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© Douglas Lopez / unsplash.com

15.03.2023 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Anne Heidler

Adoption: Auf der Suche nach sich selbst (2)

Wie aus innerer Verletzung Gutes entstehen kann.

Judith Beständig ist adoptiert. Lange fragt sie sich, wer sie ist. Obwohl sie in einer liebenden Adoptivfamilie aufwächst, beschäftigen sie dennoch Fragen wie: „Woher habe ich meine Nase?“ Oder: „Habe ich Geschwister?“ Sie macht sich auf die Suche zu sich selbst und findet dabei viel mehr als ihre Identität. Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews.

Eine eigene Familie mit allen Herausforderungen und Chancen

Judith Beständig wurde als Kind adoptiert (Foto: Melanie Funk @mellifunkphotography)
Judith Beständig wurde als Kind adoptiert (Foto: Melanie Funk @mellifunkphotography)

ERF: Inzwischen sind Sie selbst Mutter und haben zwei Töchter. Was bedeutet heute für Sie Familie?

Judith Beständig: Meine Familie bedeutet mir alles. Es sind meine Lieblingsmenschen. Der Ort, an dem jeder von uns echt sein darf, Zuflucht findet, unterstützt wird in seinen Träumen und zum Wachstum herausgefordert wird.

Ich bin unendlich dankbar, dass ich dieses Jahr 22 Jahre Ehe mit meinem Mann feiern darf, unsere Kinder gesund sind und wir ein gutes Miteinander haben.


ERF: Wie hat sich Ihre Geschichte auf das Zusammenleben mit Ihren Kindern ausgewirkt?

Judith Beständig: Was mir gefehlt hat, war eine Art Vorbild aus dem eigenen Leben, wie Familie gelingen kann. Eine klassische Familie mit Vater, Mutter und Kindern hatte ich ja nie. Das hat aber viel Raum für meinen Mann und mich geboten, uns Gedanken zu machen, wie wir Familie gestalten und leben wollen.

Oberste Priorität hatten bei uns immer Transparenz und Ehrlichkeit. Das, was mir so oft gefehlt hat, sollte ein zentraler Wert in unserer Familie sein. Unsere Kinder kennen meine Herkunftsgeschichte. Auch heute noch werden manche Auswirkungen davon im Gespräch thematisiert.

Ich darf jetzt Bestandteil einer gesunden Familie sein und das macht mich glücklich. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass jede Familienkonstellation ihre Herausforderungen mit sich bringt und Familie immer Arbeit bedeutet.

Ich bin davon überzeugt, dass unsere größten Verletzungen der Ort unserer größten Schönheit werden können.

ERF: Was möchten Sie anderen Menschen mitgeben, die Ähnliches erfahren haben?

Judith Beständig: Aus Sicht meines Glaubens kann ich raten immer mit einer Bereitschaft für Vergebung an das Erlebte zu gehen. Vergebung auszusprechen hat eine enorm große Kraft. Ich selbst habe erlebt, wie sich dadurch Frieden in Situationen einstellen konnte.

Trotzdem glaube ich, dass wir uns diesem Teil unserer Geschichte proaktiv stellen sollten. Verdrängung ist nicht hilfreich, sondern schädlich. Seit einiger Zeit, lerne ich mit Hilfe einer Psychotherapie den Auswirkungen meiner Geschichte in meinem Denken und Fühlen auf die Schliche zu kommen.

Viele innere Glaubenssätze und Ängste konnten bereits entlarvt werden und ich arbeite daran, die Narben der Vergangenheit weicher werden zu lassen. Das Zusammenspiel von Glauben und Therapie ist für mich zu einem großen Schatz geworden, der Hand in Hand geht.

Leid kann ein Nährboden für Veränderung sein

ERF: „Ich bin davon überzeugt, dass unsere größten Verletzungen der Ort unserer größten Schönheit werden können“ (Joyce, Ausgabe 3/22, S. 11), diesen Satz haben Sie einmal gesagt. Was verbirgt sich dahinter für Sie und Ihr Leben?

Judith Beständig: Ich habe schon oft erlebt, dass Bereiche meines Lebens, die wehgetan haben, rückblickend zu einem großen Segen für mich geworden sind. Jeder Mensch hat Stationen auf seinem Lebensweg, die Leid verursachen.

Die Frage ist nur, ob wir im Leid stecken bleiben oder ob wir uns weiterentwickeln und zulassen, dass uns Gott zeigen kann, was aus diesen schmerzhaften Erfahrungen herauswachsen kann. Oftmals sind diese zehrenden Erfahrungen ein Nährboden für Veränderung.

Gott ist das Fundament

ERF: Sie beschreiben, dass Gott Sie in diesem Prozess begleitet hat. Warum war die Erkenntnis, dass Gott immer bei Ihnen ist, für Sie bedeutsam?

In meinem Glauben zu Gott habe ich mein Fundament im Leben gefunden. Er hat meinem Lebensgefäß den Boden eingezogen, der vorher gefehlt hat. Wenn man Gottes Wesen verstehen möchte, kann man viel über Ihn in der Bibel erkennen. Darin finden sich viele Zusagen, die ich persönlich für mein Leben übernommen habe.

In Zeiten, in denen ich damit zu kämpfen hatte, wenn ich in den Spiegel sah oder mich wertlos fühlte, habe ich mir Versprechen Gottes in der Bibel gesucht, die mich gestärkt haben. Das Wissen, dass Gott mich als kostbar sieht oder mir zusichert, mich nie allein zu lassen, hat mir geholfen. Was Gott über mich denkt, wurde wichtiger für mich als meine Vergangenheit.
 

ERF: Wenn Sie zurückblicken: Wofür sind Sie dankbar?

Judith Beständig: Tiefe Dankbarkeit empfinde ich für die Gewissheit, dass Gott immer bei mir war. Ich konnte meine Geschichte hier nur oberflächlich ankratzen, aber in allen Details sehe ich, dass Gott mich nie verlassen hat.

Ich bin dankbar, dass meine Adoptiveltern ihr Herz und ihre Familie für mich geöffnet haben und mir ein Zuhause gaben. Sie haben den Rahmen geschaffen, in dem ich Gott begegnen durfte und zurück ins Leben finden konnte.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

 

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