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03.01.2023 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Verbindung gesucht

Einsamkeit ist mehr als allein sein. Gut, dass es kraftvolle Gegenmittel gegen sie gibt.

Einsamkeit – was löst dieses Wort in Ihnen aus? Beklemmung, weil es zielgenau die eintönigen Tage in Ihrem viel zu groß gewordenen Haus beschreibt? Trauer, weil Sie von vielen Menschen umgeben sind, sich aber trotzdem unverstanden fühlen? Oder Sehnsucht, weil Sie gerne mal wieder etwas nur für sich allein machen würden, ohne dass andere etwas von Ihnen wollen?

Einsamkeit kann je nach Alter oder Lebenssituation viele Gesichter haben. Meist zeigen wir sie aber nicht. Andere Emotionen lassen wir eher aus uns heraus – wer aber gibt gerne zu, dass er sich einsam fühlt? Denn Einsamkeit ist oft mit Scham behaftet. Das gilt vor allem dann, wenn ein niedriges Einkommen oder körperliche Einschränkungen der Grund dafür sind.

Wer nur (noch) mühsam sprechen kann, will sich anderen mit dieser Einschränkung nicht zumuten. Ein Kind, das wegen seiner günstigen Kleidung in der Klasse auffällt, meidet Kontakte, weil es nicht ausgelacht werden will. Verbindung gekappt.

Von Einsamkeit spricht man also immer dann, wenn eine Person in ihrem Alltag gerne mehr Kontakte hätte, als es tatsächlich der Fall ist. Ihr fehlen Menschen, mit denen sie ihre Sorgen besprechen und schöne Momente teilen kann. Das bewusste Alleinsein wird hingegen von vielen Menschen als etwas Positives empfunden: Man kann eine Arbeit in Ruhe zu Ende führen, abschalten oder sich etwas Gutes tun für Körper, Geist und Seele.

Einsamkeit betrifft alle

Umfragen zufolge fühlen sich etwa 14 bis 17 Prozent der Deutschen häufig oder ständig einsam. Während der Coronapandemie ist diese Zahl sogar auf bis zu 40 Prozent angestiegen.[1] Besonders häufig betroffen sind über 80-jährige Senioren, deren Partner oder Freunde bereits verstorben sind. Aber auch junge Erwachsene fühlen sich einsam.

Der Umzug in eine fremde Stadt, der erste Job oder der Wegfall der alten Schulclique sorgt bei den 18 bis 30-Jährigen zumindest vorübergehend für ungewollt einsame Wochenenden. Auch die Mitte des Lebens kann einsam sein. Mit kleinen Kindern sind spontane Aktionen mit Freunden auf einmal nicht mehr möglich.

Singles haben umgekehrt damit zu kämpfen, dass ihre verheirateten Freunde plötzlich weniger Zeit für sie haben. Möglicherweise spielt auch die zunehmende Allgegenwart der Medien eine Rolle dabei, dass sich Menschen einsam fühlen. Eine lange Sprachnachricht kann ein tiefergehendes Gespräch oder eine feste Umarmung einfach nicht ersetzen.

Das Gute ist, dass die Zahl der Menschen, die sich in Deutschland einsam fühlen, nicht rasant ansteigt. In der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen fühlen sich sogar überraschend wenig Menschen einsam. Trotzdem lässt sich gesamtgesellschaftlich eine Tendenz nach oben feststellen. Grund genug für die Politik, im Jahr 2022 die Aktion „Gem-Einsam. Strategie gegen Einsamkeit“ ins Leben zu rufen.

Wo die Einsamkeit herkommt

Ich möchte das Gefühl der Einsamkeit noch von einem geistlichen Blickwinkel aus betrachten. Als Christin glaube ich, dass Menschen nicht nur deshalb einsam sind, weil ihr Leben im Umbruch ist, sie finanziell oder sozial isoliert sind. Einsamkeit ist auch eine tiefgreifende Folge davon, dass wir Menschen ohne Gott leben.

Wir haben die Verbindung zu unserem Schöpfer verloren – mit dem Ergebnis, dass wir uns weder mit ihm, noch mit anderen Menschen, noch mit uns selbst verbunden fühlen. Stattdessen bohrt sich ein Gefühl der Einsamkeit bis ins Innerste unserer Seele und lässt uns entwurzelt zurück. Wir sind uns selbst und untereinander fremd.

Einsamkeit ist geistlich gesehen ein untrügliches Zeichen dafür, dass diese Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Und dass es tiefgreifende Veränderungen braucht, damit die Verbindung zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen und zu Gott wieder hergestellt werden kann.

Ein Plan gegen die Einsamkeit

Es ist gut zu wissen, dass wir Menschen diese Veränderung nicht aus eigener Kraft stemmen müssen. Gott ist schon längst dabei, einen wirkungsvollen und tiefgreifenden Aktionsplan gegen Einsamkeit und für mehr Verbundenheit auszuführen. Dieser Plan hat folgende Zusagen als Eckpunkte:

„Ich, Gott, verlasse Dich nicht.“ Du magst Dich einsam fühlen, aber ich bin bei Dir. Ich höre Dir zu, wenn Du mit mir sprichst. Ich verstehe Deinen Schmerz und freue mich, wenn es Dir gut geht. Ich stehe Dir zur Seite, wenn Du mich um Hilfe bittest. Ich bin da für Dich.

