Navigation überspringen
© Gwendal Cottin / unsplash.com

31.08.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Timo König

Einbrüche – „Polizei geht auf dem Zahnfleisch"

Polizist Axel Schneider erzählt, was ihm nachts den Schlaf raubt.

Einbrecher fühlen sich in Deutschland offensichtlich so, als setzten sie sich an einen gedeckten Tisch. Es gibt viel zu verdienen und die Wahrscheinlichkeit, geschnappt zu werden, ist winzig. Denn bei der Polizei herrscht chronischer Personalmangel. Wir haben mit einem erfahrenen Polizisten darüber gesprochen. Axel Schneider aus Lebach im Saarland ist seit 42 Jahren im Dienst und seit 2000 für Einbruchskriminalität zuständig: Spurensuche, Fingerabdrücke, DNA.

Zwischenzeitlich war fraglich, ob der überzeugte Christ seinen anspruchsvollen Job psychisch stemmen kann. Ein Gespräch über gesellschaftliche Verrohung, Burn-Out und das Licht am Ende des Tunnels. Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews über Linksextremismus, Polizeigewalt und den Gebrauch der Waffe.
 

ERF: Nach offiziellen Statistiken ist die Zahl der Einbrüche 2016 erstmals seit 10 Jahren wieder zurückgegangen. Ist Deutschland sicherer geworden?

Axel Schneider: Im Gegenteil. Die Zahlen sind in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Da kann man nicht von einem Jahr mit leicht rückläufigen Zahlen darauf schließen, dass wir eine Trendwende erleben. Ich glaube, dass Deutschland unsicherer wird. Das liegt nicht nur an den Einbrüchen. Aber auch bei den Einbrüchen wird die Zahl wieder steigen.
 

ERF: Deutschland ist also ein Einbrecherparadies. Was macht es Einbrechern hier so leicht?

Axel Schneider. Foto: Privat.
Axel Schneider außer Dienst. Foto: Privat.

Axel Schneider: Es sind vor allem osteuropäische Banden, die Wohnungseinbrüche begehen. Diese Gruppen sind sehr gut organisiert. Wird mal einer von ihnen verhaftet, kommen immer wieder neue Leute nach.

Rumänien oder Bulgarien sind große Länder. Aber dort herrscht auch Armut. Und hier in Deutschland gibt es viel zu verdienen.
 

ERF: Die Täter kommen also normalerweise nicht aus Deutschland. Haben Sie das Gefühl, Ausländerkriminalität wird in Deutschland verharmlost?

Axel Schneider: Ich selbst kenne in Bezug auf Ausländerkriminalität keine verlässliche Statistik. Aber meine dienstliche Erfahrung sagt mir, dass in der Relation deutlich mehr Ausländer Straftaten begehen als Deutsche. Ich mache seit 25 Jahren Dienst in einem Ort, in dem sich die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge und Ausländer im Saarland befindet. 

Ich weiß noch, dass im Fall Anis Amri ein Aufschrei durch die Bundesrepublik gegangen ist, weil der Mann 14 verschiedene Identitäten hatte. Sowas ist bei mir an der Tagesordnung. Nur, dass es bei meinen Fällen nicht um Terrorismus, sondern meist um Einbrüche oder Körperverletzung geht. In solchen Fällen erregt das kein mediales Aufsehen. Aber Asylbetrug und Mehrfachidentitäten – das ist völlig normal. Ich hatte vor Jahren mit jemandem zu tun, der über 80 Identitäten hatte. Und dann muss man trotzdem noch zusehen, dass man einen Haftbefehl bekommt.

Ermittlungen sind wie Suche nach der Nadel im Heuhaufen

ERF: Wie hoch ist denn die Aufklärungsquote bei Einbruchsdiebstählen?

Axel Schneider: Die Aufklärungsquote ist bundesweit relativ niedrig. 2016 hat sie bei den Einbrüchen um die 16-17 Prozent gelegen. Wir haben es mit organisierten Banden zu tun, die einbrechen, wieder abreisen und aufgrund ihrer Professionalität kaum noch Spuren hinterlassen. Obwohl die Polizei sich da wirklich alle Mühe gibt – gerade im Bereich der Spurensuche. Aber gerade bei einem Einbruchs­diebstahl kann man meistens überhaupt keinen Bezug zwischen Täter und Opfer herstellen. Von daher ist es oft völlig aussichtslos, den Täter zu ermitteln.
 

