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21.06.2012 / Wicca / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Anika Lepski

Wicca – Hexen der Neuzeit

Zur Sommersonnenwende ein kleiner Überblick über das Phänomen „Wicca“ und seine Herkunft.

In dieser Woche nähert sich die Sonne ihrem jährlichen Höchststand über dem Horizont, danach werden die Tage auf der Nordhalbkugel wieder kürzer. Während man der Sommersonnenwende in Deutschland wenig Beachtung schenkt, wird sie in Skandinavien und dem Baltikum noch heute gefeiert.1 Verwunderlich ist das anhaltende Brauchtum nicht, werden doch zu dieser Jahreszeit weiter im Norden die Nächte kaum dunkel. In Schweden ist Mittsommer nach Weihnachten, das um die Wintersonnenwende herum gefeiert wird, sogar das zweitgrößte Fest des Jahres.2
 

Auch in der neuheidnischen Bewegung ist dieser Tag ein Anlass, Feierlichkeiten zu begehen und Feuer zu entzünden. Wer aber sind diese Menschen, für die dieser Tag eine besondere Bedeutung hat?

Das geheime Wissen der Wicca

Jahreskreisfeste werden von vielen neuheidnischen Religionen gefeiert. Diese lassen sich meist den Naturreligionen zuordnen, weil sie sich maßgeblich am Lauf der Natur orientieren und nach dem Einssein mit der Natur streben.

Unter Neuheidentum (auch Neopaganismus) versteht man die im 20. Jahrhundert aufgekommenen religiösen Bewegungen, die sich an alten Religionen orientieren, wie etwa den keltischen oder den germanischen. Über die alten Religionen im Norden und Westen Europas ist insgesamt recht wenig bekannt. Sie waren polytheistische Religionen. Aber im Gegensatz zu Annahmen einiger neuheidnischer Gruppierungen gab es vermutlich nie eine einheitliche keltische oder germanische Religion. Aufgrund der lückenhaften Quellenlage ist viel Raum für Spekulation gegeben, der die Mythenbildung bei den neugermanischen Religionen begünstigt.

Eine dieser Gruppierungen sind die Wicca. Wicca glauben an eine gesamteuropäische Urreligion, in der Frauen eine besondere Position innehatten und die erst durch das Christentum verdrängt und zerstört worden ist.3 Die im Mittelalter verfolgten und verbrannten Frauen seien Nachfahren jener alten Göttinnenverehrer gewesen und hätten geheimes Wissen über die Jahrhunderte hinweg bewahrt.

Durch die Hexenverfolgung fast vernichtet, traten die Verehrer jener alten Kulte erst im 19. Jahrhundert wieder in die Öffentlichkeit. Ihren eigenen Behauptungen zufolge wurden die Begründer zweier wichtiger Richtungen des Wicca, Gerald B. Gardner (1884-1964) und Alex Sanders (1926-1988), durch Vertreter dieser im Untergrund weiterexistierenden Traditionen als Wicca initiiert. Von Gerald Gardner stammen viele Teile des „Buchs der Schatten“, das als Arbeitsbuch der Wicca gilt. Durch seine Bekanntschaft mit Aleister Crowley floss dessen Philosophie in den ethischen Grundgedanken „Tu, was du willst, solange du niemandem schadest“ des Wicca-Kultes ein.4 Hauptschriften der Wicca sind neben dem „Buch der Schatten“ die Bücher von Starhawk, einer bekannten Hexe aus den USA, vor allem „Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin“.5
 

Mitglied der Wicca wird man über eine Initiation. Es ist üblich, sich in einem Coven („Hexenzirkel“ oder Arbeitskreis) mit maximal 13 Personen anzuschließen, dem ein Hohepriester und eine Hohepriesterin vorstehen.6 Die zwei wichtigsten Traditionslinien, nach denen praktiziert wird, sind die gardnerianische Linie (nach Gardner) und die alexandrische (nach Sanders).

Rituale, Magie und Glauben

Ein Ritualzirkel. (Bild: Kareesa Tofa [CC-BY-SA-3.0-de])
Ein Ritualzirkel. (Bild: Kareesa Tofa [CC-BY-SA-3.0-de])

Für die Wicca haben Rituale eine wichtige Bedeutung. Sie finden meistens nachts und in der Natur statt. Zu Beginn eines Rituals wird ein magischer Kreis gezogen, der vor schlechten Energien und bösen Geistwesen schützen soll. Man ruft während des Kreisziehens die vier Elemente in den vier Himmelsrichtungen an und bittet anschließend die Göttin und den Gott, in den Kreis zu kommen.

