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© Tamás Tokos / unsplash.com

29.07.2023 / Porträt / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Suche nach dem heilsamen Klang

Geigenbauer Martin Schleske sieht sein Handwerk als Berufung. Denn: Musik ist heilsam. Ein Porträt.

Ich möchte besser werden als Stradivari oder herausfinden, warum es nicht geht.

Geigenbauer Martin Schleske

 

Mit diesem steilen Vorsatz hat Martin Schleske vor vielen Jahren die Lehre an der Geigenbauschule in Mittenwald begonnen. Heute ist Schleske ein bekannter Geigenbauer, Physiker und Buchautor. In seinen Büchern verbindet er Erkenntnisse aus Musik und Geigenbau mit dem geistlichen Leben als Christ.

Doch wer ist der bekannte Geigenbauer und wie kam es dazu, dass Martin Schleske heute sein Leben dem Geigenbau widmet?

Eine Kindheit voller Musik

Martin Schleske und sein Pferd Damiano
Entspannung findet Geigenbauer Martin Schleske bei den Pferden. (Bild: Martin Schleske)

Musik spielt schon in Martin Schleskes Kindheit eine große Rolle. Mit sieben Jahren lernt er Geige, auch der Rest der Familie ist musikalisch. Am Sonntag machen sie gemeinsam Hausmusik: sein Vater an der Querflöte, die Mutter am Klavier, die Schwester am Cello und der junge Martin an der Geige. Martin Schleske lernt die Musik zu lieben und tritt später als E-Gitarrist einer Rockband bei. Rückblickend sagt Schleske, in seiner Kindheit habe es „eigentlich jeden Tag Musik“ gegeben.

Doch für Martin ist die Musik nicht nur ein Zeitvertreib. Ihm geht es darum „die Qualität des Klanges zu suchen“ und so schmeißt er mit 17 Jahren die Schule und bewirbt sich an der Geigenbauschule in Mittenwald. Für die Eltern, der Vater Professor, die Mutter Lehrerin, ist dies zunächst ein Schock.

Aber Schleske weiß, er will mit den Händen arbeiten, künstlerisch kreativ tätig sein. Und die Türen in Mittenwald gehen auf. Obwohl die berühmte Geigenbauschule damals von Bewerberinnen und Bewerbern nahezu überschwemmt wird (unter 1.200 Bewerbern können sie nur etwa 12 Stück pro Jahr annehmen), gehört Schleske zu den Glücklichen und startet als Lehrling.

Eine Gotteserfahrung „hell wie ein Kinofilm“

Kreativität hat verschiedene Facetten: Sie ist Gestaltungskraft, Erfindergeist und individuelles Ausdrucksmittel. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas „Kreativität“ haben wir mit Menschen gesprochen, die kreativ arbeiten und mit ihnen über Inspiration, Fleißarbeit und Selbstverwirklichung gesprochen.

Neben der Musik gibt es eine zweite wichtige Prägung, die in Martin Schleske Kindheit beginnt und ihn sein Leben lang begleitet. Als Austauschschüler fährt er mit 13 Jahren auf ein christliches Jugendcamp auf der Isle of Arran in Schottland. Schleske ist von seinem Elternhaus her nicht religiös, doch in dem Jugendcamp hat er eine tiefe Gotteserfahrung. Noch heute spricht er davon, dass die Tage dort „hell wie ein Kinofilm und in der Erinnerung kaum verblasst sind.“

Er macht einen Anfang mit Jesus und bekommt eine englische Bibel geschenkt. Dann geht es wieder nach Hause. Die Eltern können mit dem neugefundenen Glauben ihres Sprösslings nichts anfangen und sind hellauf entsetzt. Am Mittagstisch gibt es nun fast täglich Diskussionen und der Vater setzt Martin mit Fragen zu. Doch anstatt seinen Glauben aufzugeben, liest dieser treu in der Bibel.

