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© Keenan Constance / pexels.com

24.04.2025 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Wenn Gefühle gekapert werden

4 Emotionen, denen du in manipulativen Beziehungen nicht trauen solltest.

„Höre einfach auf dein Bauchgefühl!“ Hast du diesen Tipp auch schon mal bekommen? Grundsätzlich ist das eine sehr gute Empfehlung. Auf die eigenen Gefühle zu hören, hilft dir in vielen Fällen dabei, eine gute Entscheidung zu treffen.

Es ist sogar so, dass unser Bauchgefühl uns oft schon warnt, bevor wir in einer schwierigen oder gefährlichen Situation die Lage vollständig erfasst haben. Vielleicht setzt du deine Schritte automatisch bedachter, wenn es beim Wandern im Hochgebirge neben dir 100 Meter in die Tiefe geht.

Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass wir den Großteil unserer Entscheidungen nicht bewusst, sondern automatisch und damit intuitiv fällen. Denn wenn wir jede Entscheidung – und damit auch, ob wir uns zum Mittagessen ein Käsebrot machen oder bei der Dönerbude vorbeigehen – erst nach langem Nachdenken fällen würden, wären wir gar nicht lebensfähig.

Doch es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wir unseren Gefühlen per se vertrauen können. Oft beeinflussen tiefsitzende Glaubenssätze, wie wir Situationen bewerten. Vielleicht denkst du immer, dass dich keiner mag, weil du das in der Schule erlebt hast. Oder dass du zu wenig leistest, weil deine Eltern nie mit dir zufrieden waren. Wenn wir den Gefühlen, die solche Glaubenssätze in uns auslösen, glauben, wird es problematisch.

Noch problematischer wird es, wenn andere unsere Gefühle quasi kapern. Dann steuert jemand anderes deine Gefühle von außen.

Etwa, indem er bewusst Dinge tut, die in dir bestimmte Gefühle auslösen, oder indem er dir bestimmte Gefühle einredet. Das passiert in manipulativ-toxischen Beziehungen.

Dann kann es passieren, dass unsere Gefühle uns förmlich erstarren lassen. Das passiert vor allem bei Gefühlen, die uns normalerweise vor Problemen warnen und zum Handeln motivieren. Doch hier bewirken sie plötzlich das Gegenteil und machen uns stattdessen handlungsunfähig. Die christlich-psychologische Beraterin Saraj Stutz zählt in ihrem Buch „Damit sich der Nebel lichtet“ vier Gefühle auf, die uns in toxischen Beziehungen eher behindern als helfen.

1. Angst

Angst ist ein superwichtiges, wenn auch extrem unangenehmes Gefühl. Angst zu haben, gilt in unserer Gesellschaft als Schwäche. Daher geben wir meist nicht zu, wenn wir Angst empfinden. Aber Angst ist hilfreich. Sie warnt uns in Gefahrensituationen und löst eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus.

Das kann lebensentscheidend sein, wenn du bei einem Erdbeben oder einem schweren Gewitter schnell Schutz suchen musst oder dich jemand körperlich angreift. In vielen anderen Lebenssituationen, in denen du Angst empfindest, kommst du aber mit Angriff oder Vermeidung nicht weiter.

Vor allem aber wird Angst problematisch, wenn sie anhält – wenn du etwa der Angstsituation ausgeliefert bist und das nicht nur für ein paar Stunden, sondern für Tage, Wochen oder Monate. Das ist in etwa so, wie wenn dauerhaft der Feueralarm schrillt. Das macht nicht nur mürbe, sondern die dauerhafte Alarmbereitschaft führt im Gegensatz zur akuten Angst auch nicht mehr in eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion, sondern in lähmende Lethargie.

Das ist oft in toxischen Beziehungen der Fall. Hier sorgt eine Person (im Weiteren Manipulator genannt, weil er deine Gefühle manipuliert) gezielt für ein Klima der Angst. Vielleicht indem der Manipulator dir droht, dich zu bestrafen. Vielleicht aber auch, indem er ankündigt, dich nicht mehr zu lieben oder sich selbst etwas anzutun, wenn du seine Wünsche nicht erfüllst.

Egal wie das Klima der Angst erzeugt wird, die Angst wird nach und nach zum Lebensgefühl der Betroffenen, das alles überschattet. Selbst in Situationen ohne den Manipulator können sie nicht mehr abschalten, aber sie wagen es auch nicht, sich zur Wehr zu setzen – aus Angst, dass es dann noch schlimmer wird.

So hält ihre eigene Angst diese Menschen davon ab, sich aus der manipulativen Beziehung zu lösen – oder zumindest andere Umgangsformen auszuhandeln.

Lass dich nicht von der Angst kapern!

Wenn du merkst, dass du ständig Angst in der Gegenwart eines bestimmten Menschen hast, ist es sinnvoll, diese Beziehung zu überdenken. Reflektiere, wie sich diese Angst auf dich auswirkt und welche Handlungsoptionen du hast. Kannst du den Kontakt einschränken oder dir Unterstützung bei anderen suchen? Droht der andere vielleicht nur, um dich kleinzuhalten? Sprich: Was würde schlimmstenfalls passieren, wenn du Nein zu seinen Wünschen sagst?

Vor allem aber lass dich nicht von deiner Angst kapern. Denn wenn du nichts änderst, wird es vermutlich trotzdem nicht besser.

Wenn du aber für dich selbst einstehst, besteht zumindest die Chance, dass deine Situation sich verbessert. Vielleicht helfen dir auch diese beiden Bibelverse, um neuen Mut zu fassen:

In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Johannes 16,33)

Sei getrost und unverzagt? Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst. (Josua 1,9)

2. Schuldgefühle

Wie Angst zählen Schuldgefühle zu den unangenehmen Gefühlen, die du lieber überdeckst oder verdrängst. Dabei haben auch sie eine wichtige Funktion. Denn dein Gewissen ermahnt dich, wenn du Dinge tust, die deinen Wertmaßstäben widersprechen.

Das ist eigentlich hilfreich, aber genau diese feinen Sensoren kapern Manipulatoren gerne. Dein Gewissen ist nämlich trainiert, darauf zu reagieren, wenn sich andere durch dein Verhalten verletzt zeigen. Das nutzen Manipulatoren aus. Selbst wenn du faktisch nichts falsch gemacht hast, reden sie dir genau das ein.

Das führt nach und nach zu einem übersteigerten Verantwortungsgefühl, ständigen Schuldgefühlen und vorauseilendem Gehorsam. Weil du schon ahnst, dass dein Vater wütend wird, wenn du zu laut spielst, schränkst du dich ein. Oder weil deine Partnerin immer mit einem Eifersuchtsdrama reagiert, wenn du mal weg bist, siehst du deine Freunde lieber gar nicht.

Eventuell schiebt der andere dir sogar die Schuld für sein eigenes Verhalten zu. Für ihn bist du daran schuld, wenn er dich schlägt oder anschreit.

Damit kehrt er die Täter- und Opferrolle gezielt um; oft so geschickt, dass du es nicht einmal bemerkst. Und teilweise so perfide, dass sogar andere Menschen ihm glauben.

Setze der Lüge die Wahrheit entgegen! 

Wichtig ist hier, dass du Vorwürfe oder Schuldzuweisungen anderer mit deinen eigenen Wertmaßstäben abgleichst. Für dich ist es nicht falsch, deine Freunde einmal in der Woche zu sehen? Dann lass dir nicht einreden, dass du deshalb egoistisch bist. Stattdessen erkenne und benenne die Manipulation des anderen.

Dies führt nicht automatisch dazu, dass die Schuldzuweisungen enden, aber für dich selbst ist es wichtig, dieser Lüge die Wahrheit entgegenzusetzen. Sonst glaubst du selbst irgendwann, was der andere dir einzureden versucht. Wenn du unsicher bist, ob an den Vorwürfen des anderen doch etwas dran ist, lohnt es sich, die Situation einem unbeteiligten Freund oder einer Freundin zu schildern und zu hören, was sie dazu zu sagen haben.