Für die Gestaltung des weiteren Rituals orientiert man sich an den Jahreszeiten und an Ritualbüchern.7 Meditative Versenkung in die Kräfte der Natur und in die eigene Seele spielt für die Wicca ebenso eine Rolle wie das Legen von Tarotkarten oder das Durchführen von magischen Praktiken.8 Die Zauberei und das Tarotlegen sollen vor allem Orientierung im Leben geben oder bei alltäglichen Problemen und der Heilung von Krankheiten helfen.

Die meisten Wicca unterteilen in sogenannte weiße, graue und schwarze Magie, wobei die weiße zu positiven Zwecken eingesetzt wird und die schwarze schaden soll. Ein Mischfeld („graue Magie“) ist der Liebeszauber, da er grundsätzlich positive Ziele hat, dabei aber andere Menschen manipuliert. Schwarze Magie wird von den Wicca allerdings abgelehnt.9

Was den Wicca-Kult von den Weltreligionen unterscheidet, ist die gewollte Vielzahl der Glaubensrichtungen. Während manche die Göttin und den Gott als Persönlichkeiten anbeten, sehen andere in ihnen nicht mehr als Symbole. Die meisten verehren ganz allgemein die Kraft, die in der Natur liegt, andere setzen die Natur mit der Göttin gleich. Neben der generellen Verehrung der Natur zeichnen sie sich aber auch durch eine anti-patriarchalische und bewusst synkretistische Haltung aus.10

Der Jahreskreis – im Einklang mit der Natur

Ein Altar der Wicca. (Bild: RaeVynn Sands [CC-BY-SA-2.0-de])
Ein Altar der Wicca. (Bild: RaeVynn Sands [CC-BY-SA-2.0-de])

Acht Feste werden bei den Wicca im Lauf des Jahres gefeiert. Die Feste orientieren sich am Wachsen der Natur und an den Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen. Hinter den jahreszeitlichen Daten steht der Mythos von der Göttin und dem Gott. Der Gott, den man als einen Gott der Natur und Fruchtbarkeit versteht, wird an Yule (Weihnachten/Wintersonnenwende) von der Göttin geboren.

In der Nacht auf den ersten Mai (Walpurgisnacht/Beltaine), dem Beginn des Frühlings und der fruchtbaren Zeit, vereinigt sich der Gott mit der Göttin und zeugt sich selbst. Zur Sommersonnenwende (Johannistag/Litha) ist der Gott auf dem Höhepunkt seiner Kraft, die nun immer weiter nachlassen wird, bis er in der Nacht zum 1. November (Allerheiligen/Halloween/Samhain) stirbt. An Yule wird er schließlich von der Göttin wiedergeboren, um erneut einen Jahreskreis zu durchlaufen.11

Anhand der in Klammern angegebenen verschiedenen Namen wird deutlich, dass solche Feste eine lange kulturgeschichtliche Bedeutung in Europa haben und oftmals schon vor der Christianisierung bestanden hatten. Es ist den Wicca wichtig, diese heidnischen Überreste wieder neu zu beleben, auch wenn die Forschungen nicht immer eindeutig belegen, ob und wie ein solches Fest begangen wurde. Einige Namen wurden daher auch von den Wicca neu erfunden, der Begriff „Litha“ (vermutlich von „Licht/Light“ herkommend) zum Beispiel. Beltane und Samhain gehören dagegen zu den traditionellen irischen Festen, die von den Neuheiden neu interpretiert wurden.12

Kulturgeschichtliche Hintergründe

Stefanie von Schnurbein, eine Expertin auf dem Gebiet der Neuheiden, fasst die Faszination an den Wicca und den Neuheiden so zusammen:

Das Neuheidentum kommt mit der Rekonstruktion angeblich alter, archaischer Kulturen der tiefen Sehnsucht des modernen Menschen nach einer Wiederverzauberung der Welt, nach Mythen, nach Naturreligiosität und nach einer natur- und erdverbundenen Lebensweise, aber auch dem neuen Interesse an Magie und Esoterik entgegen.13

Der Bestseller „Die Nebel vom Avalon“ von Marion Zimmer Bradley orientiert sich sehr stark an den Glaubensgrundsätzen und dem Überlieferungsverständnis der Wicca. Dieses Buch wird von vielen Wicca gelesen, hat aber durch seine Bekanntheit auch außerhalb der Wicca großen Einfluss.

