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© Priscilla Du Preez / unsplash.com

24.08.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

„Gönn dir Stille!“

Autorin und Theologin Eva Maria Nielsen lädt Menschen zu mehr Stille ein – im Alltag und im Kloster.

Die Stille suchen. Das ist für Eva Maria Nielsen sehr wichtig. Sie arbeitet als Autorin und Autorencoach und ist überzeugt: Stille und Kreativität bedingen sich gegenseitig. Als Theologin bietet sie Stille Tage im Kloster an. Wir haben mit ihr gesprochen, was ihre Motivation ist, Menschen in die Stille zu führen und welche Tipps sie hat, um im Alltag mehr Stille zu finden.

Zum Interview mit Eva Maria Nielsen zu Kreativität und biografischem Schreiben

 

ERF: Kreativität ist für dich ein großes Thema, aber auch Stille. Wieso ist dir Stille so wichtig?

Autorin und Theologin Eva Maria Nielsen
Eva Maria Nielsen lebt mit Mann und Sohn in Kopenhagen. Sie ist Autorin, Schreibcoach und ausgebildete Theologin und gehört zur Teresianischen Karmel Gemeinde in Birkenwerder. (Copyright: Anette Hansen)

Eva Maria Nielsen: Das hat viel mit meiner Biografie zu tun. Dieses Suchen nach Stille haben viele Menschen mit mir gemein. Das hat mit unserer Gesellschaft zu tun, mit unserer westlichen Welt. Manchmal fragen mich Menschen: „Wo hast du die Ruhe her?“ Ich denke dann: Ich glaube, ich weiß, wo ich die herhabe, aber das kann ich nicht so schnell weitergeben.

Ich hoffe bei meinen Stille-Angeboten immer, dass Menschen in der Stille ein Stück weit geheilt werden. Ich bin überzeugt davon, wenn wir als Gruppe Stille Tage im Rahmen eines Klosters erleben, dann ist da jemand, der größer ist als ich und der diese Menschen berührt.

Auch das biografische Schreiben anhand der Heldenreise biete ich bewusst in einem christlichen Rahmen an, ohne dass wir viel über den Glauben sprechen. Aber ich glaube, dieser Rahmen berührt Menschen tief im Innern.

Ob bei den Teilnehmern etwas in dieser Woche passiert oder erst in fünf Jahren, ist mich nicht entscheidend. Ich habe gesät, Gott wird schon ernten.

Es beginnt damit, sich selbst Stille zu erlauben

ERF: Es gibt viele Menschen, die ein Problem mit und vielleicht sogar Angst vor Stille haben. Was ist dein Tipp für Menschen, die sich vor der Stille scheuen?

Eva Maria Nielsen: Ich glaube, das liegt einfach daran, dass wir Stille nicht mehr lernen. Sich vielleicht auch mal zu langweilen und das auszuhalten. Denn, wenn wir ruhig werden, kommen ja auch all diese Gedanken, über die wir lieber nicht nachdenken würden.

Wenn ich Menschen mit in die Stille nehme, wie zum Beispiel bei diesem Kurs zur Heldenreise, dann sage ich am ersten Abend immer: „Wenn du noch ein Telefonat machen willst, mach das jetzt. Respektiere die Stille der anderen und gönn auch dir diese Zeit.“

Ich habe noch nie erlebt, dass jemand am Ende sagte: „Das war schrecklich.“ Und wenn die Teilnehmer erleben, dass sie das nicht aushalten können, dann sind die Mitarbeiter da. Aber im Grunde genommen sagen die Menschen danach: „Warum ist die Woche schon vorbei?“
 

ERF: Wie kommt es, dass einige Teilnehmer erst Scheu vor der Stille empfinden, sie aber dann doch als positiv empfinden?

Eva Maria Nielsen: Wo können wir heute im Alltag noch wirkliche Stille erleben? Das ist sehr schwierig. Stille heißt für mich nicht, dass ich nicht „Guten Morgen“ sagen darf. Das sind eher Prinzipienreiter, die meinen, damit mache man die Stille kaputt. Echte Stille geht tiefer.

