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© Tylerwardis, via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

13.04.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Tanja Rinsland

„Ich musste aufhören, Gott zu verurteilen“

Autor William P. Young erzählt in „Die Hütte“ von seiner eigenen Vergangenheit.

Es hat sich lange auf den Bestsellerlisten in Deutschland gehalten und ist eines der meist verkauften Bücher der letzten Jahre: „Die Hütte“ von William Paul Young. Zudem hat es viele Diskussionen über das Gottesbild ausgelöst. Im Interview mit ERF Medien spricht Autor William Paul Young über die Verfilmung des Buchs und seine Vorstellung von Gott.
 

ERF: Das Buch „Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott“ wurde auch verfilmt. Wie waren die ersten Reaktionen auf den Film, die bei Ihnen angekommen sind?

William P. Young: Erstaunlich positiv. Ich glaube, viele erwarten von einem christlichen Film, dass er eine bestimmte Absicht, eine Agenda verfolgt. Doch diese Geschichte will Offenheit bieten. Gute Kunst eröffnet einen Raum, in dem jeder selbst entscheiden kann, was er denkt.
 

ERF: Worum geht es in „Die Hütte“?

William P. Young: Es ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte und einem „was wäre, wenn“? Es geht um Mackenzie, dessen Tochter Missy während eines Campingausflugs entführt wird. Ein Schicksalsschlag, der bei ihm viele Fragen auslöst: „Wo ist Gott?“ und „Warum hat er das nicht verhindert, wenn er gut und mächtig ist?“ Dann bekommt Mackenzie eine rätselhafte Einladung. Er soll für ein Wochenende an den Ort zurückkehren, an dem die Tragödie seinen Lauf nahm: Eine Hütte im Wald, in der man Spuren von Missys Ermordung gefunden hat. Er weiß nicht, wer ihn dorthin einlädt. Der Täter? Oder gar Gott? Er fährt mit all seiner angestauten Wut und seinen Fragen dorthin.

Verletzung und Schmerz prägen das Gottesbild

ERF: Einer der außergewöhnlichen Aspekte des Romans ist Ihre Darstellung von Gott als drei Personen, die in einer tiefen und liebevollen Beziehung zueinander leben. Warum diese Darstellung?

William P. Young: Schon die ersten Christen glaubten, dass es nur einen einzigen Gott gibt, der aber gleichzeitig drei Personen in Beziehung ist. Die Dreieinigkeit ist nicht nur ein Symbol, sondern Realität; eine Hoffnung und die Zusage, dass wir Teil dieser liebevollen Beziehung sind. Wir haben einen Gott, der eine verkörperte Beziehung ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Diese Eigenschaft Gottes ist die Grundlage für seine Liebe zu uns. „Die Hütte“ will Gott nicht definieren, sondern schafft ein Bild, um Gottes Liebe zu uns begreifbarer zu machen. Wir sind für Beziehungen und Gemeinschaft erschaffen worden.
 

ERF: Welche Reaktionen haben Sie auf diese Darstellung der Dreieinigkeit bekommen?

William P. Young: Erstaunlicherweise hatten Christen aus meiner eigenen evangelikalen Tradition größere Probleme damit als die meisten anderen Leser. Das liegt auch daran, dass Gott Vater als afroamerikanische Frau auftaucht. Das widerspricht der Vorstellung vieler, die sich Gott wie Zeus vorstellen: Ein distanziertes, schlecht gelauntes Wesen, das sich hinter Jesus verbirgt. Aber nur ein kleiner Teil der Reaktionen war negativ. Zum größten Teil sagten mir die Menschen, wie das Buch sie in ihrer eigenen Not und ihren Fragen abgeholt hat.
 

ERF: Im Grunde sprechen wir damit über Gottesbilder. Welchen Einfluss hat die eigene Geschichte auf die Vorstellung von Gott?

William P. Young: Wir erschaffen Gott oft nicht nur in unserem eigenen Bild, sondern im Bild der Schmerzen, die wir erlitten haben. Wenn uns in unserer Kindheit Verletzungen zugefügt wurden, zum Beispiel durch einen wütenden Vater, projizieren wir diese Erfahrungen auf das Angesicht Gottes. Wenn wir voll von Scham sind, stellen wir uns Gott als jemanden vor, der eine Perfektion erwartet, die wir nie erreichen können. Was uns gesagt und gelehrt wurde, wie wir Beziehungen erlebt haben – all das färbt unser Verständnis von Gott.
 

ERF: Wie hat sich ihr persönliches Gottesbild über die Jahre entwickelt?

William P. Young: Mein Vater kam aus einem sehr kaputten Elternhaus. Sowohl sein eigener Vater als auch dessen Vater waren gewalttätig. Mit 12 Jahren wurde mein Vater Waisenkind und von der Jugendfürsorge zum Arbeiten in einen Bauernhof gesteckt. Später begegnete er Gott und lernte meine Mutter kennen. Doch schon zu meiner Geburt war mein Vater ein gebrochener Mann, der nicht wusste, wohin mit seiner Wut und den Verletzungen. Er war unfähig, mir Liebe und Freundlichkeit zu geben. Die Grausamkeit seines Zorns vermittelte mir, dass ich nicht gut genug bin und nie genug leisten kann. Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Gott wie mein Vater Opferbereitschaft und perfekten Gehorsam erwartet, sonst würde er mir seine Zuneigung entziehen. Ich habe 50 Jahre gebraucht, um das Gesicht meines Vaters vom Antlitz Gottes zu wischen.
 

ERF: Ein weiterer Schwerpunkt von „Die Hütte” ist das Thema Vergebung – in Hollywood ein eher unbeliebtes Thema. Ist Vergebung für das säkulare Publikum überhaupt relevant?

