Navigation überspringen
© Ifrah Akhter / Unsplash.com

26.09.2019 / Interview / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Wenn Muslime Christen werden

Wie wir als Christen konvertierte Muslime unterstützen können. Ein Interview mit Roland Denner.

Über den Glauben mit muslimischen Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunden zu sprechen, kann ganz schön Überwindung kosten. Im Interview „Muslimen Jesus vor Augen malen“ hat der evangelische Theologe Roland Denner dazu wertvolle Tipps gegeben.

Noch schwieriger wird es oft, wenn Muslime wahres Interesse am christlichen Glauben zeigen. Manche Christen scheuen sich, Muslime aktiv zur Nachfolge einzuladen. Sie fürchten, dass diese Probleme in ihrem Umfeld bekommen, wenn sie sich offen zu Jesus bekennen. Andere Christen kennen ehemalige Muslime, die aufgrund ihres Glaubenswechsels große Nachteile erdulden mussten. Wie gehen wir als Christen damit um? Können wir konvertierten Muslimen in einer solchen Situation helfen? Auch dazu weiß Roland Denner von der Organisation ReachAcross Rat.
 

ERF: Wenn ich mit einem Muslim ins Gespräch über Jesus gekommen bin und dieser ernstes Interesse am christlichen Glauben hat, darf ich ihn dann einladen, Christ zu werden? Selbst dann, wenn ich weiß, dass es negative Konsequenzen für ihn oder sie haben könnte?

Roland Denner. Ja, ich darf. Zum einen, weil es als ein Menschenrecht definiert ist, dass Menschen eine religiöse Überzeugung annehmen oder ablegen können; dass man glauben oder nicht glauben darf und dass man sich auch entscheiden darf, anders zu glauben. Ich denke, es ist wichtig, das festzuhalten. Konversion ist ein Menschenrecht. Es ist nicht etwas, was sich Christen herausnehmen. Wir handeln dadurch nicht unangemessen. Es ist eine allgemeine Überzeugung der Menschheit, dass Konversion möglich ist.

Hinzu kommt: Als Christ glaube ich, dass Gott in Jesus etwas getan hat, was uns keine andere religiöse Überzeugung oder Ideologie bietet. Durch Jesus werden Menschen mit ihrem Schöpfer versöhnt – durch Jesus ganz allein. Deshalb ist er für jeden Menschen relevant, der lebt, und damit auch für muslimische Menschen. Und deshalb möchte ich auch sie ermutigen, Jesus nachzufolgen.

Ich sage bewusst ermutigen. Wir sollen nicht Menschen bekehren. Das sehe ich in der Bibel nicht, sondern ich sehe in der Bibel das Mandat, dass wir Jesus bezeugen sollen. Ich wünsche mir für alle meine Freunde, für alle meine Verwandten, dass sie Jesus nachfolgen. Denn ich glaube, das ist ein gesegneter Weg – der beste Weg, den man überhaupt gehen kann. Aber ich kann und soll keinen Menschen dazu zwingen oder manipulativ dazu drängen, sondern ich kann nur Menschen einladen. Ich kann nur bezeugen, was ich selbst glaube. Aber ich will es mit einer gewissen Dringlichkeit tun, weil ich glaube, dass es nicht nur eine nette Option ist, sondern die wichtigste Frage in unserem Leben.

Wir sollen nicht Menschen bekehren. Das sehe ich in der Bibel nicht, sondern ich sehe in der Bibel das Mandat, dass wir Jesus bezeugen sollen. Ich wünsche mir für alle meine Freunde, für alle meine Verwandten, dass sie Jesus nachfolgen. – Roland Denner, Leiter ReachAcross

Gewissheit durch den Glauben an Jesus

ERF: Was verändert sich denn für einen Muslim, wenn er Jesus als Sohn Gottes anerkennt?

