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Krisenzeit

Günter-Helmrich Lotz über Jeremia 29,7.

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.

Jeremia 29,7

Wenn man in der Fremde lebt, ist die Versuchung groß, sich einzuigeln und nur die persönlichen Interessen zu verfolgen, statt sich auf die fremde Gesellschaft einzulassen. So ging es auch den Juden, die Nebukadnezar nach Babylon ins Exil verbannt hatte. Sie befanden sich in Feindesland. Statt Nutzen zu suchen, lag es nahe, diesem Land irgendwie Schaden zuzufügen, es zu destabilisieren.

Dieser Tendenz tritt der Prophet Jeremia mit seiner Botschaft ganz entschieden entgegen. Statt Freiheitskämpfer sollen eher Friedensstifter rekrutiert werden: Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.

Jeremia appelliert an den Eigennutz. Wenn ihr es wagt, euch für das Gemeinwohl in Babylon einzusetzen, wird es auch zu eurem Besten sein. So sind wir Menschen. Um uns zu motivieren, muss uns auch etwas in Aussicht gestellt werden. Hier ist es nicht die erwartete baldige Rückkehr nach Jerusalem, sondern verbesserte Verhältnisse in der Fremde winken.

Dieses Wort des Propheten „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl“ ist inzwischen zum Klassiker geworden. Christen werden damit zum Engagement für das Gemeinwohl herausgefordert. Und das zu Recht. Drei Besonderheiten fallen mir dabei auf.

1. Es wird aufgefordert zu suchen. Daraus entnehme ich, dass eine besondere Aufmerksamkeit nötig ist, um zu erkennen, was dem Allgemeinwohl dient. Viele Nöte werden nicht gesehen und stechen nicht ins Auge. Man muss schon genau hinschauen. Wörtlich ist hier vom Schalom die Rede, der gesucht werden soll. Ein umfassender Friede, der die materiellen, sozialen und geistlichen Bedürfnisse der Menschen abdeckt.

2. Heute ist viel von Weltverantwortung die Rede. Nun, die Welt ist zwar kleiner geworden, aber immer noch so groß, dass ich mich schnell überfordert fühle. Jeremia spricht nur von der Stadt - nicht vom ganzen Land, geschweige denn von der Welt. Er meint den Bereich, in dem jeder Einzelne konkret Einfluss nehmen kann. Das macht die Aufgabe überschaubarer und überfordert nicht.

3. Wer sich für Menschen einsetzt, braucht ein Herz für sie, ein weites Herz. Und damit es weit bleibt oder immer wieder weit wird, fordert Jeremia zur Fürbitte auf.

Betet für die Stadt und ihre Menschen. Wer für die betet, bei denen man eigentlich nicht sein möchte, wie die Juden bei den Babyloniern, der arbeitet an seiner Einstellung. Man kann nicht länger für jemanden beten und sich gleichzeitig von ihm distanzieren. Das Gebet für andere Menschen öffnet füreinander. Und aus der Fürbitte erwächst die Kraft, sich auch für den anderen einzusetzen.

Der Klassiker von Jeremia behält seine Gültigkeit gerade in einer Krisenzeit, in der wir besonders aufeinander angewiesen sind.

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Kommentare (1)

Christian-S /

Mit dem 1. Satz hatten Sie mich schon, denn ich lebe im Ausland und diese Haltung ist mir nicht fremd. Insgesamt finde ich die Andacht praktisch und ansprechend. Vielen Dank!