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© damien Kuhn / unsplash.com

14.12.2019 / Interview / Lesezeit: ~ 13 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Traumberuf Landwirt?

Was bringt einen jungen Mann heute noch dazu, Landwirt zu werden? Ein Interview.

Die Idylle auf dem Land ist in Unruhe geraten: Bienenschützer protestieren auf der einen Seite für mehr Insektenschutz, Landwirte machen auf der anderen Seite ihrem Unmut über neue Verordnungen Luft. Was bringt einen jungen Menschen in dieser Lage dazu, Landwirt zu werden? Und welche Perspektiven sieht er für seinen Beruf? Ein Interview mit Thomas Liebske, Masterstudent der Agrarwissenschaft.


ERF: Bauernhof – da denken viele an grüne Wiesen, glückliche Kühe und Natur pur. War dieses malerische Bild der Grund dafür, warum Sie Agrarwissenschaften studiert haben – sozusagen ein Traumberuf von Kindheit an?

Der Agrarstudent Thomas Liebske (Bild:: Fabian Liebske)
Der Agrarstudent Thomas Liebske (Bild:: Fabian Liebske)

Thomas Liebske: Ein Stück weit Ja. Anfangs ging es mir darum, in und mit der Natur zu arbeiten. Mittlerweile finde ich es eine wichtige Aufgabe, Lebensmittel zu produzieren und so meinen Teil für das Zusammenleben in der Gesellschaft beizutragen. Darüber hinaus ist es mir wichtig geworden, eine Art Lehrzweck zu übernehmen.

Ich möchte den Menschen helfen zu verstehen, wie Landwirtschaft zurzeit arbeitet, wo die Schwierigkeiten liegen und was die Ziele der Branche sind. Dazu gehört auch das idyllische Bild der Landwirtschaft mit den Fakten zu untermauern bzw. zu korrigieren. Diese Aufgabe ist mir in den letzten Jahren während meines Studiums wichtig geworden, und dem möchte ich in Zukunft auch nachgehen.

Ich selbst bin mehr oder weniger auf einem Kartoffelbetrieb bei uns im Ort groß geworden. Dort habe ich seit der ersten Schulklasse viel Zeit verbracht und über die Jahre immer mehr eine Leidenschaft für den Agrarbereich entwickelt. Durch Praktika, die ich während des Studiums auf verschiedenen Betrieben gemacht habe, konnte ich auch den tierwirtschaftlichen Aspekt kennenlernen.
 

ERF: Landwirte haben ein Gespür für die Abläufe in der Natur und ihre Abhängigkeit davon. Für viele spielt vielleicht aus diesem Grund der christliche Glaube an einen Schöpfergott eine gewisse Rolle. Haben Sie schon Situationen erlebt, in denen Sie gemerkt haben: Hier berühren sich mein Beruf und der Glaube auf eine besondere Art und Weise?

Thomas Liebske: Für mich als Christ spielt die Welt als Schöpfung eine besondere und wichtige Rolle. Auf der einen Seite geht es darum, die Schöpfung zu bewahren, auf der anderen Seite hat uns Gott diese auch als Lebensgrundlage gegeben. Wir Menschen haben den Auftrag bekommen, die Welt zu bevölkern und ihre Ressourcen zu nutzen.

Der Grat zwischen Bewahrung der Schöpfung und Erhaltung der Lebensmittelproduktion ist sehr schmal – diese Spannung müssen wir aushalten. Darüber hinaus finde ich in der Natur meinen Zugang zu Gott. Oft nutze ich Spaziergänge oder aber auch Zeiten auf dem Feld oder im Stall, um zu beten. Die perfekte Schöpfung mit all ihren Details begeistert mich immer wieder. Gerade durch mein Arbeitsumfeld habe ich viele Gelegenheiten, darüber zu staunen.

Auf der einen Seite geht es darum, die Schöpfung zu bewahren, auf der anderen Seite hat uns Gott diese auch als Lebensgrundlage gegeben.

