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© Brooke Cagle / unsplash.com

14.04.2011 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Lucia Ewald

Glaube, der gesund macht

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein erklärt, warum Christen Patienten auf Lebenszeit sind – und warum er Gott als guten Arzt empfiehlt.

 

ERF: Glaube kann gesund oder krank machen. Was verstehen Sie unter gesundem Glauben?

Hans-Joachim Eckstein: Der Begriff „gesunder Glaube“ hat zwei Aspekte. Einerseits die Frage: Wie kann ein Glaube gesund sein oder krank? Andererseits: Was ändert der Glaube an meiner Krankheit? Wie kann er Gesundheit fördern?
 

ERF: Was macht einen gesunden Glauben aus?

Hans-Joachim Eckstein: Ein gesunder Glaube ist ein Glaube, der uns in unserem Leben weiter bringt und der uns in einem umfassenden Sinne gesund macht. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er mich sogleich beziehungsfähig macht und mich außerdem dazu befähigt, in all meinen Lebensbezügen freier und lebendiger zu sein.

Gesunder Glaube macht mich beziehungsfähig, frei und lebendig.

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein


ERF: Wie sieht im Gegensatz dazu ungesunder Glaube aus?

Hans-Joachim Eckstein: Ich habe im Gespräch mit vielen Menschen die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich nicht nur trotz ihres Glaubens ungesund fühlen, eingeschränkt und deprimiert sind, sondern manchmal mit ihrem Glauben. Einige sagen sogar, dass sie durch die Art, wie sie glaubten, krank geworden sind.
 

ERF: Wie finde ich heraus, ob mein Glaube gesund ist?

Hans-Joachim Eckstein: Man muss sich selber kritisch fragen: Trägt der Glaube zu meiner Lebens- und Persönlichkeitsentfaltung bei? Macht er mich fähiger und mutiger für meinen Alltag? Oder kommt er als eine zusätzliche Belastung in mein Leben, wirkt er bremsend und niederdrückend?
 

ERF: Wenn letzteres tatsächlich der Fall ist, an was liegt das? Wo gehe ich mit so einer Problematik hin?

Hans-Joachim Eckstein: Glauben heißt für wahr halten und das kann sich in zwei entgegengesetzten Wegen äußern. Entweder ist Glauben etwas, dass ich mir vornehme, frei nach dem Motto: „Ich muss glauben“ oder „Ich muss mehr glauben“. Dann wird der Glauben zu einer Leistung, die ich mir abverlange.

Oder ich verstehe, dass Glauben Vertrauen bedeutet und keine Leistung ist, die in mir gründet. Diese zweite Form des Glaubens ist dann in der Tat ein sich loslassen bei Gott, sich von Gott her bestimmen lassen und sich von Gott her verstehen. Das führt zu einem gesunden Glauben, weil es ein entlastender Glaube ist.

Ein Teufelskreis, der krank macht

ERF: Angenommen ich werde durch bestimmte Ereignisse in meinem Leben depressiv. Dann wird mir gesagt, dass ich als Christ nicht depressiv sein darf, weil ich Jesus kenne. Wenn ich aber trotzdem noch depressiv bin, macht mich das nicht sogar noch kränker?

Hans-Joachim Eckstein: Das ist ein Zusammenhang, der mir in Gesprächen sehr oft begegnet. Weil Menschen Hilfe suchen, macht sie die Zusage, dass ihr Glaube ihnen helfen kann, wenn sie nur genug glauben, zunächst ganz zuversichtlich. Später überfordert sie das aber. Dann entsteht etwas, dass man im Wortsinn tatsächlich als Teufelskreis beschreiben kann. Je enttäuschter ich bin, desto mehr Druck mache ich mir. Je mehr Druck ich mir mache, desto kränker werde ich an Leib, Seele und Geist. Das wird eine Spirale, die einen bis zur Depression oder zum Burnout-Syndrom bringen kann. Religion als Leistung und Frömmigkeit als Überforderung des Menschen machen die Dinge oft noch schlimmer.

Religion als Leistung und Frömmigkeit als Überforderung des Menschen machen die Dinge oft noch schlimmer.

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein


ERF: Eine Bekannte ist in einer sehr frommen, gläubigen Familie groß geworden und hat dieser auch sehr viel zu verdanken. Ihr wurde häufig gesagt: „Du darfst dies und jenes nicht“. Sie musste sich von vielen Schuldgefühlen befreien und trotzdem ist ihr Gottesbild von vielen Verhaltensregeln aus der Kindheit überlagert. Haben sie dies auch in der Seelsorge erlebt?

