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© Gift Habshaw / Unsplash.com

03.07.2019 / Interview / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Muslimen Jesus vor Augen malen

Glaubensgespräche mit Muslimen sind schwierig, aber möglich. Islamexperte Roland Denner gibt Tipps.

Mit der muslimischen Nachbarin oder dem muslimischen Nachbarn ins Gespräch kommen – schon das kann manchmal eine Herausforderung sein. Aber wie spreche ich als Christ mit Muslimen über Jesus? Denn auch wenn Jesus als Person im Koran vorkommt, ist vielen Christen trotzdem bewusst, dass der Jesus der Bibel nicht deckungsgleich mit der Person Isa im Koran ist. Wo liegen Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten und was sind gute Einstiegsmöglichkeiten, um mit Muslimen über Jesus ins Gespräch zu kommen? Dazu gibt der evangelische Theologe Roland Denner im Interview hilfreiche Tipps und Impulse. Er hat viele Jahre in Mali unter Muslimen gelebt und leitet seit 2019 die internationale Arbeit der Organisation ReachAcross.
 

ERF: Wann haben Sie selbst zum ersten Mal mit einem Muslim über Jesus gesprochen?

Roland Denner: Ich selbst habe Jesus in einer christlichen Jugendgruppe kennengelernt. Ich hatte damals muslimische Freunde und so wie es mir selbst wichtig wurde, über Jesus zu reden, geschah das auch mit meinen muslimischen Freunden. Dabei habe ich gemerkt, wie viel Freude mir das macht und dass ich einen Zugang zu ihnen habe. Im Rückblick denke ich, dass Gott eine Begabung und Aufgabe in mein Leben hineingelegt hat, gerade mit muslimischen Menschen über Jesus zu reden.
 

ERF: Sie haben in Mali gelebt – unterscheiden sich die Muslime dort von den in Deutschland lebenden Muslimen?

Roland Denner: Es gibt 1,7 Milliarden muslimische Menschen und die sind alle unterschiedlich geprägt. Manche leben ihre Religion sehr konsequent, manche sind relativ säkular geprägt. Manche leben sie als Tradition, aber nicht mit einer tieferen Hingabe. Von daher haben wir immer mit unterschiedlichen Menschen zu tun. Es gibt nicht „die Muslime“.

In Mali gab es viele Muslime, die den Islam auf Arabisch in der Koranschule gelernt hatten, ohne die arabische Sprache zu verstehen. Viele wussten zwar, wie man als guter Muslim lebt, aber kannten nicht die Feinheiten in Bezug auf die islamische Theologie. Außerdem waren dort viele Menschen stark vom Volksislam geprägt, also von magischen Elementen, die in den Islam importiert wurden.

Jesus in der Bibel vs. Isa im Koran

ERF: Jesus kommt im Koran auch vor. Er heißt dort Isa. Ist Isa die gleiche Person wie Jesus?

Roland Denner: Es gibt viele Anknüpfungspunkte, aber auch viele Unterschiede. Es ist ein großer Vorteil, dass wir mit Muslimen von Jesus reden können, weil Jesus für sie eine positive Persönlichkeit ist. Ich finde es schön, dass Jesus bei Muslimen kein negatives Image hat, sondern ein großer Respekt für Jesus herrscht. Aber es gibt wesentliche Unterschiede zur biblischen Offenbarung.
 

ERF: Welche wären das?

Roland Denner: Die Unterschiede sind sehr entscheidend: Jesus ist im Koran nicht Gottes Sohn. Er ist nicht am Kreuz gestorben und er ist nicht auferstanden. Manche Kleinigkeiten könnten unterschiedlich sein, die man verschmerzen kann. Aber das sind wesentliche Aspekte unseres Glaubens. Genau das, was Jesus wirklich bedeutet; das, wofür er Mensch wurde, wird im Islam abgelehnt.
 

ERF: Wieso tun sich Muslime so schwer mit dem Gedanken, dass Jesus Gottes Sohn ist?

Roland Denner: Für Mohammed war in seiner Erkenntnis Gottes entscheidend, dass Gott einzig ist. Er kam aus einem Kontext, in dem viele Götzen verehrt wurden. Das empfand er als respektlos. Deshalb hat er seine Überzeugung, einen Gott zu ehren, in einer solchen Radikalität vertreten, sodass es laut Koran neben Gott keine andere Persönlichkeit geben kann.