Hoher Einsatz, großes Risiko

ERF: 1971 gab es noch rund eine Millionen landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland. 2019 waren es noch knapp 276.000. Alleine in den letzten 20 Jahren haben 42 Prozent alle Betriebe aufgegeben. Sie haben also nicht gerade einen Traumberuf angesteuert.

Thomas Liebske: Landwirtschaft ist ein herausfordernder 24-Stunden-Job. Man hat als Landwirt keine Arbeitszeiten von 9.00 bis 17.00 Uhr. Das ist für viele Menschen erst einmal abschreckend, und in dem Sinn ist Landwirt auch kein Traumberuf. Das Hofsterben ist zum Teil von der Branche selbstverschuldet, aber auch durch Politik und Wirtschaft verursacht worden.

In den letzten Jahrzehnten sind die produktionstechnischen Herausforderungen immer größer geworden. Immer höhere Auflagen im Ackerbau und der Tierhaltung erhöhen den Druck auf den einzelnen Landwirt. Deswegen bauen manche Betriebe ihre Produktion aus und nutzen die Skaleneffekte für den Erhalt ihres Hofes. Andere haben die finanziellen Mittel für große Investitionen nicht. Hinzu kommt der Mangel an potentiellen Nachfolgern. Betriebe ohne Nachfolger hören auf, wodurch andere Betriebe immer größer werden.

Dazu kommt, dass die Gewinne in der Schweinehaltung oder der Milchproduktion zu niedrig sind, sodass nur schwer ökonomisch gewirtschaftet werden kann. In den letzten Jahren hat eine Vielzahl der Betriebe draufgelegt und aus ihrer Arbeit keine Gewinne mehr generiert. Auch die Subventionspolitik, die eigentlich den Betrieben zu Gute kommen sollte, macht es besonders den kleineren Familienbetrieben schwer, mit dem ansteigenden Preisdruck mithalten zu können. Sie sind oft in eine Abhängigkeit von den Subventionen geraten.
 

ERF: Warum haben Sie sich trotz dieser Risiken für den Beruf des Landwirts entschieden?

Thomas Liebske: Ich denke, Landwirtschaft hat viel mit einer Leidenschaft zu tun, die die meisten Landwirte für die Tiere, die Arbeit, die Natur in sich tragen. Viele meiner Kommilitonen, die von einem eigenen Betrieb kommen, tragen zum Teil für jedes Tier, das sie bei sich im Stall stehen haben, diese Leidenschaft, oder man kann fast schon sagen: diese Liebe, in sich.

Auch bei mir ist diese Leidenschaft durch meine Erfahrung in den Betrieben und dem Studium gewachsen. Es macht mir großen Spaß mit den Tieren, der Technik und der Natur zu arbeiten. Ich brenne für die Branche und habe den Wunsch, einmal auf einem eigenen Betrieb dieser Leidenschaft nachzugehen.

Landwirte als Buhmänner?

ERF: Das steht ein Stück weit im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung. Hier scheinen die Landwirte oft die Buhmänner zu sein, die für zahlreiche Umweltproblem wie Bienensterben, Glyphosat- oder Grundwasserbelastung mit verantwortlich gemacht werden.

Thomas Liebske: Ich glaube, dass hier Zusammenhänge von der Öffentlichkeit teilweise falsch wahrgenommen werden. Viele Menschen wissen nicht, wie die Abläufe auf einem landwirtschaftlichen Betrieb tatsächlich aussehen, ihnen fehlt das Fachwissen für wichtige Zusammenhänge. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Landwirt die Verantwortung kennt, die er gegenüber der Natur, den Tieren und der Gesellschaft trägt.

Natürlich gibt es auch in dieser Branche schwarze Schafe, die sich der Verantwortung entziehen möchten. Trotzdem müssen die Landwirte natürlich wirtschaftlich effizient arbeiten, ganz gleich ob konventionell oder ökologisch. Dabei spielt auch der Naturschutz eine wichtige Rolle, nach dem Motto: So viel Pflanzenschutzmittel wie nötig und so wenig wie möglich. Der Umweltgedanke rückt in der Branche auf jeden Fall immer mehr in den Mittelpunkt, wenn vielleicht auch etwas spät.
 

