Navigation überspringen
© ERF

27.03.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Horst Kretschi

Damit ein Wunder wahr wird

Wie kann es Frieden geben in Nahost? Ein Gespräch mit dem israelischen Botschafter Ron Prosor.

Hoher Besuch bei ERF – Der Sinnsender: Der israelische Botschafter in Deutschland Ron Prosor hat am 25. und 26. März ERF Medien und befreundete Organisationen besucht. Der Grund für diesen Besuch war denkbar einfach: „Er wolle sich Wetzlar, die ,Hauptstadt der christlichen Medien‘ einmal ansehen.“

So kam der Botschafter auf Einladung von ERF – Der Sinnsender, Christen an der Seite Israels, Medieninitiative PRO und IDEA in das Medienhaus am Berliner Ring. Unter anderem waren ein Podiumsgespräch geplant, samt Stehempfang, ebenso wie eine weitere Gesprächsrunde mit den Vertretern der christlichen Werke und weitere Interviews. Horst Kretschi hat das Gespräch geführt.


ERF: Herr Prosor, Ihre Vorfahren stammen ursprünglich aus Deutschland. Sie selbst waren von 1988 bis 1992 als Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn tätig. Als Sie vor etwa eineinhalb Jahren Ihre Stelle als Botschafter Israels in Berlin angetreten haben: Was waren Ihre Erwartungen?

Ron Prosor: Nicht nur meine Großeltern, auch mein Vater Ulrich Proskauer und seine Schwester Lieselotte Proskauer sind in Berlin geboren. Mein Großvater, Berthold Proskauer, war ein preußischer Offizier. Als ich als Botschafter des jüdischen Staates nach Deutschland zurückkehrte, hat sich ein Kreis geschlossen. Ich habe schon viel in meiner Karriere gemacht, aber ich fühle, dass es meine Berufung ist, der Botschafter Israels in Deutschland zu sein. Diese bilateralen Beziehungen liegen mir sehr, sehr am Herzen. Und ich bin froh, dass ich einen kleinen Beitrag dazu beitragen kann, diese Beziehungen zu vertiefen.
 

ERF: Als Sie damals angetreten sind, hätten Sie da gedacht, dass Ihnen so viel Antisemitismus in Deutschland begegnen würde?

Ron Prosor: Nein. Das, was nach dem 7. Oktober in Deutschland, in Europa und an vielen anderen Orten der Welt passiert ist, zeigt, wie tief der Antisemitismus wirklich verankert ist. Und das, nachdem Juden bei dem Angriff der Hamas, in Anführungszeichen, „geschlachtet“ worden sind. Ich hätte genau das Gegenteil erwartet. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergessen die Menschen leider, was am 7. Oktober stattgefunden hat. Wir erleben eine Täter-Opfer-Umkehr. Israel wird jetzt beschuldigt, nachdem 364 Jugendliche eines Musikfestivals von der Hamas hingerichtet worden sind.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr vergessen die Menschen leider, was am 7. Oktober stattgefunden hat.

Das ist wirklich besorgniserregend. Nicht nur für mich. Jeder, der demokratische Strukturen und Werte verteidigen will, muss verstehen: Israel steht jetzt in der ersten Reihe und setzt sich mit Dingen auseinander, die in Europa auch schon da sind – und die sich hoffentlich nicht verschärfen.

Der Tag, der alles veränderte

ERF: Was hat sich in Israel seit dem 7. Oktober verändert?

Ron Prosor: Jeder Israeli kennt jemanden, der von diesem Terrorangriff direkt betroffen ist. Ich glaube, dass viele Menschen in Israel entsprechend traumatisiert sind. Man muss auch bedenken, dass viele von denjenigen, die hingerichtet worden sind, ihr ganzes Leben dafür gewidmet haben, Frieden mit den Palästinensern zu erzielen. Für uns alle ist das jetzt ein großer Bruch.

Ich war Staatssekretär des israelischen Außenministeriums, als sich Israel damals einseitig aus dem Gazastreifen völlig zurückgezogen hat. Wir haben dort 22 Siedlungen aufgegeben, ebenso vier Siedlungen aus der Westbank. Wir wollten einen politischen Horizont aufzeigen. Die Palästinenser aber und die Hamas haben einen Terrorstaat aufgebaut, anstatt Gaza zu einer Art „Singapur“ zu machen. Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, dass Israel eigentlich überhaupt kein Interesse in Gaza hat.

