Der Amoklauf von Nickel Mines ging im Oktober 2006 auch in Deutschland durch die Presse: Der 32-jährige Amerikaner Charles Roberts erschießt in der kleinen Schule eines amischen Dorfes fünf Mädchen und anschließend sich selbst. Als Motiv nennt er Hass auf Gott. Auch sexuelle Perversionen scheinen eine Rolle zu spielen, denn Roberts wollte die Mädchen ursprünglich missbrauchen. Dazu kommt es jedoch nicht, weil die Polizei überraschend schnell am Tatort auftaucht. Das Blutbad kann sie aber nicht verhindern.
Was in den Tagen nach dem Amoklauf in den deutschen Medien im Gegensatz zu der Berichterstattung in den Staaten kaum Beachtung fand, war die Reaktion der betroffenen Familien: Die Opfer beschließen als Gemeinschaft, dem Mörder zu vergeben und unterstützen seine Witwe und ihre drei Kinder. Auf dieser wahren Begebenheit beruht der 2010 in den USA erschienene und nun auch in Deutschland erhältliche Film „Wie auch wir vergeben – Amish Grace“.
Spiegel
Focus
The Washington Post
US Time
NPR Radio Station
Pittsburgh Post Gazette
Die Handlung
Im Mittelpunkt des Filmes steht das erfundene Ehepaar Graber mit seinen beiden Töchtern, von denen eine später getötet wird. Die Familie steht dabei stellvertretend für die wirklichen Opfer. Die ersten Szenen von "Wie auch wir vergeben" geben einen Einblick in das Leben der Grabers und der traditionsgebundenen Gruppierung. Es wird klar: Feindesliebe und Vergebung haben in der Geschichte der Bewegung immer eine Rolle gespielt. Parallel dazu beobachtet der Zuschauer die akribischen Vorbereitungen des Amokläufers und lernt seine Frau Amy und seine Kinder kennen.
Der dann folgende Amoklauf wird nur angedeutet und nicht in Details gezeigt. Der Fokus liegt auf dem Warten der Familien, die nicht wissen, ob ihre Mädchen überlebt haben. Noch während dieser bangen Stunden beschließen einige der Gemeindeältesten und Gideon Graber, die Witwe des Täters aufzusuchen. In einem kurzen Besuch trauern sie mit Amy über den Verlust ihres Mannes und bieten ihr Hilfe an. Ihre Botschaft: Wir wollen nicht, dass Hass die Oberhand gewinnt.
Es ist diese Handlung, die das Ehepaar Graber in der weiteren Filmhandlung zu entzweien droht: Ida kann und will den Schritt ihres Mannes nicht nachvollziehen, wirft ihm Verrat an der ermordeten Tochter vor. Während die anderen betroffenen Familien versuchen, ihren Verlust zu verarbeiten und gleichzeitig vergebungsbereit zu sein, zweifelt Ida immer stärker an ihrem Glauben und der Vorgehensweise ihrer Gemeinschaft. Sie ist nicht bereit, „ihre Tochter wie ein demütiges Schaf auf dem Altar des Glaubens zu opfern“ und beschließt, ihren Mann und die Amischgemeinde mit Hilfe einer Reporterin zu verlassen. Die neugierige und zugleich einfühlsame Journalistin scheint Ida in ihrer Verzweiflung die einzige Verbündete zu sein. Erst als die Mutter Details über den Tod ihres Mädchens erfährt, wird sie fähig ebenfalls zu verzeihen.
Stärken und Schwächen von Wie auch wir vergeben
„Wie auch wir vergeben“ kommt ohne viel Pathos und Action aus. Die Handlung umfasst nur wenige Tage und kristallisiert sich brennpunktartig in den Dialogen der Hauptpersonen. Glaubwürdig spiegeln die Rollen von Ida und Amy darin die Zweifel wieder, die der Zuschauer angesichts der schnellen Vergebungsbereitschaft der Amischen selbst empfindet: Wie kann man einem Menschen vergeben, der so etwas getan hat? Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Die Frage, wie Gott das Unglück zulassen konnte, wird in den teils heftigen Wortgefechten ebenfalls berührt.
