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© Angello Lopez / unsplash.com

06.01.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Lucia Ewald

Stell dich der Angst!

Cornelia Mack zeigt, warum es sinnvoll ist, nicht vor Ängsten davonzulaufen.

„Angst essen Seele auf“ heißt ein Melodrama von Rainer Werner Fassbinder – und tatsächlich erleben viele Menschen Angst als etwas Bedrohliches, gegen das sie sich nicht wehren können. Doch die Gründe für Ängste sind ebenso unterschiedlich wie die Arten der Angst.

Cornelia Mack, Sozialpädagogin und Seelsorgerin, hat sich in ihrem Buch „Angst: Verstehen, entmachten, verwandeln“ intensiver mit dem Phänomen Angst beschäftigt. Im Interview berichtet sie, welchen Zweck gesunde Angst hat und was man gegen ungesunde oder übersteigerte Ängste tun kann.
 

ERF: Frau Mack, in Ihrem Buch habe ich den Satz gelesen: „Angst ist für die Seele wie der Schmerz für den Körper.“ Was meinen Sie damit?

Cornelia Mack: Ein Schmerz im Körper signalisiert mir: Es stimmt etwas nicht. Und die Angst zeigt mir das auch. Ich merke: Irgendetwas ist nicht in Ordnung. Entweder könnte es gefährlich werden oder ich erlebe Situationen, mit denen ich nicht umgehen kann.

Wenn ich immer wieder an denselben Stellen Angst bekomme, obwohl es eigentlich nicht begründet ist, hilft es, sich zu fragen: Was signalisiert mir meine Angst? Gibt es Bereiche in meinem Leben, die nicht aufgearbeitet sind oder neu geklärt werden müssen? Insofern ist die Angst für die Seele, was der Schmerz für den Körper ist. Sie ist ein Signal.
 

ERF: Bis zu welchem Punkt ist Angst eine gesunde Reaktion und wo beginnt die Störung?

Cornelia Mack: Die Störung beginnt, wenn ich beherrscht bin von Angst und jede Entscheidung davon geleitet ist. Dann hat die Angst die Macht in meinem Leben. Ich werde durch diese Ängste zum Angst-Ausweichverhalten angeleitet. Ich versuche also Situationen zu vermeiden, die Angst machen. Wenn ich das tue, weitet sich die Angst immer mehr aus. Daraus kann sich eine generalisierte Angststörung entwickeln ‒ und dann wird‘s krankhaft.

Fremdes kennenlernen statt Angst davor zu haben

ERF: Menschen haben vor ganz unterschiedlichen Dingen Angst. Welche Ängste begegnen Ihnen besonders häufig in der Seelsorge?

Cornelia Mack: Was mir im Moment nicht nur in der Seelsorge begegnet, sondern auch in normalen Alltagsgesprächen, ist die Angst vor Fremdem. Viele Menschen, die sich gut eingerichtet haben in ihrem Leben, haben durch die Flüchtlingsthematik Angst vor Fremden. Es ist verständlich, dass man diese Angst hat. Denn wenn man weiß, wie das Leben funktioniert, wird es durch Fremdes, das in das Leben hineinkommt, in den Abläufen gestört. Ich muss mich auf Neues einstellen.

Diese Angst kann auch bei anderen Situationen, wo Fremdes in mein Leben kommt, sichtbar werden: Wenn ich eine neue Arbeitsstelle antrete, neue Nachbarn bekomme oder ein Schwiegerkind kennenlerne. Das sind Dinge, die mir zunächst Angst machen können, weil ich mich damit noch nicht auskenne.

Es gibt noch eine weitere häufige Angst. Das ist die Angst, etwas Wichtiges zu versäumen. Wir leben in der sogenannten Multioptionsgesellschaft, also einer Gesellschaft der vielen Möglichkeiten. Ein Kennzeichen dieser Multioptionsgesellschaft ist, dass ich, wenn ich mich für eine Sache entscheide, mich gleichzeitig gegen etwas Anderes, eventuell noch Besseres entscheide. Man spricht von der sogenannten Versäumnisangst. Deswegen haben Menschen Angst davor, sich zu schnell zu entscheiden oder zu binden. Ich beobachte es in der heutigen Zeit oft, dass junge Leute Angst davor haben, sich an einen Partner zu binden. Denn es könnte ja noch was Besseres kommen.
 

