/ Bibel heute
Hiobs letzte Antwort an den Herrn
Karin Weishaupt über Hiob 42,1–6.
Und Hiob antwortete dem HERRN und sprach: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. »Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?« Darum hab ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe.[...]
Das Buch Hiob behandelt eine Frage, die immer wieder gestellt wird: Wie kommt es, dass Menschen leiden müssen, ohne selbst dafür verantwortlich zu sein? Sein Thema ist eine der Grundfragen menschlichen Lebens.
Wer sich allerdings eine rasche und klare Antwort erhofft, wird enttäuscht. Nach den schweren Schicksalsschlägen, die Hiob erleidet, besuchen ihn seine Freude und führen in endlos erscheinenden Reden aus, warum Hiob dieses ganze Unglück widerfahren ist. Ihre Erklärungsversuche greifen alle nicht recht. Hiob widerspricht und verstrickt sich dabei immer tiefer in Klagen, Zweifel und Verzweiflung. Schließlich schaltet sich Gott selbst ein. Aber auch seine Worte stellen keine unmittelbare Antwort auf Hiobs Fragen dar. Wer sich durch diese langen Ausführungen hindurcharbeiten will, braucht viel Geduld.
Dann endlich kommt der Durchbruch! Hiob ringt sich dazu durch, Gottes Allmacht und Allwissenheit anzuerkennen und zuzugestehen, dass er auf einen falschen Weg geraten war. Es wäre zu negativ, seine neu gewonnene Haltung als Niederlage oder als Aufgeben zu verstehen. Vielmehr erkennt Hiob die Größe Gottes an, sein eigenes Wissen wertet er dagegen als unvollkommen.
Gott sein Leid klagen
Dabei ist es sicher angemessen, Gott das eigene Leid zu klagen, vor Gott alle Fragen und Zweifel auszusprechen. Genau das geschieht in vielen Psalmen. Da schreien die Psalmdichter ihr Unglück geradezu heraus; sie verzweifeln daran, dass sie Gott in ihrem Unglück nicht sehen. Fast immer kommt irgendwann der Wendepunkt: aus der Klage wird der Ausdruck der Zuversicht, dass Gott doch da ist und sich dem Menschen zuwendet.
Klagen ist also durchaus berechtigt. Die Überlegung, warum etwas geschieht, führt allerdings selten weiter. Die Frage nach dem Warum ist rückwärts gewandt und will Ursachen finden. Nur löst sich dadurch selten ein Problem. Schon hilfreicher ist die Frage, wozu etwas geschieht. Damit richtet sich der Blick nach vorn: Wozu könnte das Erlebte dienen, wohin könnte der Weg führen? Aber auch darauf wird sich nicht immer eine Antwort finden lassen, zumindest nicht sofort. Manchmal erkennt der Mensch nachträglich, wozu etwas gut war, was daraus Neues erwachsen konnte.
Hiobs Äußerung bei seiner letzten Antwort an Gott klingt anders und erinnert an das, was Jesus Christus im Garten Gethsemane vor seinem Leidensweg ausgesprochen hat: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe (Lukas 22, 42b)!“ Was immer geschehen sollte, Jesus wollte es aus der Hand seines Vaters nehmen. Christen in aller Welt beten in den Gottesdiensten im Vaterunser: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden“. Es kommt darauf an, anzuerkennen, was Gottes Wille ist, und diesen anzunehmen, auch wenn er den eigenen Wünschen widerspricht. Das ist die Haltung, zu der sich Hiob durchringt. Er bekennt: „Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer (Vers 2).“
Gotteserkenntnis
Es ist ein harter Kampf, bis Hiob das annehmen kann, aber dann wird er reich belohnt. Er formuliert das so: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen (Vers 5).“
Hiob wird gleich zu Beginn des Buches als fromm, rechtschaffen und gottesfürchtig vorgestellt (Hiob 1, 1). Dieser fromme Mann gibt nun zu, dass er Gott bisher nur indirekt gekannt hat, von ihm „nur vom Hörensagen vernommen“ hat. Gerade in seiner Leidensgeschichte lernt er Gott persönlich kennen: er sieht ihn. Was für eine intensive Gottesbegegnung!
