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© James Bloedel / unsplash.com

08.07.2010 / Interview / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Hanna Keller

Vergewaltigung, Mord und gebrochene Herzen

Mehrere tausend Frauen leben in Berlin von der Prostitution. Patricia Green kennt die Geschichten hinter Make-up und Minirock.

Berlin ist nicht der erste Einsatzort der Psychologin und Sozialarbeiterin. Die gebürtige Neuseeländerin arbeitete von 1988 – 2005 im Rotlichtviertel Bangkoks. Ihr Ziel war es, Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution zu helfen. Weil viele Kunden der käuflichen Liebe in Thailand Bundesbürger waren, zog sie schließlich in die deutsche Hauptstadt. Zusammen mit ehrenamtlichen Helferinnen versucht sie hier, mit den Prostituierten Kontakt zu knüpfen, verteilt heiße Getränke, Geschenke, Lebensmittel, Kondome und christliche Literatur. Koordiniert wird die Arbeit von Alabaster Jar e.V., einem christlichen Hilfsprojekt. ERF.de hat mit der Siebzigjährigen über ihren Einsatz auf dem Straßenstrich gesprochen.
 

ERF: Manche Prostituierte umgibt die Aura eines glamourösen Lebens: Sie verdienen viel Geld, haben tolle Kleider und werden von Männern begehrt. Wie sieht es in Wirklichkeit aus: Ist Prostitution ein Traumjob oder die Hölle auf Erden?

Patricia Green: Es tendiert mehr in Richtung Hölle auf Erden. Wir arbeiten auf zwei Berliner Straßen und auf einer Straße erwecken die Frauen wirklich den Eindruck, dass es ein Traumjob ist. Sie verdienen tatsächlich meistens gut und tragen wunderschöne Kleider, wie zum Beispiel Jacken aus Hasenfell. Sie bekommen viel Geld und geben viel aus. Aber der Preis, den sie emotional und oft auch physisch zahlen, um dieses Geld zu verdienen, gehört zu der Kategorie „Hölle“. Viele trinken Alkohol, manche nehmen Drogen. Alkohol ist oft die Art und Weise, wie die Frauen mit dem umgehen, was sie machen müssen.
 

ERF: Sie begleiten einige der Frauen über mehrere Jahre. Verändern sie sich mit der Zeit?

Patricia Green: Ja, das tun sie. Wir haben das im letzten Jahr bei einigen Frauen beobachtet, die angefangen haben, auf der Straße zu arbeiten. Eine fing mit Turnschuhen und Jeans an. Sie sah aus wie ein Mädchen aus dem Nachbarhaus. Nach drei Monaten sah sie aus, wie alle anderen auch, mit Überkniestiefeln und sehr, sehr engen Jeans. Eine Frau hat eines Nachts eine sehr interessante Aussage gemacht. Sie zeigte auf einige Frauen in der Nähe und sagte: „Ich will nicht so werden, wie alle anderen. Ich sehe, wie ihr Verhalten sich ändert und ich will nicht so werden.“

Sie kennen kein normales Leben

ERF: Das klingt jetzt aber nicht nach einem Problem, das nur Prostituierte haben.

Patricia Green: Die Arbeit einer Prostituierten ist eng mit dem verbunden ist, was sie aus ihrem Körper herausholen kann. Wenn eine Frau nur Anerkennung und Wertschätzung bekommt, weil sie Männer anzieht, ist das nicht gesund. Wenn irgendwas passiert und sie ihre Schönheit verliert, verliert sie alles. Prostituierte verdienen unter Umständen viel Geld und haben schöne Kleider, aber innerlich sind sie gebrochene Menschen. Viele kommen schon aus kaputten Familien. Wir haben mehrere Frauen gesehen, die mit Zwanzig gesagt haben, dass sie von der Straße wegwollen, weil sie emotional damit nicht mehr klar kommen.

Das Tragische ist, dass viele dieser Frauen eigentlich noch Mädchen sind. Das ist möglich, weil Prostitution aufgrund der Gesetzeslage ab achtzehn Jahren erlaubt ist. Viele kommen direkt von der Schule und kennen überhaupt kein normales Leben mit einer normalen Arbeit. Das ist einer der Gründe, warum ich mich dafür einsetze, dass das Gesetz geändert wird und das Alter auf einundzwanzig hochgesetzt wird. Wenn Prostitution einmal legalisiert worden ist, ist es schwer, das rückgängig zu machen. Aber man kann versuchen, die negativen Folgen einzuschränken.
 

Auf alabasterjar.de finden Sie weitere Informationen über die Arbeit von Patricia Green. Dort erfahren Sie auch, wie sie das Hilfsprojekt finanziell und im Gebet unterstützen können.