ERF: Wie kann man mit solchen Ängsten konstruktiv umgehen?

Cornelia Mack: Wenn wir die Angst vor Fremden nehmen, bedeutet es, sich einzulassen auf das Fremde. Angst ist oft mit völlig skurrilen Bildern behaftet. Viele Menschen haben ja abstruse Vorstellungen über Ausländer: „Die nehmen uns unser Eigentum weg, sie stehlen und überfallen uns nachts. Sie sind ungewaschen und stinken.“ Dabei sind das Menschen wie du und ich: Menschen, die Schlimmes hinter sich haben. Menschen mit einer zum Teil sehr guten Bildung. Es sind Menschen, die Geborgenheit, Heimat und Sicherheit suchen.

Es ist wichtig, dass wir den Mut haben, uns auf diese Menschen einzulassen und die Begegnung mit ihnen zu suchen. Dann werden wir merken, dass unsere Vorstellung ganz anders ist als die Wirklichkeit. Häufig wird die Angst damit schon ein Stück weit entmachtet, dass ich mich dem stelle, was mir Angst macht, und ich ins Gespräch komme mit all diesen Themen.
 

ERF: Sind Ihnen persönlich auch Ängste vor Überfremdung bekannt?

Cornelia Mack: Ich denke, jeder hat diese Angst ein bisschen, weil wir uns in unserem Leben gut eingerichtet haben. Wir wissen, wie es ungefähr funktioniert. Wenn ich mich jetzt auf neue Kulturen und neue Abläufe einlasse, muss ich dieses Vertraute ein Stück weit verlassen und mich auf neue Abläufe, neue Begegnungen, neue Einschätzungen einlassen. Es ist zunächst ganz normal, dass ich diese Ängste habe. Aber ich darf ihnen nicht zu viel Raum geben, damit ich nicht zum Fremdenfeind werde.

Mit Traumata und Phobien umgehen lernen

ERF: Haben Sie es in Ihren Seelsorgegesprächen auch mit Menschen zu tun, die schwerwiegende Traumata erlebt haben?

Cornelia Mack: Das begegnet mir oft. Es ist meist ein langer Prozess, bis ein Trauma heilen kann, vor allem wenn es weit zurückliegt und zum Beispiel in der Kindheit geschehen ist. Solche Traumata können tiefe Verletzungsspuren hinterlassen. Das muss man sehr behutsam mit diesen Menschen anschauen. Man muss ihnen einen Raum des Klagens ermöglichen. Sie müssen betrauern dürfen, was war, und dann erfahren: Ich darf mit alldem, was mich in meinem Leben verletzt hat, bildlich gesprochen auf den Schoß Gottes kommen.

Das ist eine der großartigsten Erfahrungen, dass Gott da mehr kann als Menschen. Gott kann unsere Sehnsüchte sozusagen ausfüllen. Er kann Verletzungen heil machen und uns das geben, was Menschen uns nicht geben können. Gerade bei Traumata ist es ein wichtiger Punkt, dass ich weiß: Die tiefste Sehnsucht meines Herzens wird bei Gott gestillt. Er kann wirklich heil machen.
 

ERF: Es gibt Ängste, die nicht so tiefgreifend sind ‒ wie etwa Angst vor Spinnen. Wie gehe ich damit um? Oder gehört das einfach zum Leben dazu?

Cornelia Mack: Angst vor Spinnen würde ich als Phobie bezeichnen. Phobie bedeutet, dass uns bestimmte Gegenstände oder Situationen Angst machen. Mit solchen Ängsten kann man relativ gut lernen umzugehen. Außerdem gibt es ‒ wie bereits gesagt ‒ auch normale und gesunde Angstreaktionen, wenn ich zum Beispiel im Dunklen unterwegs bin oder mich vor einem lauten Geräusch erschrecke. Denn Ängste haben auch eine Schutzfunktion und solche Ängste sind wichtig für unser Leben.