Vermutlich hat Mohammed in seinem Leben nur wenige Christen getroffen, die ihm das Evangelium hätten vermitteln können. Man vermutet eher, dass er christliche Sekten kennengelernt hat, die eine unbiblische Form von Dreieinigkeit vertraten. Das hat ihn abgeschreckt. Er empfand es so, als ob Christen drei Götter verehren. Seine Anfrage an das Christentum war: „Wie können die, die nur einen Gott kennen, sich davon wieder abwenden und sich stattdessen drei Göttern zuwenden?“ Das hat er radikal abgelehnt.

„Wenn Jesus so war, wer war er dann?“

ERF: Wie kann man das schwierige Thema Dreieinigkeit Muslimen überhaupt erklären?

Roland Denner: Da würde ich bei den Gemeinsamkeiten anknüpfen. Es gibt Dinge, die im Koran vertreten werden, die mit der Bibel übereinstimmen − zumindest in einem gewissen Maß. Es wird von Jesus gesagt, dass er von einer Jungfrau geboren wird, darüber kann man sprechen. Das glauben auch Muslime und dann kann man fragen: „Wie kommt es, dass wir von allen Propheten den Vater kennen und Jesus keinen menschlichen Vater hat? Wie kann das sein?“

Nach islamischer Theologie wird gelehrt, dass Gott das erlaubt hat, aber nicht erklärt, warum. Das ist also eine Frage, die im Raum steht. Jesus hat ohne Sünde gelebt, sein ganzes Leben lang. Auch das bezeugt der Koran und auch das ist etwas Besonderes; etwas, was Menschen beeindruckt und berührt. Viele Muslime bewundern heilige Menschen. Das ist Jesus absolut: Er hat Wunder getan. Er hat Naturgewalten befohlen. Er hat über den Tod befohlen. Er hat tote Menschen wieder zum Leben erweckt und kranke Menschen geheilt. Er hat in einer Art gelehrt, die eine unglaubliche Autorität hatte.

Diese Aspekte würde ich im Gespräch mit Muslimen ansprechen. Ich würde es vermeiden, über Dreieinigkeit zu streiten oder über die Einzigartigkeit Gottes, ich würde über Jesus sprechen und dabei die Frage aufwerfen: „Wenn Jesus so war, wer war er dann?“ Ich würde erst einmal viele Fragen aushalten. Mir haben manche Muslime, die sich auf Jesus eingelassen haben, gesagt: Als ich mein Vertrauen ganz auf Jesus gesetzt habe und Gottes Kind wurde, habe ich noch nicht an die Dreieinigkeit geglaubt, weil ich sie nicht verstanden habe. Das war ein langer Weg. Und diesen langen Weg müssen wir oft mit Muslimen gehen.
 

ERF: Ist es als Christ hilfreich den Koran zu kennen?

Roland Denner: Das Wichtigste ist erstmal, dass wir Menschen kennen. Bevor ich dazu rate, den Koran zu lesen, rate ich: „Lasst uns unsere muslimischen Nachbarn kennenlernen! Lasst uns fragen, wie es ihnen geht, was sie ausmacht, was ihre Hoffnungen, Ängste und Sorgen sind.“ Dann kommt ganz natürlich auch die Frage: Was glaubt dieser Mensch? Wenn ich da mehr wissen will, kann ich mir Hintergrundwissen erwerben und im Koran nachlesen.

Bevor ich dazu rate, den Koran zu lesen, rate ich: Lasst uns unsere muslimischen Nachbarn kennenlernen! Lasst uns fragen, wie es ihnen geht, was sie ausmacht, was ihre Hoffnungen, Ängste und Sorgen sind.  – Roland Denner

Aber wir müssen auch verstehen, dass der Koran nicht die einzige Quelle ist, aus der sich muslimische Theologie speist. Es gibt auch noch die Hadithen, die Überlieferungen über das Leben des Propheten Mohammed, die als vorbildhaft gelten und von vielen Muslimen als Autorität angesehen werden. Zu sagen „Ich habe den Koran gelesen, jetzt verstehe ich Muslime“, das haut nicht hin, sondern wir müssen primär die muslimischen Menschen anhören.

