Navigation überspringen
© Priscilla du Preez / unsplash.com

02.11.2011 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Michael Gerster

Richtig streiten: So geht's

Streiten will gelernt sein. Diplom-Psychologe Joachim Lask gibt Tipps, wie man streiten und sich dennoch lieben kann.

ERF: Herr Lask, Sie sind Experte fürs Thema Erziehung, Familie und Partnerschaft. Wann haben Sie sich das letzte Mal mit Ihrer Frau gestritten?

Joachim Lask: Das ist sicher erst wenige Stunden her. Auseinandersetzung gibt es bei uns täglich. Aber es gibt natürlich auch mal richtig heißen Streit. Und da haben wir in der letzten Zeit deutlich dazu gelernt, offen und ehrlich zu streiten. Was allerdings auch nicht immer ganz einfach ist.
 

ERF: Aus Ihrer Erfahrung als Therapeut: Worüber streiten sich Paare am meisten. Sind es wirklich die Klassiker Geld, Kindererziehung und die offene Zahnpastatube?

Joachim Lask: Nein, das sind eher Oberflächenthemen. Das bedeutet, an diesen Themen entzündet sich der Streit. Im Detail geht es um andere Dinge, zum Beispiel um das Thema „Nähe und Distanz“. Es geht um die Frage: Wie viel Nähe brauche ich denn - meinetwegen auch in der Intimität?

Dann geht es auch oft um die Frage: Wer darf bestimmen? Und wer muss sich darauf einlassen? Also die Machtfrage. Das sind grundsätzliche Themen, über die sich Paare streiten. Und dann geht es auch bei Ehepaaren häufig um das Thema Gerechtigkeit. Wer gibt und wer nimmt? Das sind drei Grundkonflikte, die Paare immer wieder zum Streiten bringen.
 

ERF: „Du bist genau wie deine Mutter“ gehört sicher zu den Aussagen, die nicht unbedingt zu einer positiven Streitkultur gehören. Was sollte man beim Streiten unbedingt vermeiden? Und wie kann man konstruktives Streiten lernen?

Joachim Lask: Zuerst einmal muss man lernen, dass der andere seine Meinung haben darf und ich mich nicht gleich kritisiert fühlen muss. Es geht also erst einmal um die Fähigkeit, dem anderen so zuzuhören, dass dieser merkt: „Hey, mein Partner versteht mich. Der weiß jetzt, was ich gemeint habe.“ Wir sind ja so schnell dabei, zu sagen: „Ich versteh dich, aber …“. Und dieses „Aber“ ist so schlecht, grottenschlecht. Man sollte erst einmal zuhören.

Lieber das „Aber“ am nächsten Tag bringen oder eine Stunde später. Dann kann man sagen: “Jetzt möchte ich dir gerne meine Sichtweise zeigen. So wie ich es verstanden habe“. Wenn das gelingt, dann hätten wir, glaube ich, nur die Hälfte der Konflikte und das wären dann richtig gute Konflikte. Da kann man auch richtig lernen und üben, wie man solche Konflikte lösen kann. Nämlich indem jeder erst einmal seine Lösungen sagen darf, ohne gleich den Anspruch zu haben: „Das muss jetzt gleich so umgesetzt werden!“. Nein, erst einmal kann man sagen: „Wie sieht denn meine beste Lösung aus?“ Auf diese Weise können Paare in der Konfliktfähigkeit deutlich zulegen. Das ist wichtig, wenn man lange zusammen leben möchte.
 

ERF: Ist das alles?

Joachim Lask: Ich möchte noch eine Sache ergänzen, bevor ich erkläre, wie man so etwas einüben kann. Neben dem Zuhören ist beim Streiten nämlich noch eine andere Sache wichtig: Die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse so ehrlich wie möglich zu benennen. Dazu gehört ganz schön viel Mut. Und zwar der Mut, sich dem anderen zuzumuten und zum Beispiel zu sagen: „Ich brauche mehr Nähe.“ Oder: „Ich brauche jetzt Abstand.“ Vielleicht muss man dem Partner sogar sagen, dass man drei Wochen ganz weit weg von ihm sein muss, um wieder zur Ruhe zu kommen. Dazu braucht man enorm viel Mut.

Es braucht Mut, sich dem anderen zuzumuten und zum Beispiel zu sagen: „Ich brauche mehr Nähe.“ Oder: „Ich brauche jetzt Abstand.“

ERF: Kann man dieses Zuhören einüben?

Joachim Lask: Und das Zuhören kann man in der Tat lernen. Dazu gibt es auch sehr gute Literatur. Man lernt dann erst einmal aufeinander zu hören bis dahin, dass man vereinbaren kann, wie man spricht. Was ja zum Beispiel ganz wichtig ist, ist dass man bei einem einzigen Thema bleibt. Und nicht von einem Thema zum nächsten hüpft und sagt: „Wenn wir schon einmal dabei sind …“. Dann wird alles Mögliche aus der Vergangenheit aufgetischt. Das tut überhaupt nicht gut. Man kann lernen, beim Thema zu bleiben.

Und man kann lernen, von sich zu sprechen, also nicht zu sagen: „Du, du, du!“. Diese  „Du-Botschaften“ tun nicht gut. Davon hat sicher jeder schon einmal gehört. Und ein Letztes: Es ist wichtig, nicht allgemein zu reden, sondern ganz konkret zu werden und zu sagen: Was hat mich jetzt genau gestört? Vielleicht auch aus den drei letzten Tagen ein Beispiel benennen anstatt zu verallgemeinern und zu sagen: „Du bist immer …“.