Konfrontation statt Vermeidung

ERF: Ich habe eine Bekannte, die Angst in engen Räumen hat. Wie kann man mit solchen Angstattacken umgehen?

Cornelia Mack: Panik kann man relativ gut in den Griff bekommen, indem man eine Konfrontationstherapie macht. Wenn ich weiß, in dieser oder jener Situation gerate ich in Panik, muss ich mich genau in diese Situation hineinbegeben – eventuell erstmal zusammen mit einem Begleiter. In der Panik bekomme ich ja Atemnot, Herzrasen und Schweißausbrüche. Deshalb denkt man: Ich sterbe daran.

Aber die gute Botschaft ist: Noch nie ist jemand an einer Panikattacke gestorben. Dieses Wissen hilft, sich der Panik zu stellen. Wenn ich das tue, mache ich die Erfahrung, dass die Panik wie eine Welle erst einen Höhepunkt erreicht und irgendwann zusammenbricht. Wenn man das einmal gemacht hat, ist die Welle beim zweiten Mal nicht mehr so hoch und beim dritten Mal noch niedriger.

Irgendwann kann ich wieder die Dinge machen, bei denen ich sonst Panik bekam, und die Panikattacken treten nicht mehr auf. Diese Erfahrung haben schon viele Menschen gemacht. In der Bibel macht Gott eine ähnliche Konfrontationstherapie mit Mose (vgl. 2.Mose 4,1-5). Mose hat Angst vor der Schlange und flieht aus der Situation. Doch Gott sagt: „Pack sie beim Schwanz“ (2.Mose 4,4). Als Mose der Anweisung Gottes folgt, wird die Schlange zum Stab, der ihm eine Stütze ist und den Mose später öfters gebraucht, um das Meer zu teilen zum Beispiel. Das ist eine hervorragende Geschichte in der Bibel über Konfrontationstherapie. Niemand muss Opfer der Panik bleiben. Wir können da wieder herausfinden.
 

ERF: Konfrontationstherapie klingt für viele Betroffene erstmal hart. Gibt es auch andere Wege, mit Panikattacken umzugehen, zum Beispiel Paniksituationen zu vermeiden?

Cornelia Mack: Wenn ich die Paniksituationen einfach nur vermeide, ist das Ergebnis, dass die Panik in immer mehr Situationen auftritt. Zuerst habe ich die Panik nur im Aufzug, also vermeide ich den Aufzug. Dann passiert mir das aber auch beim Autofahren, weil ich da auch eingesperrt bin. Und irgendwann gehe ich gar nicht mehr aus dem Haus. Die Situationen, in denen ich Panik erlebe, werden dann immer größer.

Das wird nicht aufhören, bis ich mich meiner Panik stelle und sie Stück für Stück entmachte, bis ich sie endlich besiegt habe. Dazu braucht man manchmal professionelle Hilfe. Die Konfrontationstherapie ist daher eine bekannte Art der Therapie. Und hier rät auch die Bibel zu Ähnlichem – wie ich schon sagte. Denn die Bibel ist ein hervorragendes Psychologiebuch und Gott ein hervorragender Therapeut.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.


Im zweiten Teil des Interviews zeigt Cornelia Mack, dass Angst uns nicht verzweifeln lassen muss. Denn mit Gott können wir sie entmachten.

Ihr Kommentar

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Kommentare (2)

Daniela D. /

Hallo Frau Mack,
Danke für ihren interessanten Beitrag über den Umgang mit der Angst.ich habe selber schon vor einigen Jahren eine Konfrontationstherapie gehabt. Da ich eine Art Krankenhaus Angst mehr

Dorothea I. /

Angst ist sozusagen mein Lebensthema.
Danke dass Sie hier darüber sprechen.
Panik kenne ich auch, aber seit ich weiß, was es ist, kümmere ich mich nicht mehr groß drum, wenn sie kommt und dann mehr

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