ERF: Ist denn die konventionell ausgerichtete Landwirtschaft Ihrer Meinung nach ökologisch so problematisch, wie sie immer dargestellt wird?

Thomas Liebske: Sicherlich wurde in den letzten Jahrzehnten aus Unwissenheit, bzw. Profitgier zu viel Dünger oder Pflanzenschutz in den Kreislauf der Natur hineingegeben. Durch Forschung und Praxis konnten aber immer bessere Konzepte erarbeitet werden, die zu einem Umdenken in den Köpfen der Betriebsleiter geführt haben. Dazu zählt insbesondere auch der technische Fortschritt, wodurch der Gebrauch von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln effizienter getätigt werden kann.

Durch die Düngemittelverordnung, die 2017 in Kraft getreten ist und durch diejenige, die momentan in Arbeit ist, wird diese Entwicklung weiter vorangetrieben. Der ökologische und der konventionelle Landbau werden zumindest hier in Deutschland in den nächsten Jahren immer enger zusammenrücken.


ERF: Viele Ihrer Kollegen gehen aktuell aus Angst oder auch Empörung über dieser Entwicklung von Seiten des Gesetzgebers auf die Straße, weil sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Halten Sie die Veränderungen in der neuen Gesetzgebung für plausibel oder nehmen Sie sie als Belastung wahr? 

Thomas Liebske: Aus Sicht des Verbrauchers sind die Veränderungen sicherlich sinnvoll. Er bekommt das Gefühl, die Landwirtschaft tut etwas für ihn und die Umwelt. Aus der Sicht der Landwirtschaft, also des Produzenten, wird es hingegen immer schwieriger, die nötigen Erträge zu generieren und die Flächeneffizienz zu erhöhen. Dieser Wandel könnte langfristig dazu führen, dass Deutschland im Blick auf die Lebensmittelversorgung immer mehr vom Ausland abhängig wird, also auch von Ländern, bei denen wir nicht mehr die Kontrolle haben, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Und natürlich wird auch der Druck auf die Kleinbetriebe weiter steigen, da sie die geringen Erlöse nur schwer ausgleichen können.


ERF: Das heißt, die Auflagen sind so hoch, dass sie Ertragseinbußen mit sich bringen, die nicht aufgefangen werden können?

Thomas Liebske: So ist es. In manchen Regionen können Landwirte noch nicht einmal den theoretischen Bedarf der Pflanze mit Dünger abdecken, obwohl die Bodenbeschaffenheit eine Nutzung gespeicherter Nährstoffe nicht hergibt. Das wird zwangsläufig zu Ertragseinbußen und zur Minderung der Bodenqualitäten führen. Beides ist nicht wünschenswert.
 

ERF: Gäbe es im Bereich des Pflanzenschutzes denn keine ökologischen Alternativen, die auch für große konventionelle Betriebe attraktiv und zugleich wirtschaftlich wären?

Thomas Liebske: Im ökologischen Bereich werden verschiedene Pflanzenschutzmaßnahmen eingesetzt. Die Unkrautbekämpfung wird hauptsächlich mechanisch durchgeführt, wobei auch die Bodenbearbeitung und Fruchtfolge einen hohen Einfluss auf die Unkrautentwicklung hat. Die Schaderregerbekämpfung basiert auf biologischen Mitteln, wie z.B. den Einsatz von natürlichen Feinden und speziell zugelassenen Pflanzenschutzmitteln. Diese Alternativen vermeiden zwar den Einsatz von chemisch-synthetischen Mitteln, sind aber nicht so effizient, wie die im konventionellen Bereich. Das macht es schwierig, die gleiche Ertragsmenge, die wir im konventionellen Bereich generieren können, auch im ökologischen Bereich zu erhalten.

