Tomas Sjödin ist ein schwedischer Schriftsteller und Pastor. In seinem Buch „Warum Ruhe unsere Rettung ist“ geht er auf die Suche danach, was Ruhe eigentlich ist und wie man sie findet. Das Buch umfasst eine Auswahl der Kolumnen, die der Autor für die Tageszeitung „Göteborgsposten“ geschrieben hat. Wir veröffentlichen mit freundlicher Genehmigung des SCM Verlages einen Auszug aus dem Buch.
Ich liege auf der Küchenbank und denke an meinen Vater, der auf der Küchenbank lag und an seinen Vater dachte. Ich weiß nicht, ob mein Vater, als er jung war, mal auf der Küchenbank lag und daran dachte, dass er eines Tages Vater sein würde. Vielleicht träumte er davon? Oder sogar davon, Großvater zu werden, was er mit knapper Not auch schaffte, bevor er in die ewige Ruhe einging? Ich denke auf jeden Fall an meinen Sohn und daran, dass er sich auf unserer Küchenbank so herrlich wohlfühlt und was ihn in Zukunft noch erwartet.
Ich liege oft hier. So oft, wie ich kann. Nicht selten verweilen meine Gedanken bei Menschen aus früheren Zeiten. Beim Ruhen kommt man seiner Geschichte anders näher, als wenn man einkauft, arbeitet oder im Haus werkelt. (…)
Es ist, als ob die verflossene Zeit und die Zukunft ineinander übergingen, wenn man auf der Küchenbank liegt. Als ob Erinnerungen und Träume miteinander verflochten würden. Wer ruht, erinnert sich. Und er streckt sich gleichzeitig nach der Zukunft aus – nur um zu entdecken, dass die Zukunft uns entgegenkommt. So wie es alle Zeit am Ende tut.
Je länger ich hier liege, desto wichtiger erscheint es mir. Auf gewisse Weise vertieft sich hier das Leben. Zuerst spürt man nur die Entspannung, man lässt sich fallen, lässt los. Aber während ich entspanne, spüre ich, dass auf einer anderen Ebene etwas passiert, dass an diesem Ort auch etwas wächst. Mein innerer Mensch „streckt sich“.
Ich bleibe eine Weile liegen, und meine Gedanken gehen über in ein Gebet, ein Gebet für die Menschen, die ich am meisten liebe. Es ist, als ob die Liebe – die erste Liebe – mich erreicht. Plötzlich ahne ich, dass die Küchenbank mehr als ein Ruheplatz ist. Sie ist auch ein Fluchtfahrzeug, eine Rettungsplanke. Ich liege hier und rette Leben. Zuerst mein eigenes, aber vielleicht und in gewissem Maße auch das anderer. Kann es etwas Wichtigeres geben als das? Wichtigeres als Ruhen?
Aber ich habe hier auch schon ganz anders gelegen: Von Unruhe getrieben, voller Selbstverachtung und Missmut habe ich mich an der Küchenbank – buchstäblich – festgehalten, um nicht umgeweht zu werden. Geschüttelt von dieser Art von Stürmen, die von außen unsichtbar bleiben und in denen man beides ist: Opfer und Täter.
Bei anderen Gelegenheiten hat die Küchenbank das Spielerische in mir geweckt, und ich habe mich in die Zeit zurückversetzt gefühlt, als ich auf der gepolsterten Bank der Großeltern eingeschlafen bin und Opa dann am Morgen die Armlehne losmachte und als Rutsche bis zum Boden herunterklappte. Mein erster Spielplatz. Manchmal, wenn ich so richtig mutig bin, stelle ich mir auch vor, die Küchenbank sei ein Steg, der in die Zukunft und ins Abenteuer führt, dass das Beste noch vor mir liegt. Balancierend gehe ich auf das Unbekannte zu.
Ich habe oft darüber nachgedacht, warum das Bild meines Vaters, das mir in meiner Erinnerung am deutlichsten vor Augen steht, einen Papa zeigt, der Mittagsschlaf macht. Dabei war mein Vater ein aktiver Mensch. Er arbeitete, angelte, sammelte Beeren, spielte Mandoline und handelte mit Textilien.
Er starb vor 25 Jahren, und mit ihm verschwand eine Lebensform, die heute völlig überholt erscheint. Es war vor dem Handy. Vor dem Computer. Vor so ziemlich allem, das uns heute so viel Zeit spart, dass wir kaum noch zum Leben kommen. (…) Hatte er weniger zu tun als wir heute? Auf keinen Fall. Aber er hatte Ohren für den kaum hörbaren Schlag einer Ordnung, die mit der Schöpfung erschaffen wurde. Und er hatte den Mut, sich in diesen Rhythmus hineinzubegeben.
Trotz aller äußeren Veränderungen kann sogar ich manchmal noch den Takt eines uralten Lebensrhythmus‘ hören. Eines Rhythmus‘, der viel weiter zurückgeht als die Erinnerung an meinen Vater oder meinen Großvater. Es ist der Herzschlag, der seit dem ersten Schöpfungsmorgen pocht, der seit Jahrtausenden zu spüren ist.
„Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun“ (2. Mose 20,9-10). An und aus. On und off. Das gehört zu einer Lebenskunst, die wir verloren haben und wiedergewinnen müssen; davon bin ich immer mehr überzeugt.
Weitere Texte aus „Warum Ruhe unsere Rettung ist“ von Thomas Sjödin können Sie heute (17.01.2025) um 15 Uhr im „Lesezeichen“ auf ERF Plus hören.
Ihr Kommentar