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© Alexander Grey / unsplash.com

05.05.2023 / Glaubens-FAQ / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Miriam Schaumburg

Was ist Intersexualität?

Definition, Hintergründe und theologische Perspektiven

Intersexualität bedeutet im Wortsinn „Zwischengeschlechtlichkeit“. Sie hat biologische Ursachen und bezieht sich auf eine anatomische, hormonelle oder genetische Variation, die dazu führt, dass sich eine Person dem männlichen oder weiblichen Geschlecht biologisch nicht eindeutig zuordnen lässt. Es handelt sich um eine natürliche Variation von Geschlechtsmerkmalen.

Intersexuelle Menschen können verschiedene körperliche Merkmale aufweisen, die nicht den typischen männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen entsprechen. Das kann beispielsweise eine Variation der Chromosomen (z.B. XXY statt XX oder XY), eine Variation der Hormonproduktion und -wirkung oder eine Variation der Geschlechtsorgane sein.

Es gibt verschiedene Formen von Intersexualität und die Erfahrungen von intersexuellen Menschen sind sehr unterschiedlich. Viele intersexuelle Menschen erleben Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund ihrer körperlichen Variation, insbesondere im medizinischen Bereich. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein größer werdendes Bewusstsein für die Rechte von intersexuellen Menschen entwickelt und es gibt Bestrebungen, die medizinische Behandlung von intersexuellen Kindern zu verbessern.

Wie viele Menschen sind intersexuell?

Die genaue Anzahl der intersexuellen Menschen weltweit ist schwer zu bestimmen, da es keine einheitliche Definition von Intersexualität gibt und nicht alle intersexuellen Menschen sich als solche identifizieren oder erfasst werden.

Schätzungsweise sind 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung intersexuell, was bedeutet, dass weltweit bis zu 160 Millionen Menschen von Intersexualität betroffen sein könnten.

Eine Studie aus dem Jahr 2019, die in der Zeitschrift „The Lancet Diabetes & Endocrinology“ veröffentlicht wurde, ergab, dass intersexuelle Menschen ein erhöhtes Risiko für psychische Gesundheitsprobleme haben wie Angstzustände, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen. Die Studie ergab auch, dass intersexuelle Menschen eine höhere Rate an körperlichen Gesundheitsproblemen aufweisen wie hormonelle Störungen, Infektionen und Operationen.

Welche Herausforderungen hatten intersexuelle Kinder früher?

In Deutschland wurden in der Vergangenheit geschlechtsangleichende Operationen bei intersexuellen Kindern durchgeführt, insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren. Die Durchführung solcher Eingriffe erfolgte oft ohne Einwilligung der Eltern oder der betroffenen Kinder und führte zu dauerhaften Schäden, sowohl körperlich als auch psychisch. Intersexualität wurde als medizinisches Problem betrachtet, das behandelt werden musste. Es gab die weit verbreitete Annahme, dass eine klare Geschlechtszuordnung notwendig sei, um die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden des Kindes zu gewährleisten.

Erst in den 1990er Jahren begann die Debatte um die Rechte von intersexuellen Menschen, einschließlich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Infolgedessen wurden in Deutschland neue Richtlinien und Gesetze eingeführt, um geschlechtsangleichende Eingriffe bei intersexuellen Kindern einzuschränken und ihre Rechte zu schützen.

Heute gibt es in Deutschland eine breitere Anerkennung von Intersexualität als natürliche menschliche Variation, die nicht behandelt oder korrigiert werden muss. Es gibt auch eine wachsende Bewegung von intersexuellen Menschen und ihren Verbündeten, die sich für die Wahrung der Rechte und Würde intersexueller Menschen einsetzen und gegen diskriminierende Praktiken kämpfen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei Intersexualität?

