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© Dmitry Shamis / unsplash.com

15.01.2021 / Bericht / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Oliver Jeske

60 % mehr ermordete Christen

Open Doors veröffentlicht Weltverfolgungsindex 2021.

 

 

Der Verein Open Doors versteht sich als Sprachrohr für verfolgte Christen. Jedes Jahr veröffentlicht er den Weltverfolgungsindex. Am 13.01.2021 ist die neueste Auflage erschienen. Oliver Jeske vom Team ERF Aktuelles hat darüber mit dem Leiter von Open Doors, Markus Rode, gesprochen.

 

ERF: Herr Rode, der Weltverfolgungsindex nimmt in diesem Jahr 50 Staaten in den Blick, in denen Christen wegen ihres Glaubens besonders stark verfolgt werden. 309 Millionen Menschen in diesen Ländern sind von sehr hoher bzw. extremer Verfolgung um ihres Glaubens willen betroffen. Wie definieren Sie sehr hohe bzw. extreme Christenverfolgung?

Markus Rode: Der Weltverfolgungsindex ist ein Index, d. h. die Rangliste ergibt sich aus einer Punktzahl. Wir haben als maximale Punktzahl für Verfolgungsintensität 100. Wir haben drei Level definiert. Das erste Level bedeutet hohe Verfolgung und geht von 41 bis 60 Punkten. Von 61 bis 80 Indexpunkten folgt der zweite Level, also sehr hohe Verfolgung. Dann gibt es die extreme Verfolgung von 81 bis 100 Punkten.

Was wesentlich ist an dem diesjährigen Weltverfolgungsindex: Früher fanden wir Länder in allen drei Leveln in unserer Untersuchung. Doch die Intensität der Verfolgung hat sich mittlerweile so erhöht, so dass wir nur noch sehr hohe und extreme Verfolgung vorfinden. Das zeigt, dass die Intensität insgesamt zugenommen hat.

Früher hatten wir eine Karte, die hatte gelb, orange und dunkelrot in den Länderflächen. Wir haben jetzt leider nur noch orange und dunkelrot. Gelb ist komplett rausgefallen.
 

Karte Weltverfolgungsindex 2021
Karte Weltverfolgungsindex 2021

 

ERF: Natürlich stellt sich die Frage, wie sieht es darüber hinaus in anderen Ländern aus? Wie ist die globale Situation überhaupt? Können Sie da einen ersten Überblick geben?

Markus Rode: Die globale Situation ist so, dass wir z.B. in Afrika feststellen, dass ein Treiber für diese hohe Punktzahl der Länder Gewalt ist. Wir haben also einen enormen Zuwachs an Gewalttaten von circa 60 Prozent. 91 Prozent dieser Gewalttaten finden in Afrika statt, acht Prozent in Asien. Das ist also ein besonderer Trend in Bezug auf Gewalt.

Dann haben wir das Thema Überwachung und Überwachungsstaaten. Da steht China ganz weit.

Wir erleben, China ist das erste Mal wieder seit zehn Jahren unter den ersten 20 im Weltverfolgungsindex. Das wird daran deutlich, dass zum Beispiel seit 2013 18.000 Kirchen oder kirchliche Einrichtungen schließen mussten oder zerstört wurden. Xi Jinping hat eine Agenda, die besagt, dass das kommunistische Regime neu aktiviert werden soll. Kontrolle wird ausgeübt in allen Bereichen des Lebens.

Es gibt überall Kameras in den Kirchen. Eine komplette Überwachung jedes Bürgers ist angestrebt in Form eines sogenannten Credit Systems, bei dem er Punkte bekommt. Wenn Christen in dieses System aufgenommen werden, dann haben sie im Prinzip auch im Bereich der Loyalität wesentlich niedrigere Punkte als andere. Das pflanzt sich auch fort in andere Bereiche.

In anderen Ländern haben wir religiösen Nationalismus. In Staaten wie z.B. Indien wird ganz klar gesagt: Jeder Inder muss ein Hindu sein. Das bedeutet, dass alle anderen Religionen, besonders auch die Christen, nichts mehr dort zu suchen haben. Man versucht wirklich, die Christen aus diesem Staat zu vertreiben bzw. sie zur Konversion zum Hinuismus zu zwingen. Das haben wir auch in der Türkei unter Präsident Erdoğan. Dort herrscht auch ein Nationalismus. Eine säkulare Türkei gibt es nicht mehr unter ihm. Der Druck nimmt zu auf die Christen.

Der Druck auf Christen nimmt zu

ERF: Sie haben auch Fälle von Christen erfasst, die um ihres Glaubens willen getötet wurden. Wie ist die Entwicklung und wie sind die aktuellen Zahlen? Was hat sich vom Berichtszeitraum 2019 zu 2020, also zu Ihrem aktuellen Bericht, verändert?