ERF: Warum fängt eine Frau oder ein junges Mädchen an, als Prostituierte zu arbeiten?

Patricia Green: Ich will ihnen eine Beispielgeschichte erzählen: Ein Mädchen kam aus einem zerrütteten Elternhaus. Die Eltern hatten sich getrennt und das übriggebliebene Elternteil hatte einen neuen Partner. Sie war zuhause nicht mehr erwünscht und kam mit dreizehn Jahren zu einem Mann, der ihr Großvater hätte sein können. Er hat sie vergewaltigt und ich denke, sie ist auch in ihrer Familie schon sexuell missbraucht worden. Sie wurde schwanger und ging nicht mehr zur Schule. Mit achtzehn Jahren ist sie dann auf der Straße gelandet. Aber das ist nur die eine Seite. Viele der Frauen haben gar keine Wahl.
 

ERF: Wie meinen Sie das?

Patricia Green: Momentan wird die westliche Welt von den so genannten „lover boys” überrollt. Das sind attraktive, junge Männer, die nach verletzlichen Mädchen Ausschau halten. Sie tun so, als ob sie sich in eine Sechzehn- oder Siebzehnjährige verlieben und werben um sie. Das Mädchen wird von ihrer Familie weggelockt und zieht bei ihm ein. Er bereitet sie auf die Prostitution vor und mit achtzehn schickt er sie auf die Straße und wird ihr Zuhälter. Es gibt Männer in Berlin, die drei oder vier Mädchen gleichzeitig am Laufen haben. Die Frauen sind emotional so abhängig von dem Mann, dass sie machen, was er will, selbst wenn sie es hassen. Manche werden gezwungen, Drogen zu nehmen. Sie werden abhängig und gehen anschaffen, um Geld für Drogen zu bekommen, wobei das meiste an den Zuhälter geht. Hier zu fliehen ist schwierig, weil der Wille der Frau gebrochen ist.

Wir arbeiten auch mit vielen Frauen, die nach Deutschland verschleppt worden sind. Gegen ihren Willen werden sie aus Osteuropa hergebracht. Sie kommen aus der Tschechischen Republik, der Slowakei, aus Ungarn, Polen, Bulgarien und Rumänien.

Verkauft und bedroht

ERF: Das heißt, Menschenhandel spielt in der Rotlichtszene in Berlin eine Rolle?

Patricia Green: Man schätzt, dass von den 6000 bis 8000 Berliner Prostituierten 70 bis 80 Prozent Ausländerinnen sind. Ich habe keine genauen Zahlen darüber, wie viele davon verschleppt worden sind, aber ich nehme an, dass es ein hoher Prozentsatz ist. Deutschland ist eines der Haupttransitländer, was den Menschenhandel in Europa betrifft. Der typische Ablauf ist folgendermaßen: Ein Mädchen – zum Beispiel aus Bulgarien - reagiert auf ein deutsches Jobangebot als Kellnerin, Modell, Kinder- oder Hausmädchen. Zusammen mit anderen wird sie über die Grenze gebracht und an jemanden verkauft. Dann wird sie entweder weiterverkauft oder in ein Bordell gesteckt. Später wird sie vielleicht nach Frankreich weiterverkauft oder in ein Bordell oder einen Club in Brüssel.
 

ERF: Ist es in dieser Situation nicht eine Hilfe, dass Prostitution legalisiert wurde? So trauen sich die Mädchen doch eher zur Polizei zu gehen.

Patricia Green: Die Legalisierung öffnet dem Menschenhandel die Tür, weil es jetzt viel einfacher ist, nach Deutschland zu kommen. Die Frauen trauen sich auch nicht, etwas zu sagen, weil die Menschenhändler oft wissen, wo ihre Familien wohnen. Sie drohen den Mädchen, ihre Familie umzubringen oder ihre Kinder wegzunehmen, wenn sie zur Polizei gehen. Ich habe eine Freundin in Spanien, die mit einer Frau gearbeitet hat, die verschleppt und bedroht wurde. Man sagte ihr, dass ihr Vater umgebracht werden würde, wenn sie flieht. Sie hat dem nicht allzu viel Beachtung geschenkt und ist geflohen. Drei Monate später hat sie erfahren, dass ihr Vater umgebracht worden war. Viele der ausländischen Mädchen sind auch nicht registriert, weil sie dann Steuern zahlen müssten. Die osteuropäischen Mädchen verdienen oft nicht so viel, wie die deutschen. Manche Frauen verkaufen sich für fünf, zehn oder zwanzig Euro und können sich nicht einmal Kondome leisten.
 

ERF: Wie nimmt die Gesellschaft diese Vorgänge und Prostitution wahr?