Die Gleichung ist also ganz klar: Wenn es Ruhe in Israel gibt, gibt es auch Ruhe in Gaza. Leider müssen wir jetzt wieder in Gaza kämpfen, weil die Palästinenser uns mit Raketen beschossen und schließlich dieses grausame Massaker am 7. Oktober angerichtet haben. Das vergessen wir nicht, und wir hoffen, dass auch die Welt das nicht vergisst.
 

ERF: Was hat sich für Sie persönlich seitdem verändert? Auch Sie haben ja schon antisemitische Übergriffe erlebt.

Ron Prosor: Ja, es gab solche Vorfälle, aber ich bin gut geschützt mit Personenschutz. Es ist aber viel besorgniserregender, dass Juden und Israelis wirklich Angst haben, mit Kippa auf die Straßen zu gehen oder Hebräisch zu sprechen. Und das nicht nur in Berlin in der S-Bahn oder U-Bahn. Es gibt Studenten, die geschlagen werden und ins Krankenhaus müssen – und der Täter ist im gleichen Studiengang. Und bis heute ist fast nichts dagegen getan worden. Das kann so nicht weitergehen. Man muss eine rote Linie ziehen. Es muss strafbar sein, damit diese Leute solche Gewalt und Aufhetzung nicht weitermachen.

Auch für mich persönlich hat sich alles geändert, weil wir jetzt im Krieg sind. Die ganze Mannschaft der israelischen Botschaft und ich arbeiten Tag und Nacht, um die Position Israels für die deutsche Bevölkerung darzustellen. Beispielsweise müssen wir darauf hinweisen, dass Verlautbarungen der Hamas als Quelle nicht wirklich ernst genommen werden können. Die Hamas gebraucht Lügen, die Hamas missbraucht Krankenhäuser, Schulen, Moscheen in einer Art und Weise wie es kaum zuvor irgendwo in der Welt zu sehen ist.

Solidarität mit Jüdinnen und Juden

ERF: Sie haben jetzt von vielen negativen Erlebnisse berichtet. Und es ist wahr: Gerade auch in Deutschland sieht man wieder vermehrt antisemitistische Übergriffe. Aber gibt es auch etwas Positives, was Sie seit dem 7. Oktober erlebt haben?

Ron Prosor: Ja, es gibt viele gute Leute. Und ich befinde mich hier in Wetzlar bei Menschen, die ganz klar an der Seite Israels stehen und Freunde Israels sind. Menschen, die mit uns leiden und mit uns die Hoffnung tragen, dass wir eine bessere Welt und eine bessere Zukunft gestalten können. Ich habe also viel Solidarität mit Israel erlebt.

Aber ich muss auch sagen, dass ich in den Sozialen Medien oft sehe, dass Israelis und Juden so negativ dargestellt werden wie nie zuvor. Das ist eine Gefahr für uns alle. Wir müssen zusammen daran arbeiten, die Tatsachen und die Wahrheit zu fördern – und nicht die Fake News.
 

ERF: Wenn Sie von Solidarität und Sympathiebekundungen sprechen: Wie nehmen Sie die Rolle der christlichen Kirchen in Deutschland wahr?

Ron Prosor: Ich muss sagen, dass man viel mehr tun muss, um Israel und die Juden wirklich zu unterstützen. Die Kirchen tun schon viel. Auch die Tatsache, dass ihre Vertreter Israel besuchen und unterstützen, ist unheimlich wichtig. Aber man kann politisch viel mehr tun. Gerade auf Bundes- und Länderebene können Strukturen etabliert werden, um das jüdische Leben in Deutschland zu bewahren.

Einheit und Zusammenhalt in Israel

ERF: Vor rund einem Jahr haben wir auch in Deutschland die Gründung des Staates Israel vor 75 Jahren gefeiert. Ein Thema war damals die Spaltung der israelischen Gesellschaft. Die Menschen haben gegen die Regierung protestiert. Wie ist es jetzt um die Einheit der Bevölkerung bestellt?

Ron Prosor: Die Hamas hat nicht unterschieden zwischen orthodoxen und säkularen Juden, links oder rechts orientiert. Wenn wir jetzt gegen diese Bedrohung zusammenhalten, sind wir unbesiegbar. Die Soldaten sind unsere eigenen Söhne und Töchter, und sie verstehen, was es heißt, unser Land zu bewahren und zu verteidigen. Das macht mir Hoffnung. Und wenn ich jetzt sehe, wie uns das alles zusammenbringt, wünsche ich mir, dass wir nach dem Krieg genauso zusammenhalten werden.
 