Markus Rode: Im Weltverfolgungsindex 2020 haben wir 2.983 Fälle von ermordeten Christen dokumentiert. Im Weltverfolgungsindex 2021 sind sie angestiegen auf 4.761 Fälle, also eine Zunahme von 60 Prozent.

Bemerkenswert ist, dass 91 Prozent dieser Gewalttaten als Ermordungen von Christen in Afrika stattgefunden haben und 8 Prozent in Asien.
 

ERF: Wie lässt sich diese Zunahme erklären?

Markus Rode: Die Zunahme hat verschiedene Ursachen. Eine Ursache dafür ist, dass Dschihadisten-Gruppen gerade in Failed States – in Staaten, wo es keinen Schutz für Christen gibt – eine große Freiheit gewonnen haben auch durch Covid-19. Sie haben das Vakuum eines Lockdowns ausgenutzt. Sie sind in Regionen unterwegs gewesen, wo kein Schutz durch die Regierung mehr vorhanden ist. Da sind sie aktiv, gehen in christliche Dörfer, ermorden Christen, Frauen, Kinder, Männer wahllos. Das Ziel ist natürlich, dass sie ein Kalifat aufrichten wollen.

Besonders stark ist das ganze Thema in Mosambik gewesen. Mosambik hat einen Zuwachs von 20 Punkten im Weltverfolgungsindex bekommen. Dort ist die Gewalt extrem hoch. Auch dort wollen Islamisten ein Kalifat errichten.

Covid-19 verstärkt den Verfolgungsdruck

ERF: Als Organisation operiert Open Doors sehr stark in Bereichen, wo es sicherlich schwer ist, zuverlässige Zahlen zu bekommen. Rechnen Sie mit einer hohen Dunkelziffer von Menschen, die Sie gar nicht erfassen können, wenn es um Ermordung um des Glaubens willen geht?

Markus Rode: Ja. Wir müssen leider von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Wir können nicht in jedem abgelegenen Gebiet genau analysieren und feststellen: Wer ist ermordet worden? Wir sind relativ dicht dran, was das Thema Information betrifft, weil wir ein sehr weit gefächertes Netzwerk haben. Aber wenn wir zum Beispiel nach Nordkorea schauen: Was geschieht in den Arbeitslagern dort? Wie viele Christen werden ermordet? Dort haben wir keinen Zugang. Also müsste man diese Zahlen noch addieren. Ich glaube, es wäre eine erheblich höhere Anzahl.

Christen mussten Gras essen

ERF: Lassen Sie uns auf ein Thema zu sprechen kommen, das man vielleicht auf den ersten Blick gar nicht mit Christenverfolgung in Verbindung bringt: die aktuelle Corona-Pandemie, die unsere ganze Welt inzwischen erfasst hat. Sie haben in Ihrer Studie auch die Folgen dieser Pandemie für die Christenverfolgung erfasst. Was beobachten Sie?

Markus Rode: Covid-19 hat den Verfolgungsdruck deutlich verstärkt. Zum einen ist es so, dass mehr christliche Frauen und Mädchen entführt und zwangsverheiratet wurden. Das ist in einer Phase des Lockdowns gewesen. Es ist auch so, dass letztendlich die Attacken von Islamisten zugenommen haben. Das bedeutet, wir haben letztendlich in einer Situation des Lockdowns den Schutz für diese Christen nicht gehabt, besonders auch in Afrika. Und somit sind die Attacken deutlich angestiegen.

Doch es gibt noch einen weiteren Punkt: Die Versorgung von Christen hat nicht stattgefunden. Das heißt, Christen, die Lebensmittelkarten hatten, haben sich um Lebensmittel angestellt, aber sie haben keine Hilfe bekommen, weil sie Christen waren. Ich musste leider auch hören, dass in Zentralasien Christen gezwungen waren, Gras zu essen, weil sie keine Möglichkeit hatten, versorgt zu werden. All das ist letztlich durch Covid-19 nochmal deutlich verstärkt worden. Einige wurden sogar beschuldigt, sie seien verantwortlich für die Pandemie.
 

ERF: Daneben gibt es einige Ereignisse im Jahr 2020, die es zum Teil jedenfalls in die Medien geschafft haben. Vielleicht können Sie nochmal einiges nennen, was passiert ist in dem Bereich, woran man auch sehr deutlich gesehen hat, wie Christenverfolgung institutionell greift.

