06.12.2025 / Serviceartikel
Innere Landkarten
Muster aus der Vergangenheit können das Leben negativ beeinflussen. Wie überwinde ich hinderliche Prägungen aus der Kindheit?
Manchmal vermisse ich die Zeit, bevor es Navis gab. Was hatten wir damals für abenteuerliche Fahrten quer durch Deutschland, bei denen ich mit dem dicken Straßenatlas auf dem Schoß als Beifahrerin navigiert habe! Aufmerksam haben wir damals jedes Schild studiert und Straßennamen mit der Karte im Atlas abgeglichen. Am Ziel anzukommen war damals jedenfalls aufregender. Und Lametta gabs früher auch mehr.
Wohlgemerkt, wahrscheinlich sind diese Old-School-Fahrten in meiner Erinnerung schöner, als sie in der Realität waren. Das Navigieren mit der Karte war damals deutlich stressiger als das Fahren mit dem Navi heute.
Trotzdem studiere ich immer noch gern Landkarten, denn auf ihnen lässt sich entdecken, was sich links und rechts von meinem Weg befindet: Hier eine schöne Aussicht, da eine historische Ruine! Eben all jenes, an dem mich mein Navi kommentarlos vorbeisausen lässt.
Innere Landkarten – Was ist denn das?
Im Podcast „Homemade Stress“ spricht Burnout-Präventions-Coach Stepan Menzel auch viel über Landkarten. Allerdings nicht über die, auf denen Taunus, Paris oder der Himalaya abgebildet sind. Stephan Menzel spricht von inneren Landkarten:
„Wir zeichnen in unserem Gehirn Datenautobahnen: Wir lernen sehr früh, als Kinder und Jugendliche, Strategien und Lösungen, wie wir zurechtkommen können in unserem Umfeld. Und zwar, um elementare Grundbedürfnisse zu befriedigen: der Wunsch nach Bedeutung, Sicherheit und Autonomie.“
Diese inneren Landkarten helfen uns, sicher durch unser Leben zu navigieren: Es sind die Grundüberzeugungen und Werte, die mir als Richtlinien dienen, um für mein Leben Entscheidungen zu treffen.
Wie unsere Geschwister uns prägen
Ein Faktor, wie unsere inneren Landkarten entstehen, ist zum Beispiel die Geschwisterkonstellation in der Ursprungsfamilie. Diese ist in jeder Familie einzigartig: nicht immer sind die Ältesten auch die Verantwortungsträger, die Jüngsten die kreativen Chaoten, wie so manch landläufiges Klischee suggeriert.
Bei Geschwistern stoßen unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander, die ihren Platz in der Familie suchen: einen Platz, in dem sie sowohl Bedeutung, Sicherheit als auch ein gewisses Maß an Autonomie erfahren. Stephan Menzel beschreibt diese Erfahrung in seiner eigenen Vita wie folgt:
„Ich habe noch zwei ältere Brüder und sie haben zwei ganz spezielle Positionen in der Familie besetzt. Für mich war klar, dass ich in diesen Positionen nicht mithalten kann, ich habe mir also eine andere Rolle gesucht. Für mich war es das Thema ‚Anerkennung durch Leistungʻ.
Ich habe wie ein fleißiges Bienchen immer wieder geleistet, um mir diese Anerkennung zu holen. Diese Muster sind so tief in uns eingegraben und so gut verinnerlicht, dass diese wie im Autopiloten unbewusst und unbemerkt in uns mitlaufen.“
Innere Landkarten entstehen unbewusst
Selten sind diese Rollen den Familienmitgliedern bewusst, sondern sie entstehen innerhalb der Familiendynamik. Eltern nehmen ja nicht ihr Neugeborenes auf den Arm und denken dabei „Das wird unser Sorgenkind“ oder „Dieses Kind ist der geborene Streitschlichter“.
Stattdessen bilden sich die inneren Landkarten aus vielen kleinen Erfahrungen heraus, die den familiären Alltag prägen: Wie reagiert das Umfeld auf schulische Leistungen, wie werden gemeinsame Auszeiten gestaltet, worüber spricht man am Abendtisch? Welche ausgesprochenen und unausgesprochenen Familienregeln („Bei uns Müllers herrscht Ordnung!“) gibt es?
Unsere Persönlichkeit, familiäre und freundschaftliche Beziehungen, schulische Erfahrungen, Interessen, Hobbies und kulturelles Umfeld: All dies prägt uns für unser Leben.
