
10.09.2013 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min
Autor/-in: Nelli Bangert„Glaube ist kein Wellness-Produkt.“
Esther Maria Magnis lernte Gott im Leid neu kennen.
Die Autorin des Buches Gott braucht dich nicht, Esther Maria Magnis, erlebte als Teenager den Tod ihres Vaters und nur wenige Jahre später den Tod ihres Bruders. Diese Erfahrungen erschütterten ihren Glauben an Gott bis aufs Äußerste. Kritisch setzte sie sich mit dem Glauben auseinander und entschied sich, mit Gott zu brechen. Warum sie heute wieder glaubt und warum Zweifel in ihrem Glauben Raum haben dürfen, erzählt sie im Interview mit ERF Medien.
ERF: Auf dem Cover Ihres Buches prangt in großen Lettern auf weißem Hintergrund „Gott braucht dich nicht“. Es ist ein Slogan, der ziemlich konträr zu der allgemein verbreiteten Meinung vieler Christen steht, dass Gott Menschen gebrauchen möchte. Warum dieser Titel?
Esther Maria Magnis: Der Titel „Gott braucht dich nicht" meint nicht, dass Gott den Menschen nicht gebrauchen will. Sondern er spricht gegen die Haltung, dass Gott ohne Menschen nichts tun kann – also ohnmächtig ist. Das glaube ich nicht. Gott ist allmächtig. Wie und wann er uns gebraucht, ist eine Frage seines Willens und nicht seiner Schwäche.
ERF: Rowohlt, der Verlag ihres Buches, ist ein säkularer Verlag. Warum hat gerade er die Geschichte Ihrer Bekehrung publiziert?
Esther Maria Magnis: Der Verlagschef Alexander Fest hat irgendwann mal einen Essay von mir gelesen, indem es auch um den Glauben ging. Daraufhin schrieb er mir einen Brief, in dem er fragte, ob ich aus dem Essay nicht ein Buch machen könne. Ich hätte das Buch von mir aus nie geschrieben, da ich eher zurückhaltend dabei bin, mit Leuten über meinen Glauben zu sprechen. Aber als der Verlag selbst gefragt hat, hatte ich das Gefühl, dass es vielleicht sein soll.
Dürfen Christen Zweifel haben?
ERF: Sie tun in Ihrem Buch das, was sich viele Christen niemals trauen würden: Sie sprechen Ihre Zweifel an Gott unverblümt und direkt aus und geben ihnen damit Raum. Nähren Sie damit nicht Ihre Zweifel?
Esther Maria Magnis: Es gibt vielleicht einen Unterschied, ob man die Zweifel einfach so in den Raum wirft, oder ob man es schafft, diese in einem Gebet Gott zu sagen. Wenn ich vor ihm stehe oder knie, dann sind meine Zweifel mit dabei und dann muss ich sie auch aussprechen. Ich sage Gott, wenn mein Glauben gerade schrumpft, oder dass ich gerade keinen Glauben habe und bitte ihn dann, dass er mir Glauben schenkt. Wenn ich gar keine Worte mehr habe, spreche ich die Psalmen.
Wenn ich vor Gott stehe oder knie, dann sind meine Zweifel mit dabei und dann muss ich sie auch aussprechen.
ERF: Sollten Christen ihren Zweifel an Gott auch vor Nichtchristen äußern?
Esther Maria Magnis: Wenn es ein ehrliches Gespräch sein soll – auf jeden Fall. Ich finde es unangenehm, wenn Christen die Stellen in ihrem Glauben, vor denen sie selber große Angst haben, in Gesprächen überschminken. Manche tun so, als gäbe es diese Stellen nicht, weil sie unbeantwortet, dunkel und paradox erscheinen. Nur weil man an Gott glaubt, wird das Leben nicht auf einmal leicht. Ich glaube sogar, dass man durch den Glauben an Gott an manchen Punkten Schwierigkeiten hat, die man ohne den Glauben nicht hätte.
Zum Beispiel: Ich bete, dass Gott meinen Vater gesund macht und mein Vater stirbt. Wenn ich gar nicht glauben würde, dann hätte der Tod eine schreckliche Dimension für mich. Wenn ich aber an Gott glaube, dann ist es Gott, der auf einmal eine schreckliche Dimension bekommt. Ohne den Glauben hätte ich nicht das Problem, dass ich mich im Leid von Gott geschlagen oder ignoriert fühle. In diesen Momenten fängt man an zu zweifeln und man fleht Gott an, dass er etwas zeigen oder sagen soll, das einem hilft, weiter zu glauben. Dennoch bleibt es manchmal vollkommen still – und das ist unerträglich.
Was tun, wenn Gott schweigt?
ERF: Wenn es doch vollkommen still bleibt – warum dann überhaupt noch glauben?
Esther Maria Magnis: Der Glaube wird häufig wie ein super Wellness-Produkt verkauft, das für die Psyche ganz toll sein soll. Das stimmt aber leider nicht. Ich kann an Gott glauben und dennoch verklemmt und spießig sein und psychische Probleme haben. Es geht nicht darum: Was macht mein Leben einfacher? Sondern es geht allein um die Frage: Gibt es Gott oder gibt es ihn nicht? Wenn es ihn nicht gibt, dann interessiert es mich auch nicht, ob der Glaube schöne Haut macht oder für mich angenehm ist. Nur weil es psychologisch vielleicht gut ist zu beten, fange ich doch nicht an, mit Gott zu sprechen. Wenn es ihn aber geben könnte, dann muss ich fragen, wie Gott ist und was er von mir will. Und dann muss ich vielleicht auch lernen die Stille auszuhalten.
