/ Bibel heute
Das neue Herz
Der Bibeltext Hesekiel 11,14-25 – ausgelegt von Andreas Koch.
Da geschah des HERRN Wort zu mir: Du Menschenkind, die Leute, die noch in Jerusalem wohnen, sagen von deinen Brüdern und Verwandten und dem ganzen Haus Israel: Sie sind ferne vom HERRN, aber uns ist das Land zum Eigentum gegeben. Darum sage: So spricht Gott der HERR: Ja, ich habe sie fern weg unter die Heiden vertrieben und in die Länder zerstreut und bin ihnen nur wenig zum Heiligtum geworden in den Ländern, in die sie gekommen sind.[...]
Es war in einem Gespräch zur Vorbereitung einer Beerdigung. Die Tochter erzählte von ihrer Mutter. Ich merkte deutlich, wie sie sich bemühte, es möglichst liebevoll und positiv zu tun. Aber zwischen den Zeilen - und manchmal auch etwas deutlicher - wurde klar: sie war tief verletzt. Jahrelang hatte sie versucht, ihrer Mutter den Aufenthalt im Pflegeheim zu ersparen, den diese auf gar keinen Fall wollte. Also nahm sie die Mutter bei sich zuhause auf und war aufopferungsvoll für sie da. Und nun war sie gestorben. Mit Tränen in den Augen berichtete die Tochter enttäuscht, dass sie alles getan hatte, damit ihre Mutter einen möglichst guten Lebensabend genießen konnte; aber in all den Jahren hatte sie kein einziges Danke von der Mutter dafür gehört.
Wie anders war dagegen die Begegnung mit einem alten Mann, der tatsächlich seine letzte Zeit im Pflegeheim leben musste. Er hatte niemanden, der sich um ihn kümmerte. Nicht einmal aufrecht sitzen konnte er in seinem Bett, so schwach war er. Mit diesen Informationen vom Pflegepersonal trat ich in sein kleines Zimmer – und wurde mit großen Augen und einem unglaublich breiten Lächeln eines komplett zahnlosen Mundes angestrahlt. Obwohl mich der Mann noch gar nicht kannte, war er unglaublich dankbar für meinen Besuch. So dankbar wie für alle größeren und kleineren Hilfen, Zuwendungen und Alltäglichkeiten, die er dort im Heim erlebte. Als er starb, sagte eine Pflegekraft traurig: „Unser Sonnenschein ist gegangen“.
Die einen haben alles, was sie sich wünschen – und sind trotzdem unzufrieden. Andere hätten Grund genug, den ganzen Tag zu klagen – und sind doch erstaunlich dankbar dabei. Es sind nicht vor allem die äußeren Umstände, die entscheidend dazu beitragen, wie positiv oder negativ ich mein Leben empfinde, es ist vor allem meine innere Grundhaltung. Oder anders ausgedrückt: es kommt auf mein Herz an.
Das wird auch dem Propheten Hesekiel von Gott sehr klar vor Augen geführt. Er gehört zu den vielen Israeliten, die nach Babylon verschleppt wurden. Sein Herz ist schwer, zumal er den Eindruck hat: es wird alles schlimmer statt besser. Das ändert sich auch nicht, als ihn Gott in einer Vision nach Jerusalem führt. Auf den ersten Blick scheint dort das Leben noch in Ordnung zu sein. Nach dem Raubzug Nebukadnezars ist Ruhe und so etwas wie Normalität zurückgekehrt. Folge bei den in der Heimat gebliebenen Israeliten ist aber nicht etwa demütige Dankbarkeit Gott gegenüber, sondern geistlicher Hochmut gegenüber den Weggeführten. Sie werden als die von Gott Verlassenen angesehen. Man selbst empfindet sich in Jerusalem dagegen als von Gott gesegnet. Schließlich gehört man zu denen, die die alte Heimat ihr Eigen nennen können.