Überzeugend sind allerdings auch die Antworten von Gideon und einigen anderen Amischen auf diese Anfragen. Sie machen deutlich, dass es zur Vergebung letztlich keine Alternative gibt, will man nicht selbst von Hass und Bitterkeit zerfressen werden. Diese komprimierten Aussagen der schlichten Gläubigen sind das Herzstück des Filmes und berühren den Zuschauer. Trotz seiner Zweifel und dem Ringen um Vergebung im eigenen Leben, spürt er, dass hier eine tiefe Wahrheit ausgesprochen wird.
Fragwürdig, wenn auch in sich stimmig, ist hingegen die Darstellung der Ida Graber, die im Film sehr selbstbestimmt auftritt. Würde sich eine amische Ehefrau gegenüber ihrem Mann so verhalten? Auch sonst inszeniert „Wie auch wir vergeben“ die ganze Thematik sehr durch die Sichtweise und Gefühle seiner nicht amischen Zuschauer. Gideon Graber argumentiert zum Beispiel stark von der psychologischen Bedeutung der Vergebung her und deutet sie als etwas, das vor allem für das Opfer notwendig ist. Hier fällt es schwer zu unterscheiden, welche Gedanken und Gefühle die Filmemacher den Charakteren zugeschrieben haben und welche die Menschen in Nickel Mines tatsächlich hatten.
Kritiken zum amerikanischen Original verweisen zudem auf die Skepsis der medienscheuen Gemeinschaft über die Herstellung des Filmes. Die Frage wird laut, ob die Amischen über die Verfilmung der Ereignisse glücklich sind. Angeblich haben auch die Autoren des Buches, auf dem der Film basiert („Die Gnade der Amish – Wie Vergebung Tragödien überwindet“1), aus diesem Grund eine Zusammenarbeit mit den Produzenten abgelehnt.
Bonusmaterial zum Film
Wie bei vielen seiner Filme bietet der Hänssler Verlag für „Wie auch wir vergeben“ Bonusmaterial an, das sich in Form einer PDF-Datei auf der DVD befindet. Dazu gehören ein kurzer Hintergrundbericht über die Glaubensgemeinschaft der Amischen und den Amoklauf von Nickel Mines sowie fünf thematische Lektionen. Letztere schließen jeweils mit Impulsfragen ab und sind auch für das Gespräch in der Gruppe geeignet. Allerdings geht nur eine dieser Einheiten explizit auf das Thema Hass und Vergebung ein. Die übrigen greifen eher allgemeine Fragestellungen auf, wie etwa Trauer, Amokläufe oder die Rolle der Medien bei solchen Tragödien. Die Fragen sind so gestellt, dass auch junge Erwachsene oder Menschen mit wenigen Berührungspunkten zum christlichen Glauben etwas damit anfangen können.
Wer durch den Film angesprochen wurde und überlegt, wie er Menschen in seinem Umfeld vergeben kann, findet hier nur begrenzt Hilfe. Das ist schade, denn vermutlich ist genau das der Punkt, für den sich der Zuschauer am meisten Unterstützung wünscht. Auch die Frage, warum Vergebung in der Bibel eine so große Rolle spielt und warum es dabei nicht nur um den inneren Frieden des Opfers geht, bleibt außen vor.
Deutscher Trailer:
Fazit
Der Film eignet sich gut als Einstieg ins Thema Vergebung. Begeisterten Lesern diverser Amischromane wird die DVD anhand der Bilder und Kostüme sicherlich gefallen. Wer allerdings mehr über Vergebung wissen möchte und die Motive der Gruppierung für ihre Vergebungsbereitschaft besser verstehen will, kommt nicht darum herum, sich anderweitig tiefergehend mit der Materie zu beschäftigen.
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