„Ich, Gott, kenne Dich.“ Andere verstehen dich vielleicht nicht, vielleicht verstehst du dich selbst gerade nicht. Aber ich verstehe Dich. Ich kenne Deine Gedanken und weiß, woher das Schöne und das Chaos in Deinem Inneren kommen. Ich umfange Dich als ganze Person – mit allem, was du denkst, fühlst und aussprichst.

„Ich, Gott, verändere Dich.“ Du magst an Deine Grenzen stoßen, was Deine Fähigkeiten angeht, Beziehungen aufzubauen, aber ich kann Dich verändern. Ich kenne die Schuld, die Dich von anderen entfremdet und will Dir einen Neuanfang schenken. Schau Dir an, wie Jesus gelebt hat, was er getan und gesagt hat. Dann wirst Du dieses Geschenk entdecken.

„Ich, Gott, stelle Dich neu in die Gemeinschaft mit anderen Menschen.“ Du magst von Dir selbst oder von anderen enttäuscht und verletzt sein, aber ich schenke Dir die Kraft zur Vergebung. Ich möchte Dir helfen, von Dir selbst wegzusehen und andere lieben zu lernen. Du hast etwas beizutragen für diese Welt und Du darfst Dich von anderen mit ihren Fähigkeiten beschenken lassen.


Klingt das zu schön, um wahr zu sein? Zu theoretisch, um an einem einsamen Winterabend wirklich zu trösten? Vielleicht. Trotzdem glaube ich, dass diese Zusagen kraftvolle Wegweiser für einen Weg aus der Einsamkeit sind. Diesen Weg muss jeder selbst gehen. Es ist ein Weg, der keine schnellen, einfachen Lösungen bietet. Aber: Auf diesem Weg können wir alle etwas gemeinsam tun. Deshalb möchte ich zum Schluss vier Hinweise geben, wie wir der Einsamkeit in unserer Gesellschaft Einhalt gebieten können:

1. Mitarbeiter der Telefonseelsorge berichten, dass Einsamkeit der häufigste Grund ist, warum Menschen bei ihnen anrufen. Ein einfaches Mittel gegen das traurige Gefühl des Alleinseins kann also sein: jemanden anrufen. Den Hörer in die Hand nehmen können die, die sich selbst einsam fühlen. Und die, die gerne anderen in ihrer Einsamkeit begegnen möchten.

2. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt hat sogenannte „Dritte Orte“ als Hilfsmittel gegen die Einsamkeit vorgeschlagen.[2] Damit meint sie Räume für Begegnungen, in denen man sich zwanglos treffen kann. Ohne vorgegebenes Rahmenprogramm wie bei der Seniorengymnastik und ohne den Druck, etwas kaufen zu müssen wie in einem Café.

Fast jedes Dorf hat ein Dorfgemeinschaftshaus oder einen kirchlichen Gemeindesaal, die nachmittags leer stehen. In Städten wäre das vielleicht in Schulen, Tafeln oder Bibliotheken möglich. Christliche Gemeinden können sich hier gut einbringen und für einsame Menschen einen Ort der Begegnung schaffen.

3. Keiner kann all seine Mitmenschen von ihrer Einsamkeit befreien. Wir alle können aber unsere Wahrnehmung trainieren und uns fragen: Wo nehme ich in meinem Umfeld einen Menschen wahr, der einsam ist? Was kann ich mit meinen Mitteln an Geld, Zeit und Kraft tun, um ihm oder ihr eine Begegnung zu ermöglichen?

Vielleicht freut sich die Studentin, die neu in der Stadt ist, über eine Einladung zum Mittagessen. Vielleicht kann ich dem jungen Vater aufmerksam zuhören, wenn er sich seinen Frust über den Alltag mit dem schreienden Säugling von der Seele redet.

4. Das stärkste und zugleich schwierigste Mittel gegen Einsamkeit ist es, wenn wir unsere Masken voreinander fallen lassen und uns wieder ehrlich erzählen, wie es uns gerade geht. Nichts macht einsamer als das Gefühl, nicht gesehen zu werden oder mit der Einsamkeit und den Problemen allein zu sein. Umgekehrt kann kaum etwas anderes mehr zu einer tieferen Verbundenheit beitragen als das Gefühl, mit meinen Fragen angenommen zu sein.

Dafür braucht es den Mut, sich voreinander zu öffnen und dem anderen einen ehrlichen Einblick in das eigene Leben zu gewähren – nicht in aller Öffentlichkeit und in den sozialen Netzwerken. Aber bei Menschen in unserer Umgebung, denen wir vertrauen können. Dieses Gesehen- und Verstanden-Werden, diese Verbundenheit macht der Einsamkeit das Leben schwer – und uns das Leben leichter.
 

[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/engagement-und-gesellschaft/strategie-gegen-einsamkeit

[2] https://www.evangelisch.de/inhalte/206346/28-09-2022/goering-eckardt-politik-sollte-vereinsamung-bekaempfen

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Theologin und Redakteurin im Bereich Radio und Online. Sie ist fasziniert von der Tiefe biblischer Texte und ihrer Relevanz für den Alltag. Zusammen mit ihrer Familie lebt die gebürtige Badenerin heute in Wetzlar und hat dabei entdeckt, dass auch Mittelhessen ein schönes Fleckchen Erde ist.

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