ERF: Man sieht Bilder von Menschen, deren Angehörige immer noch als Geiseln der Hamas gefangen sind. Sie gehen bis heute auf die Straße und protestieren, weil sie natürlich ihre Liebsten wieder haben wollen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Bilder sehen?

Ron Prosor: Ich bin mit Herz und Seele mit ihnen. Zehnjährige Kinder, ein Baby, Frauen – sie alle sind Geiseln, da fühle ich mit vollem Herzen mit. Es ist doch so: Es kann schon morgen einen Waffenstillstand geben, wenn die Hamas die Geiseln zurück nach Hause bringt. Die Hamas ist also verantwortlich für das, was jetzt passiert. Wenn jetzt ein Waffenstillstand von Israel gefordert wird, ohne dass die Geiseln zurück nach Hause gebracht werden, finde ich das falsch. Die Hamas muss ganz klar verstehen, dass die ganze Welt darauf besteht, dass die Geiseln zuerst wieder nach Hause kommen müssen. Es ist für mich das größte Ziel, dass die Geiseln wieder frei sind.

Wie ist Frieden möglich?

ERF: Nun haben aber auch die Menschen im Gazastreifen und im Westjordanland Angst. Aber eigentlich sollte kein Mensch in Angst leben müssen. Wie kann es gelingen, dass weder im Gazastreifen und im Westjordanland, noch in Israel Menschen in Angst leben müssen?

Ron Prosor: Das wird wahrscheinlich noch lange dauern. Wir haben schon viele Jahre gezeigt, dass wir bereit sind, für den Frieden alle Territorien wieder zurückzugeben. Wie zum Beispiel mit Ägypten oder Jordanien. Ich erinnere auch daran, dass seit 2005 kein einziger israelischer Soldat oder irgendeine Besatzung im Gazastreifen ist. Aber diesen Waffenstillstand hat die Hamas gebrochen. Ich hoffe für uns alle, dass wir etwas Neues aufbauen können, wenn wir die Hamas-Infrastruktur und ihre Führung beseitigen.
 

ERF: Als Sie damals Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn waren, haben Sie die deutsche Wiedervereinigung erlebt und den Fall der Mauer. Das galt damals als unmöglich. Viele Menschen haben dafür gebetet und sagten dann: Hier hat Gott gewirkt. Gibt Ihnen das auch Hoffnung für Israel, dass solch ein Wunder geschehen kann?

Ron Prosor: Unser erster Premierminister Ben Gurion hat gesagt: Wenn man in Israel nicht an Wunder glaubt, ist man kein Realist.

Das heißt: Ja, wir müssen an Wunder glauben – aber wir müssen auch daran arbeiten, damit diese Wunder auch wahr werden.

Ich glaube auch, dass wir künftig zusammen daran arbeiten werden. Ich glaube aber auch, dass all diejenigen, die den 7. Oktober nicht als Terrorangriff verurteilt haben, nicht unsere Ansprechpartner sein werden. Aber diejenigen, die das Massaker klar verurteilen, können Partner für eine gemeinsame Zukunft sein.
 

ERF: Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung am 12. Oktober, also fünf Tage nach dem Überfall, erklärt: „In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz, den Platz an der Seite Israels.“ Kritiker haben damals schon gesagt: Wenn es in Gaza viele Opfer gibt, wird sich zeigen, ob Deutschland an der Seite Israels steht. Was sagen Sie heute: Steht Deutschland noch an der Seite Israels?

Ron Prosor: Ja, ganz klar. Ich erlebe das von allen demokratischen Parteien in Deutschland. Auch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, von Kanzler Olaf Scholz, der uns schon zwei Mal besucht hat, von Außenministerin Annalena Baerbock und vom Verteidigungsminister Boris Pistorius, sowie von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth, und ich könnte noch mehr nennen.

All diese Persönlichkeiten haben Israel besucht und haben mit ihren eigenen Augen gesehen, was passiert ist. Wenn sie zurückkehren, ist ein besseres Verständnis dafür da, was der Angriff mit der israelischen Gesellschaft gemacht hat. Zwar stimmen wir nicht in allem überein, aber wir sind fähig, unseren Freunden zuzuhören.
 

ERF: Was wünschen Sie sich außerdem von der deutschen Politik und von der deutschen Gesellschaft?