Patricia Green: Oft wird gesagt, dass es bei Prostitution um Frauen geht. Wer sich über Prostitution Gedanken macht, sollte aber wissen, dass Männer dabei eine Hauptrolle spielen. Es ist eine Sache von Nachfrage und Angebot. Prostitution ist entwürdigend und zerstörerisch. Sie zerstört die Psyche, den Körper und die Seele. Und es gibt viel Gewalt – sogar bei den glamourösen Mädchen, bei denen es nach einem Traumjob aussieht. Wir haben von so vielen Frauen so viele Geschichten über schlimme Gewalttaten gehört. Die Frauen werden auf der Straße geschlagen – ohne dass sie irgendwie provoziert hätten und auch nicht immer von einem Kunden – oder erstochen. Prostitution ist keine Traumwelt, es ist eine Welt voller Gewalt, Vergewaltigung und Mord. Auch hier in Berlin. Das Hauptproblem bei der Prostitution ist, dass es einen Bedarf dafür gibt. Ich frage mich, warum Männer vergewaltigen und Frauen sexuell missbrauchen müssen. Durch die Legalisierung der Prostitution entsteht nach meinem Verständnis der Eindruck, dass es ok ist, wenn Männer Frauen vergewaltigen und sie sexuell missbrauchen. 

Das zweite, was ich erwähnen möchte, ist die Einstellung, die viele diesen Frauen gegenüber haben. Die Prostituierten sind sich sehr wohl bewusst, dass die meisten sie verachten, auf sie herabschauen und sie wie Dreck behandeln. Ich denke mir oft, wo wäre ich gelandet, wenn Gott mir nicht so gnädig gewesen wäre. Wenn ich in einem anderen Land, in einer anderen Familie und unter anderen Umständen aufgewachsen wäre und nicht all die Möglichkeiten gehabt hätte – vielleicht müsste ich auch als Prostituierte arbeiten. Viele, die auf der Straße arbeiten, wollen nicht dort sein. Das gilt für die deutschen wie für die ausländischen Frauen.

Es gibt Frauen, die den Ausstieg schaffen

ERF: Das klingt alles ziemlich hoffnungslos. Können Sie den Frauen angesichts dieser Strukturen überhaupt helfen?

Patricia Green: Nicht alle Frauen wurden verschleppt. Wir können denen helfen, die freiwillig gekommen sind, indem wir zum Beispiel Kontakt zu allen möglichen Anlaufstellen, der Polizei, Sozialarbeitern und Immigrationsbehörden herstellen. Eine Frau kann in Deutschland legal als Prostituierte arbeiten, wenn sie aus einem EU Mitgliedsland kommt. Solange sie nicht die benötigte Qualifikation hat, kann sie aber keine andere Arbeit annehmen. Die meisten Mädchen können diese Qualifikationen nicht nachweisen oder sie haben nicht die erforderlichen Sprachkenntnisse. Der einzige Weg, der ihnen bleibt, ist, sich selbstständig zu machen. Momentan arbeiten wir mit einer Frau zusammen, die schon einige Jahre hier ist und wirklich aussteigen möchte. Wir versuchen ihr zu helfen, sich mit einer Ein-Personen-Reinigungsfirma selbstständig zu machen. Sie ist Analphabetin und nie zur Schule gegangen. Aber sie spricht ziemlich fließend Deutsch und so könnte dieser Job eine Lösung für sie sein.
 

ERF: Sind sie schon einmal bedroht worden?

Patricia Green: Nein, aber wir arbeiten sehr vorsichtig. Auf der Straße, auf der all die glamourösen deutschen Frauen arbeiten, passiert es allerdings öfters, dass bei allen gleichzeitig das Handy klingelt, wenn wir mit ihnen reden. Sie sagen dann: „Oh, wir müssen arbeiten.” Es ist offensichtlich, dass die Zuhälter aufpassen. Sie sind immer da, fahren mit ihren Autos durch die Gegend und beobachten die Frauen.  
 

ERF: Warum machen Sie mit Ihrer Arbeit trotz all dieser Schwierigkeiten weiter?

