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© Gabriella Clare Marino / unsplash.com

16.10.2020 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Wenn's mal wieder menschelt

Dankbar sein für die Gemeinde – nicht trotz, sondern wegen der Menschen.

In „Gemeinde“ steckt das Wort „gemein“ drin. Das kann kein Zufall sein. Ich habe schon so manche Gemeinheit in Gemeinden erlebt oder bin dort Menschen begegnet, die sich nach meiner Auffassung gemein verhalten haben. Und dann war ich enttäuscht, weil ich eine Art Abglanz himmlischer Gemeinschaft erwartet hatte, gelebtes Reich Gottes auf Erden, nur um am Ende festzustellen, dass es auch in Gemeinden, wie überall sonst, fürchterlich menschelt.

Schade.
 

Es gehört eine gewisse Naivität dazu, um zu glauben, dass die Schilderung aus der Apostelgeschichte zu jeder Zeit die volle Wahrheit abbildet:

Gemeinsam beteten sie täglich im Tempel zu Gott, trafen sich zur Mahlfeier in den Häusern und nahmen gemeinsam die Mahlzeiten ein, bei denen es fröhlich zuging und großzügig geteilt wurde. Sie hörten nicht auf, Gott zu loben, und waren bei den Leuten angesehen. Und jeden Tag fügte der Herr neue Menschen hinzu, die gerettet wurden. (Apostelgeschichte 2,46-47)

Konflikte sind vorprogrammiert

Das, was hier wie das Idealbild einer christlichen Gemeinde anklingt, ist nur ein Ausschnitt aus der Anfangszeit, der ersten Liebe, dieser Gemeinschaft. Später wird in der Apostelgeschichte beschrieben, dass in diesen fröhlichen und großzügigen Reihen Konflikte aufgetreten sind. Denn wo Menschen mit ihren unterschiedlichen Vorstellungswelten, Prägungen, Werten und Temperamenten zusammenkommen, wird es – bei aller Liebe – zu Konflikten kommen.

Die Anwesenheit des Heiligen Geistes bedingt nicht automatisch die Abwesenheit menschlicher Konflikte. Nicht einmal dort, wo Jesus anwesend war, sind Reibereien ausgeblieben. Petrus war vorlaut, Marta meckerte über ihre Schwester und Johannes und Jakobus verursachten mit ihrem Wunsch nach einer himmlischen Extrawurst bei den übrigen Jüngern genervtes Augenrollen. Klingt das etwa konfliktfrei?

Es gibt wohl keine christliche Gemeinde, die völlig ohne Konflikte auskommt. Und selbst, wenn alle Mitglieder einen Heiligenschein in Flutlichtqualität tragen, bleibt es nicht aus, dass sie sich gegenseitig damit blenden. Wo unperfekte Menschen aufeinandertreffen, entsteht unperfekte Gemeinschaft. Nichts anderes darf man von einer Gemeinde erwarten.

Wer sich der Illusion entledigt, dass es in einer christlichen Gemeinde hier auf Erden immer so zu laufen hätte wie in Apostelgeschichte 2, der ebnet sich damit selbst den Weg zu mehr Dankbarkeit. Anstatt auf dem gebohnerten Parkett der Erwartung auszurutschen, finden seine Füße Halt im rauen Profil der Realität.

Wo unperfekte Menschen aufeinandertreffen, entsteht unperfekte Gemeinschaft. Nichts anderes darf man von einer Gemeinde erwarten.

Woraus besteht Gemeinde?

Ich möchte an dieser Stelle von einem Freund erzählen, der dankbar für seine Gemeinde ist. Wenn er von seiner ersten Gemeinde berichtet, dann funkeln seine Augen. Ein bisschen so, als würde er von seiner ersten Liebe sprechen. Er nennt diese christliche Gemeinde, der er in seiner Heimat angehört hat, liebevoll seine „Megachurch“.