ERF: Die unionsgeführten Bundesländer haben bekannt gegeben, 15.000 Polizisten zusätzlich einstellen zu wollen. Ist das notwendig?

Axel Schneider: Die Polizei geht personell auf dem Zahnfleisch. Sie kann ihren Aufgaben nicht mehr wie früher in vollem Umfang nachkommen. Das Saarland ist hoch verschuldet und muss sparen. Deswegen ist dort bis 2020 ein ständiger Rückgang des Polizeipersonals vorgesehen. Und das gilt nicht nur für das Saarland. Die Polizei wird weiter reduziert werden, auch wenn Politiker wie der saarländische Innenminister einen gegenteiligen Anschein erwecken möchten.

Die Gesellschaft verroht zunehmend

ERF: Ist es nicht manchmal frustrierend, den Opfern keine Gerechtigkeit schaffen zu können?

Axel Schneider: Ich bin seit 42 Jahren bei der Polizei und mittlerweile der Meinung, dass vieles, was wir tun, ein Kampf gegen Windmühlen ist. Wenn wir einen Täter schnappen, kommen dafür drei andere nach. Es geht einfach weiter. Das ist ziemlich frustrierend und überhaupt nicht mehr befriedigend. Hinzu kommt eine relativ lasche Justiz. Seit Jahren ist kaum jemand für Widerstand gegen die Staatsgewalt bestraft worden – selbst, wenn bei Einsätzen Beamte verletzt wurden. Die Polizeibeamten selbst sind darüber frustriert. Es werden schon gar keine Strafanträge wegen Beleidigung oder Körper­verletzung mehr gestellt, weil es sowieso nichts bringt.
 

ERF: Wie verhalten sich Täter oder Verdächtige gegenüber den Polizisten?

Axel Schneider: Wenn ich mal einen Bezug zur Bibel herstellen darf: Dort steht, dass Gott Lügen hasst. Auf der anderen kann man dort aber auch lesen, dass jeder Mensch ein Lügner ist. Die Lügen, die mir als Polizist mittlerweile entgegengebracht werden, haben in den letzten Jahren an negativer Qualität dazugewonnen. Immer mehr Kinder und Jugendliche – aber auch die Väter oder Mütter, die bei der Vernehmung anwesend sind – lügen ohne Hemmungen. Wer heute einen Polizeibeamten anlügt, denkt, dass das moralisch in Ordnung ist, solange der Polizist ihm nicht das Gegenteil nachweisen kann. Diese Qualität der Verrohung der Gesellschaft hat in den letzten Jahren meiner Meinung nach erheblich zugenommen.

Schwere psychische Folgen für die Opfer

ERF: Sie müssen nicht nur Menschen verhaften, sondern zum Beispiel auch beruhigen oder ihnen ins Gewissen reden. Wie viel der Polizeiarbeit könnte man eigentlich als Seelsorge bezeichnen?

Axel Schneider: Die Polizei nimmt oft die Funktion eines Seelsorgers ein. Direkt vor Ort ist das in der Regel der uniformierte Beamte, der zum Beispiel in einem Fall häuslicher Gewalt gerufen wird. Da muss er seelsorgerlich eingreifen, auf der anderen Seite aber auch streng sein. In vielen Situationen haben mir Opfer ihr Herz ausgeschüttet.

Viele Opfer von Wohnungseinbrüchen sind traumatisiert. Sie müssen sich vorstellen: Da ist jemand in die eigene Wohnung eingebrochen und war im Schlafzimmer oder hat in der Wäsche herumgefummelt. Jemand Wildfremdes hat die Handtücher und Kleidungsstücke auf den Boden geworfen und ist darauf herumgetrampelt. Manche Leute leiden danach unter psychischen Problemen, die Monate oder auch Jahre andauern können. Manchmal bin ich sogar später nochmal hingefahren, um nachzuhören, wie es den Betroffenen geht.
 

ERF: Haben Sie ein konkretes Beispiel von einem Einbruchsopfer, das psychische Probleme bekommen hat?

Axel Schneider: Sehr bezeichnend finde ich einen Fall, den einer meiner Kollegen erlebt hat. Es ging um eine alleinstehende Frau, bei der eingebrochen wurde. Einige Wochen später ist er nochmal zu ihr gefahren, um sich zu erkundigen, wie es ihr geht. Die Frau hat ihm gesagt, dass sie nach der Tat morgens und abends drei Wochen lang die Wäsche gewaschen hat, die die Täter in den Händen hatten. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, unter welch psychischer Belastung diese Frau gestanden hat. Für sie hatte das schlimme seelische Folgen.

