Navigation überspringen
© Bjorn Grochla / unsplash.com

03.10.2018 / Tag der Deutschen Einheit / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Sophie Steinfeld

3. Oktober: Wieso es mir nicht egal ist

Was „MeToo-Debatte“ und „Flüchtlingskrise“ mit dem Tag der Deutschen Einheit gemeinsam haben.

03.10. Mauerfall und 09.11. Wiedervereinigung oder umgekehrt? Was war eigentlich wann? Mir kann es eigentlich egal sein, ich bin nach der Wende geboren, habe nur das wiedervereinigte Deutschland erlebt und doch merke ich die Auswirkungen bis heute. Wie war das eigentlich damals?

„Die Friedliche Revolution“

Alles begann mit Kerzen und Gebeten. 1989 erreichte die Resignation vieler DDR-Bürger einen Höhepunkt und der Unmut der Bevölkerung wurde zur Massenbewegung. Die Kirche spielte dabei eine entscheidende Rolle. In der Nikolaikirche in Leipzig initiierte ein Pfarrer Friedensgebete und  Anfang September 1989 gingen jeden Montag Tausende friedlich auf die Straßen und forderten die Grenzöffnung.

Eine feiernde Menschenmenge hielt die Mauer am Brandenburger Tor besetzt
10. November 1989: Von der Nacht des 9. bis zum Morgen des 11. Novembers hielt eine feiernde Menschenmenge die Mauer am Brandenburger Tor besetzt (Bild: Wikimedia Commons)

Ein paar Wochen später, am 09.November geschah das, wovon meine Mutter mir heute noch erzählt, dass sie es für einen Witz im Radio hielt: „Die Mauer ist gefallen.“ Während sich Tausende weinend in den Armen lagen, gab es aber auch die, die Angst hatten. Angst vor der Zukunft: Was würde nun werden?

Während sich Tausende weinend in den Armen lagen, gab es aber auch die, die Angst hatten. Angst vor der Zukunft: Was würde nun werden?

Knapp ein Jahr später, die Volkskammer der DDR hatte dem Beitritt zur BRD zugestimmt, waren am 03. Oktober 1990 Ost - und Westdeutschland offiziell wiedervereinigt.

Vor 28 Jahren: Mauerfall

Mauerfall und die Wiedervereinigung, das alles ist 28 Jahre her. Wer heute, wie ich Anfang 20 ist, hat das alles nicht mehr miterlebt. Menschen in meinem Alter sind die Generation Einheit. Wir hatten das Privileg, unsere Meinung immer frei äußern zu dürfen, die Welt  zu bereisen, zu kaufen, was wir mögen und das Leben nach unserem Gusto zu planen. Errungen wurde dies von unseren Eltern, die Ende 1989 dafür friedlich auf die Straßen gingen.

Ist der Tag der Deutschen Einheit für mich also überhaupt ein Thema?

Warnung: Ende des Britischen Sektors
Warnung: Ende des Britischen Sektors (Bild: Roland Arhelger, via Wikimedia Commons)

 

Ich bin die Tochter eines Wessis und einer Ossi. Während ein Teil meiner Familie hinterm Eisernen Vorhang eingesperrt war und nicht herauskonnte, lebte der andere Teil im sogenannten „goldenen Westen.“

Obwohl ich also weder beim Mauerbau 1961, noch beim Mauerfall 28 Jahre später dabei war, sehe ich an meiner Familie, was diese Trennung mit Menschen gemacht hat und erkenne gleichzeitig auch die Chance, die in den Händen meiner Generation liegt.


Spreche ich heute mit beiden Teilen meiner Familie, lässt es sich nicht leugnen, dass sie in zwei verschiedenen Systemen aufgewachsen sind und demensprechend geprägt wurden. Sie eint die Tatsache, dass sie es schätzen in einem freiheitlich, demokratischen Land zu leben, in dem sie sagen dürfen, was sie denken und reisen können, wohin sie mögen. Alle sind froh, dass die Mauer weg ist. Was sie nicht unbedingt eint, ist die Tatsache, wie die Wiedervereinigung vollzogen wurde und was sie zur Folge hatte. Während für meine West-Verwandten die Wiedervereinigung oft kein Thema mehr ist, stellt sich dies für meine Familie im Osten oft anders dar. Für sie ist der Mauerfall und die Eingliederung des ehemaligen Staatsgebiets der DDR in die BRD ein lebenslanges Thema.