Von einer Bekannten seines Jugendleiters aus dem Camp hat er per Päckchen eine deutsche Bibel zugeschickt bekommen und hütet diese wie einen Schatz. Nach Streitgesprächen mit dem Vater zündet Martin in seinem Zimmer eine Kerze an und liest in dieser Bibel. Rückblickend sagt er: „Ich hatte oft das Gefühl, als ob jemand hinter mir steht, der mir erklärt, was ich da lese.“ Ein bis zwei Jahre vergehen, ehe Martin Schleske eine Gemeinde besucht, aber sein Glaube wächst ebenso stark wie seine Liebe zur Musik.

Ich hatte oft das Gefühl, als ob jemand hinter mir steht, der mir erklärt, was ich da lese.

Geigenbauer Martin Schleske

„Was macht eine gute Geige aus?“

In der Geigenbauschule angekommen, heißt es für den Lehrling Schleske erstmal, das Handwerk zu lernen. Der Beruf eines Geigenbauers erfordert Geduld, handwerkliches Können, Genauigkeit, Disziplin und Konzentration. Rückblickend sagt Schleske, dass es für ihn wichtig war, zunächst die Schablonenhaftigkeit des Handwerks zu erlernen, „um sich später frei bewegen zu können“.

Doch schon jetzt beschäftigen ihn tiefergreifende Fragen. Schleske möchte nicht nur Standard-Geigen bauen. Er will wissen, wie er Geigen bauen kann, die einer Stradivari nahekommen. Ihn bewegt die Frage: „Was macht eine gute Geige aus?“ Seine Lehrer treibt er mit diesen Fragen fast zur Verzweiflung, einige fühlen sich davon regelrecht provoziert. Denn sie merken, sie können ihm nicht die Antworten geben, die er sucht.

Schleske aber lässt nicht locker. Mit viel Fleiß baut er sieben bis acht Stunden am Tag in der Geigenbauschule an Geigen, um nach Feierabend in seiner eigenen Werkstatt an eigenen Projekten weiterzubauen. Nach der Gesellenprüfung lädt ihn sein ehemaliger Physiklehrer ein, bei einem Forschungsprojekt mitzumachen. Diese Erfahrung wird wegweisend für Schleskes beruflichen Werdegang.

Der Lehrer ist ein berühmter Klang-Forscher und führt ihn an die Modal- und Spektralanalyse heran. Zwei Jahre arbeitet Schleske für den Physiker und macht die Schwingungen von Geigen sichtbar. Als er diesem sagt, er wolle auch verstehen, was er hier anwendet, sagt dieser: „Wenn du das verstehen willst, musst du Physik studieren.“

Geigenbau und Schreiben als Form des Gebets

Gesagt, getan. Schleske will nicht nur Geigen mit vortrefflichem Klang bauen können, er möchte ihren Klang auch verstehen. Also macht er das Abitur nach und meldet sich zum Physikstudium an. Dabei ist sein Ziel aber nie, später einmal als Physiker zu arbeiten, sondern er will allein die Physik der Geige besser verstehen.

Dieser Reiz, die Dinge zu ergründen, prägt Schleskes ganzes Leben. Er sagt von sich selbst, dass er das Leben erforschen und ergründen will. Als Geigenbauer und Christ gehören für ihn ganz besonders die Geige und die Bibel dazu.

Heute ist Martin Schleske ein weltweit gefragter Geigenbauer. In seiner Geigenbauwerkstatt in Landsberg am Lech stellt er Geigen, Bratschen und Celli her. Seine Geigenbauwerkstatt hat eine besondere Geschichte, denn das Haus, in dem Schleske heute seine Geigen baut, war früher ein Gebetshaus. Für Schleske ist das nur passend: 

Dass eine Geige entsteht, ist das Gebet der Hände.