In dieser Zeit entwickeln wir unsere Stärken, es festigen sich Interessen, Werte, Grundüberzeugungen und Glaubenssätze.
Wenn Trauma die innere Landkarte prägt
Es gibt allerdings auch Erfahrungen, die in kürzester Zeit die innere Landkarte umzeichnen können: Wenn Kinder erleben müssen, dass sie ihre Sicherheit verlieren und wenn sie Erfahrungen tiefster Ablehnung machen. Solche traumatischen Erfahrungen graben sich regelrecht ein in die Seele.
Auch Stephan Menzel hat in einer Phase seiner Kindheit so eine negative Prägung erlebt: „Mein Vater hat unsere Familie früh verlassen, weil er schwerer Alkoholiker war. Dann hat mein Onkel das Regiment im Haus übernommen, auch er war Alkoholiker. Doch bei ihm kamen noch weitere Eigenschaften dazu: Er war sehr gewalttätig und sehr tyrannisch. Und wir haben sehr viel Gewalt erlitten, das war sehr, sehr einschneidend.“
Um aus der Schusslinie zu kommen, lernte Stephan als Kind, Konflikte, um jeden Preis zu vermeiden: „Ich habe für mich herausgefunden: Wenn ich mich aus Konflikten heraushalte, bin ich sicher, dann passiert mir nichts. Das habe ich ins Erwachsenenalter übernommen: Immer, wenn es Konflikte gab, war ich der Erste, der weg war.“
Wenn alte Landkarten uns in die Irre führen
Was für Stephan Menzel als Kind zu einer wichtigen Überlebensstrategie wurde, hat ihn als Erwachsenen immer wieder ausgebremst, denn gerade im Arbeitskontext stieß er bei Diskussionen immer wieder an seine Grenzen. Sobald eine Spannung als vermeintlicher Konflikt spürbar wurde, ging er auf Rückzug:
„Ich war lange Zeit im Vertrieb tätig und jede härtere Verhandlung hat sich angefühlt wie ein Streit. Das heißt, um das zu vermeiden, habe ich nachgegeben und mich damit unter Wert verkauft. Das hat mich irgendwann so maßlos geärgert, dass ich mich entschlossen habe: Das möchte ich nicht mehr länger.“
Doch es müssen gar nicht so tiefe Verletzungen sein, die im Erwachsenenalter Mühe machen. Auch andere Muster können uns ausbremsen. Solche beobachtet Stephan Menzel in seinen Coachinggesprächen auf ganz unterschiedliche Art und Weise:
„Da gab’s eine Person, die sich kurz vor einem großen Karriereschritt plötzlich so einen Klops geleistet hat, dass die Beförderung wieder gekippt wurde. Alle Kollegen waren total perplex und konnten es nicht verstehen. Das Interessante daran war, dass es schon das zweite Mal in seiner beruflichen Laufbahn vorkam.
Im Coaching kam an die Oberfläche, dass es eine Wertebasis gab, ein Familienmotto: ‚Wir sind nichts Besseres.ʻ Die Person kam aus einer Familie aus der Landwirtschaft, die sehr fleißig war, aber sich als ‚nichts Besseresʻ sah. Und dieser Karriereschritt wäre ein Schritt zu ‚etwas Besseresʻ gewesen. Aus Loyalität zur Herkunftsfamilie hat die Person diesen Fehler produziert. Unbewusst als innerer Sabotageakt – wie im Autopilot.
In den Beratungen nutze ich oft folgenden Satz: Das Symptom ist die Lösung für den inneren Konflikt. Das klingt erst einmal kompliziert, aber damit meine ich folgendes: Wenn ich bei mir selbst ein Verhalten beobachte, dass mir Schwierigkeiten bereitet, dann ist das oft nur ein Symptom für ein tieferliegendes Muster.