Während für meine West-Verwandten die Wiedervereinigung oft kein Thema mehr ist, stellt sich dies für meine Familie im Osten oft anders dar. Für sie ist der Mauerfall und die Eingliederung des ehemaligen Staatsgebiets der DDR in die BRD ein lebenslanges Thema.

Es gab für sie nach der Wende „Gewinner“ und „Verlierer“ und zu letzterem gehören in ihren Augen sie. Nicht wenige standen nach dem Ende der DDR auf der Straße und ihre ersten Begegnungen mit Wessis durch die Treuhand waren auch nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für ein schnelles „Zuhause fühlen“ im nun geeinten Deutschland.

Die Mauer war zwar weg, doch die „Mauer in den Köpfen“ niederzureißen benötigt Zeit und ist ein Prozess. Was hilft, ist zu sprechen und zwar miteinander und nicht übereinander. So beobachtete ich, wie Gespräche zwischen meiner Ost – und Westverwandtschaft Pauschalisierungen „Im Westen sind alle reich“ und „Im Osten gibt es nur Nazis“ abbauen können. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie mein Cousin aus dem Osten Deutschlands nicht glauben konnte, dass man auch im Westen wirtschaftliche Probleme haben kann und umgekehrt, dass es nicht alles in der DDR schlecht war.

Meine Familie hat mir gezeigt, dass die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands immer noch ein Thema ist. Die Wiedervereinigung wurde zwar vollzogen, doch ist sie noch nicht beendet. Es braucht Zeit, Geduld, Geld,  Arbeit und viel Kommunikation, denn an sich sind wir alle gleich. Menschen, die wie ich Kinder der Wiedervereinigung sind, tragen dazu einen wichtigen Beitrag bei. Gespräche mit meinen gleichaltrigen  Cousinen und Cousins über Ost und West zeigen klar: Uns eint mehr, als uns trennt. Wir denken nicht mehr  in diesen Kategorien, sondern unterhalten uns lieber darüber, wo wir unser Auslandssemester machen wollen und welche Flecken der Erde wir noch nicht gesehen haben. Wir sind in einem geeinten Land aufgewachsen, finden, dass Ost und West ein Volk bildet und erkennen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Die Wiedervereinigung wurde zwar vollzogen, doch ist sie noch nicht beendet. Es braucht Zeit, Geduld, Geld,  Arbeit und viel Kommunikation, denn an sich sind wir alle gleich.

„Uns eint mehr, als uns trennt.“

Am 03. Oktober 2018 feiern wir 28 Jahre Deutsche Einheit und ich feiere das. Denn es hält die Erinnerung an den Tag wach, an dem die Menschlichkeit siegte: wo Menschen, wie meine Eltern für Freiheit, Frieden und Demokratie auf die Straße gingen und in einer friedlichen Revolution die Mauer einrissen. Für meine Generation ist dies ein großes Geschenk und gleichzeitig auch eine große Verantwortung.

Von 1989 lernen heißt, zu verstehen, dass wir alle zusammen für unsere Werte aufstehen und sie immer wieder neu verteidigen müssen. Der Mauerfall und die Wiedervereinigung wären nie ohne all die Hundertausenden Menschen möglich gewesen, die mit Kerzen und Gebeten auf die Straßen gingen.

Wenn ich meine Eltern frage, was sie meiner Generation mit auf den Weg geben wollen, sagen sie: Die Fragen und Krisen der heutigen Zeit werden sich nicht von selbst lösen. WIR sind gefragt unsere Werte in Zeiten von MeToo-Debatten, Fake News, Rechts-und Linksextremismus und der sogenannten Flüchtlingskrise immer wieder neu zu verteidigen.

Der 03. Oktober ist mir nicht egal, weil er für mich ein Tag des Feierns und des Erinnerns daran ist, dass Mauern nie unüberwindbar sind und dass eine Gruppe von Menschen mit Kerzen und Gebeten nie unterschätzt werden sollte.

 Sophie Steinfeld

Sophie Steinfeld

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren