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29.04.2022 / Wochenrückblick / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Gerangel um Garnisonkirche, Preis für Memorial

…der Freitagstalk der ERF Aktuell-Redaktion

 

Gleichzeitiger Religionsunterricht für alle Religionen und Konfessionen in Hamburg jetzt auch mit Beteiligung des katholischen Erzbistums, weiterhin Gerangel um den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, 77% aller Internetnutzer sprechen sich laut einer Studie aus NRW gegen Hass und Hetze im Internet, Verbotene russische Menschenrechtsorganisation Memorial bekommt Theodor-Heuss-Preis, und Naturschutzbund Nabu ruft zu aktivem Tierschutz für Gartenvögel auf – das sind die Themen des Freitagstalks der ERF Aktuell-Redaktion, zusammengestellt von Andreas Odrich.


ERF: Andreas, Religionsunterricht in Deutschland, der wurde traditionell nach Religionen und Konfessionen getrennt durchgeführt. In Hamburg läuft das anders.

Andreas Odrich: Das Projekt heißt „Religionsunterricht für alle“. Was dort geschieht: Sämtliche Religionen werden in Hamburg gemeinsam unterrichtet. Das ist bundesweit einzigartig, läuft seit 2019, und soll als Modellprojekt Pate stehen für den Religionsunterricht von Morgen.
 

ERF: Jetzt hat das Projekt weiteren Auftrieb bekommen.

Andreas Odrich: Ja, denn jetzt macht auch die katholische Kirche, genauer, das Erzbistum Hamburg, mit. Das Erzbistum hat sich das Projekt die ersten drei Jahre offenbar erst einmal angeschaut, will jetzt aber „fester Bestandteil des Projekts“ werden, wie der Hamburger Erzbischof Stefan Heße auf einer Pressekonferenz diese Woche mitgeteilt hat. Beteiligt an dem Projekt sind bereits die evangelische Nordkirche, verschiedene muslimische Gemeinden, darunter auch die Aleviten, und die jüdische Gemeinde zu Hamburg.


ERF: Wie darf man sich die Gestaltung des Unterrichts denn vorstellen?

Andreas Odrich: Der Unterricht läuft gemeinsam ab und soll den Dialog fördern.    Erzbischof Heße meint dazu: die Gesellschaft brauche mehr denn je Kräfte, die sich für Dialog und Zusammenhalt einsetzen. Wörtlich sagte Heße diese Woche auf einer Pressekonferenz: „Der Religionsunterricht für alle kann einen wichtigen Beitrag leisten, damit ein friedliches Miteinander gelingen kann.“

Der Hamburger Schulsenator, Ties Rabe, hält die Entscheidung des Erzbistums für ein „Erdbeben“ und betont laut Evangelischem Pressedienst, epd: Prozentual habe Hamburg im Vergleich zu den anderen Bundesländern die höchste Beteiligungszahl von Schülerinnen und Schülern am Religionsunterricht.


ERF: Man darf gespannt sein, ob und wie das Modell Schule macht.

Denkmal oder Geschichtsfälschung

ERF: Diskussion und Gesprächsbedarf gibt es nach wie vor in Potsdam.

Andreas Odrich: Streitfall ist der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, bzw. ihres Turms. Die Kirche wurde 1945 nach einem Bombenangriff zerstört. Nach der deutschen Wiedervereinigung gab es bald Ideen und Pläne, die Kirche wieder aufzubauen. Der Grundstein für den Turm wurde bereits 2005 gelegt und 2017 begannen dann die Bauarbeiten, jetzt ist der Rohbau des Turms fertiggestellt geworden.
 

ERF: Nun könnte man meinen, dass der Wiederaufbau eines ehemaligen Barockgebäudes doch eigentlich eine unverfängliche und schöne Sache ist.

Andreas Odrich: Zweifellos. Aber die Potsdamer Garnisonkirche ist eben nicht irgendeine Kirche. 1933 nach der Machtübergabe an Adolf Hitler nutzte dieser die Kirche ganz bewusst als Kulisse für die Eröffnung eines neuen Reichstages als Scheinparlament unter der Diktatur der Naziherrschaft. Muss man so eine Kirche wirklich wieder aufbauen, fragen daher Kritiker des Projekts.

Die Direktorin des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, Miriam Rürup, nennt es „bemerkenswert“, dass ein Gebäude wiederaufgebaut werden soll, das sinnbildlich für den „Tag von Potsdam“ 1933 stehe. Und eine polnische Historikerin hält den Wiederaufbau der ursprünglichen Militärkirche für „Geschichtsfälschung“.
 