Übrigens weiß ich sogar von einem Kollegen, dass er nach einem Einbruch sein Haus verkauft hat. Obwohl er Polizist ist, hat ihn die Sache psychisch zu stark belastet.

Irgendwann streikt der Körper

ERF: Apropos psychische Belastung. Sie sind aufgrund des Stresses im Job auch persönlichen an ihre Grenzen gestoßen.

Axel Schneider: Ich war vollumfänglich im Kriminaldienst tätig, musste zunehmend aber auch Jugendkriminalität, Betrugskriminalität und dergleichen mitbearbeiten. Das war dem Personalmangel geschuldet. Zusätzlich zu den Ermittlungen, die man durchführt, wird man ständig durch neue Aufgaben ausgebremst. Man kann keinen Plan verfolgen – so, wie man das im Fernsehen sieht. Im Fernsehen hat ein Kriminalist einen Fall und bleibt an ihm dran, bis der Film rum ist. Das ist bei uns nicht so. Man ist mit so vielen Ermittlungen gleichzeitig beschäftigt, dass man völlig den Überblick verliert. Ich wurde von einer Frau angerufen, bei der eingebrochen worden war. Sie wollte wissen, wie die Ermittlungen voran kommen. Ich habe ihr leider sagen müssen: „Gute Frau, es tut mir leid, ich weiß gar nicht, wer Sie sind.“
 

ERF: Welche Folgen hatte diese Belastung für Sie persönlich?

Axel Schneider: Vor ein paar Jahren gab es zwei bewaffnete Raubüberfälle auf eine Tankstelle mit maskierten Tätern. Aufgrund der Personalsituation bin ich alleine zu den Verdächtigen gefahren – das darf man bei Tatverdächtigen, die auch schon polizeilich einschlägig in Erscheinung getreten sind, eigentlich gar nicht. Weil ich an diesem Fall sehr intensiv gearbeitet habe, ist die andere Arbeit komplett liegengeblieben. Das war für mich sehr belastend. Die Tage waren voll, die Nächte unruhig. Als ich mit den Ermittlungen fertig war, bin ich in den Urlaub gefahren und habe nach zwei Tagen extremen Hautausschlag bekommen, der wochenlang angehalten hat. Das lag eindeutig am Stress.

Frieden mit Gott

ERF: Gab es einen Punkt, an dem Sie nicht mehr weitermachen wollten?

Axel Schneider: Ich hatte vor vier Jahren ein Burn-Out. Das ist schwer zu beschreiben, aber ich konnte einfach nicht mehr weitermachen. Ich war acht Monate zu Hause, war krankgeschrieben und der Polizeiarzt war informiert. Obwohl das jetzt vier Jahre her ist, hallt dieser Burn-Out bis heute nach. Es ist nicht so, dass man das irgendwann überwunden hat und dann alles wieder in Ordnung ist.
 

ERF: Wie fühlt sich so ein Burn-Out an?

Axel Schneider: Man fühlt sich ausgebrannt. Man beschäftigt sich auch nachts gedanklich mit der Arbeit, ist unruhig und hat Schlafstörungen. Hinzu kamen bei mir starke Rückenschmerzen. Ich hatte vor acht Jahren einen Bandscheibenvorfall. Die Rückenschmerzen kamen zurück, als ich gerade krankgeschrieben war, und haben non-stop sieben Monate lang angehalten.
 

ERF: Gibt es etwas, was Ihnen trotz allem Hoffnung macht?

Ich gehe Ende September in den Ruhestand. Da werde ich 60. Aber gerade in den letzten Jahren hat mich der Beruf schon deprimiert, weil ich denke, dass viele Sachen von der Justiz verharmlost werden. Täter werden mit großem Aufwand ermittelt, um dann mit ganz geringer Strafe davonzukommen. Das ist manchmal mit Ordnungswidrig­keits­strafen vergleichbar, als ob einer bei Rot über die Ampel fährt. Viel mehr bekommen die nicht. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt: Gott hat alles im Griff. Und ich kann mich eigentlich beruhigt zurücklehnen und sagen: „Du, Herr, hast alles in der Hand und hast auch diese Situation in der Hand.“ Und deshalb habe ich in der Hinsicht totalen Frieden mit Gott.
 

 Timo König

Timo König

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (1)

Hartmut /

Es ist wirklich zum Verzeifeln. Ohne Gott könnte man solch einen Beruf doch gar nicht ausführen.

Das könnte Sie auch interessieren