29.10.2023 / Zum Schwerpunktthema
Wenn Radio Weltgeschichte schreibt
Im Oktober 1923 ist das erste deutsche Rundfunkprogramm auf Sendung gegangen. Bis heute ist das Radio nicht mehr aus der Medienwelt wegzudenken.
Ich habe noch immer mein erstes Radio. Telefunken Jubilate, Röhrengerät, geschwungenes Holz. Es hat einen Ehrenplatz. Für uns im eingemauerten West-Berlin der 1960er-Jahre war es das Tor zur Welt. Hier spielten die großen Orchester, hier sendete der AFN (American Forces Network) die Sendung „Music in The Air“ und aus genau diesem Lautsprecher rief uns Präsident Kennedy den Satz „Ich bin ein Berliner“ zu, und die ganze Stadt hielt den Atem an – auf beiden Seiten der Mauer.
Fasziniert saßen wir davor. Nicht nur Grüße gingen per Radio über die Mauer nach „drüben in den Osten“ sondern auch Nachrichten. Für die Menschen in der DDR der einzige Zugang zu freien Informationen, und auch für die West-Berliner mitten im Kalten Krieg überlebensnotwendig. Das alles hat mich nicht mehr losgelassen. Und so wollte auch ich ins Radio.
Die Mauer überwunden
Später war ich dann tatsächlich selbst Radio-Reporter. Im Auftrag des ERF berichtete ich ab 1987 für den ersten großen Privatradiosender „Hundert,6“ nicht nur von kirchlichen Veranstaltungen. Der Sender förderte die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Auch seine Nachrichten wurden von Störsendern der Stasi mitunter von Knattern überlagert.
Und am 9. November 1989 standen die Ü-Wagen des Senders zusammen mit Reportern aus aller Welt an der offenen Grenze. Auch der ERF sendete damals über den eiserenen Vorhang hinweg per zischender und unsteter Mittelwelle. Anders kam das Evangelium per Radiowellen nicht zu den Menschen in Cottbus oder Rostock. Manche der Hörerinnen und Hörer schrieben die Andachten von Hand mit.
Radio als stabiler Begleiter
Diese subversive Kraft des Radios hat mich immer besonders fasziniert. Heute schätze ich seine Klarheit. Nachrichten im Radio kommen schnörkellos daher. Menschen, die Radio hören, mögen das Radio vor allem, weil es nicht darauf aus ist, zu polarisieren und Aufreger zu produzieren. Vielmehr setzen sie auf seine Verlässlichkeit. Und so nutzen noch immer rund 75 Prozent aller Deutschen nach wie vor werktags das Radio, wie die jüngste Media-Analyse ma II 2023 zeigt.
Altes Medium – große Zukunft
Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Rundfunk (aer) freue ich mich, dass neben dem ERF auch die bundesweiten Kirchenredaktionen für die Privatsender ihrer Region christliche Werte präsentieren und auf diese Art Stabilität fördern.
Seit Jahren wird das Radio totgesagt. Doch es hält sich. Weil es so einfach zu bedienen ist. Ein Knopfdruck bzw. ein Tipp oder Fingerwisch auf dem Handy genügt. Und so glaube ich, dass es das Radio auch in 50 und in 100 Jahren noch geben wird. Auch beim ERF. Sicherlich anders als früher. Aber mehr denn je braucht es gegen alle Aufregung ein Medium, das Halt vermittelt und Kontinuität ins Leben bringt.
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