu pflegen? Darüber spricht Johannes Kolk mit Burnout-Präventionscoach Stephan Menzel im Podcast „Homemade Stress“. Ein Auszug aus ihrem Gespräch.
ERF: Es ist doch normal, dass ich ab und zu mal keine Lust auf Menschen habe, oder?
Stephan Menzel: Ja, du sagst es treffend: ab und zu. Auch bei mir gibt es die Tage, an denen ich Zeit für mich brauche. Die Frage ist: Wie lange hält dieser Zustand an und wie lange oder wie stark kapsele ich mich ab? Hier gilt es darauf zu schauen, dass dieses Verhalten nicht zum Selbstläufer wird, dass ich mich nicht immer mehr und mehr zurückziehe.
ERF: Du bist Burnout-Präventionscoach. Was hat Stress mit Freundschaft zu tun?
Stephan Menzel: Im ersten Moment denkt man da nicht so dran, aber soziale Kontakte sind extrem wichtig für unsere mentale Gesundheit. Wir brauchen das Gegenüber. Der jüdische Gelehrte Martin Buber hat es so ausgedrückt: „Der Mensch wird am Du zum Ich“.
Dieses Prinzip ist tief in uns verankert. Wenn ich mit guten Freunden zusammen bin, öffne ich mich und lasse mich auch mal hinterfragen. Wenn ich aber in einem Stresstunnel bin, dann habe ich schon viel im Kopf, das ich innerlich bewege. Deswegen ziehe ich mich zurück, um meine Energiereserven zu schonen. Wenn sich dieses Verhalten verselbstständigt, wird es zum Problem.
Können Männer keinen Deep Talk?
ERF: Du hast selbst eine Burnout-Geschichte hinter dir. Hattest du zu dem Zeitpunkt gute Freunde, die mitbekommen haben, dass es dir nicht so gut geht?
Stephan Menzel: Ich hatte gute Freunde, ja. Allerdings war es so, dass wir miteinander sehr oberflächliche Beziehungen führten. Wir hatten selten Deep Talks, denn ich war damals nicht in der Lage, so tiefe Gespräche zu führen. Deshalb konnte ich ein Stück weit verstecken, wie es mir tatsächlich ging.
Meine Freunde haben schon etwas gemerkt und mir gespiegelt, dass ich oft müde oder auch angespannt wirke. Ich habe das aber verdrängt und kleingeredet. Nach dem Motto: „Ich habe halt eine stressige Phase, beruflich ist gerade viel los.“
ERF: Ist das ein Männerproblem, dass der Deep Talk fehlt?
Stephan Menzel: Ja, ich glaube schon. Ich will das jetzt gar nicht so klischeehaft sehen. Aber ich beobachte, dass Männer sich oft schwerer damit tun, sich über Gefühle auszutauschen. Also über Fragen wie: Was fühle ich? Was spüre ich? Was nehme ich wahr?
„Wie geht es dir wirklich?“
ERF: Ich habe mal den Satz gehört: „Ein Mann würde sich nie einfach so zum Kaffee trinken mit einem anderen Mann treffen.“ Bei mir kann ich das schon beobachten. In den meisten Fällen treffe ich mich lieber mit meinen Freunden, wenn wir irgendetwas machen. Zusammen Fahrrad fahren, Sport machen oder auch praktisch aushelfen. Wir treffen uns selten „einfach nur so“. Tiefe Gespräche entstehen da eher selten.
Stephan Menzel: Ich finde spannend, was du sagst. Ich erlebe das auch immer wieder. Deswegen stelle ich Menschen, die mir nahestehen, bewusst immer mal die Frage „Wie geht es dir?“. Das ist eigentlich eine Floskel. Aber ich mache da eine Ergänzung und sage: „Wie geht es dir wirklich?“ Ich wünsche mir noch viel mehr, dass wir einander gegenseitig im Blick haben.
ERF: Eine gute Frage, die ich gleich mal anwende: Wie ging es dir damals wirklich, als du gemerkt hast, dass du dich von den anderen isoliert hast?
Stephan Menzel: Es ging mir echt bescheiden. Ich habe gemerkt, ich habe ein Problem, und fand kein Mittel, da rauszukommen. Ich habe bis zu 80 Wochenstunden gearbeitet und es hat nie gereicht. Und ich habe gemerkt, dass ich mich isoliere, weil es mir nicht gut ging.
Das Problem bei dieser Isolation war bei mir und ist auch bei anderen, dass keine Reflexion mehr stattfindet. Ich bekomme keinen Spiegel mehr vorgehalten, es gibt keinen Austausch mehr dazu, wie es mit geht.
Dadurch bekomme ich auch keinen Anstoß, etwas zu verändern. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist es häufig so, dass die Heilungschancen umso höher sind, je früher man interveniert, also etwas gegen die Erkrankung tut. Deswegen ist sozialer Kontakt unglaublich wichtig.
Feedback ohne Abhängigkeit – wie gelingt’s?
ERF: Aber ist es nicht so, dass Beziehungen mit ein Grund sein können, warum ich psychisch belastet bin? Oft wäre es doch gut, wenn ich mich von der Meinung anderer freier machen würde, nach dem Motto: „Mir ist es egal, was die anderen über mich denken.“
Stephan Menzel: Ich denke, das ist immer eine Gratwanderung. Beides hat seine Berechtigung. Eine extreme Abhängigkeit von einem anderen Menschen ist ungesund. Nach dem Motto: „Ohne Person X kann ich nicht leben.“
Auf der anderen Seite sind wir aufeinander angewiesen. Vor allem kann ich mich nicht selbst von außen beobachten. Lass ich Feedback von anderen zu oder bin ich wie eine Teflonpfanne, an der alles abprallt? Reflexion heißt ja nicht, ich nehme das Gesagte sofort an, sondern ich nehme es mit und entscheide, ob ich daraus etwas machen möchte.