ERF: Der Streit ist ja nicht neu, erhitzt aber auch nach Fertigstellung des Turmrohbaus weiterhin die Gemüter.

Andreas Odrich: Offenbar sah sich Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert dazu genötigt, zur Versachlichung der Debatte aufzurufen. Die evangelische Kirche als Bauträger hält aber an den Plänen fest, und möchte ganz bewusst in dem neu erstandenen Turm einen „Ort für Friedens- und Versöhnungsarbeit“ errichten.

Ablehnung von Hass im Netz

ERF: Friedens- und Versöhnungsarbeit sind auch nach wie vor im Internet von Nöten. Aber dazu hast du eine relativ gute Nachricht gefunden.

Andreas Odrich: Diese Woche wurde eine Umfrage veröffentlicht. Sie gibt Anlass zur Hoffnung: Hass und Hetze im Netz stoßen demnach bei den meisten Internetnutzern auf Ablehnung. Das hat die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen am Donnerstag bekannt gegeben.

Mehr als drei Viertel aller Befragten (77 Prozent) gaben an, dass Hasskommentare sie wütend machen. 92 Prozent nennen anonyme Hasskommentare im Netz feige, und 63 Prozent bezeichnen es als Zeitverschwendung, sich mit Hasskommentaren zu befassen.
 

ERF: Was haben die Befragten denn für Erfahrungen gemacht?

Andreas Odrich: Mehr als Dreiviertel haben bereits Hasskommentare gesehen. Die meisten von ihnen waren Jugendliche und junge Erwachsene, wahrscheinlich weil sie am engsten mit dem Internet verwachsen sind. Nach ihren Erfahrungen richten sich die Hasskommentare in erster Linie gegen Menschen aus der Politik, gegen Frauen und gegen Menschen mit Migrationshintergrund.

Was sie als Gegenmittel sehen – melden bei den Plattformbetreibern, strafrechtlich verfolgen und Hasskommentare löschen. Inwieweit sie das allerdings aktiv selbst betreiben, das sagt die Studie nicht.

Preis für Memorial

ERF: Nicht Hass und Hetze, sondern Demokratie und Menschenrechte – das waren die Anliegen der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, bevor sie vom Putin-Regime verboten wurde.

Andreas Odrich: Jetzt hat die Organisation einen Preis bekommen. Und zwar den 57. Theodor Heuss Preis der Theodor Heuss Stiftung. Memorial bekommt den Preis als „weltweites Vorbild für Zivilcourage und mutige Menschenrechtsarbeit“. Das teilte die Theodor Heuss Stiftung am Donnerstag in Stuttgart mit.

Die Auszeichnung soll „das Selbstbewusstsein und den Mut von Menschenrechtsverteidigern“ stärken. Der Preis ist undotiert, Geld gibt es also keins. Dafür sicherlich aber jede Menge gute Worte, wenn am 7. Mai in Stuttgart der Preis verliehen wird.

Praktischer Naturschutz

ERF: Zum Abschluss hast du noch eine Einladung, auf die ich mich als Tierfreundin besonders freuen darf.

Andreas Odrich: Richtig. Du darfst als Tierfreundin am Wochenende vom 13. Bis 15. Mai eine Stunde lang in deinem Garten Vögel zählen. Dazu ruft der Naturschutzbund Nabu auf. Das klingt verrückt, hat aber einen tieferen Sinn. Die Aktion gibt es nämlich schon seit 2006. Mit den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern kann der Vogelbestand und seine Veränderungen in Deutschland statistisch erhoben und beobachtet werden.

140.000 Menschen haben im vergangenen Jahr an der Aktion teilgenommen und in 95.000 Gärten 3,1 Millionen Vögel gezählt, abzüglich des eigenen, versteht sich. Auf jeden Fall können die Vogelforscher auf diese Weise wertvolle Hinweise erhalten, so zum Beispiel leider auch, dass inzwischen verschiedene Schwalbenarten vom Aussterben bedroht sind. Also, schnapp dir deine Enkel, man kann gar nicht früh genug damit anfangen, etwas für die Bewahrung der Schöpfung zu tun.
 

ERF: Und damit entlassen wir Sie gerne ins Wochenende, das für uns alle möglichst friedlich verlaufen soll.

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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