Roland Denner: Meine Beobachtung aus Gesprächen mit früheren Muslimen ist, dass sich viel im Blick auf Gewissheit verändert. Im Islam haben sie oft ein Gottesbild, das ihnen vermittelt: „Ich kann mich als Mensch letztlich nicht auf Gott verlassen.“ Denn Gott ist so allmächtig und frei, dass er immer tun kann, was er will. Aber in Jesus verspricht uns Gott, dass er verlässlich ist; er sagt uns zu, dass wir keinen Zweifel haben müssen. Er verspricht: „Klopft an, dann wird euch aufgetan.“ Er fordert uns auf: „Bittet, dann werdet ihr empfangen.“ Er sagt uns zu: „Wer dem Sohn vertraut, der hat das Leben.“

Die Bibel enthält ganz viele Verheißungen, die Gott uns absolut gibt und auf die man sich fest verlassen kann. Viele ehemals muslimische Freunde sagen mir: „Diese Gewissheit hatte ich vorher nicht. Die Gewissheit, dass ich nicht gerichtet werde, weil Gott das Gericht durch Jesus schon auf sich genommen hat. Dieses Wissen, dass ich frei sein werde und Gott mich annehmen wird; diese Gewissheit gibt es im Islam nicht.“
 

ERF: Wie viele Muslime finden denn überhaupt zum christlichen Glauben?

Roland Denner: Man kann sagen, dass wir in einer Zeit leben, in der sich mehr muslimische Menschen Jesus zuwenden als vielleicht je zuvor in der Geschichte. Wir sehen sehr viele positive Beispiele, wo Menschen wirklich bezeugen: „Ich habe jetzt Frieden mit Gott gefunden. Ich habe jetzt eine persönliche Beziehung zu Gott. Ich weiß jetzt, dass Gott hört, wenn ich mit ihm rede.“ Viele dieser Menschen erleben auch, wie Gott dann in ihren Familien wirkt, die vielleicht erst einmal sehr ablehnend und skeptisch sind.

Als Christ den Kontakt zur Familie des Konvertiten suchen

ERF: Die Veränderungen, die konvertierte Muslime in ihrem Umfeld erleben, sind oft weit weniger positiv. Welche Veränderungen müssen Konvertiten hier fürchten?

Roland Denner: Natürlich gibt es viele muslimische Familien, die sehr tolerant und liberal sind und Konvertiten keine Hindernisse in den Weg legen, aber auch bei liberalen muslimischen Familien kann es sein, dass man die Zugehörigkeit zum Islam als eine kulturelle Sache ansieht. Dass man sagt: Unsere Prägung ist der Islam, auch wenn wir das nicht konsequent praktizieren. Wenn du dich als Teil unserer Familie vom Islam abwendest, spricht man negativ über unsere Familie. Dann beschädigt das unser Image. Dann schadet das unserer Ehre. Daher kann selbst in einer liberalen Familie die Konversion zum Christentum problematisch sein.

Und je stärker Menschen ihre Identität im Islam sehen und den Islam auch praktizieren, desto stärker ist oft auch der Widerstand. Es kann sein, dass jemand, der Jesus nachfolgt, als Verräter angesehen wird oder als jemand, der das, was die Familie ausmacht – das Erbe der Familie, die Identität der Familie – mit Füßen tritt. Und das ist etwas sehr Gravierendes.

Vom 10.-13. November findet im Christlichen Gästezentrum Württemberg „Schönblick“ der Kongress „Christenverfolgung heute“ statt. Der Kongress zeigt Initiativen zum Handeln auf, um verfolgten Christen in aller Welt zu helfen. Er will motivieren, die eigene Stimme für bedrängte und verfolgte Christen zu erheben. ERF Medien ist Medienpartner bei dem Kongress. Mehr über ERF Projekte für verfolgte Christen.