Unabhängig von Fremdmeinungen zu sein kann gut sein. Aber ganz unabhängig von Menschen sind wir eben nicht. Wir sind aufeinander angewiesen.
ERF: Beim Thema „Teflonpfanne“ denke ich an so Sätze wie „Ich bin halt so“.
Stephan Menzel: Das ist ein Schutzsatz, um sich nicht verändern zu müssen. Das Gute ist: Unser Gehirn ist dauerplastisch. Das heißt, bis ins hohe Alter können wir uns verändern und Neues lernen! Wir Menschen sind nicht so wie wir sind in Stein gemeißelt.
Alte Freundschaften neu beleben
ERF: Das macht eine Hoffnungsperspektive auf! Ich muss nicht bleiben, wie ich bin. Jetzt gehen wir nochmal in die Praxis: Wie erkenne ich, ob eine Freundschaft wirklich stabil ist?
Stephan Menzel: Für mich ist ein Maßstab, ob die Freundschaft ein Geben und Nehmen ist. Oder ist es eine Einbahnstraße? Also, wenn jemand immer nur erzählt, wie es ihm geht, und nicht fragt „Wie geht's dir eigentlich?“ So eine Freundschaft kostet mehr Kraft, als dass sie Energie freisetzt.
Gleichwohl gibt es Phasen, wo es dem einen schlechter geht und man füreinander da ist. Aber insgesamt ist eine gute Freundschaft daran erkennbar, dass man auf Augenhöhe unterwegs ist, dass beide darin vorkommen.
Wir Menschen haben ein sehr feines Gespür, wer uns Kraft zieht und bei wem wir Kraft schöpfen.
Ich habe zwei sehr gute Freunde, die total anders als ich sind. Das fordert mich heraus. Aber ich ziehe Kraft da raus, weil das Beziehungen auf Augenhöhe sind.
Und selbst wenn wir uns mal vier Wochen nicht gehört haben, starten wir von 0 auf 100 in einer Sekunde durch. Das ist etwas sehr Kostbares.
ERF: Wie kann ich alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen, wenn ich sie in einer Krisenzeit vernachlässigt habe.
Stephan Menzel: Unser Leben ist sehr dynamisch. Beziehungen und Menschen verändern sich. Ich habe es mir relativ einfach gemacht. Ich habe zwei Kreise auf ein Blatt Papier gezeichnet, einen inneren und einen äußeren Kreis. Der innere Kreis ist das Beziehungsgeflecht, das mich in den letzten Jahren umgeben hat. Und da habe ich geschaut, wo habe ich schon gute Beziehungen, die ich vertiefen kann?
Im äußeren Kreis habe ich notiert, wen ich noch von früher kenne. Alte Schulfreunde, Menschen aus einem Verein. Und die rufe ich einfach an, um wieder in Kontakt zu kommen. Es müssen nicht zehn enge Freundschaften sein, aber wenige gute Beziehungen sind hilfreich und kostbar.
ERF: Das klingt so simpel wie genial: Aufschreiben, wen ich kenne, und einfach mal anrufen. Wie war das bei dir bei deinem Burnout? Hast du damals auch Kreise aufgezeichnet? Welche Schritte hast du unternommen, um aus der Isolation wieder herauszukommen?
Stephan Menzel: Bei mir ging es erst mal in den Zerbruch. Danach habe ich erst einmal angefangen, auf Ursachenforschung gehen. Warum kam es so weit? Über was habe ich mich erschöpft? Im Nachhinein kann ich sagen, das waren alles innere Motive und innere Antreiber, die mich letztendlich in den Burnout getrieben haben.
Ich habe danach gemerkt, dass ich stabile Kontakte brauche, um regelmäßig in die Reflexion zu gehen, um mich zu spüren. Ich habe also erst einmal diese Ursachen geklärt, bevor ich das Thema Freundschaft angegangen bin.
Freundschaften brauchen zweckfreie Zeit
ERF: Was hat sich konkret nach deinem Burnout an deinem Umgang mit Freundschaften verändert?
Stephan Menzel: Früher vor meinem Burnout konnte ich nur mit Menschen unterwegs sein, die genauso ticken wie ich. Weil sie mich nicht hinterfragt haben. Heute erlebe ich das völlig anders. Meine engsten Freunde leben total anders als ich. Für mich macht aber genau das die Freundschaft interessant.
Wie der andere sein Leben gestaltet, entspricht mir vielleicht nicht, aber was könnte daran auch für mich gut sein? Was könnte für mich eine Inspiration sein?
Das ist für mich das Kostbare an Freundschaften, diese Unterschiedlichkeit. Mir hat da das Bild eines Blumenstraußes geholfen. Es gibt unterschiedliche und einzigartige Blumen. Zusammen ergeben sie einen wunderschönen und vielfältigen Strauß.
ERF: Wie machst du das heute? Wie pflegst du deine Freundschaften?
Stephan: Ich plane zweckfreie Zeit ein. Wir setzen uns beispielsweise einfach nur auf die Terrasse und quatschen zwei Stunden, also verbringen zweckfreie Zeit miteinander und kommen einfach so ins Gespräch. Damit meine ich Zeit ohne Agenda. Bei einer gemeinsamen Radtour nicht hunderte Kilometer runterschrubben zu müssen, sondern Pausen einzuplanen. Denn zweckfrei ist nicht sinnlos!
ERF: Vielen Dank für das Interview.
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