Aus diesem Grund braucht der ökologische Landbau ungefähr doppelt so viel Fläche. Das stellt zusammen mit dem zunehmenden Flächenverlust, den es in Deutschland durch Straßen, Bebauung, Ausgleichsflächen und Naturschutzgebieten gibt, eine weitere Herausforderung dar. Dennoch gibt es auch im konventionellen Bereich Ansätze, ökologisch wirksame Alternativen einzusetzen. Die mechanische Unkrautbekämpfung ist längst keine Ausnahme mehr. Auch die biologischen Mittel gewinnen zunehmend an Bedeutung. Trotzdem wird die Landwirtschaft auf die synthetischen Mittel nicht vollkommen verzichten können.

Zusammenwachsen von konventioneller und ökologischer Produktion

ERF: Der ökologische Landbau ist zur Zeit stark im Wachsen begriffen. Einige Umweltschützer sehen darin die einzige Möglichkeit, um Umweltprobleme wie die Grundwasserbelastung oder den CO2 Ausstoß und das Tierwohl in den Griff zu bekommen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Thomas Liebske: Nein. Auch im konventionellen Bereich wird tiergerecht produziert und Umweltschutz betrieben. In Deutschland sind wir hier sogar Vorreiter. Wir können uns hier den ökologischen Landbau leisten, weshalb wir dieser Produktionsweise eine so große Aufmerksamkeit schenken. Weltweit gesehen, und zum Teil schon in anderen europäischen Ländern, ist der ökologische Landbau keine Alternative, um langfristig ausreichend Lebensmittel für die Weltbevölkerung zu produzieren.

Neben einer Lebensmittelknappheit könnte es außerdem zu agronomischen Problemen kommen. Gerade hinsichtlich der Entwicklung der Schaderregerpopulation und des Unkrauts. Eine verminderte Bekämpfung aufgrund des Einsatzes von weniger effizienten Bekämpfungsmethoden, wird sicherlich langfristig den Erreger- und Unkrautdruck erhöhen. Ich bin selbst gespannt, inwieweit Erfahrungswerte in diesem Bereich die zukünftige Landwirtschaft beeinflussen werden.

Man darf auch nicht vergessen, dass sich viele der Zustände, die wir heute in der Landwirtschaft kritisieren, nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Not heraus entwickelt haben, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten: Geben heute die Kühe ca. 35 bis 40 Liter, waren es früher nur 10 bis 15 Liter. In den letzten Jahrzehnten lag der Fokus immer auf Leistung. Wobei man heute die Zuchtziele der vergangenen Jahre zum Teil sehr kritisch sieht, was zu einem Umdenken geführt hat. An dieser Stelle geht man weg vom Leistungsgedanken, hin zur Zucht auf Gesundheit, Körperbau und Langlebigkeit. Allerdings ist Zucht eine langlebige Sache, die genetische Veranlagung von Kühen ist nicht von heute auf morgen veränderbar. Daher braucht es Zeit, um die neuen Entwicklungen sichtbar werden zu lassen.

Im Ackerbau ist es ähnlich. Wir haben heute ein Mehr an Produktion pro Ackerfläche als vor 30 bis 40 Jahren, wobei ich bezweifle, dass die Böden dadurch mehr ausgelaugt werden. Auch hier gilt wieder: Ackerflächen sind Ressourcen für die Landwirtschaft, und den Landwirten ist daran gelegen, diese Ackerflächen gesund zu halten. Auch der konventionellen Landwirtschaft ist daran gelegen, über Humus aufbauende Maßnahmen oder Maßnahmen, die das Bodenleben fördern, die Bodengesundheit zu erhalten. 
 

ERF: Es gibt auch die Ansicht, die die Zukunft der Landwirtschaft in einer Mischung aus beiden Systemen sieht. Wie könnte den eine solche Verbindung aussehen?

