Navigation überspringen
© Gerth Medien

01.05.2013 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Nelli Bangert

Auch Ruhe gehört in den Terminkalender

Wie Ruhe das Leben positiv verändern kann. Ein Interview mit Christoph Zehendner

In der schnelllebigen und lauten Welt wächst der Wunsch nach Ruhe und Entspannung. Es scheint wichtiger denn jemals zuvor, einen wohltuenden Ausgleich zum stressigen Alltag zu finden. Christoph Zehendner wohnt und arbeitet seit zwei Jahren mit seiner Frau im Kloster Triefenstein. Durch sein Album „ganz nah“ lädt er ein, sich neu auf das Thema Stille einzulassen.
 

ERF: Herr Zehendner, Sie sind Journalist, Liedermacher, Moderator und Theologe. Das hört sich ehrlich gesagt nicht nach einem ruhigen Leben an. Warum bringen ausgerechnet Sie ein Album heraus, das Stille thematisiert?

Christoph Zehendner: (lacht) Ja, ausgerechnet ich, obwohl ich doch ein eher hektischer Mensch bin, der gerne und viel arbeitet und tendenziell selten zur Ruhe kommt. Vielleicht ist es so: Gerade weil ich von Natur aus kein Mensch bin, der total aus der Ruhe lebt, gerade weil ich Hektik und Stress im Alltag kenne, ist bei mir die Sehnsucht nach Stille und Ruhe besonders stark.

Es könnte sein, dass meine Lieder dadurch entsprechend glaubwürdig und ehrlich wirken und so bei den Menschen eine starke Reaktion auslösen. Mich hat in den letzten Jahren häufig verwundert, dass von den über 300 Lieder, die ich geschrieben habe, vor allem Lieder zu diesem Thema auf breite Resonanz stoßen, wie Z.B. „In der Stille angekommen, werd ich ruhig zum Gebet“ und „Er hört dein Gebet“.
 

ERF: Was möchten Sie mit dem Album „ganz nah“ bewirken?

Christoph Zehendner: Das Album „ganz nah“ enthält eine Mischung aus Liedern rund um das Thema Stille und Gebet. Die ausgewählten Songs helfen mir selbst zur Ruhe zu kommen und innerlich still zu werden. Vielleicht geht es auch anderen Menschen so, die das Album hören. Die CD ist sehr ruhig gehalten, das hätte ich mich vor 20 Jahren nicht getraut. Vielleicht musste ich auch erst 52 Jahre alt und ein bisschen reifer werden. Vielleicht liegt’s auch daran, dass ich seit zwei Jahren im Kloster Triefenstein lebe und arbeite.

Ich möchte mit dem Album Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen Mut zur Stille machen: Nehmt euch mal eine Stunde und hört euch das Album einfach mal von vorne bis hinten an. Vielleicht macht es gar nichts mit euch, vielleicht schlaft ihr dabei ein, aber vielleicht genießt ihr es auch und kommt durch die Lieder und durch die Musik zur Ruhe.

Wie verändere ich meinen Umgang mit Stress?

ERF: Vielen Menschen stöhnen über Stress, Termine und Hektik. Irgendwie scheint es so, dass keiner Stress mag, aber jeder ihn hat. Wie kann ich Stress vermeiden?  

Christoph Zehendner: Stress an sich ist nicht in jedem Fall negativ. Durch Stress wird Adrenalin ausgeschüttet und dadurch arbeitet man konzentrierter, schneller und zielgerichteter. Positiver Stress kann also gut und hilfreich sein. Das trägt den Kurzstreckenläufer über die Linie und er ist vielleicht noch ein wenig schneller, als die anderen. Allerdings geht das nur eine gewisse Zeit.

Das Negative am Stress ist, wenn ich zu viel tue, was ich eigentlich nicht mag und was nicht meinen Fähigkeiten entspricht. Dann wird es gefährlich, macht krank und schädigt mich.

Ich möchte entdecken, wie ich mit Stress, Anspannung und Herausforderungen verantwortlich umgehen kann, sodass daraus Positives entsteht: Gute Leistung, ohne mich selbst und andere um mich herum kaputt zu machen.
 

ERF: Haben Sie bereits konkrete Ansätze, die Ihnen dabei helfen, möglichst effizient zu arbeiten?  

Christoph Zehendner: Ich glaube, jeder Mensch muss die für sich selbst entwickeln. Für mich ist es wichtig, regelmäßig Pausen einzulegen. Im Kloster haben wir einen ganz festen Tagesablauf, mit Tageszeitengebeten, mit einer Kaffeepause morgens und einer Kaffeepause nachmittags. In den Pausen entspannt man sich und tauscht Informationen aus. Die feste Zeiteinteilung ist kein Korsett, das mich schlechter oder weniger effektiv macht. Im Gegenteil: Diese feste Gliederung des Tages hilft mir, effektiver und schneller zu arbeiten.

Außerdem hilft es mir gelegentlich auch mal den Computer oder das I-Phone auszuschalten und nicht ständig auf die Mails zu achten, um dann wieder ganz da zu sein. Gott selbst arbeitete sechs Tage konzentriert und äußerst kreativ, um dann einen Tag gar nichts zu machen. Er nimmt sich einen Tag komplett Auszeit. Die Herausforderung ist, sich im Terminkalender die entsprechenden Auszeiten bewusst einzutragen.

Ins Kloster, um Ruhe zu erleben?

ERF: Viele Menschen gönnen sich auch eine Auszeit und kehren in Klöster ein, um dort zu Ruhe zu kommen. Kommen Sie persönlich tatsächlich leichter im Kloster zur Ruhe?

