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© Nikola Johnny Mirkovic / unsplash.com

26.04.2022 / Kommentar / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Regina König

„Wir sind wütend auf Kirill!“

Die orthodoxen Kirchen und der Nationalismus

 

Am vergangenen Wochenende feierten die orthodoxen Christen Ostern. Doch in der Ukraine schwiegen trotz der hohen kirchlichen Feiertage die Waffen nicht, Russland bombardierte weiter ukrainische Ziele. In einer österlichen Grußbotschaft betonte Kremlchef Putin, wie wichtig die Kirchen seien für die Verständigung zwischen den Menschen.

Das Oberhaupt der russischen-orthodoxen Kirche, Kirill I., gilt als Putin-treu. Manche sehen in Kirill einen Kriegstreiber. Regina König vom Team ERF-Aktuell im Gespräch mit ERF-Moderatorin Saskia Klingelhöfer.


ERF: Regina, was ist dran an dem Vorwurf, Kirill I. sei ein Kriegstreiber?

Regina König: Bis heute hat Kirill als Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche mit keinem Wort den russischen Staatschef dazu aufgefordert, den Krieg zu beenden. Vielmehr nimmt er, ganz nach Putins Willen, die Vokabel „Krieg“ gar nicht in den Mund. Für den Patriarchen ist die sogenannte „Spezialoperation“ ein „metaphysischer Kampf des Guten gegen das Böse aus dem Westen“.

Die ukrainischen Soldaten bezeichnet Kyrill als „Kräfte des Bösen“ und er segnet russische Waffen. Bei einem Gottesdienst der russischen Streitkräfte Anfang April forderte das Kirchenoberhaupt die Soldaten auf, ihren Eid zu erfüllen.
 

ERF: Welcher Mensch steckt hinter Kirill I.?

Regina König: Sein bürgerlicher Name ist Wladimir Michailowitsch Gundjajew. Er kommt wie Putin aus St. Petersburg und soll, nach Angaben des ZDF, genauso wie der russische Präsident beim russischen Geheimdienst KGB gearbeitet haben. Kenner der orthodoxen Kirche sagen, Kirill sehe sich als Staatsbeamter und weniger als Oberhaupt von Gläubigen.

Kirill I. – ein „geistiger Brandstifter“?

ERF: Mit seiner Putin-Treue stellt sich Kyrill allerdings immer mehr ins ökumenische Abseits.

Regina König: Ja, mit eindringlichen Appellen hat sich der Weltkirchenrat zweimal an das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gewandt, zuletzt mit der Bitte, sich während des Osterfestes für eine Waffenruhe einzusetzen – erfolglos. Die evangelische Theologin Ellen Ueberschär, ehemals Generalsekretärin des Deutschen Ev. Kirchentags, forderte jetzt den Ausschluss Kyrills aus dem Weltkirchenrat. Sie nannte den Patriarchen einen „geistigen Brandstifter“.

Auch der tschechische Ökumene-Experte Pastor Pavel Černý hat sich für einen Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem Weltkirchenrat ausgesprochen. Diese habe über Jahrzehnte hinweg "Einflüsse des KGB" in den Ökumenischen Rat der Kirchen gebracht, meldet der Evangelische Pressedienst.
 

ERF: Als Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche ist Kirill auch verantwortlich für Gläubige in der Ukraine. Also auch seine „Herde“ wird von Putins Bomben bedroht und angegriffen…

Regina König: Ja, und deshalb ist die Putin-treue Haltung Kirills für Gläubige der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine schwer zu ertragen.


ERF: Wie reagieren führende Geistliche in der Ukraine auf den Krieg?

Regina König: Das Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, Metropolit Onufri, ist dem Moskauer Patriachat unterstellt und damit auch Kirill. Onufri hat sich allerdings vom Krieg distanziert und von Kirill. Einer seiner ukrainischen Amtskollegen, der Metropolit Augustin Markewytsch, schreibt in der Wochenzeitung „Die Zeit“: „Seit Kriegsbeginn sind wir wütend auf Kirill.“ Kirill trete als Patriarch der Russen auf, aber sicher nicht als der der Ukrainer. Man bete für den Sieg der Armee, aber man solle nicht „bis zum letzten Ukrainer kämpfen“. Ein Waffenstillstand sei der schnellste Schritt zur Beendigung des Krieges.

Das Tischtuch zwischen den orthodoxen Kirchen ist zerschnitten

ERF: Allerdings gibt es noch eine zweite orthodoxe Kirche in der Ukraine.

Regina König: Und zwar die eigenständige Orthodoxe Kirche der Ukraine, die sich 2018 gegründet hat. Diese Kirche wird vom Moskauer Patriachat aber nicht anerkannt, das Tischtuch zwischen ihnen ist zerschnitten. Zurzeit gibt es offenbar auch keinen Gesprächsfaden zwischen den ukrainischen Vertretern beider Kirchen.

Erzbischof Sorja: „Unter russischer Macht keine Religionsfreiheit“

ERF: Wie verhält sich die eigenständige ukrainische Kirche zum Krieg?

Regina König: Gleichfalls in einem Beitrag in der Wochenzeitung „Die Zeit“ äußert sich ein Erzbischof der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Jewstratij Sorja. Er schreibt: „Wir beten für den Sieg und einen gerechten Frieden.“ Ein gerechter Frieden sei aber nur möglich, wenn Russland die Souveränität der Ukraine anerkenne. Unter russischer Macht gäbe es keine Religionsfreiheit.
 

ERF: Die orthodoxen Kirchen – auch sie scheinen heillos zerstritten.

Regina König: Denn auch sie denken und fühlen stark national und so hat der Krieg den Bruch noch verstärkt. Bleibt zu hoffen, dass sich zumindest die beiden orthodoxen Kirchen auf dem Gebiet der Ukraine unter dem Druck des Krieges annähern und miteinander Frieden suchen. An der Basis allerdings keimt Hoffnung auf: so forderten ja schon Anfang März etwa 200 russische Priester und Diakone in einem offenen Brief das Kriegsende. Wer sich so äußert, muss allerdings mit Repressionen rechnen.
 

ERF: Der Krieg und die Kirchen, Regina, vielen Dank für deinen Überblick über die Situation der orthodoxen Kirchen in Russland und in der Ukraine.

 Regina König

Regina König

  |  Redakteurin

Für ERF Plus in Mitteldeutschland unterwegs mit dem Schwerpunkt Aktuelles/Gesellschaft. Sie ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.

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