Wir verstehen das nicht in der ganzen Tiefe, weil wir sehr individualistisch geprägt sind. Wir würden es wahrscheinlich als positiv einstufen, wenn unsere Kinder gegen den Strom schwimmen, wenn sie eine eigene Meinung haben und Dinge anders machen als wir. In vielen Kulturen ist es aber anders: Man ist dann ein guter Mensch, wenn man loyal ist, wenn man in der gemeinsamen Tradition bleibt, diese Tradition respektiert und achtet. Dann ist die Ehre einer Gemeinschaft intakt. Jemand aus einem muslimischen Hintergrund, der plötzlich Jesus nachfolgt, wird oft als jemand gesehen, der diese Ehre einer Gemeinschaft zerstört. Deshalb wird darauf teilweise sogar mit Gewalt oder sozialer Ausgrenzung reagiert.
 

ERF: Wie kann ich als Christ hier Hilfe leisten?

Roland Denner: Das hängt natürlich davon ab, auf welcher Ebene sich der Widerstand abspielt, den ein Konvertit erlebt. Primär würde ich immer versuchen, eine Beziehung auch zur Familie dieses Menschen aufzubauen. Dann können wir vermitteln, dass wir keinen Spalt in eine Gemeinschaft treiben oder jemanden vom richtigen Weg abbringen wollen. Wir können dann bezeugen, dass wir nur versuchen Gott zu ehren und ihm zu gehorchen. Wir können unsere Überzeugung über Jesus darlegen. Daher rate ich dazu, in Beziehungen zu investieren, wo immer es möglich ist. Dann kann man Missverständnisse ausräumen und die Familie des Konvertiten achten, indem man wahrnimmt, wie schwierig diese Entscheidung ihres Familienangehörigen für sie ist. Wie schwer sie sich damit tun, sie zu verstehen.

Primär würde ich immer versuchen, eine Beziehung auch zur Familie des Konvertiten aufzubauen. Dann können wir vermitteln, dass wir keinen Spalt in eine Gemeinschaft treiben oder jemanden vom richtigen Weg abbringen wollen. – Roland Denner, Leiter ReachAcross

Dieses Vorgehen bietet die Chance, dass mehr Freiraum für einen Konvertit entsteht, um Jesus nachzufolgen. Das ist allerdings nicht garantiert. Es kann auch sein, dass wir als Christen gar nicht willkommen sind in der Familie und keinen Zugang finden. Was dann geschieht, muss man sehen. Es gibt Menschen, die wegen ihres Glaubens in Lebensgefahr geraten. Dann können durchaus behördliche Maßnahmen erforderlich sein. Aber das kommt darauf an, was nötig ist und wie umfassend die Nachteile sind.

Orientierung geben statt bemitleiden

ERF: Wie kann ich im Glauben einen frischbekehrten Muslim unterstützen?

Roland Denner: Es ist sehr wichtig, dass wir Menschen nicht überfordern, die neu Jesus vertrauen. Wir haben oft gewisse christliche Prägungen und Vorstellungen darüber, wie ein Christ zu leben und zu handeln hat. Es kann sehr ungerecht sein, wenn wir jemandem, der aus einer anderen Kultur kommt und Jesus ganz neu kennenlernt, diese Dinge aufzwingen oder ihn daran messen. Da müssen wir aufpassen. Denn es kann passieren, dass wir an Neubekehrte irritierende und überzogene Maßstäbe anlegen.

Wir haben oft gewisse christliche Prägungen und Vorstellungen darüber, wie ein Christ zu leben und zu handeln hat. Es kann sehr ungerecht sein, wenn wir jemandem, der aus einer anderen Kultur kommt und Jesus ganz neu kennenlernt, diese Dinge aufzwingen oder ihn daran messen.  – Roland Denner, Leiter ReachAcross

Wir sollten diesen Menschen vielmehr die Freiheit geben, sich zu entwickeln. Wir sollten sie begleiten und für sie beten, ihnen einfach Zeit geben. Das ist ganz wichtig. Und ich denke, da gibt es auch einen Konflikt mit unserer kulturellen Prägung. Wir sehen Zeit als etwas sehr Begrenztes an. Menschen aus anderen Kulturen sehen Zeit aber als etwas an, was einfach da ist. Wenn wir sagen: „Boah, ich habe jetzt zwei Stunden in diesen Menschen investiert!“, kann es sein, dass der andere das lächerlich findet, weil er denkt: „Ich möchte nicht nur 2 Stunden von dir, ich möchte den ganzen Tag mit dir verbringen. Ich möchte an deinem Leben teilhaben.“

Das kann zu Konflikten führen. Wir müssen uns als Christen fragen: „Wie können wir so einem Menschen gerecht werden, auch als Gemeinde oder als Team? Wie können wir ihm die nötige Zeit geben, die er braucht, um sich zugehörig zu fühlen.
 