Christoph Zehendner: Ja und nein. Viele Jahre habe ich als Journalist in der hektischen Welt der tagesaktuellen politischen Berichterstattung gelebt und gearbeitet. Währenddessen habe ich darauf geachtet, dass ich ein bis zwei Mal im Jahr hier im Kloster Triefenstein untertauche , den festen Rhythmus erlebe und zur Ruhe komme. Heute ist dieses Kloster mein Arbeitsplatz, daher erlebe ich hier kaum noch das Gefühl von Stille oder Ruhe. Dennoch lerne ich es, auch mal alle Projekte liegen zu lassen und das Wichtige vom Unwesentlichen zu unterscheiden.
 

ERF: Warum sollte ich denn gerade im Kloster zur Ruhe kommen können?

Christoph Zehendner: Für mich waren die Auszeiten im Kloster sehr wichtig und ähnlich geht es vielen Menschen, die hierhin kommen. Der geschützte Raum, diese Atmosphäre des Gebets und auch die Gespräche über geistliche Dinge machen die Zeit im Kloster besonders. Jeder gestaltet dabei seine Klostertage ein wenig anders als der andere und das ist auch gut so. Einige arbeiten beispielsweise einen halben Tag mit, um die andere Tageshälfte für ein gutes geistliches Buch zu nutzen. Wir bieten hier im Kloster nur einen Rahmen und gewisse Hilfsmittel an. Zur Ruhe kommen, still werden und das Gespräch mit Gott eröffnen muss jeder selbst.
 

ERF: Was würden Sie mir vorschlagen, wenn ich mir eine Auszeit gönnen möchte, allerdings nicht direkt ins Kloster gehen möchte?

Christoph Zehendner: Ich freue mich über jeden, der in seinem Alltag Ruhepunkte entdeckt und in seinem Kalender einträgt. Viele Menschen nehmen sich morgens vor der Arbeit bewusst Zeit für die sogenannte „Stille Zeit“. Das bewundere ich und finde es toll, wenn jemand das diszipliniert hinkriegt.

Dennoch muss das nicht für alle Menschen der richtige Weg sein. Es kann auch eine ruhige Mittagspause sein, oder das bewusste Hören eines Liedes, die Kerze am Abend, oder auch einfach mal die Ruhe abends auf der Couch, ohne den Fernseher oder das Radio laufen zu haben.
 

ERF: In Ihrem Lied „Ruhe bei dir“ singen Sie davon, dass Sie bei Gott Frust und Stress loslassen können und bei ihm zur Ruhe kommen. Warum denn gerade bei Gott und nicht bei einem guten Freund?

Christoph Zehendner: Wohl dem, der einen Freund hat, dem er alles erzählen kann. Das gibt es nicht sehr häufig. Ich gehe davon aus, dass Gott mich viel tiefer versteht, als mich ein Freund jemals verstehen kann. Er versteht mich sogar besser, als ich mich jemals selbst verstehen kann. Er versteht Dinge, die ich nicht in Worte ausdrücken kann, er versteht meine Zerrissenheit, die ich nicht vermitteln kann. Letztendlich begegne ich mir selbst tiefer, wenn ich Gott begegne. Diese Begegnung ist tiefer, als ich sie jemals mit einem Menschen haben kann.
 

 

Ruhe mit Gott oder einfach Beine hochlegen?

ERF: Herr Zehendner, was ist denn für Sie der größte Unterschied zwischen der Ruhe vor Gott und den normalen Ruhephasen im Alltag?

Christoph Zehendner: Wenn ich zur Ruhe komme, dann konzentriere ich mich auf mich selbst und auf meine Bedürfnisse. Und das ist manchmal auch ganz wichtig zum Ausspannen und Auftanken.

Wenn ich vor Gott zur Ruhe komme, versuche ich den Blick von mir weg auf Gott zu lenken und auch zu fragen, was er mir entgegen bringt. Vielleicht die Wertschätzung, die Liebe, die Herausforderungen, die Fragen, die er für mich bereit hält. Ich will das eine nicht gegen das andere ausspielen. Es sind zwei ganz unterschiedliche Arten und Weisen von Ruhephasen - beide sind wertvoll.
 

ERF: Nun bleibt es letzten Endes jedem selbst überlassen, ob man sich bewusst Ruhe im Alltag einbaut oder auf Ruhe verzichtet. Was spricht dafür, Ruhe im Leben einzubauen?

Christoph Zehendner: Es ist unsere Verantwortung Ruhepausen für uns im Alltag zu finden. Da geht es nicht darum, ob man darauf Lust hat oder nicht. Wer das nicht tut, der steht in der großen Gefahr, wie ein Hamster im Hamsterrad zu kurbeln und von sich selbst wegzulaufen oder vieles Wesentliche im Leben zu übersehen. Durch eine Reihe von Psalmen und anderen Texten in der Bibel wird die Einladung Gottes deutlich, die Begegnung mit ihm als etwas Kostbares zu entdecken. Wenn Ruhe wie das Atmen zum Leben gehört, dann tut das gut und kann das Verhältnis zu Gott positiv bereichern.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (1)

Corinna A. /

Habe von Christoph die Cd In der Stille angekommen und kenne ihn auch aus dem ERF Fernsehen, und erlebte ihn vor einigen Jahren mal in einer unserer Kirchen in Paderborn. Das Interview tat mir gut. Liebe Grüße Corinna

Das könnte Sie auch interessieren