Es gibt keine universelle Behandlungsmethode für Intersexualität, da die Erfahrungen und Bedürfnisse von intersexuellen Menschen sehr unterschiedlich sind und von Person zu Person variieren können. Einige intersexuelle Menschen benötigen möglicherweise keine medizinische Intervention, während andere möglicherweise eine medizinische Behandlung brauchen, um körperliche Symptome zu lindern oder um ihre Geschlechtsidentität besser mit ihrem Körper in Einklang zu bringen.

Einige der möglichen Behandlungsoptionen bei Intersexualität sind:

  • Beobachtung: Bei einigen intersexuellen Variationen ist es möglich und sicher, keine medizinischen Interventionen durchzuführen und einfach eine regelmäßige medizinische Überwachung zu empfehlen.

  • Hormontherapie: Bei einigen Formen von Intersexualität kann eine Hormontherapie helfen, die körperlichen Symptome zu lindern oder die Entwicklung von sekundären Geschlechtsmerkmalen zu fördern, die besser mit der Geschlechtsidentität der Person übereinstimmen.

  • Operationen: In einigen Fällen kann eine Operation notwendig sein, um körperliche Symptome zu korrigieren oder zu lindern.

  • Psychotherapie und Unterstützung: Für viele intersexuelle Menschen kann eine Psychotherapie oder Unterstützung durch Selbsthilfegruppen oder gemeinnützige Organisationen hilfreich sein, um die Herausforderungen zu bewältigen, die mit Intersexualität verbunden sind, und um ihre Geschlechtsidentität und sexuelle Gesundheit zu unterstützen.
     

Welche Gesetze gibt es zum Thema Intersexualität?

In vielen Ländern gibt es noch keine spezifischen Gesetze zur Intersexualität, obwohl es zunehmend Bestrebungen gibt, die Rechte und Bedürfnisse von intersexuellen Menschen gesetzlich anzuerkennen und zu schützen.

In Deutschland wurde im Jahr 2013 das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben eingeführt, das intersexuellen Menschen die Möglichkeit gibt, im Geburtenregister neben „männlich“ und „weiblich“ eine dritte Option zu wählen.

Das Intersexualität-Urteil aus dem Jahr 2017 des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Deutschland hat einen weiteren wichtigen Beitrag zur Anerkennung und zum Schutz der Rechte intersexueller Menschen geleistet. Das Urteil legt fest, dass die bisherige Praxis der Geschlechtszuweisung bei intersexuellen Kindern und die Durchführung geschlechtsangleichender Operationen ohne Einwilligung der betroffenen Person verfassungswidrig ist.

Das Gericht argumentierte, dass die körperliche Integrität und die Selbstbestimmung intersexueller Menschen geschützt werden müssen und dass die bisherige Praxis zu schweren körperlichen und psychischen Schäden führen kann. Es wurde festgestellt, dass die Entscheidung über eine geschlechtsangleichende Operation erst dann getroffen werden kann, wenn die betroffene Person vollständig informiert ist und ihre Einwilligung gegeben hat. Es wurde auch betont, dass eine dritte Option neben „männlich“ und „weiblich“ im Geburtenregister geschaffen werden sollte, um den Bedürfnissen intersexueller Menschen gerecht zu werden.

Kommt Intersexualität auch an anderen Stellen in der Natur vor?

Intersexualität ist keine Seltenheit in der Natur und kommt auch bei vielen Tierarten vor. Es gibt verschiedene Arten von Intersexualität, die je nach Tierart und Geschlechtschromosomen unterschiedlich sein können.

Einige Beispiele für Intersexualität in der Tierwelt:

  • Hermaphroditismus: Einige Tierarten wie bestimmte Fische und Schnecken haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane und können sich selbst befruchten oder mit einem anderen Individuum paaren.

  • Zwitter: Einige Tiere haben sowohl männliche als auch weibliche äußere Geschlechtsorgane, z.B. Schnecken und einige Spinnenarten.

  • Männliche Weibchen oder weibliche Männchen: Bei einigen Fischarten können die Geschlechtsorgane nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden, da sie sowohl männliche als auch weibliche Merkmale aufweisen.

