Ich gebe es offen zu: Dass ich dieses Buch gelesen habe, liegt zu einem Großteil auch am reißerischen Titel und dem leicht martialischen Cover. Eine Frau mit Axt vor rosarotem Hintergrund – da musste ich einfach zugreifen. Tatsächlich ist das Buch „Der toxische Kampf gegen Männlichkeit: Wie das Christentum die Geschlechter versöhnt“ deutlich weniger kämpferisch, als Titel und Cover vermuten lassen.
Denn die amerikanische Autorin Nancy R. Pearcey möchte mit ihrem Buch keine Gräben aufreißen, sondern Brücken schlagen. Sie untersucht in fast schon wissenschaftlicher Manier, wo toxisches männliches Verhalten herkommt und was das Christentum damit zu tun hat.
Der Begriff „toxische Männlichkeit“ entstand in den 1980er und 1990er Jahren in feministischen Kreisen. Er bezeichnet ein männliches Rollenbild, das von Aggressivität, Gewalt und der Herabsetzung von Frauen und Minderheiten geprägt ist. In der Debatte um #MeToo wurde er neu wichtig und breit diskutiert.
In ihrem Buch macht Pearcey erstaunliche Erkenntnisse. Entgegen aller Vorwürfe sind laut ihr nämlich nicht christlich traditionelle Männer- und Frauenbilder schuld an der Entwicklung toxischer Männlichkeit, sondern gesellschaftliche Veränderungen. Um diese zu verstehen, lohnt es sich zurückzuschauen bis in die Zeit der Puritaner, einer streng religiösen christlichen Gruppe, die im 17. Jahrhundert einen Großteil der ersten Siedler Amerikas stellte.
Guter Mann vs. echter Kerl
Für Nancy R. Pearcey zeigt sich die Problematik toxischer Männlichkeit im Wettstreit zweier Narrative männlichen Verhaltens, also zweier Wertmodelle männlichen Handelns. Sie legt anhand historischer Zeugnisse dar, wie Veränderungen in der Arbeitswelt beeinflussten, wann jemand gesellschaftlich als richtiger Mann galt und wann nicht.
Während sich noch in der frühen Neuzeit und weit darüber hinaus Männer an dem Idealbild des „guten Mannes“ orientierten, wurde dies in der Zeit der Industrialisierung durch das Bild vom „echten Kerl“ ersetzt.
Wo vorher Rücksichtnahme, Mitgefühl und der Schutz Schwächerer als männliche Tugenden galten, übernahmen jetzt Stärke und Durchsetzungskraft, die rasch in Härte und Unnachgiebigkeit umschlugen. Mitgefühl und Kooperation waren im Arbeitskontext nur noch wenig gefragt und verloren dadurch als Werte bei Männern an Bedeutung.
Weiter angetrieben wurde diese vom Sozialdarwinismus. Charles Darwins Grundthese war das Überleben des Stärkeren. Er beobachtete, dass Anpassungen von Tierarten an ihre Umwelt dazu beitrugen, dass diese Tierarten überlebten. In Teilen übertrug sich dieser Gedanke auch auf die Gesellschaft. Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Eigennutz waren die Folge.
Eine vaterlose Kindheit
Auch führte der Wechsel des Arbeitsortes und der Arbeitsform von der familiär gemeinschaftlichen Arbeit im eigenen Haus zu außerhäuslichen Tätigkeiten zu einer Entfremdung der Männer von ihren Familien.
Ein gutes Beispiel für diese beiden Entwicklungen ist die Erziehung und Bildung von Kindern. Diese Aufgabe fiel im 17. und 18. Jahrhundert noch ganz natürlich dem Vater als Familienoberhaupt zu. Für die Puritaner zählten hierzu auch regelmäßige Hausandachten des Vaters.
Im 19. Jahrhundert ging die Aufgabe der Erziehung und moralischen Bildung auf die Frauen über. Sie gingen vielfach keiner außerhäuslichen Tätigkeit nach und galten in dieser Zeit zudem als die moralisch stärkeren Wesen. Also übernahmen sie die Erziehung der Kinder – und der Einfluss der Väter schwand entsprechend.
Dies weckte laut Pearcey Widerwillen bei den Jungen. Ihnen fehlte die Interaktion mit den eigenen Vätern und somit mit positiven männlichen Vorbildern. Um sich gegenüber dem rein weiblichen Einfluss zu behaupten, entwarfen sie einen Gegenentwurf zu den Tugenden, die von Müttern und Erzieherinnen eingefordert wurden und die sie als weibisch erlebten.
Plötzlich galt es als männlich, wenn ein Junge sich raufte, trank, sich anderen gegenüber respektlos verhielt und die Regeln brach.
Ein Bad Boy zu sein war „in“ – und zwar bis weit ins Erwachsenenalter. Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, wurde dagegen abgelehnt.
So entstand, was wir heute als toxisches männliches Verhalten bezeichnen.