Thomas Liebske: Der Zwischenfruchtanbau über den Winter oder der Anbau von stickstoffbindenden Pflanzen, die nachfolgenden Kulturen Stickstoff zur Verfügung stellen, ist meiner Ansicht nach schon Teil von einem solchen gemischten ökologischen landwirtschaftlichen System. Auch in der Unkraut- und Schaderregerbekämpfung werden bereits ökologische Alternativen angewandt. Es gibt also schon Ansätze einer solchen Mischung aus beiden Systemen.

Im Bereich der Tierwirtschaft können sicherlich noch mehr Alternativen entwickelt werden, wie zum Beispiel Zugangsmöglichkeiten zur Weide in der Rinderhaltung oder verbesserte Beschäftigungsmethoden in der Schweinemast. Nur ist es natürlich eine Frage der Vermarktung, des Standorts und der Ressourcen, ob solche Systeme finanziell und arbeitstechnisch getragen werden können. Letztlich bestimmt der Markt inwieweit solche Mischsysteme, z.B. über Sonderzahlung für erhöhte Produktionsstandards, vergütet bzw. subventioniert werden.

Hofläden unterstützen und faire Preise bezahlen

ERF: Die Landwirtschaft – auch die konventionelle – wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten also verändern. Wo wünschen Sie sich als Landwirt vom Konsumenten her ein Umdenken?

Thomas Liebske: Lebensmittel aus dem Discounter werden meist nicht für den Preis verkauft, der dem Produkt entspricht. Da bleibt nicht mehr viel Gewinn für den Produzenten übrig. Was ich hingegen sehr gut finde, sind Hofläden, in denen Landwirte ihre Produkte direkt vermarkten. Ich hoffe, dass diese Vermarktungsstrategie weiter ausgebaut und dadurch insbesondere die regionale Landwirtschaft gestärkt wird. Die Konsumenten sollten nach Möglichkeit dieses Angebot nutzen und Hofläden in der Region anfahren.

Die Direktvermarktung birgt auch Potenzial für die Zusammenarbeit von Betrieben, was zum Beispiel die Finanzierung oder die zeitlichen Belastung angeht. So bleibt für den Landwirt am Ende ein höherer Anteil des Verkaufspreises, da der Handel nicht mehr Teil der Kette ist. In den Ballungsgebieten gibt es viele solcher Hofläden, welche sehr gut genutzt werden. Ich wünsche mir, dass dies auch in ländlichen Regionen etabliert wird - auch wenn mir klar ist, dass es dort sicherlich logistisch schwieriger ist. Eine wichtige Basis ist die Bereitschaft des Konsumenten höhere Preise zu zahlen, wenn es ihm möglich ist.
 

ERF: Wie sieht es mit Bioprodukten aus, die bei Discountern angeboten werden? Ist da der Preis Ihrer Meinung nach real?

Thomas Liebske: Ich persönlich finde biologische Produkte im Discounter schwierig, weil die Nachvollziehbarkeit nicht vorhanden ist. Diese Produkte werden sicherlich nach einem entsprechenden Standard produziert. Trotzdem stellt sich die Frage: Woher kommen die Produkte und nach welchem Bio-Label wurden die Produkte hergestellt? Das Bio-Sortiment wird häufig durch Importwaren möglich gemacht. Dabei sollte ein Bio-Salat aus Ägypten meiner Meinung nach nicht einem konventionellen Salat aus der Region vorgezogen werden. Allein schon der Transport lässt mich hier am ökologischen Nutzen zweifeln.
 

ERF: Nun hat nicht jeder Verbraucher die Zeit oder die Möglichkeit, um zu einem solchen Hofladen zu fahren. Wie kann ich als Verbraucher trotzdem durch meinen Einkauf den Beitrag der Landwirte so wertzuschätzen, so dass sie für das, was sie geliefert haben, einen fairen Preis bekommen?

