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© unsplash.com / anniespratt, gettyimages.com / iStock / Getty Images Plus / estherpoon, Stuke/ERF

13.03.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Joachim Bär

„Ich will nicht oberflächlich sein“

Tassilo Harrjes hat erlebt: In der Ehrlichkeit schlummert das Potenzial.

Tassilo Harrjes ist 29 Jahre alt arbeitet als Mediengestalter bei ERF Plus. Da die Ehrlichkeit schon in den 10 Geboten verankert ist, versucht er sie als Christ in seinem Alltag nicht zu vergessen.


ERF: Tassilo, Achtung Fangfrage: Wie geht es dir?

Tassilo Harrjes: Ganz gut. Ich bin gut ins neue Jahr gestartet und war dann noch etwas krank, aber das wird wieder.
 

ERF: War das jetzt eine ehrliche Antwort?

Tassilo Harrjes: Ja, ich habe dir tatsächlich erzählt, wie es mir geht. Vor ein paar Wochen hättest du zum Beispiel eine ganz andere Antwort bekommen. Jetzt aber bin ich motiviert in die Woche gestartet – mir geht es gut.

Gibt es Menschen, denen es immer gut geht?

ERF: Du hast also eine ehrliche Antwort gegeben auf eine Frage, die man auch als Floskel verstehen könnte…

Tassilo Harrjes: Das versuche ich immer so. Wenn du mich fragst, wie es mir geht, musst du damit rechnen, dass ich sage: Gar nicht gut! Floskeln nerven mich, ich gebe eine klare Antwort auf die Frage.
 

ERF: Viele Menschen antworten nicht so ehrlich – warum ist das bei dir anders?

Tassilo Harrjes: Weil ich nicht oberflächlich sein möchte. Natürlich werde ich niemandem meine gesamte Lebensgeschichte erzählen, wenn es mir nicht gut geht. Ich will aber ehrlich antworten. Außerdem: Bei Menschen, denen es immer gut geht, da stimmt irgendetwas nicht. (lacht)
 

ERF: Das sitzt.

Tassilo Harrjes: Naja, schon bei der einfachen Frage, wie es mir geht, werden oft die schweren Tage untern Tisch gekehrt. Warum? Ich denke: Viele wollen gar nicht wirklich wissen, wie es mir geht und hoffen, mit der Frage auf keine größeren Probleme zu stoßen.
 

ERF: So ein „Wie geht es dir?“ ist ja oft nicht viel mehr als ein „Hallo!“

Tassilo Harrjes: Stimmt, und bei so einem Hallo brauche ich nicht weiter nachhaken. Trotzdem ist es eine Frage. Und die will ich ernst nehmen.
 

ERF: Bist du manchmal in der Versuchung, nicht die Wahrheit zu sagen, weil es bequemer ist?

Tassilo Harrjes: Natürlich. Das passiert mir auch und passiert, glaube ich, vielen anderen.
 

ERF: Ist so eine kleine Notlüge eine gute Lösung für diese Situationen?

Tassilo Harrjes: Nein, natürlich nicht. Ich bin in diesem Moment ja unehrlich und denke nur an mich. Vielleicht meint mein Gegenüber die Frage ernst und will wirklich wissen, wie es mir geht. Und ich? Hab keinen Bock auf Smalltalk, weil es mir nicht gut geht.

Unehrlichkeit nimmt uns Chancen

ERF: Wir nehmen uns also die Chance auf eine tiefere Begegnung, wenn wir nicht ehrlich sind?

Tassilo Harrjes: Spielen wir das mal durch: Ich stehe auf und mir geht es nicht gut. Dann bete ich vielleicht sogar zu Gott und sage ihm: „Gott, heute ist kein guter Tag, gib mir bitte die Kraft, den Tag durchzustehen!“ Dann gehe ich arbeiten und jemand fragt mich, was los ist. Vielleicht hat Gott mir genau diese Person geschickt, um mir in dem Moment zu helfen. Durch Unehrlichkeit verbaue ich mir diese Möglichkeit.

