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25.03.2011 / Buchrezension / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Peter Strauch

Walter Kohl - Leben oder gelebt werden

Früher hat Walter sehr unter der Berühmtheit seines Vaters Helmut Kohl gelitten. Nun schreibt der Sohn des Altkanzlers wie er Frieden fand.

Peter Strauch, ehemaliger Präses des Bund FeG, hat für Sie "Leben oder gelebt werden" von Walter Kohl gelesen. Die Rezension zum Buch des Sohnes von Altkanzler Helmut Kohl erschien in der Zeitschrift "Christsein heute" (Ausgabe 03/2011).

„Ein Buch, das Mut macht, sich aus fremdbestimmten Lebensumständen zu lösen und den eigenen Weg zu gehen.“ So steht es auf der Rückseite des gerade erschienenen Buches von Walter Kohl. Es ist die ergreifende Geschichte eines Mannes, der vor allem Sohn seines berühmten Vaters war. Seit seiner Einschulung im September 1969 ist er für seine Umgebung „der Sohn vom Kohl“. Diese Bezeichnung brachte ihn auf einen Weg, der nicht sein eigener war. So wenigstens empfindet er es. Schon sein erster Schultag wurde zum Spießrutenlauf. In der Pause machten Mitschüler eine abfällige Bemerkung über seinen Vater. Walter will sich verteidigen, rutscht auf dem nassen Schulhof aus und landet in einer Pfütze.

Als ein triefendes Häufchen Elend sitzt er nach der Pause in der Klasse. Schnell hat die Lehrerin ihr Urteil gefällt. Mit einem langen Lineal schlägt sie ihm gezielt auf die Finger. „Aber“, so schreibt er, “schlimmer als die körperliche Pein erschien mir die seelische. Irgendein Teil von mir erahnte sofort, dass hier etwas geschehen war, was länger anhalten und weiter reichen würde als schmerzende Fingerkuppen.“ Zuhause angekommen, erntet er kein Mitgefühl. Für die Eltern scheint nur zu zählen, dass ihr ältester Sohn bereits am ersten Schultag auffällig wurde. So etwas haftet tief bei einem Sechsjährigen.

 

Unter Schutz von Bodyguards

Walter Kohl wächst in der Zeit der RAF auf. Ein Leben ohne Polizeischutz war für prominente Politiker und ihre Familien damals undenkbar. Auf dem Schulweg hat der Junge jeweils zwei, manchmal drei bewaffnete Männer hinter sich. Er schreibt: „Innerhalb weniger Tage wusste die ganze Nachbarschaft davon, und fast jede Gardine hinter jedem Fenster, an dem wir vorbeiparadierten, geriet in Bewegung. Ich empfand dabei ein so intensives Gefühl von Peinlichkeit, wie ich es nie zuvor erlebt hatte.“

Seine Ankunft an der Schule wird jedes Mal zum Spektakel. Manche Mitschüler versuchen auszutesten, ob die Polizisten umkehren und eingreifen, wenn sie ihm Fausthiebe versetzten. Walter Kohl schreibt: „Nicht der Terrorismus erschien mir als mein ärgster Feind, sondern der Schutz davor, mit dem ich zwangsbeglückt wurde.“ Als schlimm empfindet er es, dass seine Eltern nicht offen mit ihm und seinem Bruder über die tatsächliche Bedrohung reden. Besonders der Vater Helmut Kohl ist für seine Kinder kaum ansprechbar: „Für vertrauliche Gespräche, wie sie sich wohl jedes Kind mit seinem Vater wünscht, stand er nicht zur Verfügung. Er hatte schlicht keine Zeit, seine Prioritäten lagen anders.“

 

Fehlende Vater-Sohn-Beziehung

Aber es ist nicht nur der Personenschutz, unter dem er zu leiden hat. Walter Kohl wird auch für die Politik des Vaters haftbar gemacht. Als er sich in der Vereinskneipe des örtlichen Fußballclubs für die Jugendmannschaft anmelden will, ruft plötzlich eine Stimme durch den dicht gefüllten Raum: „Das gibt’s doch nicht! Der Bankert vom Kohl!“ Schlagartig wird es still und aus dem Tabakdunst nähert sich ihm ein Mann, bedroht ihn und schreit: „Du Drecksbankert!“ Walter steht da, erstarrt und stumm. Niemand hilft ihm.

Ausgepumpt und atemlos läuft er nach Hause und erzählt seiner Mutter davon. Doch die sagt nur: „Siehst du, Fußball ist eben doch nicht das Richtige für dich.“ Walter Kohl ist enttäuscht, verletzt, fühlt sich alleingelassen. Am Wochenende versucht er seinem Vater die Begebenheit zu erzählen. Er will endlich wissen, warum ihn die Leute seinetwegen so hassen. Doch der schaut kaum auf von seiner Wochenpost und sagt eher beiläufig: „Ach, die Leut‘ sind halt sauer wegen der Umgehungsstraße. Mach dir nix draus.“

 

Aufbruch in die eigene Welt

Das Buch ist die Geschichte eines zwangsverordneten Außenseiters. Ob in der Schule oder als Zeitsoldat bei der Bundeswehr: Der „Sohn vom Kohl“ kommt aus dieser Rolle nicht raus. Das ist auch der Grund, dass er zum Studium und zur Ausbildung in die USA geht, weg aus dem Schatten seines berühmten Vaters. Aber auch dort gelingt es ihm letztlich nicht, dem Einfluss des Vaters zu entfliehen.