Ron Prosor: Also erstmal bin ich als Israeli immer sehr empfindlich, wenn jemand von außen mir Ratschläge gibt. Auch ich gebe anderen keine politischen Ratschläge. Ich hoffe nur, dass viele Menschen besser verstehen, dass Israel Frieden will und braucht – aber es kann diesen Frieden nicht zum Preis der Existenzaufgabe des Staates Israel geben. Wir kämpfen gerade um unser Überleben in dieser Region. Das ist nicht leicht und wir werden letztendlich gewinnen müssen.

Israel will und braucht Frieden – aber es kann diesen Frieden nicht zum Preis der Existenzaufgabe des Staates Israel geben.

Wir müssen wie gesagt die Infrastruktur und die Führung der Hamas beseitigen. Diese Ideologie war jahrelang da und wir müssen sie ändern, bis hin zu den Schulbüchern, in denen sie gelehrt wird. In diesen Büchern wird den Schülern eine Attentäterin als Vorbild beschrieben, die 35 Israelis getötet hat, darunter 12 Kinder. Die Vorbilder müssen aber Pasteur, Beethoven oder Einstein sein. Wir haben genügend Talente, mit denen die Gesellschaft positiv geprägt werden kann.
 

ERF: Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft in Israel und für die gesamte Region, aber auch für Deutschland?

Ron Prosor: Das Beste, was passieren kann, ist, dass der Einfluss der Mullahs und Ayatollahs im Iran abnimmt. Denn die Hamas im Süden, die Hisbollah im Norden und die Huthi im Jemen werden ja hinter den Kulissen vom Iran gesteuert. Dann denke ich, dass wir alle die starke Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten haben können.

Unsere Sicherheit wird immer erste Priorität haben. Doch nach diesem Massaker müssen wir etwas Neues zusammen aufbauen. Aber in Europa kann keiner über eine Zweistaatenlösung sprechen, ohne auch ausdrücklich auf einen demokratischen palästinensischen Staat hinzuweisen. Niemand aber in Israel und der Welt will, dass ein weiterer Terrorstaat gebaut wird.
 

ERF: Wir hoffen auf Frieden, das ist unsere gemeinsame große Hoffnung. Wir beten für den Frieden, wir beten für Israel und Jüdinnen und Juden auf der gesamten Welt. Ich danke Ihnen herzlich, Ron Prosor, für dieses Gespräch.

Ron Prosor: Ich bedanke mich auch für das, was Sie hier tun, um die Werte zu unterstützen, die uns zu einer besseren Gesellschaft verhelfen, vielen Dank!
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.
 

Pressebilder

Bild 1 | Bild 2 | Bild 3 | Bild 4 | Bild 5 | Bild 6 | Bild 7
© ERF
 

 Horst Kretschi

Horst Kretschi

  |  Redaktionskoordinator

Horst Kretschi ist Redaktionskoordinator im ERF. Der gebürtige Hesse hat Geschichte, Philosophie und Theologie studiert, ist verheiratet und hat drei Kinder. Er ist sehr heimatverbunden und würde nie aus Butzbach wegziehen. Auf seinem Blog "Horst spielt" rezensiert er regelmäßig Gesellschaftsspiele für Erwachsene und Familien. 

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (5)

G.W. /

Danke für diesen wichtigen, verbreitungswürdigen Bericht im Interview
.

Die Redaktion /

Hallo Herr Prof. Dr. A. Christidis,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Leider steht uns Ron Prosor für Fragen im Nachgang nicht mehr zu Verfügung. Ein etwas ausführlicheres Interview hat er aber bei mehr

Gerhard L. /

Ein starkes und gutes Interview. Es ist gut und wichtig an der Seite Israels zu sein, nicht blauäugig aber dennoch klar. Danke für diesen Beitrag.

Prof. Dr. A. Christidis /

Danke für den ausführlichen Artikel. Er hilft (insb. Außenstehenden wie mir), Fragen zu konkretisieren, die ERF leider nicht tangiert hat, darunter:
- Sah der Botschafter vor dem 07.10.2024 keine mehr

Ulrich H. /

Diesen Kommentar sollte jeder sich mal durchlesen, bevor er leichtfertig Ratschläge erteilt, vor allem an Israel. Es wird noch mal deutlich, wer an den Massakern und der Zerstörung im Gaza - Streifen mehr

Das könnte Sie auch interessieren