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© Andrea Piacquadio / pexels.com

21.03.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Oliver Jeske

Ein Helfer in der Krise

Dieter Pietsch ist mehrfach gescheitert – und findet doch wieder Lebensmut. Was gibt ihm die Kraft?

Er ist ein Mann, der gerne hilft: Mit 15 Jahren kommt Dieter Pietsch zum Glauben an Jesus durch einen ehemaligen Hippie, der in die Jesus People-Szene fand. Nach dem Abitur studiert Pietsch Sozialpädagogik und steigt in die Suchtberatung ein. Der Zusammenhang zur Sucht in seiner eigenen Familie wird ihm erst später klar, als sein Bruder an den Folgen von dreckigen Drogen stirbt.

Sein Glaube hilft ihm, den Tod seines Bruders zu verarbeiten und er sehnt sich danach, dass der Glaube auch in seiner Arbeit eine größere Rolle spielt. Als Angestellter in der Suchtberatung merkt er: „Das reicht mir nicht. Ich will den Menschen auch die befreienden Inhalte des Evangeliums beibringen.“ So findet er zu IGNIS, der Deutschen Gesellschaft für christliche Psychologie, und lässt sich dort zum christlichen Therapeuten ausbilden. Mit einer Kollegin wagt er den Schritt in die Selbstständigkeit. Doch es kommt anders, als er denkt.

Dieter Sozialpädagoge und Therapeut Dieter Pietsch (Foto: ERF)
Sozialpädagoge und Therapeut Dieter Pietsch (Foto: ERF)

Oliver Jeske hat den Sozialpädagogen, Therapeuten und Coach durch eine Schulung kennen gelernt. Im Interview spricht er mit ihm über seine Erfahrungen als Therapeut in der Krise und darüber, was ihn aus seinen Krisen herausgeholfen hat.
 

ERF: Dieter, du hast den mutigen Schritt in die Selbständigkeit getan. So glatt, wie du dir es gewünscht hast, ist es aber nicht gelaufen. Was ist damals passiert?

Dieter Pietsch: Meine Kollegin und ich haben in den 90er Jahren eine eigene Praxis für christliche Psychologie, Beratung und Schulung eröffnet. Das lief inhaltlich, geistlich und therapeutisch, glaube ich, wirklich gut. Wir haben Dutzende von Seelsorgeschulungen in Norddeutschland gehalten und darüber hinaus viele Hunderte Klienten betreut, denen wir helfen konnten. Wir bekamen sehr gute Rückmeldungen. Wirtschaftlich wurde das Ganze aber immer schwieriger, weil die Krankenkassen Mitte der 90er Jahre wegen rechtlichen Veränderungen die Kostenübernahmen einstellten. Nur auf Spendenbasis konnte ich meine damals sechsköpfige Familie nicht mehr ernähren, sodass ich 1999 mit der Arbeit regelrecht pleiteging.

Am tiefsten Punkt spricht Gott

ERF: Du hast einmal gesagt, dass du im Prinzip zu groß angefangen hast. Wie hat sich das gezeigt?

Dieter Pietsch: Gott hatte mir Zusagen gegeben. Die habe ich damals in einer Weise interpretiert, die mich ein Stück weit beratungsresistent gegenüber guten Freunden machten. Sie wollten mir Rat geben, wie man so etwas unternehmerisch anpackt. Ich habe mich damals übernommen. Die Entscheidung, dieses übermäßige Risiko einzugehen, hat sich 1999 so drastisch ausgewirkt, dass ich nicht mehr weitermachen konnte. Das war bis dahin die größte Krise meines Lebens. Ich kämpfte jahrelang gegen den finanziellen Ruin.

Gott hat meine Arbeit trotzdem gesegnet und ich konnte vielen Menschen weiterhelfen, aber irgendwann ging es wirtschaftlich nicht mehr. Das hat mich in eine große finanzielle und psychische Not gebracht. Auch geistlich hat es mich verzweifeln lassen, sodass ich suizidale Gedanken hatte. Gott hat mich an meinem damaligen Tiefpunkt durch eine besondere Bibelstelle herausgeholt. In Lukas 22,32 sagt Jesus zu Petrus: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Dieses Wort hat mich tief getroffen und erreicht. Ich wusste, Gott sagt zu mir: „Hey, ich weiß, was du vorhast, ich hab dich durchschaut. Aber lass es sein. Ich bin da, ich halte dich.“

Ich hatte das Gefühl, als ob ich in eine Hand falle und es tiefer nicht gehen kann. Dieses sehr berührende Erlebnis hat in mir eine innere Wendung vollzogen, dass ich wusste: Es geht weiter. Gott trägt mich. Von da an ging es bei mir emotional und geistlich bergauf, obwohl sich die eigentliche Pleite erst später vollzog.

Ich wusste: Es geht weiter. Gott trägt mich.

ERF: Wie ging es dir damit, als Christ in einer Depression zu stecken und sogar suizidale Gedanken zu haben?

Dieter Pietsch: Zunächst war das für mich eine Katastrophe. Ich habe Gott nicht verstanden, denn ich meinte, seinen Willen getan zu haben. In dieser Zeit habe ich sehr gute, kompetente Hilfe erlebt durch meine Frau, gute Freunde und einen Seelsorger. Auch die Menschen in meiner Gemeinde haben mich nicht bequatscht, sondern haben viel für mich gebetet und waren einfach da, wenn ich jemanden brauchte. Wochen und Monate später verstand ich besser, was passiert war. Ich bin durch einen Prozess des Scheiterns gegangen und habe gemerkt: Auch in der Bibel gibt es viele Personen, die auf ihrem Weg mit Gott gescheitert sind. Gott hat sie durchgetragen und vieles, was bei diesen Menschen schiefgelaufen war, haben sie oft erst im Nachhinein erkannt.