Das sind Dinge, die hören sich ganz einfach an, aber sie tatsächlich in einem Konfliktgespräch umzusetzen, das muss man und kann man trainieren. Man muss sich Ziele setzen und wenn es geht das täglich mehrmals üben - mit den entsprechenden Nebenwirkung.
 

ERF: Beim Streiten werden oft Kleinigkeiten aufgebauscht. Man fängt an zu schreien und hat irgendwann vergessen, worum es eigentlich geht. Wie kann man solch eine Negativspirale stoppen?

Joachim Lask: Es gibt zwei Ansätze dazu aus der Forschung. Die einen sagen, man muss halt gut miteinander reden können. Die anderen sagen, man muss miteinander den Stress gut managen können, also dem andern ein guter Gehilfe sein. Ein Streitender muss auch immer das Recht haben dürfen, den Streit zu unterbrechen. Dann nämlich, wenn er merkt, dass es zu hitzig wird und man in Gefahr steht, ausfällig zu werden oder andere ungute Dinge zu tun. Dann darf er ruhig „Stopp!“ sagen. Es ist nur dann immer wichtig, dass derjenige, der unterbricht und sagt „Ich schaff‘ das hier gerade nicht!“ nachher auch die Verantwortung hat, das Gespräch wieder aufzunehmen. Am besten innerhalb von 24 Stunden.

Manchmal hilft aber auch eine kleine Unterbrechung, in der man zum Beispiel etwas zu trinken holt oder erst einmal einen Kaffee macht. Oder man geht einfach nur mal kurz auf die Toilette. Das sind so kleine Unterbrechungen, die helfen können dass man nachher noch mal auf niedriger Temperatur weiter streiten kann. Wobei es nicht darum geht, so kalt zu streiten, dass man überhaupt keine Temperatur mehr hat. Die Temperatur tut ja auch gut.
 

ERF: Wie kann man in der Familie konstruktiv mit dem Thema Streit umgehen, gerade wenn Kinder mit im Spiel sind?

Joachim Lask: Ich möchte ganz deutlich unterscheiden: Streit zwischen dem Ehepaar oder auch Streit über die Erziehung der Kinder geht die Kinder erst einmal gar nichts an. Die Kinder lernen genügend, wenn man in der Familie über Themen wie den gemeinsamen Urlaub streitet oder darüber, was passiert, wenn Papa seinen Teller nicht abräumt, obwohl das so vereinbart war.

Anhand solcher Themen lernen Kinder in der Familie, gut miteinander zu streiten. Streit zwischen den Partnern sollte man nicht vor den Kindern austragen. Sonst geraten Kinder zwischen die Streitenden. Denn Kinder können sich nicht wehren. Sie fühlen sich immer bei beiden Seiten zu Hause und geraten deshalb in einen Loyalitätskonflikt. Das können sie nicht auflösen, weil sie beide liebhaben. Es gibt natürlich Situationen, da geht es nicht anders. Gerade dann, wenn die Eltern zum Beispiel vor einer Trennungssituationen stehen. Darüber muss dann auch mit den Kindern sprechen. Aber man darf sie nicht mit in den Streit hineinnehmen, auf gar keinen Fall. Es geht dann ums Informieren. Ansonsten ist der Streit der Eltern vor dem Kind tabu.
 

ERF: Sie selbst sind Christ. Kann man aus der Bibel etwas zum Thema Streit lernen?

Joachim Lask: Natürlich. Nehmen wir einmal eine Situation, wie Jesus mit Menschen umgeht, die in der Gesellschaft für Streit gesorgt haben. Die Frau am Jakobsbrunnen- das war eine ganz schwierige Geschichte. Oder nehmen wir den Fall Zachäus, der den Menschen ganz viel Geld abgeknöpft hat. Wie Jesus das aus der menschlichen Begegnung her angeht und sagt: Ich höre dir erst mal zu, ich verstehe deine Situation, auch wenn sie noch so schwierig ist. Und so wendet er sich Zachäus  zu und sagt: „Zeig mir, wo du wohnst und was du mit deinem Geld alles gemacht hast. Ich möchte das sehen.“ Ich finde das enorm, dass Jesus sozusagen erst einmal in der Welt des Zachäus lebt und mit ihm dort auf Entdeckungsreise geht. Zachäus hat dann gar nicht mehr das Anliegen, sich zu rechtfertigen.Daran kann man ganz viel über das Streiten lernen.

Oder nehmen wir einfach das Verhältnis zwischen Gott und dem Volk Israel. Wie Gott sehr deutlich und klar sagt, was ihm missfällt und gleichzeitig aber immer sagt: „Ich habe dich lieb und ich steh‘ zu dir. Das ist überhaupt keine Frage - ich steh trotzdem zu dir, auch wenn jetzt hier vieles ganz im Argen liegt!“ Wenn wir diese Fähigkeiten einmal unter kommunikationspsychologischen Aspekten betrachten, geht mir als Psychologen das Herz auf.
 

ERF: Herr Lask, vielen Dank für das Gespräch!
 

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (3)

ERF - Fan /

Lieber Herr Lask, wenn das so ist, dann gebe ich Ihnen recht.

Joachim Lask /

Vergeben, in der Tat, dieses Element habe ich bewusst herausgelassen. Mich freut es, dass es auffällt :-).
Häufig erlebe ich in der Eheberatung von Christen eine geringe Konfliktfähigkeit bei gleichzeitiger hoher Vergebungsbereitschaft.

ERF - Fan /

Mir fehlt in dem Artikel das für uns Christen wesentliche Element der Vergebung. Wo gestritten wird, gibt es Schuld, und die muss bekannt werden. Aber dazu muss dann jeder vom hohen Ross herabsteigen und das scheint schwierig zu sein.

Das könnte Sie auch interessieren