Ein wenig überraschend stellt Gott klar: die Verschleppung nach Babylon geht tatsächlich auf sein Konto: „Ja, ich habe sie fern unter die Heiden vertrieben und in die Länder zerstreut“. Aber gleich im nächsten Satz wird deutlich, dass die geografische Ferne von Jerusalem nicht gleichzusetzen ist mit der geistlichen Ferne von Gott: „Ich bin ihnen ein kleines Heiligtum geworden in den Ländern, in die sie gekommen sind.“ In der Ferne entdecken die weggeführten Israeliten ihren Gott ganz bescheiden wieder neu, während die selbstzufriedenen Jerusalemer Gott eher aus dem Blick verlieren und „Götzen und Gräuel“ Raum geben. Es ist die scheinbar immer gleiche Gesetzmäßigkeit: geht es mir gut, werde ich schnell überheblich, geht es mir weniger gut, beginne ich oft, neu nach Gott zu suchen und zu rufen.
Deshalb gibt Hesekiel den traurigen Israeliten in der Verbannung die gute Nachricht von Gott weiter, dass Gott sie wieder in ihre Heimat zurückbringen wird. Aus dem Zerbruch soll Neues entstehen. Dafür ist Gott gewissermaßen der Spezialist. Im vorletzten Kapitel der Bibel, in Offenbarung 21, ruft Gott aus: „Siehe, ich mache alles neu!“ Was sich da auf die Ewigkeit bezieht, beginnt Gott ganz individuell bei denen, die ihr Vertrauen jetzt schon auf Jesus setzten. Paulus drückt das einmal so aus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“
Nicht nur die Israeliten damals in Babylon, sondern auch jede Menge Menschen heute sehnen sich nach so einem radikalen Neuanfang. Vielleicht nach einem Neuanfang in ihrer lieblos gewordenen Lebensbeziehung; oder nach einem Neuanfang, mit dem sie endlich ihre Sucht unter die Füße bekommen. Die Krise in der Lebensmitte, an der etliche leiden, ist oft nichts anderes als der brennende Wunsch nach einem Neustart in ihrem Leben. Viele machen in so einer Situation einen fatalen Fehler: sie sind der Überzeugung, dass die Veränderung äußerer Faktoren ihnen eine neue innere Zufriedenheit gibt. Die Bemühungen um Neuanfänge scheitern aber fast immer an einem: am menschlichen Herzen, das sich nicht einfach so ändert. Über kurz oder lang wird es auch in neue Lebensumstände wieder die alten Fehler hineintragen. Überspitzt formuliert: nicht die Verhältnisse ändern das Herz, sondern das Herz die Verhältnisse.
Der Neuanfang Gottes, den Hesekiel seinen Leidensgenossen mitteilen darf, ist radikal. D. h.: er geht an die Wurzel des Übels. Und das ist mein Herz: „Ich will ihnen ein anderes Herz und einen neuen Geist geben und will das Herz aus Stein wegnehmen und ihnen ein Herz aus Fleisch geben.“ Statt eines Herzens, das hart gegen Gott, gegen andere, vielleicht auch gegen sich selbst geworden ist, möchte Gott ein Herz schenken, das wieder für andere und für Gott schlägt. Der beste Arzt von allen, Gott selbst, will diese Herztransplantation bei mir vornehmen. Er benötigt dazu nur mir Patienten-Einverständnis. Die Folgen dieser himmlischen OP sind erstaunlich: Menschen fragen wieder nach Gottes Willen und sind freiwillig bereit, ihn zu tun. Ganz ohne Zwang!
Dann ist die Vision des Hesekiel plötzlich beendet. Er ist in der Wirklichkeit in Babylonien zurück. Aber mit einer Hoffnung weckenden Botschaft: mitten in dieser sichtbaren, frustrierenden, harten Realität der Verbannung gibt es die unsichtbare, ermutigende Wirklichkeit Gottes. Gott will – und kann! - sogar das verändern, was scheinbar felsenfest in Stein gemeißelt ist. Und er beginnt da, wo es am allerhärtesten ist: in meinem und Ihrem Herzen.
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Vielen Dank!
Lieben Dank! Eine ganz tolle und lehrbare Andacht.