ERF: An Gott zu glauben ist alles andere als einfach, sagen Sie. Sie haben großes Leid erlebt, als ihr Vater und später auch ihr Bruder gestorben ist. Warum glauben Sie dann noch an Gott?
Esther Maria Magnis: Weil ich glauben will, und muss. Ich habe mich entschlossen zu glauben und kann es nicht anders denken. Ich weiß, wie es ist, wenn man Gott aus dem Denken streicht. Damals ging alles Unsichtbare verloren. Als ich aufgehört habe, zu glauben, dass ich eine Seele habe, da konnte ich nicht mehr ernsthaft Ich sagen. Das war grauenhaft. Später habe ich begriffen, dass ich davon ausgehen muss, dass es mich gibt. Und wenn es wahr ist, dass es mich gibt, dann sind auch andere Dinge wahr. Dann gibt es Wahrheit. In diesem Moment war ich dann gedanklich schon in Gottes Nähe.
ERF: Wenn man den Satz „Gott ist …“ von Christen ergänzen ließe, würden viele Christen auf Anhieb das Wort Liebe einsetzen und sprechen daher gerne auch vom „lieben Gott“. Doch wie passt dieses Gottesbild mit der Realität zusammen, in der Gott eben auch häufig Leid zulässt?

Esther Maria Magnis: Wenn man die Schönheit der Größe Gottes anschaut, die sich zum Beispiel in der Schöpfung zeigt, fällt es gar nicht schwer, von einem lieben Gott zu sprechen. Wenn ich mir mein Kind anschaue, fällt es mir leicht zu glauben, wie groß Gott sein muss und wie viel Freundlichkeit und Zärtlichkeit er haben muss. Aber in Momenten, in denen schreckliche Dinge geschehen, erstarrt man, weil es eigentlich nicht zusammenpasst und genau das muss man aushalten. Deswegen würde ich trotzdem sagen, „Gott liebt“ oder „Gott ist die Liebe“, auch wenn ich davon nicht wahnsinnig viel verstehe.
„Ich musste anerkennen: Gott ist größer.“
ERF: Die Geschichte von Hiob illustriert einen Mann, der alles, was ihm lieb und teuer war, verloren hat. Bemerkenswert: Am Ende stellt er Gott nicht mehr die Frage nach dem Warum, sondern fragt Gott, wer er ist. Haben Sie Gott durch Ihre Leidsituation neu kennengelernt?
Esther Maria Magnis: Ja, aber er war anders, als ich gehofft hatte. In seinem Schweigen und seiner Unverfügbarkeit wurde Gott riesig groß und fremd. Als ich das erkannte, hörte auch erst einmal das Fragen auf. Gottes Größe war eine Antwort. Das war eine Art von Trost, zu verstehen, dass Gott die Wahrheit ist, ein Geheimnis und er größer ist.
ERF: Wir werden in der Bibel an vielen Stellen aufgefordert, Jesus zu lieben. Doch verlangt er nicht eindeutig zu viel von uns, wenn man an die Schicksalsschläge aus dem persönlichen Leben denkt?
Esther Maria Magnis: Ich habe Phasen in meinem Leben gehabt, in denen ich gesagt habe, dass ich Jesus nicht lieben kann. Als mein Vater gestorben ist, wurde mein Glaube komplett zerstört. Als mein Bruder dann auch noch im Sterben lag, wusste ich zu 100 Prozent, dass mein Glaube das nicht überleben würde. Das habe ich Gott auch gesagt. Doch dann fing mein Glaube an zu wachsen – womit ich nichts zu tun hatte. Ich empfinde es als Gnade.
ERF: Wenn Menschen Leid erleben, bewirken die vielen gutgemeinten Wünsche oder Gedanken oft das Gegenteil – anstatt zu trösten. Was geben Sie den Menschen mit, denen Sie in Leidsituationen begegnen?
Esther Maria Magnis: Ich würde ihnen vielleicht sagen, dass es möglich ist, das zu schaffen, auch wenn man das nicht glaubt. Ich wusste damals in meinem Leid nicht, ob ich das überlebe, weil es so schlimm war.
Wenn jemand stirbt oder diese Art von Leid im Leben vom anderen vorkommt, dann sollte man die Person irgendwie begleiten. Aber was ich die ganze Zeit machen würde: Beten. Ich glaube, es ist 1000 Mal besser, man betet für jemanden im ersten Trauerjahr hindurch jeden Tag, als mit Erklärungen zu kommen, warum Gott die Person sterben ließ.
ERF: Herzlichen Dank für das Interview.
Ihr Kommentar
Kommentare (4)
Sinnlosigkeit pur
Soeben habe ich das Buch"Gott braucht dich nicht"
zuende gelesen. Es ist das erste!, welches ich in kürzester Zeit bis zum Ende durchgelesen habe.
Und wundere mich über die Faszination, die … mehrvon
diesem Meisterwerk ausgeht, sowohl was die
Satzformulierung, als auch die inhaltliche Kreativität und Aussagekraft betrifft.
Auch meine Erfahrung ist es, dass sich aus tiefem Leid, goßer Glaube herausschälen kann, wenn man
nicht am Schmerz verzweifelt.
das Buch "Gott braucht Dich nicht" ist das absolut intelligenteste was ich jemals gelesen hab über das hadern mit diesem Thema !!
DANKE
Beten ist das Beste was ich für einen anderen tun kann. Ich stelle ihm einen Engel an die Seite.
Jesus hat zu Petrus gesagt: "Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Lukas 22, 31.32.