William P. Young: Ja. Jeder versteht, was mangelnde Vergebung in unserem Leben bewirkt. Es ist so, als würde man eine Leiche mit sich herumschleppen und sie nicht loslassen wollen: Es beginnt, all unsere Beziehungen zu vergiften. Außerdem muss man verstehen, dass es einen großen Unterschied zwischen Vergebung und Versöhnung gibt. Vergebung bedeutet, meine Verletzungen loszulassen: Es ist ein Gespräch zwischen mir und Gott über einen dritten. Dafür muss ich mich dieser Person nicht stellen. Vergebung befreit mich von einem Gefängnis aus Schmerz und Bitterkeit – sie ist für den Verletzten wichtig.

Versöhnung ist etwas vollkommen anderes: Es ist die Wiederherstellung von Vertrauen. Dafür muss ich mich dem anderen stellen. Ich kann vergeben, ohne diesem Menschen jemals wieder zu vertrauen. Ich kann sogar immer noch wütend auf das sein, was mir angetan wurde. Es ist ein Prozess, der mich freimacht.

Jeder versteht, was mangelnde Vergebung in unserem Leben bewirkt. Es ist so, als würde man eine Leiche mit sich herumschleppen und sie nicht loslassen wollen. – William P. Young

ERF: In Ihrem Buch fordert Gott den Hauptcharakter Mackenzie auf, dem Täter zu vergeben. Doch dieser Mann hat ihm die Tochter auf die schrecklichste Weise genommen, die man sich nur vorstellen kann. Ist das nicht grausam von Gott?

William P. Young: Nein! Gott ist Liebe und er liebt Mackenzie sehr. Gott weiß, dass er in einem Gefängnis der Bitterkeit steckt, erfüllt von seinem Rachedurst. Diese Gefühle zersetzen langsam jede seiner Beziehungen – sogar die zu seiner Familie. Seine Unversöhnlichkeit ist zu einer Fessel geworden. Gott will ihn davon frei machen und nicht verletzen! Außerdem liebt Gott auch den Täter. Wenn das nicht wahr wäre, gäbe es für keinen Menschen Hoffnung, der einen anderen verletzt hat. Gott will in der Dunkelheit des Täters handeln, er will ihn freier und menschlicher machen. Denn auch der Täter ist ein Geschöpf Gottes.
 

ERF: Welche Rolle hat das Thema Vergebung in Ihrem Leben gespielt?

William P. Young: Ich selbst bin Mackenzie: Die Kämpfe, die er durchlebt, sind meine eigenen. Ich musste meinem Vater, aber auch meiner Mutter vergeben, die während der gewalttätigen Erziehung meines Vaters oft abwesend war. Außerdem wurde ich in dem Stamm, in dem meine Eltern als Missionare tätig waren, sexuell missbraucht. Das setzte sich später im Internat fort. Ich war gefangen und wollte andere so verletzen, wie ich verletzt wurde. Weil ich mich nicht mit der Gebrochenheit meiner Seele auseinandersetzte, verletzte und verriet ich andere Menschen. Vergebung zielt also in verschiedene Richtungen: Ich musste aufhören, Gott zu verurteilen. Ich musste mir selbst vergeben, weil ich ein Teil der Gebrochenheit dieser Welt geworden bin und ich musste den Tätern vergeben, die mir so viel genommen hatten. Vergebung ist das Epizentrum aller Existenz, weil wir in einer Welt voller Schmerz, Verlust und Verletzungen leben.
 

ERF: Welchen einen Gedanken aus „Die Hütte” möchten Sie weitergeben?

William P. Young: Dass Gottes Liebe spezifisch ist – für jeden Menschen. Jeder einzelne zählt. Jeder Mensch ist das eine Schaf, für den Gott die anderen 99 stehen lässt, um ihn zu finden. Du warst nie allein – und wirst es nie sein.

Ihr Kommentar

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Kommentare (8)

Petra N. /

Obwohl ich das Buch "Die Hütte" schon zweimal gelesen habe, ist es mir erst durch den Film gelungen, das Wesen Gottes und seine innige und große Liebe zu uns Menschen wirklich zu verstehen. Ich habe mehr

Volkmar A. /

Das Buch habe ich nicht gelesen - aber das Hörbuch gehört.
Für mich war es eine Begegnung mit Gott.
Ich freue mich auf den Film,

Jörg /

Schon das Buch hat mich damals sehr berührt. Als ich jetzt den Film im Kino gesehen habe, war ich zusätzlich positiv überrascht. Die Diskussion über das Geschlecht Gottes finde ich wenig hilfreich, mehr

Hans H. /

Ich habe den Film gesehen und fand ihn sehr schön. Leider wurde er bereits nach 2 Tagen abgesetzt. Ich vermute aufgrund mangelnder Besucherzahlen. Wirklich, sehr schade! Es gibt viele Menschen, die mehr

Michael R. /

Der Film hat mich sehr berührt und ich habe Gott genauso kennen gelernt wie im Film beschrieben.

Claudia D. /

Hallo und frohe Ostern :-) DIE HÜTTE habe ich selbst zwei oder dreimal gelesen, einmal auch im englischen Original und es hat mich jedes Mal wieder berührt, wenn ich auch nicht mit allen vermittelten mehr

Werner K. /

Den Ausführungen von Bettina ist nichts hinzuzufügen. Es ist alles gesagt, was auch ich empfinde,

Bettina /

Wow. Ich habe das Buch schon damals gelesen, als es auf Deutsch erschienen war. Schon damals hat es mich sehr bewegt.
Jetzt die Kommentare und Hinweise des Autors zu lesen, macht vieles nochmal etwas spezifischer.
Nun bin ich sehr gespannt, wie der Film geworden ist. :)

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