 

ERF: Wenn jemand Depressionen hat und darüber nachdenkt, ob das eigene Leben überhaupt noch Sinn hat, gilt: Es gibt immer Hilfe und die sollte man sich auch suchen. Was sagst du dazu?

Dieter Pietsch: Ja, absolut. Das ist ganz wichtig. Damals um die Jahrtausendwende habe ich es mit guter seelsorgerlicher und geistlicher Hilfe geschafft. 2017 und 2019 habe ich noch einmal eine Zeit erlebt, in der ich erneut in Depression gefallen bin. Damals war es die über 30-jährige Arbeit in der direkten Suchthilfe, die mich körperlich und emotional erschöpft hat. Da wusste ich: Jetzt reicht Seelsorge allein nicht aus, jetzt brauchst du professionelle Hilfe. Ich habe mich in ärztliche Hilfe begeben und habe mich selbst freiwillig in eine christliche Klinik einweisen lassen.

Dort habe ich gute Hilfe bekommen und gemerkt, dass ich mein Leben ändern muss. Ich war schon in meinen 50ern und habe mein Arbeitsumfeld geändert und meine Arbeit reduziert. Auch geistlich habe ich einige Dinge tiefer verstanden und meinen Lebensstil verändert. 2019 musste ich noch einmal nachjustieren, als ich wieder in eine Erschöpfung kam. Das führte dazu, dass ich aus der damaligen Arbeitssituation endgültig ausstieg.

Heute: Berater für Großunternehmen

ERF: Wie hast du den Weg aus der finanziellen Krise herausgefunden?

Dieter Pietsch: Zunächst mussten wir durch ein Insolvenzverfahren. Das waren damals noch mindestens sechs, sieben Jahre. Ich bin wieder ins Angestelltenverhältnis zurückgegangen und habe mir allmählich wieder eine berufliche und finanzielle Existenz aufgebaut. Das hat mit der Zeit auch geklappt und ich habe die entsprechenden Lehren aus meiner damaligen Krisenzeit gezogen, auch was wirtschaftliches Verhalten angeht. Heute geht es uns wieder richtig gut. Das hätte ich in der Weise früher nicht für möglich gehalten.

Vor circa 15 Jahren bin ich dann in den Bereich der betrieblichen Suchthilfe eingestiegen. Ich wurde gefragt, ob ich meine Erfahrungen in einem großen Unternehmen in Kiel einbringen könne. Das hat sich so gut entwickelt, dass ich heute in diesem Bereich als Selbstständiger bundesweit Großunternehmen in puncto Betriebsvereinbarung zum Thema Sucht berate. Ich helfe ihnen, dieses Thema auf die Beine zu stellen und schule die Führungskräfte. Ich stehe auch vielen Unternehmen im norddeutschen Raum als Lebenslagen-Coach zur Verfügung in Bezug auf Lebenskrisen, insbesondere bei Suchtproblemen.
 

ERF: Du beschäftigst dich in deiner Arbeit also seit Jahrzehnten mit herausfordernden Themen, Krisen und Süchten. Was gibt dir Kraft für diese Arbeit?

Dieter Pietsch: Ich habe inzwischen gelernt, in dieser doch sehr anstrengenden Tätigkeit auf genügend Ausgleich und Erholungszeiten zu achten. Ich fülle die sogenannten Resilienzfaktoren auf durch körperliche Aktivität, den Freundeskreis, die Gemeinde und so weiter. Aber ein ganz wesentlicher Faktor ist die Gemeinschaft mit Jesus, in der ich mir seine Energie und Liebe für die Menschen schenken lasse. Das erlebe ich, wenn ich bete oder mich mit dem Wort Gottes beschäftige. Gottes Agape-Liebe ist ja eine andere Qualität als die menschliche Liebe. Ich habe dann den starken Willen, anderen Gutes zu tun. Sie wirkt unabhängig davon, ob ich Menschen sympathisch finde oder wie sie sich verhalten. Diese Art der Liebe und der Energie hat mich jahrzehntelang zu meiner Arbeit befähigt.

Sie denken an Suizid, machen sich um jemanden Sorgen oder haben einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Hier finden Sie Erste-Hilfe-Tipps, Notfallkontakte und Hilfsangebote.

Sie stecken in einer schwierigen Lebenssituation und suchen konkrete Hilfe? Schreiben Sie uns eine E-Mail oder nutzen Sie unser Seelsorge-Portal

Wenn Sie persönlichen Kontakt zu Dieter Pietsch aufnehmen möchten, erreichen Sie ihn über den Verein für Seelsorge und Therapie Norddeutschland e.V. oder die Betriebliche Gesundheitsförderung ELIM.

 Oliver Jeske

Oliver Jeske

  |  Redakteur

Sprachlich Hannoveraner, seit einem Vierteljahrhundert in Berlin zu Hause, liebt er Jesus, Tanzen mit seiner Frau, Nordsee-Spaziergänge mit seinen Söhnen und leckeren Fisch. Von Gott ist er fasziniert, weil der ihn immer wieder überrascht und im wahrsten Sinne des Wortes beGEISTert.

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