Wir kennen das ja: Man setzt sich ans Meer und da ist keiner, nur das Rauschen der Wellen ist zu hören. Man erlebt dann für ein paar Momente äußere Stille, aber innen ist es nicht still. Dann dreht sich das Gedankenkarussell und man denkt an praktische Sachen wie „Ich muss noch einkaufen“.

Aber wenn man sich erlaubt, ein paar Tage in die Stille zu gehen, senkt sich diese Ruhe auch innerlich langsam auf einen.

Im Alltag Oasen der Stille suchen

ERF: Es gibt Menschen, die Angst vor der Stille haben, weil sie schwierige Erfahrungen mitbringen. Hast du einen Tipp, wie ich damit umgehen kann, wenn ich mir Stille wünsche, aber Angst vor den Dingen habe, die dann hochkommen könnten?

Eva Maria Nielsen: Wenn man wirklich traumatisiert ist, rate ich immer dazu, sich erstmal professionelle Hilfe bei einem Psychotherapeuten oder Psychologen zu suchen. Denn die Menschen, die solche Stille Tage leiten, sind oft nicht ausgebildet, um das aufzufangen. Da wäre es fatal, wenn man etwas triggert und denjenigen dann damit allein lässt.

Es gibt auch therapeutisches Schreiben. Bei kleineren Dingen kann man damit viel erreichen, indem man den Fokus ändert. Da rate ich: Schreib einfach deinen Schmerz oder deine Wut auf. Lass es raus! Aber dann versuche, den Blickwinkel zu ändern. Frage dich: Was hat mich das gelehrt?

Aber wenn es um schwere Themen geht wie etwa sexuellen Missbrauch, rate ich wirklich: Geh in die Therapie. Dennoch: Worte finden für etwas, was so schmerzhaft ist, dass ich vorher fast keine Worte dafür hatte, das löst etwas. Aber es ist wichtig, in dem Tempo zu gehen, das ich mir zutraue.
 

ERF: Die meisten Menschen bringen keine Traumata mit, sondern eher eine diffuse Angst vor der Stille. Was würdest du denen empfehlen? Hast du vielleicht eine kleine Übung parat?

Eva Maria Nielsen: Etwas, was ich sofort umsetzen kann, ist, mir Oasen der Stille zu suchen, wenn mich der Alltag überwältigt. Diese Oasen werden uns oft geschenkt. Zum Beispiel: Ich stehe im Laden und es sind fünf Leute vor mir an der Kasse. Das ist eine Pause, die ich geschenkt bekomme.

Da ist jetzt vielleicht keine äußere Stille, aber ich kann mich in eine innere Stille zurückziehen, zum Beispiel, indem ich tief einatme. Als Christ sage ich mir dann: „Du in mir, ich in dir.“ Tief einzuatmen, beruhigt auch das Nervensystem. Das ist ein biologischer Effekt.

Und ich kann versuchen, achtsam zu sein: achtsam einen Tee zu trinken, achtsam zu essen. Ich kann nachspüren: Wie schmeckt das jetzt? Das hilft, wieder in den Körper zu kommen. Ich glaube, unser Körper und unsere Sinne sind auch eine Art, wie ich als Christ mit Gott in Beziehung treten kann.

Man kann sich auch sagen: Ich starte oder beschließe den Tag mit fünf Minuten Stille oder gönne mir um 12 Uhr mittags fünf Minuten Pause und warte nicht ab, bis der Alltag sie mir schenkt. Natürlich kannst du nicht eine halbe Stunde meditieren, aber hole dir einen Kaffee oder Tee und mache das zu einer bewussten Achtsamkeitsübung.

Ich glaube, man muss keine großen Übungen machen. Mich abends kurz hinzusetzen und mich darüber zu freuen, dass heute die Sonne geschienen hat oder dass mich jemand angelächelt hat. Solche Kleinigkeiten kann ich wie Perlen auf einer Schnur sammeln. Das fördert auch innere Stille.

Mich abends kurz hinzusetzen und mich darüber zu freuen, dass heute die Sonne geschienen hat oder dass mich jemand angelächelt hat. Das fördert auch innere Stille.