Bei mir war es die Konfliktscheue, in dem Beispiel die Selbstsabotage. Ich wende das unbewusste Muster an, um eine innere Spannung oder einen inneren Konflikt aufzulösen und schaffe mir damit zwar kurzfristig Erleichterung, löse aber das eigentliche Problem nicht.“
Die innere Landkarte umzeichnen
Doch wie schafft man es, neue Muster zu entwickeln oder – um im Bild zu bleiben – neue Wege auf der Landkarte einzuzeichnen? Das Gute: Es ist möglich. Stephan Menzel hat es selbst in seiner eigenen Biografie erfahren, im Rahmen einer Therapie: „Am Anfang stand die Erkenntnis, dass es da ein Muster gibt. Ich war Anfang 30, als ich einen Burnout hatte. Ich konnte mir erst nicht vorstellen, dass die Muster noch so aktiv sind.“
Im Rahmen der Gespräche formulierte Stephan Menzel für sich das Ziel, entspannter mit Konflikten umzugehen:
„Als Kind war es für mich existenziell, mich aus Streit herauszuhalten, weil ich Gefahr lief, Gewalt zu erleben. Doch im Erwachsenalter fühlte sich jedes ernstere Gespräch für mich wie ein Konflikt an. Nach dieser Neubewertung habe ich gelernt, Konflikte auszutragen, auszuhalten, mich ihnen zu stellen.
Das hat richtig Kraft gekostet, ich war danach manchmal schweißgebadet. Aber nach jedem dieser Konflikte habe ich gemerkt: Hey, ich bin noch da, ich bin unversehrt, ich lebe noch! Das war lebensverändernd. Heute kann ich jedem Konflikt erstmal angstfrei und offen begegnen.“
Stephan Menzel hat sich immer wieder Situationen gestellt, die seinem Muster widersprachen und dadurch gelernt, Konflikten gelassener zu begegnen. Das ist kein bequemes Vorgehen, denn es bedeutet für den Betroffenen, etwas zu tun, dass sich fremd, vielleicht sogar bedrohlich anfühlt. Aber dadurch verliert die Situation an Schrecken, vor allem, wenn diese Erfahrungen mit therapeutischer Hilfe vor- und nachbereitet werden.
Ein Prinzip, das auch in der Verhaltenstherapie erfolgreich angewendet wird, zum Beispiel bei Menschen mit einer Angststörung. Gemeinsam mit einer therapeutischen Fachkraft begeben sie sich bewusst in Situationen, die ihnen Angst bereiten. Dann steigt jemand mit Höhenangst auf einen Turm oder wer unter Flugangst leidet, begleitet einen Tag lang ein Pilotenteam.
Letztlich geht es – wie so oft – um einen ersten Schritt. Ich kann mich fragen: Welches Muster möchte ich gerne ablegen und wie kann ich dafür sorgen, dass ich in diesem Lernfeld neue Erfahrungen sammle, ohne mich gleich zu überfordern?
Inspiration aus der Bibel: Veränderung ist möglich
Für Stephan Menzel ist die Bibel in solchen Prozessen eine wichtige Inspirationsquelle. Darin ist ihm eine Geschichte begegnet, in der ein Mann seine innere Landkarte umgeschrieben hat. Sie steht in Lukas 19,1-10.
Der Mann hieß Zachäus und war als korrupter Steuerbeamter bekannt. Wir erfahren nicht, warum er sich für diesen Lebensweg entschieden hat, doch offensichtlich wollte Zachäus raus aus den alten Mustern, wie Stephan Menzel beobachtet:
„Als Zachäus hörte, dass Jesus in die Stadt kam, hat er sich auf den Weg gemacht. Er hatte nur ein Problem: Zachäus war klein und die Menschenmenge, die Jesus sehen wollte, war groß. Was hat er getan? Er hat sich einen Baum gesucht und ist auf diesen Baum geklettert, damit er Jesus sehen kann.“
Den wichtigsten Schritt hatte Zachäus also schon unternommen: aufzubrechen und sich auf den Weg zu machen. Und Jesus? Er sieht den Steuereintreiber auf dem Baum, fordert ihn auf, herunterzuklettern. Dann lädt er sich einfach selbst beim kleinen Mann zum Essen ein.
„Für die Gläubigen, die um Jesus herumstanden, war das natürlich ein Skandal. Wie kann Jesus sich einladen bei einem der größten Betrüger der Stadt? Tja, so ist Jesus. Er kommt zu den Menschen, weil er sie total liebt. Er sprengt alle Konventionen und jeden Rahmen.“
Die Begegnung mit Jesus gibt Zachäus die Kraft, seine innere Landkarte umzuschreiben. Statt sich weiter an seinen Reichtum zu klammern, entscheidet er sich dafür, einen Großteil zu spenden und das, was er unrechtmäßig erworben hat, zurückzugeben. Er hat seine innere Landkarte umgezeichnet, nachdem ihm Jesus auf Augenhöhe begegnet ist.
