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05.01.2021 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Der Wahrheit auf der Spur

Können wir im Jahr 2020 noch von Wahrheit sprechen? Hanna Willhelm sagt Ja! Sie hat aber auch gelernt: Die Wahrheit braucht ein paar kluge Begleiter.

 

In unserer individualistischen Gesellschaft hat die Frage nach der Wahrheit etwas Anrüchiges bekommen: Gibt es sie überhaupt, die Wahrheit? Und nicht vielmehr Millionen von Wahrheiten? Viele ziehen daraus den Schluss, dass es sich nicht lohnt, nach ihr zu suchen. Das ist schade, denn damit begraben wir einen wesentlichen Teil unseres Menschseins.

Ich glaube, dass die Sehnsucht nach Wahrheit tief in uns allen schlummert. In ihr verborgen finden wir tragende Elemente des Lebens wie Schönheit, Reinheit Gerechtigkeit und Frieden.

Das alles ist es wert, ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen und um die Wahrheit zu ringen. Mir haben auf diesem Weg meine Kinder und eine atheistische Bekannte auf Facebook geholfen. Im Umgang mit ihnen wurde mir bewusst, dass Wahrheit selten etwas Kaltes, Steriles, rein Faktisches ist.
 

Wenn Wahrheit ihrem tiefsten Sinn – Leben zu schaffen und zu erhalten – dienen will, dann braucht sie ein paar Begleiter:

Wahrheit braucht gute Kommunikation

Unser Jüngster hatte sein erstes Bild mit Wasserfarben gemalt und es war ihm richtig gut gelungen. Ganz wie Kinder dann sind, verkündete der Vierjährige im Brustton der Überzeugung: „Ich bin der beste Künstler!“ Vor meinem inneren Auge tauchten Namen wie Picasso oder Monet auf, und es lag mir auf der Zunge, ihm zu widersprechen. Das hätte der Wahrheit entsprochen, wäre für sein kindliches Selbstbewusstsein aber Gift gewesen.

Ich suchte nach passenden Worten, um ihn aufrichtig zu loben und ihn gleichzeitig vor einer unrealistischen Selbsteinschätzung zu bewahren. Ich habe daraus gelernt: Wahrheit braucht nicht nur Worte, die ein Anliegen klar kommunizieren. Sie braucht Worte, die dem anderen helfen, meinen Standpunkt zu verstehen.

Das scheint mir insbesondere dann wichtig, wenn ich in einer säkularisierten Welt über meinen Glauben sprechen möchte. Ich kann Glaubensinhalte wie Fakten aussprechen – und den anderen damit verlieren, weil er sich verurteilt oder angegriffen fühlt. Oder ich kann nach Worten suchen, mit denen ich mich verständlich mache, ohne den anderen zu verletzen.

Wahrheit braucht Weisheit

Unser Großer wollte eine regelmäßig geplante Verabredung mit einem Schulfreund aus einem bestimmten Grund nicht einhalten. Das war mir unangenehm, weil ich nicht wusste, wie ich es der Mutter sagen sollte. Schließlich entschied ich mich dafür, ihr per Whats-App buchstäblich erstmal nur die halbe Wahrheit zu sagen, nämlich, dass mein Sohn nicht wollte. Das „Warum“ verschwieg ich vorläufig.

In einem persönlichen Gespräch ergab sich später die Möglichkeit, sein Verhalten zu erklären und wir konnten beide darüber lachen. Ich habe bei diesem Vorfall neu gemerkt, dass Wahrheit manchmal diplomatisches Geschick braucht. Gerade wenn Gefühle mit im Spiel sind, möchte ich mich nicht wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen verhalten.

Gleichzeitig möchte ich aber auch ehrlich bleiben und Probleme ansprechen. Ich vermute, dass das Verhalten meines Sohnes früher oder später Fragen aufgeworfen hätte – auf Dauer wäre die halbe Wahrheit nicht tragfähig gewesen.

Wahrheit braucht Demut

Die erwähnte Bekannte auf Facebook hat vom christlichen Glauben und dem Verhalten mancher Christen nicht unbedingt die beste Meinung. Immer wieder ergibt sich deswegen bei gewissen Posts ein freundschaftlich – ernsthaftes Geplänkel um die richtige Sichtweise. Oft steckt in ihrer Kritik zumindest ein Körnchen Wahrheit. Das tut weh und am liebsten würde ich diese Wahrheit wegdiskutieren.

Wenn ich als Christ berechtigte Kritik allerdings nicht ernstnehme, mache ich damit meinen Glauben nicht glaubwürdiger. Umgekehrt denke ich, dass meine Überzeugungen anziehender werden, wenn ich Fehler eingestehe.

Biblisch betrachtet ist Demut vielleicht sogar der Schlüssel schlechthin, wenn es um Wahrheitsfindung geht. Denn als Christ weiß ich, dass ich fehlbar bin und auf Ergänzung und Korrektur durch meine Mitmenschen angewiesen bin. Gott hat uns nicht als Computer geschaffen, die unabhängig voneinander mit Fakten gefüttert werden. Er hat uns als Beziehungswesen geschaffen, die einander formen, prägen und gestalten.

Wahrheit braucht Mut

Es gibt Situationen, in denen Wahrheit etwas Absolutes, Unverhandelbares hat, dem ich mich beugen muss. Wenn ich vor Gericht gebeten werde, meine Aussage mit einem Eid zu belegen, habe ich nicht viel Spielraum. Eine Angabe, die den Prozess möglicherweise entscheidet, darf nicht durch Lüge, Angst oder Eigennutz verzerrt werden.

Auch in Beziehungen müssen schmerzliche Wahrheiten angesprochen werden, wenn man sich nicht auseinanderleben möchte. Das braucht Mut, weil ich nicht absehen kann, wie der andere reagiert, während ich mich selbst dabei verletzlich mache. Wenn ich für Minderheiten, Überzeugungen oder Grundrechte einstehe, brauche ich möglicherweise ebenfalls Stehvermögen – das zeigt nicht nur ein Blick in die deutsche Geschichte.

In solchen Fällen kann mir das Einstehen für die Wahrheit den äußersten Einsatz abverlangen. Aber auch in solchen Situationen gewinnt die Wahrheit, wenn sie von guter Kommunikation, Weisheit und Demut begleitet wird.

Jesus selbst ist für mich das beste Beispiel dafür, wie Wahrheit gelebt werden kann. Er war nicht nur durch und durch wahrhaftig, sondern konnte sogar sagen: „Ich bin die Wahrheit!“ Trotzdem hat er diesen Anspruch nie lieblos und nur sehr selten fordernd oder gar aggressiv vertreten. Im Gegenteil: Er war bereit, für diese Wahrheit zu leiden. Er hat akzeptiert, dass nicht alle diese Wahrheit anerkennen werden. Und er konnte und kann warten, bis Gott diese Wahrheit für alle sichtbar bestätigt. Darin ist er mir ein großes Vorbild und ich möchte seinen Spuren folgen.


Hanna Willhelm ist Redakteurin im Team „Theologie und Verkündigung“ und Autorin des Buches „Mach mal Pause, Mama. Glaubensoasen für junge Mütter“.
 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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