Vielleicht hat Gott mir genau diese Person geschickt, um mir in dem Moment zu helfen. Durch Unehrlichkeit verbaue ich mir diese Möglichkeit.

ERF: Hat sich Ehrlichkeit für dich schon oft bezahlt gemacht?

Tassilo Harrjes: Mir kommt jetzt kein perfektes Beispiel in den Sinn. Aber so manches tiefgründige Gespräch ist genau dadurch entstanden, dass ich spontan ehrlich war. Genau dann kann ich oft auch etwas Neues lernen.
 

ERF: Gegenfrage: Hat dir deine ehrliche Art auch schon mal Nachteile gebracht?

Tassilo Harrjes: Manchmal. Ich bin mit dem Internet aufgewachsen und habe da losen Bekanntschaften schon so manches erzählt, bei dem ich im Nachhinein gedacht habe: Da hätte ich lieber mal die Klappe gehalten.

Das passiert mir weniger mit Leuten, die ich tagtäglich treffe. Da hinterfrage ich mich mehr: Was ist jetzt richtig, hat er das jetzt richtig verstanden oder habe ich was Falsches gesagt?

Muss man immer sagen, was wahr ist?

ERF: Hast du einen Verdacht, warum die Ehrlichkeit bei näherstehenden Menschen manchmal schwerer fällt?

Tassilo Harrjes: Klar! Ich kann ihnen nicht aus dem Weg gehen. Wenn ich einem Arbeitskollegen etwas erzähle, was mir dann unangenehm ist, kann ich dem Thema ja morgen nicht aus dem Weg gehen oder müsste es aufwändig klären. Ich mache mich durch Ehrlichkeit verletzlich, ich zeige etwas von mir.

Ich mache mich durch Ehrlichkeit verletzlich, ich zeige etwas von mir.

ERF: Da stellt sich die Frage: Muss man immer sagen, was wahr ist?

Tassilo Harrjes: Nein. Die eine Sache ist es ja, wenn mich jemand direkt etwas fragt, beispielsweise: „Tassilo, wie sehe ich in der Hose aus?“ Da kann ich direkt sagen: „Sieht sch… aus!“ Das wäre die Wahrheit. Oder ich sage: „Die Hose steht dir nicht so gut, vielleicht findest du noch eine andere?“

Ich kann das Ganze also auch galant ausdrücken und es ist auch wahr. Außerdem muss ich einem Fremden ja nicht ungefragt aufs Auge drücken, dass seine Hose nicht sitzt. Wenn es aber eine Person ist, die mir am Herzen liegt, kann ich sie liebevoll darauf hinweisen.
 

ERF: Wir sind am Ende des Gesprächs: Wie geht es dir jetzt?

Tassilo Harrjes: Besser!
 

ERF: Warum denn das?

Tassilo Harrjes: Ich schätze es, wenn ich mit jemandem über solche Themen sprechen kann. Gerade, wenn er Verständnis für so etwas hat und etwas aus mir rauskitzeln kann. Denn ganz ehrlich: Ich bin selbst gerade verwundert, wo wir beim Thema Ehrlichkeit gelandet sind!
 

ERF: Danke für dieses Gespräch – und für deine ehrliche Rückmeldung!

 Joachim Bär

Joachim Bär

Joachim Bär war Unit Lead von erf.de und hat die übergreifenden Themen der redaktionellen Angebote des ERF koordiniert. Er ist Theologe und Redakteur, verheiratet und hat zwei Kinder.

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Kommentare (1)

Dennis /

"Ich kann das Ganze also auch galant ausdrücken und es ist auch wahr. Außerdem muss ich einem Fremden ja nicht ungefragt aufs Auge drücken, dass seine Hose nicht sitzt. Wenn es aber eine Person ist, mehr

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