Als er im Sommer 1990 als angehender Investmentbanker in New York tätig ist, erscheint auf der Titelseite der Time ganzflächig das Gesicht seines Vaters, darunter die Schlagzeile: „Mr. Germany“. Walter ist wie vom Donner gerührt: „Der Traum war ausgeträumt, der „Sohn vom Kohl“ hatte mich, Walter, wieder eingeholt. Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge, der von zu Hause abgehauen war und der nun von eiserner Faust heimgeholt wurde.“

 

Neustart im Heimatland

Durch die amerikanische Vornamenkultur war seine familiäre Herkunft bisher kein Thema gewesen, doch jetzt begannen sich die Kollegen dafür zu interessieren. Manche von ihnen hatten ihre Eltern und Großeltern im Holocaust verloren. Das wiedervereinigte Deutschland weckte Ängste bei ihnen. Bald erschienen Karikaturen seines Vaters mit dem speziellen Schnauzbart versehen. Von anonymer Hand wurden sie ihm auf den Schreibtisch gelegt. Walter macht sich auf den Weg zurück nach Deutschland. Er schreibt: „Da meine Flucht ohnehin gescheitert war, konnte ich mich meinen Problemen auch genauso gut zu Hause stellen.“

Leichter gesagt, als getan. Er arbeitet nun in einem Kölner Handelskonzern, und es gibt kaum einen Tag, an dem er nicht auf den Vater angesprochen wird. Auch der Rücktritt des Vaters aus allen politischen Ämtern nach der verlorenen Bundestagswahl 1998 verschafft keine Erleichterung. Richtig zu spitzt sich die Situation in der CDU-Parteispendenaffäre. Wie ein Blitzschlag fährt sie ins Leben der gesamten Familie Kohl. Sohn Walter schreibt: „Zu keinem Zeitpunkt meines Lebens war ich CDU-Mitglied. Ich hatte nie ein öffentliches Amt und habe nie politische Mandate ausgeübt. Allerdings trug ich den Namen Kohl. Damit hatte ich das Pech, in eine beispiellose mediale und politische Auseinandersetzung hineingezogen zu werden.“

 

Das Schicksal der eigenen Mutter

Das gilt besonders für seine Mutter, Hannelore Kohl. Seit Jahren leidet sie unter einer Lichtallergie. Schon eine schwache Beleuchtung löst bei ihr Schmerzen aus. Nur bei Dunkelheit kann sie das Haus verlassen. Da ruft sie ein bekannter ARD-Journalist an. Er will von ihr die Namen der anonymen Spender erfahren. Dabei schreckt er nicht vor einem Erpressungsversuch zurück. Er behauptet, die kompletten STASI-Abhörprotokolle der privaten Anrufe der Familie Kohl seien ihm angeboten worden. Daraus gingen zahlreiche Details hervor, die die Familie schwer belasteten. Hannelore Kohl ist entsetzt, aufgelöst, verunsichert. Doch sie antwortet: „Veröffentlichen Sie, was Sie veröffentlichen müssen. Ich habe keine Angst!“ Danach hat sie nichts mehr von ihm gehört.

Am 5. Juli 2001 ruft die Büroleiterin des Vaters bei Walter Kohl an: „Walter, deine Mutter ist tot.“ Er erfährt, sie hat sich das Leben genommen. Und er ist überzeugt: Die Krankheit, aber auch die Demütigungen, die sie im Zuge der Spendenaffäre erlitten hat, brachten sie an den Rand ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit.

 

„Das Leben ist eine Farce!“

Es ist ein erschütterndes Buch und weitaus differenzierter geschrieben, als ich es mit diesen wenigen Sätzen wiedergeben kann. Ausgelöst wurde es durch die Frage des kleinen Jungen von Walter Kohl. Unvermittelt stellt das Kind ihm auf dem Schulweg die Frage: „Papa, ist das Leben schön?“ Walter Kohl fühlt sich durch diese Frage dermaßen aus den Angeln gehoben, dass er am ganzen Körper zittert. Er hält an. Tränen laufen ihm übers Gesicht. Ihm wird klar: „Nein, dein Leben ist ganz bestimmt nicht schön. Es ist eine Farce! Du bist ein Abziehbild der Vorstellungen und Erwartungen anderer Menschen.“ So fasst er den Entschluss, dieses Buch zu schreiben und sich damit über sein eigenes Leben Klarheit zu verschaffen.

Übrigens, es gibt auch fromme Väter (und Mütter), unter denen Kinder leiden, besonders dann, wenn ihre Eltern bekannt und in Leitungspositionen sind. Auch solche Söhne (und Töchter) können ein Abziehbild der Erwartungen ihrer Umgebung sein. Schon wenn das Buch ein Auslöser ist, über diese Frage ernsthaft nachzudenken und den eigenen Weg zu klären, hat sein Lesen Sinn gemacht.

 


 

Leben oder gelebt werden -
Schritte auf dem Weg zur Versöhnung

Autor: Walter Kohl

Verlag: Integral (2. Auflage: Jan. 2011)

Seitenzahl: 274

Preis: EUR 18,99 [D]

ISBN: 3778792040

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Bild: Integral Verlag
 

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Kommentare (1)

Renate Mönkeberg /

ein erschütternder Bericht, der bekannt aber selten genannt wird.
W.K. weist öffentlichen Menschen einen guten Weg. Es ist immer der Weg der Warheit.

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