Die industrielle Revolution als unleugbarer Wendepunkt
Diese Veränderung kann anhand von Kunst und Kultur nachgezeichnet werden. In Charles Dickens Weihnachtsgeschichte von 1843 bewegt noch die Tugendhaftigkeit des behinderten Tiny Tims das Herz des geizigen und egoistischen Ebenezer Scrooge. Wenige Jahrzehnte später prägte Mark Twain jedoch mit seinen Romanen über Tom Saywer und Huckleberry Finn bereits das Bild des ungezogenen und frechen Jungen als Helden und Vorbild.
Dies sind nur zwei literarische Beispiele, die Pearcey anführt. Ergänzend verweist sie auf den Anstieg häuslicher Gewalt und männlicher Alkoholsucht auf der Höhe der industriellen Revolution. Dieser ist historisch belegt und untermauert ihre These. Schließlich führte diese Entwicklung in den USA sogar 1918 zur Prohibition, nachdem alle anderen Versuche, der massiven Trunkenheit Herr zu werden, gescheitert waren.
Ich stimme Nancy R. Pearcey daher zu: Es gab einen Narrativwechsel vom „guten Mann“ zum „echten Kerl“ und dieser ist ein entscheidender Grund für die Entwicklung toxischer Männlichkeit, wie wir sie heute beobachten.
Was Pearcey übersieht
Doch das allein erklärt nicht die Frauenfeindlichkeit, die sich schon davor in der Gesellschaft über alle Jahrhunderte hinweg zeigte. Männlich missbräuchliches Verhalten gegenüber Frauen begann schließlich nicht erst mit der Industrialisierung. Schon die Hexenprozesse der Frühen Neuzeit waren massiv von Frauenfeindlichkeit geprägt – und hier mischten die von Pearcey so gelobten Puritaner ordentlich mit.
Um hier tiefer zu graben, müssen interessierte Leser andere Quellen zu Rate ziehen. Denn Pearcey zeichnet in ihrem Buch nur eine Entwicklung von der Frühen Neuzeit bis heute nach. Eine Erklärung ist, dass sie als Amerikanerin diesen Zeitraum als besonders prägend empfindet. Schließlich begann die westlich geprägte amerikanische Geschichte erst mit den Puritanern.
Trotzdem lässt es mich als Europäerin fragend zurück. Denn prägende Zeiten für die biblischen Zeugnisse bleiben gänzlich unbeachtet – wie etwa die griechisch-römische Antike oder die alttestamentarische Zeit . Ebenso übergeht Pearcey das stark christlich geprägte Mittelalter.
Hier greift mir das Buch zu kurz und reduziert sich zu sehr auf die amerikanische Sichtweise.
Letzteres zeigt sich leider auch an den historischen und literarischen Beispielen, die Pearcey nennt. Ein Blick über den Tellerrand hätte der Argumentation des Buches gutgetan.
Warum Feminismus toxische Männlichkeit fördert, statt ausrottet
Nancy R. Pearcey widmet sich in ihrem Buch nicht nur den Ursachen toxischer Männlichkeit, sondern auch möglichen Lösungsansätzen. Auch hier wirft sie einen Blick in die Geschichte und zeigt auf, dass weiblich moralisierendes Verhalten seine Ziele eher verfehlt als ihnen gedient hat. So etwa in der Abstinenzbewegung gegen den bereits erwähnten massiven Alkoholkonsum, die vor allem Frauen unterstützten.
So wichtig Bewegungen wie diese waren, um Frauen vor männlicher Gewalt zu schützen und Missstände anzuprangern und zu verändern, trieben sie laut Pearcey die Männer eher in die Defensive. Ähnliche Kritik übt Pearcey auch an heutigen feministischen Bestrebungen. Sie erkennt die Ziele und die Notwendigkeit dieser Bestrebungen an, erklärt aber überzeugend, dass der Versuch, Männer zu „zähmen“, geschichtlich immer nach hinten losgegangen ist.
Ihrer Meinung lassen Frauen Männer vom Haken, wenn sie sich ihnen gegenüber als friedfertiger, gewaltloser und moralisch überlegen ansehen. Tatsächlich hilft laut ihr nur, wenn diese Wesenszüge wieder Teil des männlichen Idealbilds werden.
Männer handeln nicht moralisch richtig, weil Frauen sie dazu drängen, sondern weil andere Männer es ihnen vorleben.
Wie christliche Werte toxisches Verhalten überwinden können
Hier sieht Pearcey die christliche Lehre in der Pflicht. In der Bibel – so Pearcey – ist vorbildliches männliches Verhalten beschrieben. Anhand statistischer Daten zeigt sie auf, dass Männer, die der christlichen Lehre ernsthaft folgen, seltener Gewalt gegen Frau und Kinder ausüben.
Pearcey ist überzeugt: Im christlichen Glauben findet ein Mann gute Rollenbilder, an denen er sich orientieren kann.