Dann funkeln seine Augen noch ein wenig mehr, schelmisch. Denn seine „Megachurch“ bestand nicht aus 3.000 oder 4.000 Mitgliedern, wie man sich das bei diesem Begriff denken würde. „Wir waren eher drei oder vier.“ Die Gemeinde befand sich nicht auf amerikanischem oder europäischem Boden, in einem Palast aus Glas und Stahl. Die Gemeinde unseres Freundes war eine Untergrundkirche in einem Wohnzimmer irgendwo in Pakistan. Dort hat er seine frühen Glaubensschritte gemacht, wurde im Glauben unterrichtet und ermutigt.

Heute hat unser Freund selbst etliche solcher „Megachurches“ gegründet. In engen Schlafzimmern, in Gemeinschaftsräumen und Wohncontainern von Asylbewerberunterkünften quer durch Deutschland. Die Menschen in diesen Gemeinden sind erst seit kurzer Zeit im Land. Viele von ihnen waren vorher Muslime, sprechen Farsi, Dari oder Arabisch. Mit seiner „Church on the Road“, wie unser Freund seinen Dienst nennt, reist er umher, besucht die kleinen Gemeinschaften und gründet auf dem Weg immer wieder neue.

Wenn wir gemeinsam beten, dankt unser Freund Gott für die Gemeinden, mit denen er verbunden ist. Er dankt für die Menschen, die Jesus kennenglernt haben und sich nun in seinem Namen versammeln. Dabei verliert er kein Wort darüber, wie es in den Gemeinden „läuft“. Ob sie stagnieren oder wachsen, ob dort Harmonie oder Streit herrscht, ob die Menschen dort „etwas bewegen“ oder im eigenen Saft schmoren – in erster Linie ist unser Freund dankbar dafür, dass es die Gemeinden überhaupt gibt und er bittet um Gottes Segen für diese Gruppen. Jeder Mensch ist ein Grund zur Dankbarkeit

Dieser Freund hat mir neu vor Augen geführt: Es ist egal, ob meine Gemeinde in einem Kirchengebäude, einer alten Fabrikhalle, einem Wohnzimmer oder unter freiem Himmel beherbergt ist. Es ist egal, ob die Menschen dort meinem akademischen Niveau entsprechen oder überhaupt meine Sprache beherrschen, ob sie geistliche Überflieger oder gerade erst zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind.

Es ist egal, wie die Gemeinde finanziell ausgestattet ist, ob sie sich bei den Stadtfunktionären beliebt macht, in der Zeitung auftaucht oder für die Gottesdienste immer wieder zusätzliche Stühle organisieren muss. Das alles sind in Sachen Dankbarkeit für die Gemeinde nicht die entscheidenden Faktoren.

Ich habe durch diesen Freund gelernt, in erster Linie dankbar zu sein, für die Menschen in der Gemeinde. Dass dort Menschen hinkommen. Jeder Mensch, der eine Gemeinde besucht, ist ein Grund für Dankbarkeit. Denn dieser Mensch befindet sich sehr wahrscheinlich irgendwo auf einem Weg mit Gott und zu Gott hin. Für jeden Menschen ist Jesus Christus gestorben und auferstanden. Darum gilt:

Weder alt noch jung, weder arm noch reich noch berufliches Ansehen oder m/w/d, weder sympathisch noch unsympathisch, weder gesetzestreu noch kriminell noch irgendeine andere Eigenschaft kann einen Menschen von der Liebe Gottes trennen, die in Christus Jesus, unserem Herrn, erschienen ist.

Deshalb ist jeder Mensch in einer Gemeinde ein Grund für Dankbarkeit. Und deshalb ist es möglich, dankbar für die Gemeinde zu sein. Für diese Ansammlung unperfekter Menschen, die zwar allzu oft Schwierigkeiten haben, sich untereinander zu lieben, aber jeder für sich von Gott geliebt ist.
 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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