Markus Rode: Wir haben einige besondere Nachrichten gehört, zum Beispiel aus der Türkei. Dort wurde die Hagia Sophia umgewandelt in eine Moschee. Das ist einfach ein Zeichen für den Nationalismus, der dort stattfindet. Wir haben auch festgestellt, dass sich die gewalttätigen Übergriffe gegen Christen, besonders auch in Indien, deutlich verstärkt haben. Das sind Vorgänge, die uns Sorgen machen. Nichtregierungsorganisationen müssen Indien verlassen. Es wird versucht, jegliche Form von Verbindung vom Ausland zu kappen.

Blicken wir in den Norden Syriens: Unter den Kurden gibt es viele Christen, die erst vor dem IS geflohen sind und jetzt erneut von den Bombardements durch die Türkei. Das bewegt und erschreckt uns, weil diese Menschen hoch traumatisiert sind und erneut fliehen müssen.
 

ERF: Welche Handlungsaufforderung ziehen Sie aus dem aktuellen Weltverfolgungsindex? Wo sollten sich die deutsche Bundesregierung und die EU stärker engagieren bzw. anders positionieren als bisher?

Markus Rode: Uns ist die Erkenntnis wichtig, dass Christen in diesen Ländern des Weltverfolgungsindex besonders verletzlich und unter Druck sind. Diese Erkenntnis führt dann auch dazu: Wenn Hilfe nach Katastrophen, Kriegen und Vertreibungen stattfindet, dann sollte auch darauf geachtet werden, dass gerade Christen auch mit einbezogen werden in diese Unterstützung und Hilfe. In der Regel geht diese Hilfe, zu großen Teilen auch die Hilfe der UN, an den Christen vorbei, weil zum Beispiel Hilfslieferungen eben nicht an sie verteilt werden.

Auch viele Flüchtlingslager sind nicht dazu ausgelegt, dass es dort Schutz für Christen gibt. Sie müssen sich von den Flüchtlingslagern fernhalten. Das sind alles Dinge, die in der Vergangenheit nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das wünschen wir uns für die Zukunft.

Den Finger in die Wunde der Religionsfreiheit legen

ERF: Sie hatten China bereits erwähnt. Ein neues  Ein neues Handelsabkommen zwischen China und der EU ist in greifbare Nähe gerückt.Wie sehen Sie diese komplizierte Beziehung zu dem Reich der Mitte?

Markus Rode: Gut, wir beschäftigen uns nicht an erster Stelle mit Handelsabkommen. Ich kann nur sagen, die Verbindung zu China ist natürlich eine sehr wirtschaftlich dominierte Verbindung. Ich würde mir wirklich wünschen, dass viel deutlicher angesprochen wird, was dort gerade geschieht, gerade was die Überwachung der Menschen und die Einhaltung der Menschenrechte betrifft, besonders auch die der Christen. Denn die Christen sind eine enorm große Bevölkerungsgruppe in China.

Es gibt über 100 Millionen Christen dort, das sind mehr als die Mitglieder der Kommunistischen Partei. Insofern fehlt mir hier eindeutig, dass der Finger in diese Wunde gelegt wird und dass man deutlich Religionsfreiheit für die Christen fordert.

Erste Hilfe: Gebet

ERF: Wenn jemand dieses Interview liest und sagt: „Ich bin weder Politiker, noch habe ich sonst eine herausragende Position, in der ich besonders Einfluss nehmen kann.“ – Wie kann man sich in seinem Umfeld für mehr Religions- und Glaubensfreiheit einsetzen, Herr Rode?

Markus Rode: Das erste, was verfolgte Christen brauchen, ist das Gebet. Das ist das, was sie auch immer benennen. Ich glaube, den größten Einfluss haben wir tatsächlich als Christen, wenn wir für unsere verfolgten Glaubensgeschwister beten. Und natürlich in einer Zeit, wo der Druck so enorm zunimmt, wie das jetzt gezeigt wird im neuen Weltverfolgungsindex, sollten wir an ihrer Seite stehen, ihnen helfen, sie versorgen und nicht einfach zuschauen, wie sie in Isolation getrieben werden. Wir haben Möglichkeiten, ihnen zu zeigen: Wir stehen an ihrer Seite.

Und das wünsche ich mir für jeden Christen, für jede Gemeinde, dass die verfolgte Gemeinde nicht eine Option ist, sondern ein fester Bestandteil unseres Gebets, Lebens und der Gottesdienste.
 

ERF: Markus Rode von Open Doors, vielen Dank für das Gespräch!

 
 Oliver Jeske

Oliver Jeske

  |  Redakteur

Sprachlich Hannoveraner, seit einem Vierteljahrhundert in Berlin zu Hause, liebt er Jesus, Tanzen mit seiner Frau, Nordsee-Spaziergänge mit seinen Söhnen und leckeren Fisch. Von Gott ist er fasziniert, weil der ihn immer wieder überrascht und im wahrsten Sinne des Wortes beGEISTert.

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