Das Handwerk des Geigenbaus hat für Schleske eine tiefreligiöse Facette. Konkurrenz bei diesem Gebet der Hände macht ihm seit einigen Jahren auch das Schreiben. Auch dabei erlebt Schleske eine ganz tiefe Verbindung zu Gott: „Die intensivste Art von Beten ist für mich oft die mit dem Stift in der Hand. Das Allermeiste in meinen Büchern habe ich nur geschrieben, weil ich es gehört habe.“

Ein genaues Handwerk voller Liebe zur Schönheit

Gleichzeitig ist sein Handwerk auch genau das – ein Handwerk. Über 200 Arbeitsschritte sind nötig, damit eine Geige entsteht. Alle diese Arbeitsschritte erfordern Können und Genauigkeit. Das beginnt schon bei der Auswahl des Holzes. Für eine Geige werden üblicherweise Bergfichten aus einer Höhe von 1.700 bis 1.800 Metern Höhe verwendet. Das beste Holz findet sich im Alpenraum. Doch auch hier ist unter hunderten Stämmen nur ein „Sängerstamm“.

So werden Stämme genannt, die einen ganz besonderen Klang haben und sich als Holz zum Geigenbau eignen. Bis heute ist nicht bis ins Detail erforscht, was einen Sängerstamm von anderen Stämmen unterscheidet. Früher hat Schleske das Holz für seine Geigen noch selbst geschlagen, heute wählt er es bei Händlern aus. „Das Holz gibt sich mir zu erkennen“, so beschreibt er seine Auswahl des richtigen Holzes.

Doch vom Holz bis zur Geige ist es ein weiter Weg. Auf Zehntelmillimeter genau muss Schleske hier arbeiten. Denn schon die kleinste Veränderung kann den Klang deutlich verändern. Aber, und auch das gibt Schleske offen und mit einer gewissen Genugtuung zu:

60 Prozent der Arbeiten im Geigenbau haben keine Bedeutung für den Klang, sondern geschehen nur, um ein schönes Instrument zu fertigen.

Schönheit ist Schleske wichtig. Denn nur durch die Schönheit des Instruments spürt der Musiker am Ende den nötigen Respekt dem Musikinstrument gegenüber.

Klang als „Ausdrucksmedium der Seele“

Insgesamt sollten Dinge nicht immer nützlich sein müssen, so Schleskes Ansicht. Er ist überzeugt: „Wenn der Mensch ‚Ich muss‘ sagt, wendet er sich von Gott ab.“ Und so sucht er kreative Betätigung auch im Malen, wo im Gegensatz zum Geigenbau am Ende nichts Vorzeigbares herauskommen muss.

Ruhe und Kraft tankt er auch in der Natur und bei den Pferden. Das ist für Schleske wichtig, denn er erlebt sich selbst oft als „Grenzgänger am Rande seiner Kraft“. Deswegen sind für ihn Phasen der Besinnung essenziell, aber für ihn steht auch fest: „Unsere Berufung darf uns auch Kraft kosten.“ Ihm jedenfalls lässt es keine Ruhe, wenn ihm mal eine Geige nicht gelingt.

Doch das Wichtigste ist am Ende, dass seine Instrumente auch gespielt werden. Für ihn ist Klang „ein Ausdrucksmedium der Seele“, das uns gerade in Momenten berührt, wenn alles schwierig ist. Deshalb sucht Schleske heute nicht mehr nur nach einem guten, sondern „nach einem heilsamen Klang“.

Klang ist ein Ausdrucksmedium der Seele. Ich suche nach einem heilsamen Klang.

Geigenbauer Martin Schleske
 

Ein Musiker möchte, „dass Menschen anders aus einem Konzert rausgehen, als sie gekommen sind.“ Sein persönliches Ziel als Geigenbauer ist es, Instrumente zu bauen, die das ermöglichen. Wenn er kann, würde er das gerne noch bis zu seinem 85. Lebensjahr tun. Denn dann möchte er hoffentlich seine beste Geige bauen.

Alle Zitate von Martin Schleske stammen aus dem Radiointerview „Herztöne – Vom Klang des Lebens“

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

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Kommentare (1)

Nicole /

Wunderbarer Bericht. Danke dafür. Ein bemerkenswertes Leben.

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