Intersexualität ist ein normaler Teil der biologischen Vielfalt und tritt in verschiedenen Formen und Ausprägungen in der Natur auf. Die Forschung auf diesem Gebiet ist noch neu, aber es gibt immer mehr Erkenntnisse darüber, wie intersexuelle Merkmale bei verschiedenen Tierarten entstehen und wie sie sich auf das Verhalten, die Fortpflanzung und die Überlebensfähigkeit der Tiere auswirken können.

Was ist der Unterschied zwischen Intersexualität und Transsexualität?

Intersexualität und Transsexualität sind zwei verschiedene Konzepte im Zusammenhang mit Geschlecht und sexueller Identität.

Intersexualität bezieht sich auf eine biologische Variation der Geschlechtsmerkmale und Chromosomen, die bei der Geburt festgestellt werden. Eine intersexuelle Person kann anatomisch, hormonell oder chromosomal nicht eindeutig der Geschlechtskategorie „männlich“ oder „weiblich“ zugeordnet werden. Dies kann zu körperlichen und gesundheitlichen Herausforderungen führen und erfordert möglicherweise eine medizinische Behandlung.

Transsexualität hingegen bezieht sich auf das Empfinden der betroffenen Person, dass das Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht ihrer tatsächlichen Identität entspricht. Eine transsexuelle Person fühlt sich also nicht wohl in ihrem biologischen Körper und möchte möglicherweise eine geschlechtsangleichende Operation oder Hormontherapie durchführen lassen, um ihrem empfundenen Geschlecht näher zu kommen. Es geht also nicht um die Uneindeutigkeit der biologischen Merkmale, sondern um die sexuelle Identität einer Person, die mit ihren körperlichen Merkmalen nicht übereinstimmt.

Intersexualität und Transsexualität sind also zwei völlig unterschiedliche Konzepte, obwohl beide in Zusammenhang mit Geschlecht und sexueller Identität stehen.

Was sagt die Bibel zum Thema Intersexualität?

In der Bibel wird das Thema Intersexualität nicht direkt angesprochen. Es gibt jedoch einige Passagen, die als Bezugspunkte für die Diskussion über Geschlecht und Sexualität dienen können.

Einige Theologen interpretieren beispielsweise die Schöpfungsgeschichte in der Genesis als Ausdruck der göttlichen Absicht, dass jeder Mensch als Mann oder Frau geschaffen wird. Andere argumentieren, dass die Bibel auch Platz für Vielfalt und Diversität lässt und dass das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit nicht absolut ist.

Theologische Positionen zu Intersexualität

In der christlichen Tradition gibt es verschiedene Positionen zu Intersexualität und wie sie von der Kirche behandelt werden sollte. Einige Kirchen haben die Notwendigkeit betont, intersexuelle Menschen zu akzeptieren und zu respektieren, während andere eher konservative Positionen vertreten haben und betonen, dass Gott Mann und Frau geschaffen habe.

Intersexualität ist also ein Thema, das in der Theologie und in religiösen Gemeinschaften kontrovers diskutiert wird. Einige theologische Perspektiven betonen die Bedeutung der göttlichen Schöpfung und dass jeder Mensch von Gott auf einzigartige Weise geschaffen wurde. In diesem Zusammenhang wird betont, dass jeder Mensch – einschließlich intersexueller Menschen – ein Abbild Gottes ist und dass jeder Mensch deshalb vollständig akzeptiert und respektiert werden sollte.

Ein weiterer theologischer Ansatz betont die Bedeutung der menschlichen Würde und der Würde jedes einzelnen Geschöpfes. Intersexuelle Menschen haben oft mit Vorurteilen, Diskriminierung und Stigmatisierung zu kämpfen, was ihre Würde und ihr Wohlbefinden beeinträchtigen kann. So wird argumentiert, dass es wichtig ist, intersexuelle Menschen in ihrer Ganzheit und Vielfalt anzuerkennen und ihnen das gleiche Maß an Respekt und Würde zu gewähren wie allen anderen Menschen.

 

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