ERF: Inwieweit kann ich als Mensch überhaupt den Bedürfnissen eines Konvertiten gerecht werden, gerade dann, wenn eventuell der Kontakt zu dessen Familie abgebrochen ist?

Roland Denner: Das ist eine spannende Frage. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, was unsere Rolle und was Gottes Rolle ist. Was ein Mensch primär braucht, der sich neu auf Jesus einlässt und dadurch Nachteile erfährt, ist, dass er Gott in seiner ganzen Macht und in seiner ganzen Fürsorge erlebt. Als Menschen und Organisationen aus dem Westen haben wir oft einen sehr lösungsorientierten Ansatz. Wir müssen daher darauf achten, dass wir uns nicht zwischen Gott und diese Menschen stellen. Ja, sie sind sehr bedürftig und erleben zum Teil große Not, weil sie Jesus nachfolgen. Aber am besten unterstützen wir sie, wenn wir dazu beitragen, dass sie Gott in seiner ganzen Kraft erleben.

Was ein Mensch primär braucht, der sich neu auf Jesus einlässt und dadurch Nachteile erfährt, ist, dass er Gott in seiner ganzen Macht und in seiner ganzen Fürsorge erlebt. Am besten unterstützen wir sie, wenn wir dazu beitragen, dass sie Gott in seiner ganzen Kraft erleben. – Roland Denner, Leiter ReachAcross

Wir sollen uns nicht von ihnen abwenden, weil uns ihr Leiden überfordert. Aber wir sollten erkennen, dass wir ihr Leid eventuell nicht lösen oder in irgendeinem konkreten Sinne helfen können. Wenn jemand von der eigenen Familie gesagt bekommt: „Du gehörst nicht mehr zu uns“ oder „Du hast mit deiner Entscheidung für das Christentum deine Mutter ins Grab gebracht“, ist das hart. Damit muss man erstmal leben lernen. Das ist sehr, sehr schwer. Wir können da nicht helfen. Aber wir können da sein für Menschen, die dies erleben. Wir können ihnen zusagen: „Wir sind an deiner Seite und halten dieses Leid mit dir aus.“ Wir versuchen ihre Lage zu verstehen und betrachten sie nicht nur distanziert.

Aber solche Menschen wollen in der Regel auch nicht, dass wir über ihre Situation weinen oder verzweifeln. Sie wollen vielmehr an uns sehen, wie man als Christ auch in Schwierigkeiten Jesus nachfolgen und ihm vertrauen kann. Sie wollen an uns Orientierung finden, nicht unser Mitleid.

Konvertierte Muslimen wollen an uns Orientierung finden, nicht unser Mitleid. – Roland Denner, Leiter ReachAcross

ERF: Herzlichen Dank für das Interview.


Roland Denner (Foto: privat)

Roland Denner ist evangelischer Theologe. Nach 12 Jahren Auslandsdienst in Mali,  war er 13 Jahre verantwortlich für ReachAcross in Deutschland. Jetzt leitet er seit 2019 deren internationale Missionsarbeit. ReachAcross, ist eine internationalen Organisation, die sich dafür engagiert, Muslimen zu dienen und sie mit dem Evangelium bekannt zu machen. 

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (1)

Herbert M. /

Sehr geehrter Herr Denner,
gestern behauptete ein Pater der Augustiner Chorherren, dass noch nie soviele Muslime zum Christentum konvertiert seien wie jetzt und nannte eine Zahl von etwa 4000 mehr

Das könnte Sie auch interessieren