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© Anastasiia Chepinska / unsplash.com

22.04.2020 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Micaela Kassen

Helfen mit Grenzen

Die Corona-Pandemie schränkt ein und macht Angst. Wege mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen.

Die Corona-Pandemie schränkt das Leben gewaltig ein – auch die Möglichkeiten, Menschen zu helfen, werden geringer. Was kann ich tun, wenn ich als Angehöriger meine alten Eltern nicht besuchen kann und weiß, dass sie Hilfe brauchen und einsam sind? Wenn ich als Krankenschwester nicht allen Patienten helfen kann? Vielleicht fühle ich mich hilflos, weil ich mir als Lehrer oder Sozialarbeiter um bestimmte Kinder und Jugendliche Sorgen mache, die in einem gefährdeten Haushalt leben. Wie kann ich mit dieser Hilflosigkeit und meinen eigenen Grenzen als Helfer umgehen?

Zu hohe Erwartungen an mich selbst ablegen

Vielleicht fühle ich mich schuldig, weil ich vor der Corona-Pandemie meinen hilfsbedürftigen Eltern oder Freunden versprochen habe, für sie da zu sein. Oder ich kann nicht mehr die Hilfe leisten, die vorher so selbstverständlich war. Vielleicht bin ich selbst zuhause mit Homeoffice und zwei kleinen Kindern bereits überfordert. Es kann sein, dass ich denke, dass ich selbst Hilfe gebrauchen könnte.

Vielleicht plagt mich das Gefühl, dass ich mir nahestehende Menschen vernachlässige, die sich sonst auch immer sehr um mich gekümmert haben. Wichtig ist es mich zu fragen: Warum habe ich Schuldgefühle? Sind meine Schuldgefühle überhaupt angemessen? Gibt es einen Weg, allen Maßstäben, die ich habe, gerecht zu werden – oder sind meine Ansprüche utopisch und sollte ich sie etwas herunterschrauben?

Meine eigenen Grenzen akzeptieren

Ich merke, dass ich mit den Beschränkungen, die mir von außen gesetzt werden, leben muss. Es gilt die Pandemie einzudämmen. Zusätzlich spüre ich, dass ich selbst auch an meine Grenzen komme: Meine Zeit ist begrenzt, meine Fähigkeiten und Möglichkeiten sind begrenzt. Vielleicht habe ich Gedanken wie: „Ich bin doch verantwortlich!“, „Ich kann sie nicht im Stich lassen“ und „Ich bin daran schuld, wenn jetzt etwas passiert“. Darauf kann ich antworten, dass Grenzen wichtig sind und es nicht gut ist, wenn man diese überschreitet. Selbst wenn ich helfen könnte, aber gerade selbst überlastet bin – oder es jetzt wegen des Corona-Virus nicht darf – um andere Menschen zu schützen, dann hat dies auch einen Wert. Die Grenze ist sinnvoll und gut.

Indem ich mich an die Beschränkungen halte, die mir gegeben werden, sorge ich mich auch um das Wohl anderer Menschen als auch um mein eigenes. Ich kann nicht jede Hilfe leisten, die gebraucht wird. Mir hilft es dann zu wissen, dass ich nicht die letzte Anlaufstelle bin. Die letzte Anlaufstelle ist Gott.

Mich tröstet das Wissen, dass Gott sich für die Schwachen einsetzt (Vgl. Hesekiel 34,16) und dass nicht jede Hilfe von mir kommen muss. Für Gottes Eingreifen kann ich immer beten.

Wissen, Gott ist denen nahe, die sich hilflos fühlen

Wenn ein naher Verwandter oder Freund von mir gestorben ist – oder ich als Krankenschwester arbeite und zusehen musste, wie manchen Menschen nicht mehr geholfen werden konnte, tröstet mich die Hoffnung, dass Gott diesen Menschen begegnet ist. Gott sorgt sich um alle Menschen. Das hat sich darin gezeigt, als Gott in menschlicher Gestalt auf die Erde kam (Philipper 2,7). Jesus war innerlich bewegt als er Menschen sah, die erschöpft waren „wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Matthäus 9,36). Er starb aus Liebe zu uns Menschen. Meine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht, wird schon jetzt in mir wirksam und schenkt mir eine Lebenskraft, die meiner Hilflosigkeit etwas entgegensetzt.