Thomas Liebske: Es gibt Supermärkte, wie zum Beispiel REWE oder Edeka, die ein großes Sortiment an regionalen Produkten anbieten. Soweit ich weiß, werden die Preise für diese regionalen Produkte direkt mit dem jeweiligen Betrieb verhandelt. Hier habe ich als Verbraucher die Möglichkeit einen Betrieb zu unterstützen, indem ich den Absatz seiner Produkte steigere. Es gibt zum Teil auch Betriebsgemeinschaften, die Hofläden in Städten anbieten.

Diese Art der Vermarktung habe ich in Dresden kennenglernt. Dort werden in einem Laden die Produkte von verschiedenen Betrieben, wie einem Gemüselandwirt, einem Milchbauern usw. direkt an den Konsumenten vermarktet. Ich wünsche mir, dass dieses Beispiel Kreise zieht und es innerhalb der Branche zu mehr Zusammenarbeit kommt. Nur, wenn wir einander gegenseitig den Rücken stärken, können wir gemeinsam für mehr Verständnis beim Verbraucher werben. 
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!
 

Zur Person: Thomas Liebske (23) ist Masterstudent der Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim.  Er hat vor und während des Studiums Praktika auf unterschiedlichen Betrieben absolviert. Sein Ziel ist es, einen eigenen Betrieb zu führen, Menschen für die Landwirtschaft zu begeistern und in ihnen ein Verständnis für Hintergründe und Arbeitsweise der Branche nahezubringen. 


Der Selbstversorgungsgrad von Fleisch, Milch, Kartoffeln, Zucker und größtenteils auch von Getreide (Weizen, Gerste) liegt in Deutschland bei über 100 %. Gemüse, Obst, Eier, Honig und einige Getreidearten (Roggen, Körnermais, Hafer) müssen importiert werden. In der Zuckerindustrie wird vermutlich zukünftig der Rohrzucker die heimische Zuckerrübe ablösen. D.h. auch in diesem Bereich entwickelt sich eine Abhängigkeit von Importware.

Durch den Wegfall von Ackerflächen steigt der Produktionsdruck pro ha weiter an. 2018 lag der Anteil der ökologisch wirtschaftenden Betriebe bei 12 % (31.713 Betriebe). Das entspricht einem Flächenanteil von 9,1 % der gesamten Agrarfläche in Deutschland (ca. 1,5 Mio. Hektar). Das Ziel der Bundesregierung ist die Bewirtschaftung von 30 % der Agrarfläche durch ökologisch wirtschaftende Betriebe bis 2030 zu erreichen.

Weitere Informationen auf den Seiten vom Bundesinformationszentrum Landwirtschaft.

Der Grundpreis für einen Liter Milch sollte mindestens bei 90 Cent/kg Milch liegen, um Rücklagenbildung der Landwirtschaft zu ermöglichen. Dieser Preis ergibt sich aus dem Erzeugerpreis von ca. 30 bis 40 Cent/kg, den Verarbeitungs-/Veredlungskosten von 30 bis 45 ct/kg Milch und der Rücklagenbildung des Landwirten in Höhe von 5 Cent/kg Milch. Hinsichtlich der aktuellen Discounter-Preisen (75 Cent/l Milch), müsste eine Preiserhöhung von mind. 20 Prozent die Folge sein.

Der vollkostendeckende Preis für Schweinefleisch beträgt ca. 1,55 €/kg Schlachtgewicht. Die aktuellen Marktpreise, welche zwischen 1,50 und 2 € liegen, können daher die Produktionskosten decken. An dieser Stelle sollte der Konsument ca. 10 bis 15 Prozent mehr zahlen, um auch hier eine Rücklagenbildung für Investitionen oder Ausfälle zu ermöglichen.

Im Bereich des Ackerbaus sind die Preisentwicklung sehr stark von äußeren Faktoren abhängig. In diesem Bereich haben kurzfristige Schwankungen von Witterung, politische Entscheidungen, wirtschaftlichen Beziehungen und dem Öl-Preis eine direkte Auswirkung auf den Marktfruchtpreis (Getreide, Raps, etc.). Weitere Infos.

 

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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