In der Bibel gibt Jesus seinen Jüngern übrigens einen Tipp, um zu erkennen, was wahr ist. Er sagt in Johannes 8,31-32 zu ihnen: „Wenn ihr bei dem bleibt, was ich euch gesagt habe, und euer Leben darauf gründet, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“  Eine vertrauensvolle Beziehung zu Jesus und die Bibel als moralische Richtschnur können dir also dabei helfen, dein Verhalten richtig einzuordnen.

3. Toxische Scham und Ohnmacht

Oft gesellt sich in manipulativen Beziehungen zu den Schuldgefühlen Scham. Auch Scham ist ein wichtiges Gefühl. Sie ist eine Wächterin der Würde – deiner und die der anderen – und weist dich darauf hin, wenn du oder jemand anderes gegen gesellschaftliche Werte verstößt. Das Schamgefühl entwickelt sich in der Kindheit sogar noch vor dem Gewissen und der Fähigkeit, Schuld zu empfinden.

Doch in toxischen Beziehungen wird Scham als Wächterin der Würde zur Wächterin der Menschenverachtung. Denn selbst wenn du es schaffst, falschen Schuldgefühlen die Tür zu weisen, die Beschämung bleibt durch den Vorwurf des anderen erstmal bestehen.

Zusätzlich kommt es in toxischen Beziehungen oft zum Fremdschämen. Denn wir Menschen ticken so: Wenn jemand Grundwerte des Menschseins verletzt, ignorieren wir das nicht einfach, sondern wir schämen uns – nötigenfalls in Vertretung für den anderen.

So empfinde ich etwa als Deutsche jedes Mal tiefe Scham für die begangenen Gräuel im Zweiten Weltkrieg, wenn ich davon lese oder höre. Dabei war ich damals noch nicht mal auf der Welt. Im gesellschaftlichen Kontext ist diese Fremdscham sinnvoll, denn sie verhindert im besten Fall neuerliche Menschenrechtsverbrechen.

In einer toxischen Beziehung dagegen schämen sich Betroffene stellvertretend für den Täter und dabei oft genau für das, was er ihnen gerade antut. Das heißt: Sie erleben diese Scham täglich im Umgang mit dem Manipulator – und zudem für etwas, wo sie selbst verletzt werden.

Diese Täter-Opfer-Umkehr führt zu einem Gefühl von Wertlosigkeit und Ohnmacht. Betroffene glauben, die Dinge sowieso nicht zum Besseren verändern zu können.

Und weil sie sich für das erlebte Trauma schämen, trauen sie sich auch nicht, vor anderen auszusprechen, was ihnen widerfahren ist, oder sich Hilfe zu suchen. Die Scham über das erlebte Trauma ist zu groß und macht die Opfer regelrecht handlungsunfähig.

Sprich über Erlebtes!

Wie kannst du als Betroffener dem begegnen? Mache dir klar, dass die empfundene Scham nicht deinem eigenen Handeln gilt, und suche dir bewusst Vertrauenspersonen, mit denen du über das Erlebte sprichst – egal, wie sehr dich deine Scham daran hindern möchte. Denn erst der liebevolle Zuspruch eines anderen Menschen wird dir zeigen, dass du dich nicht zu schämen brauchst.

Mehr Tipps zum Umgang mit Scham findest du in unserem Artikel „Scham ja, Beschämung nein“.

4. Hoffnung

Vielleicht hast du dir jetzt überrascht die Augen gerieben und dich gefragt: Wie kann denn Hoffnung ein schlechtes Gefühl sein? Es ist schließlich das erste der vier Gefühle, das sich positiv anfühlt. So ist es und genau das ist das Problem daran. Denn Hoffnung kann dich dazu verleiten, die Realität falsch zu bewerten. Aber lass uns von vorne anfangen.

Hoffnung ist ein wichtiges Gefühl und neben dem Gefühl von Liebe und Zugehörigkeit vielleicht eines der bedeutendsten, wenn es um Zufriedenheit geht. Menschen können unfassbares Leid ertragen, wenn sie dennoch Hoffnung haben. Wo Menschen aber die Hoffnung verlieren, wird es düster. Wer nicht mehr daran glaubt, dass es auch nach einem Schicksalsschlag wieder besser werden kann, verliert den Grund zu leben.