Traurigkeit zulassen

Ich darf wissen: Es ist vollkommen okay, wenn ich darüber traurig bin, dass ich nicht helfen kann. Das Gefühl von Traurigkeit ist auch positiv. Es hilft mir, damit zurechtzukommen, dass nicht alles meinen Vorstellungen gerecht werden kann. Zu begreifen, dass es Dinge gibt, die ich schlicht und einfach nicht ändern kann. Manchmal kann es sehr lange dauern, zu akzeptieren, dass ich nicht alles stemmen kann.

Wenn das Gefühl von Traurigkeit mich überwältigt, hilft es mir, dass ich das, was mein Herz schwer macht, vor Gott bringe. Ich kann dafür beten, dass Gott mir hilft, wenn ich an mein Limit komme. Mit dem, was mir von außen auferlegt wird und dem, was mich innerlich bewegt.

Mit Menschen austauschen, die sich ähnlich fühlen

Mir kann es helfen, wenn ich mich mit Leuten austauschen kann, die sich ähnlich wie ich fühlen. Mich einfach einmal auszusprechen. Vielleicht hilft es mir, mit dem Gefühl klarzukommen, nicht helfen zu können und meine Hilflosigkeit zu akzeptieren. Vielleicht kann mir jemand ermutigende Worte zusprechen. Oder Ideen geben, was ich trotz der eingeschränkten Situation tun kann.

Kreative Lösungen suchen

Meiner Hilflosigkeit kann ich entgegenwirken, wenn ich kreativ bin: Auch wenn ich manche Menschen nicht persönlich sehen kann, kann ich trotzdem Kontakt halten. Ich kann mich bei einem alten Freund melden, den ich schon lange einmal anrufen wollte. Ich kann meine Bekannten per Videochat erreichen. Oder eine Postkarte verschicken. Sofern es mir möglich ist, kann ich Menschen in meiner Nachbarschaft beim Einkaufen unterstützen, die der Risikogruppe angehören. Ich kann das Gefühl vermitteln, dass wir zusammen durch die Krise gehen – und damit dem Gefühl der Einsamkeit entgegenwirken. Ich kann Menschen durch meine Worte ermutigen. Hoffnung und Liebe lassen sich auch so im beschränkten Rahmen weitergeben.


Um meiner Hilflosigkeit als Helfer entgegenzuwirken, hilft es mir, dass ich unrealistische Erwartungen, die ich habe, ablege. Dass ich meine Grenzen akzeptiere und wissen darf, dass ich nicht die letzte Anlaufstelle bin. Dass Gott neue Türen öffnen kann, bedürftigen Menschen zu helfen, weil es sein Anliegen ist, die Schwachen und Kranken zu schützen und zu stärken. Ich habe eine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Das Wissen, dass Gott mir nahe ist, lässt mich nicht in völliger Hilflosigkeit zurück. Ich kann Möglichkeiten entdecken, die ich trotz sozialen Einschränkungen habe und Menschen zum Segen werden – ein Hoffnungsträger sein.

 Micaela Kassen

Micaela Kassen

  |  Freie Mitarbeiterin

Theologin, studiert derzeit Psychologie und ist auf Kinder- und Jugendpsychologie spezialisiert. Sie hat als Lerntherapeutin gearbeitet und ist aktuell als Sozialarbeiterin in einer intensiv-pädagogischen Einrichtung tätig. Redaktionell setzt sie ihre Schwerpunkte auf die psychische Gesundheit und Kindererziehung. 

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Kommentare (2)

Gast /

@Klaus K.
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