Das Bemerkenswerte daran ist, dass Hiob Gott so nicht gekannt hat, als es ihm gut ging, als er reich und gesund war und eine große Familie hatte. Nein, gerade das tiefe Leid, in das Hiob gestürzt wird, führt dazu, dass er näher zu Gott findet.
Eine ganz ähnliche Erfahrung macht David, der Dichter des 23. Psalms. Er beginnt damit, über Gott zu sprechen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln (Psalm 23,1).“ Er entfaltet schöne Bilder, wie ihn Gott begleitet. Aber dann kommt er ins dunkle Tal, und da wendet sich die Perspektive: „Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich (Psalm 23,4b).“ Jetzt redet David nicht mehr über Gott, vielmehr redet er mit ihm. Seine Beziehung zu Gott wird viel persönlicher – gerade im dunklen Tal.
Nun wünscht sich wohl niemand zu leiden. Aber im Rückblick erkennen viele Menschen, dass sie gerade durch die dunklen Phasen in ihrem Leben weitergekommen sind, dass sie im Glauben gereift sind, dass sie Gott nähergekommen sind. Leidvolle Erfahrungen führen oft zu neuen Erkenntnissen oder können den Blick verändern, was wirklich wichtig ist. Zugegeben, es gibt Menschen, die in Krisen ihren Glauben verlieren, sich von Gott lossagen, weil sie ihn nicht verstehen. Wer aber durchhält, geht meist gestärkt daraus hervor.
Auch im Neuen Testament gibt es Belege dafür, dass auf Leiderfahrungen ein besonderer Segen liegt. Jesus sagt zu Beginn der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden (Matthäus 5, 4).“ Der Apostel Paulus spricht wiederholt davon, dass Christi Nachfolger mit ihm leiden müssen, aber auch viel Trost erfahren (z.B. 2. Korinther 1, 4.5). Sein eigenes Leben ist dafür ein Beispiel. Er ist krank, oft in Lebensgefahr, wird gefangen genommen, geschlagen, er erleidet Schiffbruch – trotz seines wichtigen Dienstes muss er einiges ertragen!
Hiob erfährt bis zum Schluss nicht, warum er so viel gelitten hat. Aber das ist nicht mehr entscheidend. Er erkennt an, dass sein Schicksal in Gottes Hand liegt. Er wird gerade durch seine Leiderfahrung ein neuer Mensch mit einer vertieften Gottesbeziehung. Für ihn zeigt sich am Schluss, dass es für ihn gut war, alles zu verlieren, was ihm vorher wichtig war. Letztlich war Gott die ganze Zeit über bei ihm und hat ihn nicht verlassen, auch als er sich fern von Gott fühlte. Damit wird das Buch Hiob und speziell der Beginn des 42. Kapitels zu einem Trost für Menschen, die gerade Schweres durchmachen, ohne zu verstehen, wie es dazu kommen konnte und warum sie es erleiden.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Liebe Frau Weishaupt!
Herzlichen Dank für die Auslegung Hiob 42, 1-6. In der täglichen Bibellese war in den letzten 3 Wochen Hiob vorgeschlagen. Und so passte heute genau dieser Abschnitt mit der … mehrBibellese zusammen. Erst als ich in Ihrer Auslegung las, dass Hiob Gott nur vom Hörensagen kannte, da auf einmal traf es mich auch. Hab ich nicht diesen Vers schon einige Male gelesen ohne dass mir dies auffiel: Gott nur vom Hörensagen kennen.
Gott sei Dank für diesen Augenöffner - ER möchte kein ferner Gott sein, sondern ein Gott der persönlichen Beziehung.
Vielen Dank und Ihnen eine gesegnete Zeit!
Gerhard H.
Danke, sehr hilfreich und tröstliich!