Das macht Hoffnung aber auch zu einem tückischen Werkzeug toxischer Menschen. Denn sie spielen geschickt mit der Hoffnung derer, die sie manipulieren. Eventuell besteht deine Ehe aus einem Kreislauf von Beschimpfung und Gewalt, aber dein Mann verspricht dir endlich, sich zu ändern. Oder deine Mutter macht dich immer herunter. Nie kannst du es in ihren Augen recht machen, aber jetzt lobt sie dich plötzlich – nur ein einziges Mal – und dein Herz geht auf.

Ersetze falsche Hoffnung mit Gottvertrauen!

Was haben diese Beispiele gemein? Sie machen dir Hoffnung, aber falsche Hoffnung. Denn nach mehreren Ehejahren weißt du eigentlich, dass dein Mann sich nicht ändert. Und du kennst deine Mutter schon dein ganzes Leben und weißt, dass auf jedes Kompliment ein Tadel folgt. Aber irgendwie willst du doch an das Gute glauben – an Veränderung, einen positiven Ausgang.

Saraj Stutz spricht hier vom „listigen Wiesel der falschen Hoffnung“ und der Begriff scheint mir passend. Denn du weißt es doch besser. Du kennst den anderen lange genug. Stell dich deiner Enttäuschung und verabschiede dich von falschen Hoffnungen. Ja, Veränderung ist möglich, aber sie passiert selten über Nacht und manche Nettigkeit hat auch nur einen Zweck – dir falsche Hoffnungen zu machen.

Das klingt sehr ernüchternd. Denn woher sollst du Hoffnung nehmen, wenn nicht aus der Idee, dass der andere sich ändern könnte? Vielleicht aus dem Wissen, dass du selbst etwas ändern kannst.

Du kannst dich heute entscheiden, die Beschimpfungen deines Mannes nicht mehr hinzunehmen und dich von deiner Mutter nicht mehr herabsetzen zu lassen. Warte nicht ab, ob der andere sich wirklich ändert oder dich das „listige Wiesel der falschen Hoffnung“ wieder ins Bockhorn jagt. Werde selbst aktiv.

Ergänzend kannst du dir anschauen, welche guten Worte Gott über deiner Zukunft ausspricht. In Jeremia 28,11 spricht Gott seinem Volk Israel in einer bedrängten Situation folgendes zu: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“

Diese guten Gedanken Gottes gelten auch dir. Bei ihm findest du reale Hoffnung für deine Zukunft. Daher lass dich nicht länger mit falschen Hoffnungen abspeisen, die dich letztlich nur gefangen halten.

Bleib nicht allein mit deinen Gefühlen!

Hast du dich in einem der vier Abschnitte wiedererkannt? Oder vielleicht sogar in allen vieren? Dann mach das nicht nur mit dir aus. Menschen, die unter dem manipulativen Verhalten anderer leiden, schaffen es nur selten, allein die notwendigen Grenzen zu ziehen. Oft braucht es die Hilfe einer Psychologin oder eines Seelsorgers.

Eventuell hast du in deinem Bekanntenkreis auch einen guten Freund oder eine gute Freundin, mit der du über deine Gefühle und darüber, wie sie dich blockieren, reden kannst. Oder es gibt in deiner Gemeinde jemanden, an den du dich vertrauensvoll wenden kannst.

Dann sei mutig und sprich jemanden von diesen Menschen an. Du wirst sehen, dass allein das Sprechen über deine Situation dir bereits guttun wird.

Wenn du ergänzend professionelle Hilfe suchst oder dich weiter ins Thema einarbeiten willst, findest du unter diesem Artikel eine Buchempfehlung und Links zu christlichen Beratungsstellen, die dir hier weiterhelfen können.
 

Autor/-in

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

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Hanne S. /

Das hilft mir gerade sehr,weil mich die Erfahrung mit so einem manipulativen Menschen gerade wieder sehr aus der Bahn geworfen hat.Ich habe es wieder genauso erlebt, wie als Kind mit meiner narzistischen Mutter. Es ist grausam

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