Eigene Berührungsängste überwinden

ERF: Wie komme ich mit meinen muslimischen Nachbarn überhaupt ins Gespräch? Kann ich an die Tür klopfen oder klingeln?

Roland Denner: Ich erlebe relativ häufig, dass die Angst vor dem Islam uns hemmt, muslimische Menschen wahrzunehmen. Dabei haben wir bei Muslimen die Chance, dass viele von ihnen sehr gemeinschaftsorientiert und gastfreundlich geprägt sind und aus Kulturen kommen, die viel zwischenmenschliche Wärme haben. Daher ist es einfacher, mit muslimischen Menschen in Kontakt zu kommen als mit Menschen aus vielen anderen Prägungen. Wenn ich muslimische Menschen in meinem Umfeld wahrnehme, würde ich damit anfangen, für sie zu beten und Gott um Möglichkeiten bitten, mich zu engagieren.

Dann beginnt es in der Tat damit, dass man sich grüßt, dass man Hilfe anbietet oder auch vorbeikommt. Die meisten Menschen haben Bedürfnisse und brauchen in irgendeinem Lebensbereich Anteilnahme oder Hilfe. Wenn Christen dann da sind, ist das ein Türöffner. Wenn man zum Beispiel weiß, ein muslimisches Fest findet statt, kann man als Nachbar sagen: „Ich habe gehört, Sie feiern jetzt Ihr Fest. Darf ich Ihnen ein kleines Geschenk bringen?“ Vielleicht entsteht daraus ein Gespräch, in dem man über das Fest spricht und auch christliche Feste erklären kann.

Wenn ich muslimische Menschen in meinem Umfeld wahrnehme, würde ich damit anfangen, für sie zu beten und Gott um Möglichkeiten bitten, mich zu engagieren. – Roland Denner

ERF: Wie kann ich als Christ jemanden zu einem Fest gratulieren, an das ich nicht glaube und das ich eventuell sogar kritisch sehe?

Roland Denner: Man kann unterscheiden, ob man bestimmte Praktiken in Religionen befürwortet oder ob man einfach die Menschen achtet. Wenn sie ihr Fest feiern und ich ihnen ein gesegnetes Jahr wünsche, muss ich kein Statement zur Bedeutung oder zu meinem Urteil über ihr Fest machen, sondern ich kann sie einfach als Menschen wahrnehmen. Statt einem Statement zu den Inhalten ihres Festes mache ich ein Statement zu ihrem Leben. Ich kann ihnen zum Beispiel Gottes Segen und Gesundheit wünschen. Ich denke, es ist nicht verkehrt, wenn wir das als Christen tun.

Statt einem Statement zu den Inhalten ihres Festes mache ich ein Statement zu ihrem Leben. Ich kann ihnen zum Beispiel Gottes Segen und Gesundheit wünschen. – Roland Denner

ERF: Wann ist der richtige Moment, über den Glauben zu sprechen?

Roland Denner: Fast immer. Wir sind in Deutschland gewohnt, dass Glaube eine persönliche Sache ist, mit der man sehr zurückhaltend ist im Gespräch. Das ist für die meisten Menschen aus muslimischen Kulturen ganz anders. Für sie ist Glaube Alltagsthema. Glaube ist öffentlich: Den Glauben lebt man öffentlich, über Glauben spricht man öffentlich. Man spricht sich in ganz alltäglichen Situationen Segen zu. Glaube ist präsent und auch das Gebet geschieht sichtbar und öffentlich.

Das ist eine große Chance. Man braucht nicht irgendwie drum rumzureden, sondern kann ganz natürlich vom Glauben sprechen. Wir können ganz natürlich sagen, was Glaube für uns bedeutet. Das schätzen muslimische Menschen sogar.

Sie nehmen die westliche Welt als Christentum wahr und halten das Christentum für eine sehr schwache Religion, weil der Glaube im Leben so wenig vorkommt. Wenn wir Christen den Mut haben, unser Leben zu öffnen und Muslime Anteil nehmen zu lassen an unserem Glauben, ist das eine Riesenchance für sie, zu erkennen, dass Nachfolge Jesu noch mal etwas anderes ist als das, was sie gesellschaftlich als Christentum wahrnehmen.