Als Ursache dieser aktuellen Entwicklung wird oft die Aufklärung (18. Jahrhundert) gesehen, die zwar den Menschen aus seiner „Unmündigkeit des Denkens“ geführt hat, aber zu schnell die Waagschale in die andere Richtung hat auspendeln lassen. Das Unerklärliche hat keinen Platz mehr in der modernen Welt, eine Denkweise, die auch Folgen für das Christentum hatte. Doch schon in der Epoche der Romantik (1795–1848) wurde die „Wiederverzauberung der Welt“ ein zentrales Thema für all jene Menschen, denen sie nun zu kalt und zu leer war. Diese Sehnsucht zieht sich durch die Jahrhunderte und alle Bereiche der Kunst und mündet schließlich im 20. Jahrhundert in die Gründungen von neuen Religionen und Weltanschauungen, die wieder hinter die Tür der Vernunft schauen wollen.

„Zurück zur Natur“ ist ein weiterer roter Faden. Wieder Kind sein, wieder Einssein mit der Natur, um so zu sich selbst zu finden – diese Gedanken sind nicht neu, auch sie sind wesentliche Bestandteile der Romantik. Der Garten als Ort der Ruhe und der Erholung hat beispielsweise seine Ursprünge in dieser Zeit und diesem Denken. Hinzu kommen in neuerer Zeit die Kritik an der Umweltzerstörung und die Angst vor der atomaren Bedrohung.14

Einsamkeit und die zunehmende Undurchschaubarkeit der Lebenszusammenhänge lassen die Menschen ebenfalls oft hilflos zurück. Durch die Rückkehr zum „Primitiven“, zum Einfachen, bieten die neuheidnischen Religionen einen möglichen Sinn in der Hektik der Moderne.

Wieso nicht das Christentum?

Nun stellt sich die Frage, warum sich die suchenden Menschen den neuheidnischen Religionen angeschlossen haben und nicht dem Christentum. Diese Frage lässt sich beantworten, wenn man sie im Zusammenhang mit der Kulturgeschichte sieht.

Zum einen wird dem Christentum aufgrund des Verses „Machet euch die Welt untertan“ (1. Mose 1,28) ein immenser Beitrag zur Umweltzerstörung vorgeworfen. Zum anderen wird die Kirche als dogmatisches und starres Gebilde gesehen, das freie und eigene Gedanken kaum zulässt. Vor allem die Wicca leben einen sehr freien Glauben als Gegenentwurf. Hinzu kommt die Kritik an der (vermeintlichen) Unterdrückung der Frau durch das Christentum und der Hexenverbrennungen. Die meisten der Gründe sind längst nicht mehr aktuell – aber sie wirken in der Gesellschaft noch massiv nach.

Wicca als ein Teil der Esoterik und der neuen heidnischen Religionen sind längst kein Nischenphänomen mehr. Heute, wo man rituelle Gegenstände in normalen Läden kaufen kann, ist es leicht, sich damit zu beschäftigen. Wichtig für Christen ist die Überlegung, warum die Menschen sich in ihrer Sinnsuche nicht mehr ans Christentum wenden und wie man das ändern kann.

Esoterik ist kein Thema, das man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Aber wie bei allen anderen religiösen Themen gilt es auch hier, sensibel damit umzugehen, die Anhänger nicht rigoros zu verurteilen und ihnen zuzuhören. Dabei sollte man den eigenen, christlichen Standpunkt aber nicht beiseiteschieben und darauf hinweisen, dass es gefährlich ist, sich mit unsichtbaren Mächten zu beschäftigen.

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Kommentare (1)

Thomas St /

Es ist schon erstaunlich wie Menschen mit unserer Lebensweise als Christen reagieren.
Freue mich auf den morgigen Sonnabend .
Als Verkäufer im Einzelhandel wünsche ich vielen Kunden einen mehr

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