Hans-Joachim Eckstein: Wir müssen uns selbst fragen, ob unser Gottesbild tatsächlich das Gottesbild des Neuen Testamentes ist. Das ist ein Lernprozess, der in sich selbst zunächst irritierend ist. Denn man sagt sich natürlich, dass die eigene Vorstellung von Gott mit Gott identisch ist. Aber wenn wir genau hinschauen, ist das genau das, was die Propheten des Alten Testaments sagten: Gott ist kein Mensch und Gott lässt sich nicht abbilden. Wir müssen die Gottesbilder, die wir haben, und Gott selbst unterscheiden. Ich glaube, dass diese Unterscheidungsfähigkeit eine Form des Erwachsenwerdens ist.

Habe ich einen liebevollen Vater oder Großvater gehabt und denke Gott in dieser Weise, ist das Verschmelzen von Gott und dem Gottesbild nicht weiter gefährlich. Es ist nur naiv kindlich. Wenn ich aber Autoritäten erlebt habe, die sehr abwertend und sehr einschränkend waren und mich außerdem nur sehr bedingt anerkannt haben, dann ist es befreiend und notwendig zu erkennen, dass der Vater Jesu Christi anders als diese ist. Das ist ein Prozess der Aufklärung. Ich muss mich im Evangelium, in der Gemeinschaft und im eigenen Leben jenseits der Gottesbilder auf die Suche nach Gott selbst machen.

Heilung in und durch die Gemeinschaft

ERF: Wie können diese Gottesbilder verändert werden und der Mensch quasi theologisch gesunden?

Hans-Joachim Eckstein: Es sind wohl zwei Wege. Der erste Weg ist die gedankliche, vernunftbetonte Auseinandersetzung, was zunächst nach Arbeit und Studieren klingt. Aber es ist sehr befreiend und auch ganz unumgänglich, dass ich mir die Gefühle anschaue, die mich beängstigen, einschränken und dunkel machen. Ich muss mir die Frage stellen, wo das Gefühl, die Botschaft oder die Abwertung her kommen.

Der zweite Weg ist die gelebte Gemeinschaft. Hier brauche ich die Erfahrung, dass ich angenommen und bejaht bin. Man kann es vielleicht auf die Formel bringen: In der menschlichen Liebe, die immer unvollkommen bleibt, wird mir die Liebe Gottes, die unsichtbar, aber vollkommen ist, greifbar. Insofern können wir selber nur gedanklich weiterkommen und gesund im Glauben werden, wenn wir zugleich eine Erfahrung von Gemeinschaft haben.

In der menschlichen Liebe, die immer unvollkommen bleibt, wird mir Gottes unsichtbare, vollkommene Liebe greifbar.

Prof. Dr. Hans Ecktstein


ERF: Setzen in dieser Gemeinschaft dann auch Heilungsprozesse ein?

Hans-Joachim Eckstein: Das Heilwerden ist eine Gemeinschaftserfahrung und ein Prozess. Gemeinschaft lebt nicht von Vollkommenheit, sondern von Vertrauen, Beziehung und Zuwendung. Viele Christen haben das Missverständnis, dass zum Glauben kommen bedeutet, dass ich vom Patienten zum Arzt werde und das möglichst über Nacht. Aber Gemeinde würde ich als die Gemeinschaft all der Patienten definieren, die sich gegenseitig den guten Arzt, nämlich Gott, empfehlen und sich gegenseitig zu ihm begleiten.

Gemeinde ist die Gemeinschaft all der Patienten, die sich gegenseitig den guten Arzt, nämlich Gott, empfehlen und sich gegenseitig zu ihm begleiten.

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein
 

Es erfordert Geduld zu verstehen, dass wir immer Patienten bleiben und damit immer unterwegs sein werden. Wir müssen aber auch nicht vollkommen sein. Denn dieser Perfektionismus rührt von dem falschen Liebesverständnis her, dass ich erst geliebt werde, wenn ich richtig bin. Insofern ist die Liebe das, was gesund macht. Ich lerne, krank, schwach und unterwegs sein zu dürfen und dennoch schon in der Liebe angekommen zu sein.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview basiert auf dem Buch Gesund im Glauben, das Sie bei Ecksteinproduction käuflich erwerben können.

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Kommentare (4)

Wilhelm P. /

Das wichtigste am Glauben ist, das tägliche lesen in der Bibel, mit dem Heiligen Geist der sie auslegt und das anschließende verstoffwechseln des Wortes Gottes, es zu praktizieren, zu proklamieren mehr

Ursula K. /

dieses thema spricht mich an,so deutlich und klare weitersage,auf einfache art und weise,tut mir so gut sowas zu lesen in meinem alter an lebensjahr und glaubensjahre vielen dank

G Weller /

Sehr empfehlendswert und auch gerade für langjährig Glaubende nützlich.
Auch Pfarrer und Religionslehrer könnten dieses Buch als Pädagogikhilfe brauchen.

Elisandro Rheinheimer /

Guten Abend. Sehr interessant. Dieses Interview hat mich beeindruckt und das Buch hat mich interessiert. Hat mir spesiell gefallen der Satz "Gemeinschaft lebt nicht von Vollkommenheit, sondern von mehr

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