Wir können ganz natürlich sagen, was Glaube für uns bedeutet. Das schätzen muslimische Menschen sogar. – Roland Denner

Von Jesus erzählen statt argumentieren

ERF: Was ist das Wichtigste, das Sie über Glaubensgespräche mit Muslimen gelernt haben?

Roland Denner: In Mali, aber auch mit türkischen Mitbürgern und Flüchtlingen aus muslimischen Ländern ist es mir wichtig geworden, nicht abstrakt über den Glauben zu reden. Als Christen glauben wir an eine Person. Es ist angemessen, von dieser Person auch zu erzählen: Zu erzählen, was Jesus getan hat, aber auch zu erzählen, wie ich Jesus in meinem Leben erfahre. Dabei kann ich auch biblische Geschichten von Jesus erzählen. In den meisten muslimischen Kulturen ist es so, dass eine gute, spannend erzählte Geschichte geschätzt wird. Das können wir neu üben. Wenn wir eine biblische Geschichte von Jesus schön und lebendig erzählen, kommen diese typischen Fragen nach Islam und Christentum auch gar nicht auf. Wir vermitteln dann keine Religion, sondern stehen staunend vor der Person Jesus, die ist, wie sie ist. Das will ich mit meinen muslimischen Freunden erleben: Dass sie staunend vor Jesus stehen und dass sie es hoffentlich schaffen, ihm ihr Vertrauen zu schenken und ihm nachzufolgen.

Darauf vertrauen, dass Jesus sich Menschen offenbart

ERF: Wie kann ich am besten reagieren, wenn das Gespräch von einer persönlichen auf eine rein argumentative Ebene wechselt? Soll ich mich darauf einlassen oder besser nicht?

Roland Denner: Es gibt sicher kein Patentrezept und das kann man auch nicht vollständig im Griff haben oder vorbereiten. Wir brauchen es, dass Gottes Geist uns in so einem Gespräch leitet, dass wir Weisheit von ihm bekommen. Grundsätzlich ist wichtig, dass wir nicht in jeder Diskussion voll aufgehen.

Es wird nie möglich sein, in einem Gespräch alles zu lösen, was an unterschiedlichen Überzeugungen da ist. Das ist ein wesentlicher Punkt. Wir müssen verstehen, dass wir im Gespräch mit muslimischen Menschen Spannungen aushalten müssen.

Wir werden die Dreieinigkeit, die Gottessohnschaft Jesu, seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung nicht gleich so umfassend und überzeugend belegen können, dass jeder Mensch das glaubt. Wir werden einzelne Punkte setzen können. Wir werden etwas von Jesus bezeugen und können dann darauf vertrauen, dass Jesus weiter wirkt, sich diesem Menschen offenbart und nach und nach Veränderung geschehen kann. Die kann schnell geschehen, ist aber oft ein langer Prozess.

Wir müssen verstehen, dass wir im Gespräch mit muslimischen Menschen Spannungen aushalten müssen. – Roland Denner

ERF: Gibt es Dinge über Jesus, die ich nicht sagen sollte?

Roland Denner: Es ist wichtig, immer wieder darüber nachzudenken, was das Ziel des Gesprächs ist. Ich wünsche mir, dass Menschen Jesus in seiner ganzen Bedeutung, in seiner ganzen Herrlichkeit sehen und ihm von Herzen vertrauen und nachfolgen können. Auf dem Weg muss ich mir immer wieder überlegen: „Was muss ich an welchem Punkt sagen?“ Wenn ich sehr früh davon spreche, dass Jesus Gottes Sohn ist, kann es sein, dass Türen zugehen.

Das kann bedeuten, dass ich von Jesus spreche als dem Messias. Das ist ein Begriff, den Muslime aus dem Koran kennen. Es kann sein, dass ich zwar von Jesus erzähle in alldem, was er getan hat und was darauf hinweist, dass er Gottes Sohn ist, ich aber diesen Begriff bewusst nicht verwende. Das muss man sich aber genau überlegen.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.


Roland Denner (Foto: privat)

Roland Denner ist evangelischer Theologe und war von 2006  an Leiter des deutschen Zweiges von ReachAcross, einer internationalen Organisation, die sich dafür engagiert, Muslimen zu dienen und sie mit dem Evangelium bekannt zu machen. Heute leitet er dort internationalen Missionsarbeit.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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