Patricia Green: Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen bin ich Christin und Gott gibt mir Hoffnung für diese Frauen. Er hat mir ein Herz für sie gegeben und ich glaube, dass sie ihm wirklich wichtig sind. Zum anderen weiß ich, dass es immer wieder Frauen gibt, die den Ausstieg aus der Prostitution schaffen – besonders auf der „deutschen“ Straße. Das geschieht nicht immer direkt durch uns oder dadurch dass wir den Frauen sagen, wie sie das angehen müssen. Es passiert, weil wir mit ihnen reden. Wir fragen sie, welche Träume sie haben und ob sie schon einmal überlegt haben, ob es etwas Anderes gibt, das sie tun könnten oder ob sie wirklich glücklich mit ihrem Leben sind. Wenn das Vertrauen da ist, sprechen diese Frauen sehr offen mit uns und sagen uns, was ihnen auf dem Herzen liegt. Und wir haben viele aussteigen sehen. Im vergangenen Jahr hatten wir zwei, die sich entschieden haben, die Schule fertig zu machen. Andere finden eine reguläre Arbeit. Ich glaube daran, dass es Hoffnung auf Veränderung gibt. Wir versuchen einfach, uns um diese Frauen zu kümmern und dabei einen Samen in ihr Herz zu pflanzen. Wir beten mit ihnen und sagen ihnen, dass es einen Gott gibt, dem sie wichtig sind.
 

ERF: Wie reagieren die Frauen, wenn Sie mit Ihnen beten?

Patricia Green: Sie mögen es. Weil im Gebet ein Element der Hoffnung mitschwingt. Wir beten für sie, für ihre Familien und dafür, dass Gott ihnen hilft, ihnen Kraft und Hoffnung schenkt.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

 


Buchtipp zum Thema:

Wer wird meine Tränen trocknen?
Zwei Ex-Prostituierte erzählen ihr Leben
Gerry Velema-Drent
CLV Verlag
ISBN: 3893974830
80 S.

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Ihr Kommentar

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Kommentare (13)

js176806 /

@Claudia
Leider stimmt es. In einem offenen Brief an den EKD-Präses in IDEA übten mehrere Diakone Kritik und forderten den Präses auf, diesem Treiben Einhalt zu gebieten, siehe untenstehenden link. mehr

Claudia /

@Musikus: Bravo!
@js1768...:Ich glaub' ich hör nicht richtig?! Ich meine es kaum glauben zu können, aber gut, das mal gelesen zu haben. Gib's doch gar nicht, sowas!

Michael /

Hallo,
ich finde den Artikel durchaus wachrüttelnd. Vielen Dank an den Verfasser. Ich selbst habe vor Monaten eine Männergruppe gestartet zum Theme Internet und Pornographie. Über den Artikel und das mehr

Musikus /

Guten Morgen,
möchte hier nicht generell Aussagen in Frage stellen, aber der sogenannte "liebe Gott", ist -sorry therfore- ein Götze, ein Gottesbild, welches vorrangig in bestimmten Gebieten mehr

js176806 /

@Ute
Ihrer Auffassung nach sollten Sie vor allem die endgültige Legalisierung der Prostitution durch Rotgrün im Jahre 2002 als besonders erbärmlich verurteilen. Nicht weniger erbärmlich ist das, was mehr

Claudia /

Mich erschreckt viel mehr wie hier Christen miteinander umgehen. Als Mutter muss ich zugeben wäre ich nicht wirklich die erste, die zu diesen Frauen gehen würde. Sagen wir es so: ich verachte sie mehr

Ute /

Der liebe Gott wird da wenig ausrichten können. Was wir brauchen, sind knallharte Gesetze, die auch angewendet werden und keine täterorientierte Verbrecherschutzjustiz. Aber unsere Kanzlerin tingelt mehr

Jutta /

@Bea: Ich habe nie behauptet, dass ich eine "richtige" Christin bin. Ich werfe auch nicht mit Steinen auf andere und bin auch nicht ohne Sünde. Es hätte schon gereicht, wenn DU meinen Beitrag RICHTIG mehr

Bea /

@Jutta: was meinst Du mit "richtigen" Christen? Bist Du eine "richtige" Christin? Dann frage Dich einfach konkret,was Du tun kannst, anstatt auf andere mit "Steinen" zu werfen. Du kennst ja den Satz: mehr

Jutta /

Wenn es genug "richtige" Christen gäbe, wären die Frauen schon längst gerettet. Warum gibt es das? Weil niemand ihnen hilft!

Mike /

Erschreckend was alles passiert auf unseren Strassen. Haben wir denn schon viele dinge erreicht, die in vielen ländern gang und gebe sind? Wie können wir helfen? Wie kann ich helfen? Ich kann nur mehr

Hildegard /

Danke für diesen Bericht. Danke für die Arbeit die Sie tun. Ich erbitte für Sie um den Segen des dreieinigen Gottes um Schutz und ganz viel Mut

Renate /

Erschütternd, dass solche Verhältnisse in einem christlichen Land möglich sind! Prostitution ist einfach menschenverachtend. Danke für diese aufrüttelnde Information. Umkehr und Rückbesinnung auf Gottes Wort und SEINE Gebote tun Not!

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