Einen Raum bieten für Menschen auf der Suche

ERF: Du gibst deine Stillen Tage in einem Kloster, aber dein Angebot ist bewusst nicht nur für Christen. Welche Reaktionen erlebst du, gerade auch bei Teilnehmern ohne religiösen Hintergrund?

Unter dem Titel „Auf den Spuren deiner Heldenreise“ bietet Eva Maria Nielsen vom 28.08. bis 01.09. zum ersten Mal autobiografisches Schreiben im Kloster Birkenwerder an. Für dieses Jahr sind alle Plätze schon ausgebucht. Nächstes Jahr findet das Seminar vom 02. bis 06. September erneut statt. Außerdem bietet sie Exerzitien vom 27.11. bis 01.12.2023 zum Thema „Auf Gottes Spuren mit Menschen der Bibel“ an. Der Unkostenbeitrag liegt bei 210 Euro inkl. Verpflegung.

Eva Maria Nielsen: Für mich hat das stark mit dem Ort zu tun. Es gibt gute Orte und schlechte Orte für Stille. Das Kloster Birkenwerder liegt in der alten DDR, das heißt, die Menschen, die dort leben, sind unter dem Sozialismus aufgewachsen und entfremdet, was die christliche Kultur angeht. Das heißt, die Menschen im Kloster müssen sehr dialogfähig sein im Umgang mit den Menschen, die diesen Glauben nicht teilen. Sie suchen dort ganz bewusst einen wertschätzenden Dialog.

Diese Einstellung sitzt in den Gemäuern dieses Hauses. Man hat dort eine Weite für Menschen, die eine Sehnsucht in sich tragen, die spüren, da ist mehr, es aber nicht benennen können. Das verbinde ich mit diesem Haus und ich glaube, das erfahren auch die Menschen, egal mit welchem Hintergrund sie dort hinkommen. Oft werden auch Stille Tage für Konfessionslose angeboten.

Manchmal können mir diese Menschen viel mehr von der Barmherzigkeit Gottes zeigen als meine Mitchristen. Als Christin bin ich überzeugt, Gott hat uns geschaffen und wir sind alle seine geliebten Menschen, egal ob wir Taufwasser auf dem Kopf hatten oder nicht.

Ich glaube, dass eine tiefe Lebensweisheit in jedem Menschen ist. Das ist grundgelegt: Die Sehnsucht nach Gott und auch diese Weisheit, dass da jemand ist, der größer ist als ich.

Dieser Geist im Kloster Birkenwerder ist ein guter Nährboden für Stille, für Menschen, die suchen. Und Gott ist so groß, dass er die Menschen dann anrührt. Ich habe tiefes Vertrauen, wenn Menschen dahinkommen und wir ihnen diesen Raum geben, dass dann etwas passiert.
 

ERF: Das kann vielleicht auch ein Vorbild für Gemeinden sein, einen offenen Raum für Menschen mit ihren Fragen zu bieten. Wie siehst du das: Ist es das, wozu wir als Christen aufgerufen sind?

Eva Maria Nielsen: Das würde ich sofort unterschreiben. Das ist unsere primäre Aufgabe. Auch Jesus hat Menschen zugehört, er hat ihnen gegeben, was sie brauchten. Er hat ihnen meist nicht gleich am Anfang gesagt, was sie anders machen sollen. Das kam erst später.

Ich glaube – und zumindest für meine eigene Kirche weiß ich es –, dass wir viel zu schnell mit der Moral kommen. Aber mir geht es mehr darum, Menschen zu zeigen: Gott sucht eine Beziehung mit uns. Beziehung heißt: Ich habe ein Leben mit dir. Da zählt nicht nur der Sonntagsgottesdienst, sondern jeder Augenblick, wenn mir jemand wichtig ist. Aber das ist dann keine Qual oder ein Muss, sondern ein „Ich will“.

Wenn Menschen diesen offenen Raum erleben, ist das unglaublich erlösend. Das heißt auch, dass ich die Menschen, die dort hinkommen, respektiere in ihrer Größe und ihrer Verantwortung. Ich biete ihnen etwas an und sie dürfen selbst entscheiden. Das ist ein bisschen wie beim Lektorat, auch da mache ich Vorschläge, aber letztlich entscheidet der Autor, was er schreiben möchte.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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