Aber leider hat toxische Männlichkeit auch Einzug in christliche Kreise gehalten und wird allzu oft von Seelsorgern oder Pastoren übersehen, so Pearcey. Einen Grund sieht sie in der Art der Paar- und Familienberatung, wie sie meist praktiziert wird. Dieser liegt nämlich die Überzeugung zugrunde, dass alle Parteien Verantwortung für Konflikte und Probleme in der Beziehung tragen.
Pearcey macht deutlich: So wahr dies für gesunde Beziehungen ist, so wenig lässt sich dies auf Fälle übertragen, in denen toxisches männliches Verhalten die Ursache eines Konflikts ist. Viel zu oft beobachtet die Autorin, dass Frauen zu christlicher Nächstenliebe gedrängt werden, wo Selbstschutz an erster Stelle stehen sollte.
Eindringlich ruft sie dazu auf, toxisches männliches Verhalten in seiner schädigenden Wirkung ernst zu nehmen und Betroffenen im Gemeindekontext die Unvereinbarkeit mit der Bibel klarzumachen. Hier brauche es keine Nachsicht, sondern klare Worte. Diese zu geben, liegt ihrer Ansicht nach in der Verantwortung von Seelsorgern, Pastoren und Gemeindeleitern. Hier sind besonders die männlichen Leitungspersonen gefragt, da toxisch geprägte Männer diesen eher zuhören als leitenden Frauen.
In diesem letzten Abschnitt wird das Buch noch mal konkret. Pearcey zieht Beispiele aus der Beratungspraxis anderer heran und diskutiert, was Männern wirklich helfen kann, die Folgen ihres toxischen Handelns zu verstehen und praktisch zu ändern. Ein anderes Kapitel widmet sich flexiblen Arbeitszeitmodelle und deren Nutzen für Familie und Kinder.
Klare Leseempfehlung, aber nicht für jeden
Für wen eignet sich dieses Buch und was ist mein Fazit? Insgesamt bietet das Buch von Nancy R. Pearcey viele interessante Ansätze, um toxische Männlichkeit und ihre Wurzeln besser zu verstehen. Als geschichtlich interessierte Leserin fand ich die historische Herleitung sehr spannend. Praktisch orientierte Leser werden mehr von den letzten Kapiteln stärker profitieren, die die Theorie in die Praxis umzusetzen versuchen.
Mein größtes Manko ist, dass Pearcey zu stark ein früheres Idealbild zeichnet und dies heutigen Verhaltensmustern gegenüberstellt.
Ich glaube nicht, dass toxisches männliches Verhalten nur eine Folge gesellschaftlicher Entwicklungen ist. Dafür gibt es zu viele Belege dafür, dass bereits in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit Frauen Gewalt, Unterdrückung und Machtmissbrauch durch Männer erlebten. Diese Diskrepanz löst das Buch leider nicht auf.
Außerdem sollte man etwas Sitzfleisch mitbringen. Das Buch ist mit circa 480 Seiten ein ganz schöner Wälzer und inhaltlich hier und da komplex. Zwar schreibt Pearcey flüssig und klar und die Kapitel sind in Einzelabschnitte unterteilt, die das etappenweise Lesen erleichtern. Dennoch empfehle ich das Buch nur Lesenden, die vor wissenschaftlichen Sachtexten nicht zurückschrecken. Für diese aber bietet das Buch auch dank seiner vielen Fußnoten und Quellenangaben viele Ansätze, noch tiefer in das Thema einzusteigen.
Hat das Buch für mich sein Versprechen gehalten? Jein. Ich war an vielen Stellen positiv von der Genauigkeit der historischen Spurensuche überrascht, gleichsam muss ich aber eingestehen: In puncto Kontroversität verspricht die Axt auf dem Cover mehr, als das Buch letztlich bietet.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Schön, dass dieses Thema aufgegriffen und behandelt wird. Immer wieder habe ich Kritik am sogenannten „christlichen“ Männerbild gelesen und innerlich ausgerufen „Das stimmt doch gar nicht, dieses … mehrMännerbild ist in keiner Weise christlich!“. Ebenso gibt es viele Ansichten über das „christliche“ Frauenbild in der Gesellschaft, die gleichermaßen nicht biblisch sind.
Ich finde diesen Artikel gruselig. Kein Mann sollte einer Frau Gewalt antun. Allerdings steht in der Bibel klar beschrieben, wie sich die Frau gegenüber dem Mann und umgekehrt zu verhalten hat. In … mehrder heutigen Zeit wird vieles verdreht... Wenn euch das Thema Mann/Frau so wichtig ist, zitiert bitte einmal sämtliche Bibelstellen dazu und schreibt hierüber einen Artikel. Erfüllen beide Seiten ihre Aufgaben, verschwindet toxische Männlichkeit wahrscheinlich komplett. Es gibt viele Bücher in der heutigen Zeit. Allerdings solltet ihr das Geschriebene immer anhand der Bibel abgleichen. Treten Abweichungen auf, könnt ihr die Aussagen von Büchern beruhigt ignorieren. Versucht bitte nicht Weltliches mit Biblischem zu vermischen. Das ist ein lieb gemeinter Ratschlag.