Ich muss nicht bleiben, wie ich bin
Von Zachäus kann man folgende Prinzipien lernen beim Thema Selbstveränderung.
1. Wer zuhause sitzen bleibt und in der Haltung „Ich bin halt so“ verharrt, der wird sich bestimmt nicht verändern. Nur wer (aus sich) rausgeht, entdeckt neue Wege.
2. Zachäus war erst einmal einfach nur neugierig und ist dieser Neugier nachgegangen. Es ist erstaunlich, was der Gedanke „Was wäre eigentlich, wenn ich…“ bewirken kann! Für Stephan Menzel war es die Vorstellung, bei einem Konflikt einfach mal nicht wegzulaufen oder nachzugeben. Welche Vorstellung von dir selbst weckt deine Neugier?
3. Zachäus hatte offensichtlich keine Angst, sich lächerlich zu machen. Er ist einfach auf diesen Baum gestiegen und hat die Perspektive gewechselt. Manchmal verändern sich Menschen deswegen nicht, weil sie Angst davor haben, was andere über sie sagen – und verpassen dabei die Chance ihres Lebens.
4. Zachäus hat nicht gekniffen, als sein Leben eine überraschende Wendung nahm. Dass Jesus ihn direkt ansprechen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Doch er hat die Gelegenheit zur Veränderung mit beiden Händen ergriffen.
5. Zachäus hat erlebt, dass Jesus verändert. Durch die Begegnung mit ihm, wollte er nicht mehr die alten Muster leben. Die Erfahrung, wie eine Begegnung mit Jesus verändern kann, hat auch Stephan Menzel 2 000 Jahre später gemacht:
„Es gab bei meinen inneren Landkarten einige Abzweigungen, die nicht mehr gepasst haben. Aber diese Karte umzuzeichnen, das ist kein Spaziergang. Ich habe gemerkt, dass ich aus meiner Beziehung zu Jesus Kraft schöpfe, um neue Wege zu gehen. Die alten Wege waren tief verankert in mir und gehörten zu meinem Leben und für mich war es wirklich lebensverändernd, als ich sie loslassen konnte.“
Es gibt kein Navi fürs Leben
Beim Autofahren kann ich mich inzwischen von einer angenehmen KI-Stimme navigieren lassen, die mir sagt, wie ich ans Ziel komme. Die digitalen Navis erfahren regelmäßige Updates. Im Leben gibt es kein Navi, sondern da gilt es, selbst zu entscheiden, welchen Straßen ich folge.
Das Gute dabei: Jesus ist ein exzellenter Beifahrer. Er kennt den Weg („Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ Johannes 14,6) und meine inneren Landkarten genau. Er weiß, wo es sich lohnt, mal einen Schlenker zu fahren.
Wenn du erste Schritte gehen willst, um deine inneren Landkarten (durch ein „Update“) umzuschreiben und alte Wege zu verlassen: nur Mut! Schnapp dir deinen inneren Kompass und machʻs wie Zachäus: Verlass dein Haus und schau mal, was passiert. Du bist auf dieser Reise nicht allein. Die Bibel kann dir dabei ein kostbarer Reisebegleiter sein.
Das könnte Sie auch interessieren
29.11.2025 / Artikel
Schlafkiller Stress
Viele Menschen leiden unter Schlaflosigkeit, weil sie sich gestresst fühlen. Burnout-Präventionscoach Stephan Menzel gibt Tipps für besseren Schaf.
mehr20.11.2025 / Artikel
Kein Bock mehr auf Menschen
In stressigen Zeiten fallen Freundschaften oft hinten runter. Wie lebt man gute Beziehungen trotz Stress?
mehr14.11.2025 / Artikel
Keine Zeit für Genuss?
Warum wir uns oft viel zu selten etwas gönnen – und warum Genuss gesund hält. 7 Tipps für mehr Genuss.
mehr07.11.2025 / Artikel
Das ist doch kein Burnout, oder?
Wann wird normaler Stress zum Burnout? Das „Rad nach Freudenberger“ benennt mögliche Warnsignale.
mehr03.01.2025 / Artikel
Burnout ist kein Schicksal
Viele Menschen klagen über Stress. Was können wir bei einer anhaltenden Erschöpfung tun?
mehr